Kapitel 30

Mitten in der Nacht schreckte ich hoch. Matty fiepte und sprang auf. Als wäre etwas schlimmes passiert rannte sie in den Flur und ich aus dem Impuls heraus hinterher. Es dauerte einen Augenblick, bis ich mir sicher war, dass ein Schrei mich geweckt hatte. Trotzdem rannte ich Matty nach, sie schien mir schlau genug vor Gefahr zu fliehen.

Die Hündin bretterte die Treppe herunter und rutschte auf dem Fliesenboden unten im Flur mit den Hinterpfoten leicht weg. Sie wurde aber nicht langsamer im Gegenteil, sie wurde nur noch schneller und sprintete in das dunkle Wohnzimmer.

Kurz darauf flackerte die Taschenlampe eines Handys auf und ich hörte Lukas sagen, „Alles gut mein Mädchen. Du kennst das doch. Nur derselbe Albtraum wie immer. Müsstest du nicht auf Marie oben aufpassen?"

Matty jammerte zur Antwort. Ich hörte Decken rascheln, dann wie Lukas aufstand. Die Schritte seiner nackten Füße hallten im Wohnzimmer wider und dann stand er plötzlich vor mir, sein Handy in der Hand und die Taschenlampe an.

„Warum schläfst du nicht?"

„Wovon träumst du?"

Er schüttelte den Kopf und wollte sich an mir vorbei in die Küche schieben. „Geh wieder ins Bett. Ich komme klar."

Seine Hand zitterte kaum merklich. Natürlich kam er klar. Er sah aus als hätte er soeben den Teufel persönlich getroffen. Ich musste schlucken, dann schlang ich einfach die Arme um ihn.

Er verkrampfte sich erst, dann war es als würde plötzlich alles von ihm abfallen.

„Es tut mir so leid!", wisperte er in die Nacht. Sein Atem streifte meine Schulter. Mir stiegen die Tränen in die Augen, als ich verstand. Er sollte sich nicht entschuldigen. Wenn das jemand sollte, dann ich!

Meine Finger krallten sich in den Stoff seines T-Shirts. „Kommst du bitte mit nach oben."

Seine Umarmung wurde lockerer und ich erwartete, dass er jeden Moment nach dem Warum fragen würde, aber nicht, dass er einfach nicken würde. Noch einen Augenblick hielt ich ihn im Arm, dann ließ ich ihn los und sah ihm mit verschwommenem Blickfeld nach wie er wieder im Wohnzimmer verschwand.

Matty stand schwanzwedelnd neben mir und starrte ihm ebenfalls nach.

Nacheinander steigen wir schweigend die Treppe hoch. Hatte mein Herz vor wenigen Stunden noch verrückt gespielt, fühlte es sich jetzt schwer an. Es war, als wenn jemand Blei dran gebunden hätte. Jeder Schlag fühlte sich an, als würde er mich unmenschliche Kraft kosten.

Wir schwiegen immer noch als er neben mir in seinem Bett lag. Wir sahen einfach nur an die Decke. Da wurde mir erst klar war ich ihm mit dem was ich da so unüberlegt getan hatte ebenfalls angetan hatte. Ich war ein schlechter Mensch und er hatte mich einfach nur beschützen wollen, so wie heute Abend. So wie eigentlich schon immer.

Vorsichtig tastete ich nach seiner Hand und rutschte etwas näher. „Mir muss es eher leidtun."

Es raschelte neben mir und meine Hand wurde festgedrückt. Es fühlte sich tröstlich an. „Du hast keine Schuld. Du wusstest nicht, was da im Stall los war. Du konntest nicht wissen, dass sie dich versuchen würden zu töten."

Ich schniefte auf. Das tat gerade in genau dem Teil weh, den ich seit Wochen zu betäuben versuchte. Versuchte zu ignorieren. Versuchte zu vergessen. Der Schmerz fraß sich durch meine Brust und legte sich direkt unter meine Haut. Dort lauerte er darauf endlich gelindert zu werden oder herunter geschluckt zu werden.

Lukas streckte die Hand aus. Ruhig, zärtlich und vor allem so voller Verständnis fuhr er mir über die Wange. Strich die Tränen weg und damit ganz langsam auch diesen scheiß Schmerz. Füllte sanft das Loch in meiner Brust. „Es ist nicht deine Schuld. Es ist auch nicht meine. Wir wollten am Ende nur noch retten und konnten das alles nicht wissen."

Ich musste an den Haflinger denken und daran, dass er jetzt wohl ein besseres Leben hatte dank mir. Dank uns. Zittrig atmete ich ein und drehte mich auf die Seite. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Schemenhaft konnte ich sehen, dass er mich weich und so voller Verständnis ansah. Dankbar kuschelte ich mich an seine Brust.

Das hatte ich gebraucht. Genau diese Worte. „Danke", flüsterte ich und schloss die Augen. „Für alles!"

Lukas strich mir über den Rücke und zog mich dann enger an sich. Ich spürte, wie er sich langsam ebenfalls entspannte. Ich bekam nicht mehr mit wie Matty ebenfalls in Bett sprang und sich zu unseren Füssen zusammenrollte.

„Ich kann mir den Vertrag mal angucken. Ich bin aber keine Expertin", hörte ich wie durch Watte. Schritte auf einer Treppe. Hauptsächlich hörte ich allerdings Lukas ruhiges und tiefes Atmen. Es war alles gut. Vielleicht öffnete ich deshalb die Augen nicht als sich die Tür öffnete. Es hätte genauso gut in einem Traum sein können.

