Bitch Teil81
Bei dem Wort „rausgeflogen" zuckte Sullivan direkt zusammen. Vielleicht hatte er die Realität dessen, was Callum aussprach bis zu diesem Moment noch nicht begriffen.
„Wo kommst du denn jetzt her, mitten in der Nacht?", fragte Jem.
„Finsbury Park", lautete die knappe Antwort. Das lag etwas mehr als eine Stunde von Camden, wenn man zu Fuß ging. Rory hatte inzwischen den Tee in Bechern und reichte den ersten an Sullivan, damit der sich die Hände wärmen konnte, während der Tee im Beutel zog. Als nächstes stellte er ihm einen Teller mit Torte hin. Sullivan schaute etwas irritiert.
„Du magst doch Torte?", fragte Rory.
„Ja, sicher."
„Wie wär's, wenn du erzählst was passiert ist?", schlug Cal dann sachte vor.
Der Junge nickte und klammerte sich an seinen heißen Becher. „Es stimmt, w-was du sagst. Meine M-mum hat 'nen riesen Aufstand gemacht. Sie ist mit uns nachhause und hat herumgejammert, w-wie das nur werden soll, w-wenn er im Gefängnis ist. So lange und dann wegen sowas. Sie h-hat gar nicht kapiert, dass er das auch gemacht hat, w-was du gesagt hast." Er schaute zu Callum.
„Du meinst, sie glaubt nicht, dass er schuldig ist", sagte der.
„Ja. Sie hat nur gezetert, wie das sein kann, dass die J-jury dir geglaubt hat. Das ist alles gelogen, was du gesagt hast. Er sei nicht sch-schwul, das müsste sie doch wissen. Und ich h-hab mir das alles angehört und gedacht, sie lügt. Sie muss irgendwas gemerkt haben und will es n-nur nicht zugeben. Weil sie nichts gemacht hat."
„Aber wie kann das sein?", fragte Jeremy nach. „Eine Mutter würde ihren Sohn doch beschützen, was denn sonst?!"
„Damit liegst du leider falsch", mischte sich Rory hinzu. „Das war bei einem Mädchen bei meinen Pflegeeltern auch genauso gewesen. Da gibt es Mütter, die wollen nicht riskieren, dass der Mann sie verlässt oder dass es die Nachbarn erfahren oder sie haben Angst vor dem Typen und darum verdrängen sie es oder ignorieren es, bevor sie, ihrer Ansicht nach, die ganze Familie zerstören."
Jem schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich fass es nicht."
Callum schaute ihn traurig an. Natürlich konnte Jem sowas nicht fassen. „Also hast du deiner Mutter gesagt, was los war?", wandte er sich an Sullivan.
Der nickte. „J-ja. Irgendwann bin ich ausgetickt und hab ihr gesagt, sie soll damit aufhören, d-dir die Schuld zu geben. Dad hat das getan, ich weiß das. Er hat es mit m-mir auch getan." Sullivan hielt inne, so als würde er nach Worten suchen.
„Und dann?"
„Dann hat sie gesagt, ich solle nicht so einen Dreck ü-über Dad sagen. Das ist gelogen. Ich hab gesagt nein. Wenn sie nicht da war, mit 'ner Freundin ins Kino is oder zu 'nem Elternabend , dann kam er und dann hat er es getan. Mich angefasst oder er wollte, dass ich ihn anfasse. Und ich wusste erst gar nicht, was wir da machen und dass das nicht alle Söhne und V-väter tun. A-aber es wurde schlimmer und letztes Jahr, da war er betrunken und da hat er es dann g-getan. Er hat die Tür von den Mädchen abgeschlossen, d-damit die nichts mitkriegen und dann hat er gesagt, er wird mich f-ficken..." Wieder brach der Junge ab. Es war auch genug gesagt.
„Aber sie hat dir nicht geglaubt...", schloss Callum.
