Kapitel 8

Die Sonne blendete mich, als ich Viva am Holzbalken vor dem Stall anband und mich zu Liz umdrehte.

„Hast du die Mathehausaufagben schon gemacht?"

Prompt lachte Liz auf und schüttelte den Kopf. „Sehe ich aus, als würde ich auch nur irgendwas davon verstehen? Meine Eltern suchen mir, wenn es in der nächsten Klausur nicht mindestens ne drei wird einen neuen Nachhilfelehrer und Turnierereiten kann ich dann offizell vergessen."

„Hast du mal am Club gefragt?"

„Wen denn?"

„Einen von den Jungs?" Ich fischte meine Kadätsche und den Striegel aus der Putzbox. „Das Private hat nicht umsonst so einen guten Ruf. Einer von den beiden wird dich da schon rausboxen können." Mit kreisenden Bewegungen fing ich a das Fell meiner Stute aufzulockern.

Trotzdem konnte ich aus dem Augenwinkel sehen, wie Liz die Arme vor der Brust verschränkte.

„Ja klar! Lukas ermorde ich innerhalb von fünf Minuten bei seiner großen Fresse und vor Ole will ich mich nicht blamieren."

„Mhm..." Ich musste kichern und stich den Striegel an der Kadätsche sauber. „Aber es wäre auch eine Chance näher an ihn heranzukommen, außerdem ist er wirklich nett und sollte er dir helfen können, hat er auch die Geduld das durchzustehen."

„Als ob ich so ein hoffnungsloser Fall bin!" Liz fing ebenfalls an in ihrer Box zu kramen.

„Das wollte ich damit auch nicht sagen, aber du kannst schon sehr ungeduldig werden, wenn du etwas nicht sofort verstehst."

Sie seufzte. „Ich überlege es mir."

„Liz!" Wenn sie schon so anfing, würde sie es nicht tun. Dafür kannte ich sie einfach schon zu lange. „Du hast die Sachen doch dabei. Wenn du willst, kann ich es versuchen, aber wissen beide, dass ich auch nicht die große Leuchte in Mathe bin."

„Immer noch besser, als mich vor Ole zu blamieren. Weißt du, ich will, dass er mich toll findet und nicht als das Dummchen sieht, dass selbst die einfachste Oberstufenmathematik nicht packt."

Ich rollte mit den Augen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Ole nicht so ein Typ war. Lukas schon eher.

Sofort war da wieder dieser Stich in meiner Herzgegend. Warum kam ich nicht mal einen Tag um ihn herum? Es war, als wäre er immer da, wie ein Schatten der mir überall hin folgt. Meine Gedanken, meine Träume und hier liefen wir uns oft genug in Persona über den Weg.

Liz war schon auf Haddies anderer Seite angekommen, während ich eine hartnäckige Matschkurste von Vivas Flanke zu entfernen versuchte. Ich biss mir auf die Unterlippe und schwor mir jetzt nicht loszuheulen. In der Schule hatte es schon gereicht und bestimmt würde es morgen nur noch mehr blöde Blicke hageln als sonst.

Liz stand plötzlich neben mir. „Gerade warst du mal kurz die Alte und jetzt bist du wieder Trauerkloß. Bist du dir sicher, dass wir Ausreiten gehen sollen?"

Ich nickte und ließ die Bürsten sinken. Besser würde ich den Flecken nicht wegbekommen.

„Was ist los?"

Ich schüttelte den Kopf. Mit Liz würde ich nicht über Lukas Stüwe reden. Sie würde mir nur wieder wer weiß was andichten. Man musste ja nicht gleich in jemanden verliebt sein, um ihn zu vermissen.

„Marie, komm schon!" Sie stupste mich in die Seite. „Jetzt sag schon."

Ich schüttelte wieder den Kopf und schob mich an ihr vorbei auf Vivas andere Seite. „Lass uns einfach nicht drüber reden."

„Okay, aber du weißt, dass du mit mir reden kannst. Ich bring dir dann deinen Sattel mit."

„Das ist lieb von dir. Ich brauche noch ein bisschen wie es aussieht."

Liz musste schmunzeln und drehte sich um.

Wenig später ritten wir durch den Wald. Die Vögel zwitscherten und außer uns war ausnahmsweise mal niemand unterwegs. Aus irgendeinem Grund musste ich Lina und Tim denken.

„Wusstest du, dass die beiden, die damals ermordet wurden, sich immer hier auf einer Lichtung getroffen haben?"

Liz schüttelte den Kopf und lächelte. „Ein bisschen wie Romeo und Julia."

„Der Vergleich hinkt. Die Familien waren nicht verfeindet und sie haben sich auch nicht füreinander umgebracht."

„Glaubst du sie sind jetzt zusammen, wo auch immer sie jetzt sind?"

Ich musste schlucken und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Ich würde es ihnen wünschen."

„Tragisch, einfach tragisch", murmelte Liz leise und ließ Haddy etwas schneller werden. „Zum Strand?"

„Ja."

„Soll ich dir was sagen?" Liz grinste frech.

„Mhm?"

„Ich finde es echt super, dass du nicht mehr so dicke mit Lukas bist. Wie lange waren wir beide schon nicht mehr am Strand." Sie lachte, während sich in meiner Kehle ein dicker Kloß bildete.

Ich räusperte mich klein laut. „Mich belastet das eher."

„Er ist ein Arsch!"

„Er kann auch anders und er ist der Einzige, der auch nur ansatzweise versteht, was in mir gerade vorgeht. Er war da." Ich musste die Tränen zurückhalten und meine Stimme rutschte langsam etwas höher. „Ich verstehe nicht, warum er nicht mehr mit mir redet."

