Kapitel 33
Die Geschichte mit Benji beschäftigte mich doch mehr als ich wollte. Mein Buchgefühl hatte mich also allen Anschein nach doch nicht getäuscht. Er hatte einen Schatten.
Während ich die Einfahrt zum Club hochlief, kam ich nicht umhin zu denken, dass ich mich wirklich nicht hatte, schlecht fühlen müssen, dass ich so unfreundlich zu ihm war. Wenn jemand so etwas machte, dann konnte er kaum erwarten, dass danach andere Mädchen noch nett zu einem waren. Ich dachte auch an das Mädchen, das dank ihm und seiner Obsession in einer Klink saß und wahrscheinlich, wie ich immer wieder von Albträumen geplagt war. Diese Geschichte würde sie auch überall hin verfolgen. Ich hoffte die Therapie würde ihr wenigstens helfen besser klarzukommen.
Seufzend bleib ich an der Weide stehen. Viva kam mir schon wieder komplett eingesaut entgegen. Ich hatte keinen Fuchs mehr, sondern einen sehr fleckigen Braunen wie es aussah. Sie zu duschen und dann ins Solarium zu verfrachten, schob ich auf später. Vorher wollte ich noch dabei sein, wie Mama mit Hannah über Donatello redete und eventuell heute schon etwas unterschrieb.
„Bis später Dreckmonster. Ich wäre dir verbunden, wenn du dich noch in einer sauberen Pfütze wälzen könntest.", rief ich meiner Stute zu und drehte mich dann zur alten Reithalle und damit zum Büro.
Mama saß schon auf einem der schwarzen Ledersofa. Auf dem Glastisch lag schon der etwas das aussah wie ein Vertrag. Von Hannah fehlte jedoch jede Spur, bis ich durch das Fenster in die Reithalle sah und beobachten konnte, wie sie ein Schulpony gerade in die Halle führte und mit einer der Reitlehrerinnen sprach.
„Na sieht Viva nicht wieder fantastisch aus?", fragte Mama grinsend.
Ich nickte. „Wie immer hat sie nichts ausgelassen."
„Auch wenn ich gleich die Reitbeteiligung nehmen sollte, ist sie nur für die Tage an denen du Viva reitest. Heute bin ich also mit ihr unterwegs, solltest du dir erhofft haben doch spontan reiten zu können."
Ich sah weg und verzog das Gesicht. Tatsächlich war das mein Plan. Ich war fest davon ausgegangen, dass sie dann heute, wie auch schon letzte Woche Donatello reiten würde.
„Durchschaut!" Mama lachte leise und blickte ebenfalls wieder in die Reithalle.
Hannah diskutierte inzwischen mit der Trainerin und gestikulierte so wild, dass das Pony aussah, als würde es jeden Moment durchgehen wollen.
„Da bekommt Mona wohl eine Abreibung. Sie hat gerade das Gatter bei den Shettys nicht richtig zu gemacht. Ich habe Hannah und Fiete geholfen die drei aus ihrem Garten zu bekommen." Dann war Hannahs Ausrastet nicht ungerechtfertigt. Sie hätten auch ganz leicht auf die Straße rennen können. „Smartie ist immer noch so frech wie damals in deinen ersten richtigen Reitstunden."
„Also du nimmst jetzt die Reitbeteiligung?"
Sie nickte. „Und in einem Jahr übernehme ich ihn dann als Pferd zur Verfügung mit Kaufoption nach einem halben Jahr." Das klang doch nach einem Happy End und wie sie strahlte war sie mehr als zufrieden mit der Entscheidung. Doni würde schon bald der zweite Vierbeiner in unserer Familie werden, da war ich mir sicher und bestimmt auch früher als Papa lieb war. „Lukas ist übrigens auch schon da. Lena meinte er wäre seit Sonntag etwas komisch. Weißt du dazu etwas?"
Ich schüttelte den Kopf. „Ich rede gleich mal mit ihm. Keine Ahnung, was er hat."
„Gut. Ich glaube ihm setzte alles aus dem letzten Jahr in Verbindung mit dem, was im Sommer passiert, ist ganz schön zu." Ich konnte das nicht abstreiten, aber war mir ziemlich sicher, dass das nur die halbe Wahrheit war und nichts mit dem zutun hatte, was momentan bei ihm los war.
„Das wird schon wieder." Ich musste sofort daran denken, dass er gesagt hatte, dass er wieder hier wegwollte. Vielleicht würde es also doch nicht wieder werden. Ich verkniff mir den Kommentar allerdings.
„So, wollen wir dann?" Hannah klopfte sich die Hände an ihrer grauen Reithose ab. Ihr war schon wieder einer ihrer Pink lackierten Fingernägel abgebrochen.
Mama saß sofort etwas gerader und schnappte sich den Stift des Tischs. „Gerne!"
Mama war danach sofort zu Viva. Etwas neidisch sah ich ihr nach wie sie mit unserer Stute in den Stall lief, um sie abzuduschen. Fertig machen durfte sie das Schweinchen ja meinetwegen, aber ich hätte heute auch Lust gehabt zu reiten. Der Himmel strahlte in einem satten blau. Es war einer der ersten Tage ohne dicke Wolken am Himmel und die Bäume hatten schon langsam ihr Herbstkleid angelegt.
Widerwillig wollte ich gerade wieder die Einfahrt wieder herunterlaufen, da sah ich Lukas Pantas gerade von der Weide holen. Er sah müde aus. Hatte er wieder diesen Albtraum wie am Samstag?
