Kapitel 35
Den Dienstag über sprach die ganze Schule gefühlt nur darüber, dass ein neues Projekt auf dem Blog angekündigt worden war. Mit einem Countdown und mysteriösen Hinweisen. Ich hatte versucht wegzuhören. Mein Instagram hatte ich mich gar nicht getraut zu checken.
So schlief ich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch miserabel und hatte wieder kämpfte mit den bekannten Albträumen. Trotzdem war ich Mittwoch in der Schule, wenn auch innerlich mehr tot als lebendig.
Um mich abzulenken, saß ich am Nachmittag an meinem Schreibtisch und versuchte meine Deutschhausaufgaben extra ordentlich zu machen. So bekam ich zwischen einem Gedicht über das Leben und Sterben im Moor aus dem neunzehnten Jahrhundert nicht mit wie die Zeit verstrich.
Erst als ich eine Nachricht von Charly bekam, erhaschte ich einen Blick auf die Uhrzeit. 16:02 Uhr.
„Soll ich vorbeikommen? Da ist echt heftig!"
Es war also gepostet worden. Ich musste schlucken und kämpfte dagegen an doch auf Instagram zu gucken, ob ich eine dieser Nachrichten bekommen hatte.
In der Stufengruppe wurde auch schon diskutiert. Mehrer Leute hatten mir privat geschrieben. Ich klickte auf meine einzige ihrer Nachrichten. Stattdessen nur auf die von Charly.
„Ich weiß gar nicht was los ist."
Kaum, dass ich die Nachricht abgeschickt hatte, schrieb Charly schon zurück. „Egal was du tust! Klick auf keinen der Links. Ich bin sofort auf dem Weg."
Sofort zog sich in mir wieder einmal alles zusammen. Mir wurde so schlecht, dass ich das Gefühl hatte, dass ich kotzen musste. Alles drehte sich. Liz hatte mir ebenfalls geschrieben. Ihre Nachricht konnte ich nicht mal Ansatzwiese entziffern so sehr verschwamm alles vor meinen Augen. Ich spürte, wie mein Atem immer schneller ging. Jeden Moment würde ich bestimmt in Ohnmacht fallen.
Keine zehn Minuten später standen Charly und Liz vor meiner Zimmertür. Mama war total verwirrt. Aber Charly versichert ihr, dass sie alles mithören konnte, als die Tür gerade aufging.
Liz flog mir sofort um den Hals. Sie roch nach Pferd und den würzigen Kräuterleckerlis die Haddy so liebte. „Oh Gott! Damit hat wohl niemand gerechnet."
Charly war ebenfalls sehr blass. „Können wir uns irgendwo an einen Computer setzen?"
Mama nickte verwirrt. „In meinem Büro. Der Bildschirm sollte groß genug sein, dass wir alle sehen können, was auch immer du uns da zeigen willst, Charlotte."
Charly, die sonst immer mit den Augen rollte, wenn sie jemand bei ihrem richtigen Namen nannte, nickte nur und folgte meiner Mutter zügig die Treppe wieder herunter.
Liz ließ mich nur langsam los. „Ich wünscht das wäre anders! Bitte lies nicht alles! Vergiss nicht du wirst von so vielen Leuten unheimlich geliebt."
Sie lief hinter mir die Treppe herunter. Das flaue Gefühl war zurück. Alles schien sich wieder zu drehen. Angst hatte mich fest im Griff, nur Liz hinter mir und Mama und Charly vor mir hielten mich davon ab, einfach auf den Boden zu sinken und zu hoffen, dass wenn ich ganz fest die Augen schloss alles wieder wie früher sein würde.
Charly saß vor Mamas Computer und öffnete Tumblr. Ich krallte mich an Liz und spürte, wie Mama verwirrt zwischen uns Mädchen hin und her sah. Sie sah aus, als würde sie sich noch immer fragen was das alles zu bedeuten hatte.
Charles Finger zitterten beim Eingeben des Blognamens. Ich wollte ihn nicht sehen, starrte einfach nur auf ihre über die Tastatur fliegenden Finger. Sie vertippte sich mehrere Male und dann hatte sie ihn wohl gefunden. Laut atmete sie aus. „Hier ist er." Ihre Stimme zitterte und dann klickte sie auf den obersten in der Liste.
Mama schnappte nach Luft ihre Hand lag schwer und fest auf meiner Schulter. Liz drückte mich an sich und sah weg. Charly sah noch bleicher im blauen Licht des Computers aus. Ich traute mich gar nicht aus dem Bildschirm zu gucken und doch tat ich es.
Mein Herz blieb stehen. „Sie-hätte(n)-sterben-sollen" Sprang mir der Blogtitel quasi unangenehm ins Gesicht und echote tief in mir drin nach.
Direkt darunter war ein Bild von mir bei einem Training auf dem Außenplatz. Der Fotograf hatte die Augen einfach mit roten Kreuzen versehen. „Sie hätte sterben sollen. Wie hättet ihr sie umgebracht?"
Mama atmete scharf ein, als Charly weiter scrollte. Das nächste Bild zeigte Lukas neben Pantas auf dem Weg von der Weide zum Stall. An den Klamotten konnte ich deutlich sehen, dass das Bild gestern gemacht wurde. Auch hier waren in Rot Markierungen angebracht worden. „Geld schützt vor dem Tod nicht. Er hätte sterben sollen. Wie hättet ihr ihn umgebracht."
Charly scrolle unbarmherzig weiter.