Liz atmete laut aus. „Erstens, Lukas Stüwe ist einer von diesen Typen, denen man nicht nachheult, weil sie mit so vielen Problemen kommen, dass sie einem nur Unglück bringen. Zweitens ist das Schweigen und dich ausblenden wohl seine Art mit den Dingen umzugehen. Trauer und auch Trauma können bei jedem anders aussehen und vielleicht hilft es ihm das zumindest etwas zu verdrängen."

Ich wollte gerade protestieren, dass ich es trotzdem unfair fand, da sprach sie einfach weiter.

„Marie, ihr habt das etwas ganz schön Heftiges mitgemacht. Da geht niemand unbeschadet raus. Selbst die Täter nicht, auch wenn sie Arschlöcher sind."

„Du solltest aufhören Psychologie Magazine zu lesen."

„Was? Ich Interesse mich wenigsten für meine Zukunft." Beleidigt schob sie die Unterlippe vor. „Bea will mir immer noch erzählen, dass ich mir einen Plan B suchen soll. Als ob ich mein Abi nicht schaffe. Und das renkt sich schon alles ein und dann bekomme ich trotzdem noch die Eins vor dem Komma oder was ich eben für den NC brauche."

„Deinen Optimismus will ich auch haben. Ich gar keinen Plan."

„Du hast auch gerade andere Probleme. Eins nach dem anderen."

Die Beine der Pferde hatten wir bei unserer Rückkehr vom Strand mit Wasser abgespritzt und sie futtern nun ihr Heu, bevor sie bald ihr Abendbrot bekamen.

Wir saßen dagegen im Reiterstübchen und versuchten im warmen Schein der alten Lampen etwas Sinn in Liz Mathehausaufgaben zu bekommen.

„Also, wie geht das jetzt?" Liz trommelte verzweifelt mit ihrem Stift auf der abgewetzten Tischkante herum.

„Ich weiß nur dass es eine Normalform ist." Hyperbeln würde ich wohl ebenfalls meinen Lebtag nicht verstehen.

Liz ließ den Stift fallen auf ihr aufgeschlagenes Heft fallen und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Toll, das wird mit drei hundert pro nichts."

„Jetzt steck doch nicht direkt den Kopf in den Sand. Wie war das denn auf dem Tafelanschrieb?"

Liz blätterte zurück und schob mir ihr Heft hin, was für mich allerdings eher nach Böhmischen Dörfern aussah.

Die Tür ging auf und ein frischer Windstoß fegte in den kleinen Raum mit der Bar nah am Eingang, die allerdings nur beim Turnieren oder Vereinsfeiern besetzt war.

Ole stand unschlüssig im Raum und sah sich um.

Sofort grinste ich Liz breit an und ehe sie mich zurückhalten konnte, hatte ich schon die Hand gehoben und ihm zugewinkt.

Tatsächlich kam er auch noch in unserer Richtung. „Hi, euch sieht man ja selten hier."

„Was soll ich machen? Ich wohne halt nebenan und Liz lädt sich nach dem Reiten schon mal gerne selber ein." Ich wies auf den freien Stuhl an unserem Tisch. „Willst du dich zu uns setzten?"

Ole sah kurz auf sein Handy und nickte. „Mein eigentlicher Plan hat sich gerade erledigt."

„Oh, was hattest du denn vor?" horchte Liz auf und klang schon wieder viel zu lieb.

„Ich wollte eigentlich mit Luke ausreiten gehen, aber der will jetzt doch in der Halle bleiben und ich bin mit dem Training durch. Keine Ahnung, was der schon wieder hat."

„Wir waren gerade ausreiten. Du hättest mitkommen können."

Er schüttelte den Kopf. „Da war ich bestimmt noch auf dem Platz. Und Nigal kann die Pause gebrauchen." Neugierig beugte er sich vor und musterte Liz Matheaufgaben. „Was macht dir da eigentlich."

„Ich versuche Liz mit mäßigem Erflog Hyperbeln zu erklären."

Ole beugte sich nun etwas weiter vor. „Du brauchst eigentlich nur x und y auflösen. Wenn du einen der Punkte hast, ist der Rest total einfach. Ist auf jeden Fall schon mal erste Hauptlage, die du gegeben hast und nur noch auflösen musst. Dann brauchst du die Zweite. Auch recht simpel, weil sie notgedrungen symmetrisch sind."

Liz nickte eifrig, sah aber ansonsten aus, als hätte er ihr gerade erklärt, wie man Geister fängt.

„Wo harkt es denn?"

Liz lächelte peinlich berührt. „An allem?"

Kurz sah Ole aus, als würde er darauf warten das Liz loslachte, als das aber nicht passierte, zuckte er bloß mit den Schultern. „Okay, dann lösen wir mal nach x auf. Ich würde jetzt durch die vier zum Quadrat teilen."

Ich rutschte dann mal in den Hintergrund und sah Liz dabei zu wie ihr augenscheinlich langsam eine Lampe anging. Wunder geschehen also und Liz könnte morgen ganz Stolz Bea ihre Mathehausaufgaben vorlegen und sie vor allem im Mathe GK damit schocken, dass sie ausnahmsweise mal einen Plan hatte.

Ich drehte mich langsam zum Fenster in die Halle und mein Herz zog sich zusammen, als ich einen Rappen locker seine Runden galoppieren sah. Wie immer, wenn Luke ritt sah es so verdammt leicht aus.

Hatte Liz recht? Konnte ich wirklich froh sein ihn nicht mehr in meinem Leben zu haben, obwohl mein Herz gerade mal wieder ziemlich laut nach ihm schrie?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top