Mein Herz wurde etwas schwerer. Kurz zögerte ich. Sollte ich ihn in Ruhe lassen? Oder sollte ich mit ihm reden? Mit ruhigen Schritten lief ich in seine Richtung. Das Geräusch meiner Absätze auf dem Pflasterboden hallte von den Stallungen wider und die Schwalben pfiffen von den Dächern.
Pantas folgte Lukas vorbildlich von der Weide und drückte vertrauensvoll seinen feinen Kopf an seine Schulter, als Lukas stehen blieb, um das Tor zu schließen. Sanft lächelte er ihn an und kraulte ihn kurz hinter dem Ohr, ehe er den kurzen Grasweg herunterlief. Pantas folgte ihm in einem angemessenen Abstand und spielte aufmerksam mit den Ohren.
Ich wollte gerade schon etwas rufen, da sah ich in einem der Schatten eine Bewegung. Augenblicklich blieb ich stehen und schirmte meine Augen mit der Hand vor der Sonne ab, um besser sehen zu können. Da stand eindeutig jemand und starrte mich an. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Eine Stimme in meinem Kopf rief nur „Lauf!"
Und das tat ich auch. Ich ignorierte, dass man auf einem Hof mit Pferden und gerade auch Kindern nicht rannte. Hecktisch sah ich mich um. Mein Herz raste. War derjenige hinter mir? Was wollte er von mir verdammt noch mal? Wie lange verfolgte er mich schon? Gehörte er zu den Hubers? Wollte er Rache?
Immer schneller wurden meine Schritte. Angst setzte sich in jeder meiner Poren fest. Weg, soweit und schnell ich nur konnte! Wenn er mich umbringen wollte, sollte er gar keine Chance dazu bekommen. Nicht jetzt. Nicht heute!
Vor unserem Gartentor musste ich unweigerlich anhalten. Meine Lunge brannte und ich bekam das Tor erst gar nicht auf so sehr zitterten meine Hände. Den Weg aus Steinplatten sprintete ich hektisch hinauf und schaffte es erst in dritten Anlauf meinen Schlüssel aus der Hosentasche zu ziehen. Erleichterung machte ich in mir breit als die Haustür aufsprang und ich mit einem großen Schritt im Flur stand. Sofort zog ich die Tür hinter mir zu.
Keuchend und immer noch reichlich verstört, lehnte ich mich gegen die Tür. Hier war ich sicher! Mir würde nichts passieren. Ich war hier sicher. Fest presste ich die Augen zu und versuchte mich nur auf meine Atmung zu konzentrieren. Ein. Aus. Ein. Aus...
Ich hatte mir das bestimmt nur eingebildet. Was hatte ich bitte gesehen, außer einen Schatten zwischen den hohen Bäumen und einen Blick auf meiner Haut. Das musste in meinem Kopf gewesen sein. Ich hatte ein hundert Prozent schon wieder Realität und Trauma vermischt. Ich sollte Charly und Emma wirklich nicht mehr zu hören, wenn sie über Stalker sprachen. Das hatte ich davon.
Kopfschüttelnd stieß ich mich von der Tür ab. War klar, dass sowas passieren musste. Bestimmt hatte ich heute Nacht wieder einen dieser Albträume. Ich war noch so durch den Wind, dass ich vergas meine Stiefeletten auszuziehen, als ich in die Küche ging, um mir ein Glas Wasser zu holen.
Tief atmete ich ein und sah wenig später aus dem Küchenfenster auf die Weide raus. Ich hatte mir das eingebildet, oder? Automatisch suchte ich nach etwas ungewöhnlichem in meinem Blickfeld. Alles war wie immer. Der Holunder wog sich leicht, der Apfelbaum im Garten trug schon kleine Früchte. Der Rasen musste dringend mal wieder gemäht werden und Mama hatte mal wieder vergessen die Gießkanne in den kleinen Gartenschuppen zu stellen. Nichts Ungewöhnliches.
Trotzdem schnellte mein Puls wieder in die Höhe, als etwas in der Ferne aufblitzte. Was war heute los? Warum musste mich das alles immer noch so verfolgen? Ich konnte mich diese dumme Geschichte nicht endlich mal in Ruhe lassen! Ich hatte solche Fortschritte gemacht und jetzt bildete ich mir Dinge ein, die nicht da waren?
Mit zittrigen Fingern stellte ich das Glas neben die Spüle und stützte mich auf der Arbeitsfläche ab. Wann war genug? Wann durfte ich endlich aus diesem Albtraum aussteigen verdammt noch mal?
Und wieder blitzte es in der Ferne. Das war kein Gewitter, keine Reflexion, oder? Beinahe sah es aus wie das Blitzen einer Kamera. Aber das konnte ich auch verwechseln, außerdem wer fotografierte bei so einem Licht schon mit Blitz? Ich wurde echt noch bescheuert!
Ich schnalzte missbilligend über mich selbst und angelte mir einen Keks aus der kleinen Dose unter dem Fenster. Das war Seelenfutter. Gerade wollte ich irgendwas das mich wieder beruhigte. Danach würde ich mir etwas suchen das mich ablenkte. Ich hatte bestimmt noch Hausaufgaben, die ich für Mittwoch machen konnte. War es so schlimm, dass ich freiwillig Hausaufgaben machte?
Als es plötzlich klingelte, fuhr ich zusammen. Noch nie war mir unsere Klingel so durch Mark und Bein gegangen. Vorsichtig schlich ich in den Flur, bereit mich jederzeit zu verstecken sollte ich nicht wissen, wer da vor der Tür steht.
Erleichtert atmete ich auf als sich sah, dass es lediglich Lukas war.
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