Kapitel 9

Die Woche war viel zu schnell vergangen. Liz hatte anscheinend mit Ole eine Abmachung getroffen. Er erklärte ihr Mathe, was für ihn wohl als Training für das Matheabi durchging, und sie ging dafür dann einmal die Woche mit ihm und seinem Jungpferd ausreiten. Das wollte er wohl nicht mit Lukas machen, so heftig wie Pantas werden konnte. Für Liz war der Deal ganz klar ein Jackpot. Sie hatte Bea wirklich überrascht und jene sich dann auch prompt ihre Sprüche darüber gespart, dass Liz nur am Stall hängen würde.

Ole war heute auch mit beiden Pferden auf dem Turnier, wobei nur Nigal gemeldet war und sich seine Stute an der Hand seiner Mutter das Getümmel einfach nur angucken sollte. Ich hätte es wohl kaum so gemacht, aber Steffi hatte viel von der Idee gehalten. So falsch konnte es also nicht sein.

Liz stand neben mir und verfolgte ebenfalls gebannt, wie die Stute neugierig alles ablief und sich geduldig zeigen ließ.

„Meinst du seine Mutter spricht Deutsch?"

Irritiert sah ich Liz an. „Warum sollte sie nicht? Malst du dir gerade etwa deine Zukunft aus?"

Genervt stierte sie mich an und plusterte die Wangen auf. „Mach dich nur lustig!"

„Ich habe noch nie erlebt, dass du dich so auf eine Person eingeschossen hattest."

„Ist das jetzt schlimm? Der hat einfach was. Da ist sowas ganz tief in mir, das einfach nicht nachgeben will und mir sagt das ist ER."

„Alles klar."

„Jetzt klingst du wie Charly!" Liz stöhnte auf. „Ich schwöre dir das ist mehr als nur eine Teenieschwärmerei. Das sagt mir mein Bauchgefühl."

„Ich weiß nicht." Das war doch bloß Wunschdenken. Liz war eben einfach eine hoffnungslose Romantikerin. Ich seufzte und sah mich weiter auf dem Turniergelände um.

Steffi war mal wieder im Gespräch mit einigen anderen Trainern. Hannah kam gerade mit Handy in der einen und Kaffee in der anderen auf uns zu.

„Na Mädels, wie ist das Gefühl bisher?" Sie strahlte uns an und ihre Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.

Liz zuckte mit den Schultern. „Bisher bin ich noch ruhig. Mal sehen, wie das in einer halben Stunde aussieht."

„Habt ihr Samira gesehen?"

Wir schüttelten synchron den Kopf und Hannah stöhnte auf. „Da sagt man alle sollen zusammenbleiben und direkt sind zwei Leute verschollen."

„Wer fehlt denn noch?" Irritiert sah ich mich um.

Ole stand bei seiner Mutter, Thilo putzte nur einige Schritte von uns entfernt seine Trense.

„Lukas finde ich auch nicht. Keine Ahnung was da zwischen euch vorgefallen ist, aber das geht doch so nicht."

„Lukas ist ein Vollidiot. War er schon immer." Liz gähnte und sah sich nach Haddy um, die immer wieder aus dem Lkw schaute und geduldig wartete, bis es langsam mal losging.

Hannah verzog das Gesicht und nahm einen großen Schluck von ihrem Kaffee. „Ihr sollt euch ja auch nicht alle liebhaben, trotzdem überhöre ich das einfach Mal Liz." Sie wandte sich mir zu. „Weißt du was mit ihm los ist? Ihr wart doch eigentlich ganz gut befreundet und ich weiß noch, wie er dir bei einem der Auswahltrainings geholfen hat."

Ich schüttelte bedauernd den Kopf. „Seit..." Ich musste schlucken, „Haben wir kein Wort mehr miteinander gesprochen. Er ignoriert mich."

Hannah verzog mitfühlend das Gesicht. „Na super. Ich weiß, dass es nicht so einfach ist, aber das hätte ich nicht von ihm gedacht."

Ich lächelte sie matt an. „Wann starten wir überhaupt?"

Hannah drückte Liz einfach ihren Kaffee in die Hand und entsperrte ihr Handy. „Samira ist in einer drei-viertel Stunde dran. Liz, Thilo und du seid in anderthalb Stunden und die Jungs sind nur kurz drauf dran."

Nur noch anderthalb Stunden. Langsam regte ich etwas in mir. Wenn ich ehrlich war, hatte ich erst nicht melden wollen nach dem letzten Turnier, aber ich hatte mir auch nicht erlauben willen mir etwas zu verbieten, was mir eigentlich Spaß machte, nur weil hinter meinem Rücken immer noch darüber geredet wurde, was mir angetan wurde.

Ich konnte nicht davor davonrennen.

Hannah lehnte sich neben Liz an den Lkw. „Ich glaube nächstes Mal nenne ich auch wieder. Langsam wird es langweilig nur danebenzustehen und hier und da mal mit anzufassen."

Mit halbem Ohr hörte ich dem Gespräch zwischen Liz und ihr zu.