„Ach, das glaubst du mir nicht!", meinte ich Lenas erstaunte Stimme zu hören. „Da kommt man früher nachhause und will sich nur eben den Hund holen zum Morgenspaziergang und dann findet man meinem Sohn und deine Tochter." Plötzlich war ich wach. Nicht nur ich Lukas auch. Er schoss sogar als erster nach oben.

„Morgen", wünschte Lena, in einer schmalen weißen Bluse und einer dunkelblauen Stoffhose, uns grinsend, während Matty aufgeregt vor ihr über den Holzboden tanzte. „War wohl eine gute Party."

„For gods sake. Mum! What the hell are you doing here?" Lukas fuhr sich über das Gesicht.

Sie zuckte mit den Schultern und sah zwischen uns hin und her. Ihre grünen Augen funkelten interessiert. „Got kicked out."

„Finally!", stöhnte Lukas neben mir aus. „Tell me you're going back to that..."

Sie unterbrach ihn. „I won't! And this time I mean it. Und hier drüber werde ich keine Fragen stellen, auch wenn ich welche habe." Sie wies mit dem Zeigefinger zwischen uns hin und her. „Ich habe ja mit vielem gerechnet, aber damit nicht. Lukas, you never miss to suprise me. Love it!"

Damit schloss sie die Tür wieder und Lukas ließ sich mit einem entnervten Stöhnen wieder zurück in die Kissen fallen. „Can someone save me from that Woman!"

Später stand ich wieder in meinen Klamotten vom Vortag rein aus anstand in der Küche neben Lena, die sich gerade einen Kaffee machte. Ich wäre am liebsten einfach raus, aber das fühlte sich einfach falsch an.

„Ich habe nur eine Frage", fing sie an. Aus ihrem Ton konnte ich nicht wirklich schließen, ob ich die Frage beantworten wollte oder aber nicht. Sie drehte sich mit ihrem Kaffee in der Hand, in dem sie gedankenverloren mit einem langen schmalen Metalllöffel herumrührte, zu mir um. „Was ist das jetzt zwischen euch? Nicht dass es mich etwas angehen würde, aber man macht sich da schon seine Gedanken."

Ich musste schlucken. „Wir sind nur Freunde. Ich war gestern wohl doch besoffener als ich zugeben wollte, und Lukas hat sich um mich gekümmert, bevor es noch jemand von den falschen Leuten tun konnte. Er hat sogar ursprünglich auf dem Sofa geschlafen."

Lena atmete hörbar aus und zog den Löffel aus ihrer Tasse. „Wenigstens Manieren konnte ich ihm also beibringen." Sie lachte leise und schob sich dann den Löffel mit Milchschaum in den Mund. „Deine Eltern wird es beruhigen, dass jemand auf dich aufgepasst hat. Hätte ich Lukas gar nicht zugetraut." Beinahe hätte ich über ihren überraschten Gesichtsausdruck lachen müssen, dann fügte sie an, „Dass er dich in sein Bett gezerrt hat, habe ich sowieso nicht angenommen. Dafür bist du ihm zu wichtig."

War das jetzt ein Kompliment oder eher eine unterschwellige Beleidigung? Ich musste mich bemühen nicht rot zu werden bei dem Gedanken an das, was ich gestern angenommen hatte was passieren würde. „Ich werde dann jetzt auch mal nachhause", sagte ich schnell und huschte dann auch schon mit einem leisen, „Tschüss" in den Flur.

„Tschüss und ruf deine Mutter an, sonst ruft sie gleich mich an", rief Lena mir nach, ehe ich aus der Haustür verschwinden konnte. Mein Herz schlug mir immer noch bis zum Hals.

Später am Tag war ich wie immer am Stall und befreite Viva von ihrer neusten Dreckschicht, da lehnt Lukas plötzlich neben mir am Anbinder.

„Hast du wenigstens einen Kater?", er brach ein Stück aus dem Apfel ab, den er gerade aß und gab ihn Viva, die schon fleißig bettelte.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin wohl verschont worden. Rechne ich dir an."

Er musste lachen und kraulte die immer noch bettelnde Viva an der Stirn. Meine Stute genoss die Streicheleinheiten sichtlich, auch wenn sie lieber seinen Apfel hätte. „Was war überhaupt los, dass du dich so abgeschossen hast?"

Ich zog kräftige Kreise mit dem Gummistriegel auf Vivas Sattellage. Es staubte. „Keine Ahnung. Ich habe mich einfach treiben lassen. Wir haben schon etwas Schnaps getrunken, als wir zuhause waren, und dann hatte Bea auch noch was."

„Vergiss es!" Er zog seinen Apfel gerade noch so aus Vivas Reichweite und gab ihr einen Klaps auf die Nase. „Wer hat dich bloß so verzogen?" Ich presste die Lippen aufeinander. Ja, wer wohl? „Ich wollte...", plötzlich brach er einfach ab und sah auf sein Handy, als ich mich zu ihm umsah.

„Du wolltest?", fragte ich irritiert. Seine Gesichtszüge waren plötzlich angespannt und er sah angestrengt auf sein Smartphone.

Ohne aufzusehen, drehte er sich einfach um und verschwand ohne ein weiteres Wort im Stall. Was zur Hölle hatte ich denn bitte jetzt wieder getan?

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