Das nächste Bild war eine Fotoreihe von mir auf einem Ausritt mit Mama wie es aussah, denn das Pferd neben Viva war ein verschwommener Schecke. „Es wäre ein leichtes gewesen sie zu erschießen. Warum haben sie es nicht so gemacht?"
Mamas Griff verstärkte sich um meine Schulter, während ich mir sicher war jeden Moment kotzen zu müssen.
Das nächste Bild war von der Party am Samstag und zeiget Lukas und mich zusammen. Er stand mir einfach nur gegenüber hatte mich wohl gerade erst losgelassen nach dem ich mich in den Boden gestemmt hatte. „Vielleicht sollte man erst ihn erledigen und sie noch etwas am Leben lassen. Wäre doch schade."
Charly wollte weiter scrollen, aber Mama legte blitzschnell ihre Hand auf die Maus. „Das reicht, Charlotte!" Mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie mich an. „Das tut mir so leid." Tränen stiegen ihr in die Augen und sie zog mich in ihre Arme. Ich konnte meinen Blick allerdings nicht lange vom Bildschirm lösen. 15 Kommentare. Das unterste machte mir wirklich Angst. Da schrieb jemand er würde uns kennen.
Charly schob die Seite in den Hintergrund und öffnete einfach Mamas aktuelle Zeichnung von einem Mädchen mit einer glitzernden Gerte in der Hand auf einem gescheckten Pony vor einem kleinen Sprung. „Das ist alles so abgefuckt."
Liz nickte nur stumm und presste die Lippen fest aufeinander.
„Wer tut sowas?", flüsterte Mama mehr als sie es sagte. Sie sah aus, als wenn sie am liebsten das ganze Internet löschen würde.
„Es gibt ein Gerücht, wer hinter der Seite stecken könnte." Charly stand vom Stuhl auf. „Ich habe die Seite heute schon drei Mal gemeldet. Der Support kann wohl noch nichts machen. Sie prüfen den Fall noch."
„Ich rufe Lena an. Sie hat bestimmt schon ihren Anwalt angerufen und Freunde bei der Polizei. Ich..." Mama verstummte und fuhr sich durch die Haare. „Ich rufe Till an. Wir müssen auch einen Anwalt haben."
„Glaubst du die Polizei kann da etwas machen?" Liz sah meine Mutter aus großen Augen an.
Mama griff ihr Handy des Schreibtisches. „Das müssen sie. Das ist bestimmt irgendein Strafbestand. Lena wird das bestimmt wissen."
Mir brachen in dem Moment einfach die Beine weg. Es war, als wenn mein Körper einfach entschieden hätte das jetzt Schluss mit Lustig war und er mich beschützen musste.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem kleinen knallpinken Sofa in Mamas Büro. Mama stand mit Lena vor dem Computer. Lena war mindestens so blass wie Mama, sah allerdings auch so aus, als wäre sie bereit jeden einzelne, der damit etwas zu tun hatte, am liebsten Foltern, bis er seine Rolle in alledem zugab und ihr sagte, wer hinter der Seite steckte.
„Bist du dir sicher, dass euer Anwalt das hinbekommt, dass die Seite noch heute offline kommt?"
Lena seufzte. „Ja. Da bin ich mir sehr sicher. Doktor Nagel ist ein ziemlich harter Hund. Der beste Anwalt in Norddeutschland, wenn du mich fragst."
Charly räusperte sich. „Wenn ich das mal so anmerken darf, dann wird das wenig bringen. Der Typ wird immer mehr Seiten erstellen. Man muss schon an den Ersteller herankommen, wenn man will, dass das aufhört."
Mama und Lena tauschten Blicke.
„Oh den oder diejenige packe ich mir gerne. Ich habe schon Freunde angerufen beim BKA. Einer will sich das heute Abend mal angucken. Wirklich ich hoffe er findet etwas. Da vergesse ich auch gerne im Zweifel der Anklage."
Mama presste bloß die Lippen zusammen.
„Selbstjustiz wird da kaum etwas bringen, das weißt du doch am besten. Auch wenn ich deine Motivation sehr gut verstehen kann." Papa hatte ich bisher nicht bemerkt. Er saß in sich zusammen gesunken neben Charly am Schreibtisch. „Wir machen erst Mal ein paar Screenshots als Beweise, falls es zu einem Verfahren kommen sollte."
Wo war Liz?
Langsam richtete ich mich auf. Mir war immer noch etwas schummerig. So ganz verstanden hatte ich immer noch nicht was da passiert war. Warum machte jemand Jagd auf uns? Was sollte das?
„Ich hoffe das ist einfach nur ein dummer Jungenstreich!" Papa verschränkte die Arme vor der Brust.
Charly meldete sich wieder zu Wort. „Der Countdown zu dieser Seite ist auf einem Tumblrblog erschienen auf dem ein Mädchen so gemobbt wurde, dass sie versucht hat sich umzubringen."
Mama atmete scharf ein. Tränen standen ihr schon wieder in den Augen.
Lena knirschte nur mit den Zähnen und ballte die Hände zu Fäusten. „Selbst wenn es ein dummer Jungenstreich ist, muss derjenige dann erstrecht einmal eine Abreibung bekommen. Manche Leute glauben auch, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist. Außerdem ist es wirklich bedenklich, wenn jemand aus reiner Boshaftigkeit und Langeweile Leute verfolgt und dann auch noch sowas schreibt. Wer das lustig findet sollte sich dringend in ärztliche Betreuung begeben."
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