„Nein. Sie hat geschrien und g-gesagt, ich solle verschwinden. W-wenn ich schwul bin, damit will sie nichts zu tun haben. Und ich hab versucht, ihr zu s-sagen, dass ich das gar nicht bin, dass ich das nicht wollte, w-was D-dad gemacht hat, aber sie hat geschrien und gar nicht aufgehört. Hat mich Schwanzlutscher genannt und gezetert, ich soll zu den anderen Homos auf die Straße, d-da gehör ich hin... und dann bin ich raus, in den Park und n-nur gelaufen, bis ich nicht mehr konnte. Und dann wusste ich nicht, w-was ich machen sollte oder wohin ich g-gehen kann und dann ist mir eingefallen, dass d-du mir deine Adresse ge-gegeben hast. Woher wusstest du...?"
Cal schaute zu Jem, dann zu Rory und wieder zu Sullivan. „Ich... es tut mir leid, aber für so' ne Scheiße hab ich 'n Instinkt. Nicht ohne Grund. Und dein Vater ist 'n Arsch und deine Mum ist 'ne Bitch."
Rory zog zischend die Luft durch die Nase. Jem machte große Augen. Ganz schön harte Worte und bestimmt nicht das, was der Junge hören wollte.
„Sorry, aber das is so", entschuldigte sich Cal. „Also sag ich das so. Du bist der Einzige in deiner Familie, der nicht 'n Vollpfosten is."
Sullivan schluckte schwer. „Findest du?"
„Ja. Sonst hätte ich dir wohl kaum die Adresse gegeben."
Für Jem und Rory war nicht klar nachzuvollziehen, was es war, aber irgendwas an Cals Fragen und Antworten schien den Johnson- Jungen tatsächlich zu beruhigen. Vielleicht war es die schonungslose Ehrlichkeit, die Callum auszeichnete. Sullivan jedenfalls hörte endlich auf zu zittern und der Tee, die Decke oder Cals Worte oder alles zusammen, ließen ihn jetzt etwas Farbe kriegen. Cal sah das auch und warf Jem ein kleines Lächeln zu, als wolle er sagen, er habe das gar nicht mal so schlecht hinbekommen. Jem blinzelte bestätigend zurück.
„Ich geh mal und hol dir was zum Umziehen", schlug der Blonde dann vor. „In der Hose kannst du nicht schlafen." Er zeigte auf die Knie und auch den Schmutz vom Park unten an den Beinen.
„Ich nehm den Sessel, er kriegt die Couch", schlug Rory vor.
Sullivan schaute dankbar, fast als habe er halb damit gerechnet, dass sie ihn auch rauswerfen würden. „Ihr habt nichts gegen Schwule, weil ihr selber welche seid, oder?"
Na das war irgendwie drollig formuliert. Callum zog etwas überrascht eine Augenbraue hoch. „Ich denke, du bist keiner, hast du gesagt."
„Ich glaube nicht."
„Wie auch immer. Jem da, der blonde Cowboy ist mein Freund und Rory ist mein Bruder. Der steht auf Frauen. Über den Hund weiß ich nichts Genaues. Du bist hier absolut sicher. Okay?"
Sullivan schien erleichtert. „Ja, okay. Danke, ihr seid sehr nett."
Jem kam jetzt mit einem T-Shirt, einer Jogginghose und einem großen Handtuch wieder. „Hier. Das Bad ist da. Da findest du auch 'ne neue Zahnbürste. Nimm 'ne heiße Dusche."
„Danke."
„Schon gut."
Der Junge ging dann ins Bad und die drei sahen sich an.
„Morgen früh sehen wir weiter", schlug Rory vor.
„Allerdings. Wir brauchen einen Plan", fand Jem und legte seinen Arm um Callum, um den mit sich zurück ins Schlafzimmer zu nehmen. „Du wusstest, dass er kommt, stimmt's?"
„Nicht wirklich. Es kam mir nur so vor."
Jem nickte wissend. „Gute Nacht Rory, pass auf ihn auf."
„Mach ich."
Schließlich schüttelte Jem noch den Kopf, als sie im Schlafzimmer verschwanden. „Da hast du kaum eine Adresse und was machst du? Du gibst sie gleich weiter. Ich liebe dich."
„Das weiß ich doch. Und ich dich erst..."
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