Zwischen einigen Anhängern stand Lukas. Lässig hatte er die Hände in die Taschen seiner Jacke gesteckt. Sein Blick hatte sich auf etwas neben ihm gerichtet und dann sah ich ihn tatsächlich das erste Mal seit Wochen wieder Lächeln. Wenn auch kurz. Trotzdem sorgte es dafür, dass mein Herz sich für diesen winzigen Augenblick leichter anfühlte. Ich hatte diesen Anblick vermisst. Dieses Gefühl stellte sich jedoch ziemlich schnell wieder ein.

Ein fremdes Mädchen stand neben ihm und himmelte ihn augenscheinlich an. Sie war kleiner als er und strahlte ihn verträumt von unten an. Immer wieder nestelte sie nervös an ihren langen blonden Haaren herum.

Sofort wandte ich mich wieder Steffi und Hannah zu. In mir brodelte es. Der Vollidiot konnte mit fremden Mädchen reden, aber nicht mit mir? Verdammt wie lange kannten wir uns? Wie sie ihn allein schon angesehen hatte, sorgte bei mir für einen Würgereiz. Klar, dass ihm das imponierte. Er hatte bestimmt noch nicht genug Groupies, die alles für ihn tun würden.

„Marie, alles okay?" Liz legte den Kopf schief und musterte angespannt mein Gesicht.

Ich nickte schnell. „Alles gut. Ich habe Lukas gefunden. Er steht dahinten." Ich wies auf die Stelle, an der er mit dieser Schnepfe stand. Hinsehen wollte ich lieber nicht und verfluchte mich dafür es nicht einfach Schulterzuckend abtun zu können.

Hannah atmete erleichtert auf. „Na, dann will ich ihm mal auf die Nerven gehen." Sie lachte über ihren eigenen Witz und stieß sich vom Lkw ab. Ihren Kaffeebecher, stellte sie auf die Stufe zur Sattelkammer. Gemächlich lief sie über das kurze Gras auf ihn zu und legte ihm dann eine Hand auf die Schulter. Das Mädchen verschwand daraufhin recht schnell zwischen den Anhängern und anderen Lkws.

Liz war meinem Blick gefolgt und stieß mich grinsend zwischen die Rippen. „Langsam bekomme ich das Gefühl, dass du doch etwas mehr als Freundschaft von ihm willst."

Schnell schüttelte ich den Kopf. „Quatsch! Wie kommst du denn auf sowas?"

„Wirst du gerade wirklich rot? Ich kann es dir nicht mehr verübeln. Nachdem was ihr da zusammen durchgemacht habt, ist es normal eine gewisse Bindung, wenn nicht sogar Fixierung zu entwickeln."

„Ich bin nicht auf ihn fixiert! Wenn hier jemand fixiert, ist dann ja wohl du auf Ole!"

Liz grinste breit. „Ich stehe wenigsten dazu."

„Wie läuft eigentlich die Nachhilfe?"

„Lenk nicht ab! Warum willst du ihn so zwingend wieder in deinem Leben haben, ihr habt doch bis letzten Sommer kaum miteinander gesprochen. Jetzt ist alles eben wieder auf dem Ursprungszustand."

Ich seufzte und zuckte mit den Schultern. Woher sollte ich das wissen? Das war einfach dieses tiefe Gefühl in mir. Diese kleine nervige Stimme, die sagte ich brauchte ihn und dass die Zeit, die ich mit ihm verbracht hatte schön gewesen war.

Liz stöhnte genervt auf. „Ich würde eine Paartherapie vorschlagen."

Augenblicklich rollte ich mit den Augen. Sie war auch schon mal witziger gewesen.

„Ist das vielleicht sogar eine Form von emotionaler Dissonanz, was da bei ihm abgeht?"

„Emotionaler was?"

„Das verstecken von den eigentlichen Gefühlen."

„Lukas hat noch nie sein Herz auf der Zunge getragen."

„Vielleicht ja sogar ein Generationen Trauma."

„Hör auf!"

„Was? Ich denke nur laut." Liz lächelte unschuldig und sah dann zu Ole herüber, der ebenfalls zu Hannah und Lukas getreten war. Sofort war da wieder dieses Glitzern in ihren Augen.

„Geh rüber." Auffordernd stieß ich sie gegen die Schulter.

„Und lass dich allein?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte bestimmt den Kopf. „Vergiss es! Du kommst mit, oder wir bleiben beide hier."

Allein bei dem Gedanken Lukas wieder so dicht gegenüberzustehen, überkam mich die Sehnsucht danach nochmal so von ihm im Arm gehalten zu werden, wie damals. Es war so tröstend gewesen. Genau das, was ich jetzt brauchte. Gleichzeitig war da aber auch diese Wehmut, wenn ich an seine eiserne Mauer des Schweigens dachte. Es war, als würde jemand mein Herz mit spitzen und eiskalten Nadeln durchstechen.

Hatte Liz vielleicht doch recht? Wollte ich mehr von ihm als nur Freundschaft? Obwohl momentan wäre ich schon froh würde er einfach nur wieder ein Wort mit mir wechseln.

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