Kapitel 28

Am Samstag war der Tag überraschend warm, als wenn der Sommer so kurz nach dem Herbstanfang noch einmal beweisen wollte, dass er eigentlich lieber ein Indian Summer geworden wäre. Wir waren nach dem Turnier alle gut durchgeschwitzt, von den Pferden ganz zu schweigen.

Viva hatte es geschafft uns heute im L mit steigenden Anforderungen auf den fünften Platz zu katapultieren, trotz einer Nachlässigkeit von meiner Seite. Ich hätte vor stolz fast platzen können. Für Liz war es noch besser gelaufen. Mit Haddy hatte sie das L prompt gewonnen und mit einem Pferd, das sie für Hannah vorgestellt hatte, hatte sie sich im M platzieren können. Ihr erste M-Platzierung. Verdammt war ich stolz auf sie. Lukas war endlich alt genug auch im S an den Start zu gehen und das hatte er sich nicht nehmen lassen. Er hatte ich zwar nicht platziert, war allerdings so knapp aus der Wertung gewesen, dass er sich nicht ärgerte. Ole hingegen hatte das M gewonnen und war mit seiner jungen Stute eine Springpferde L geritten, die sie einfach nur überstehen wollten und sich dann ebenfalls knapp platziert hatten. Nur Barbie war leer ausgegangen. Thilo hatte sich vor mir und Viva im L platziert und Steffi damit mehr als glücklich gemacht. Sie hatte sich also ihren Ruf als exzellente Trainerin erhalten.

Dem entsprechend euphorisch standen wir schon am späten Nachmittag im Zimmer vor dem Spiegel und durchwühlten meinen Kleiderschrank. Meine Eltern waren gestern schon am Morgen gefahren, daher hörten wir laut Musik. Sangen schief und mehr lachend als singend Bebe Rexha, Halsey und was wir sonst so auf einer der unzähligen Playlisten hatten finden können mit und hatten uns eine Falsche Schnaps aus dem Keller stibitz.

„Das ist süß!" Liz hielt eine weiße Leinentunika hoch, die ich noch nie angehabt hatte und ehrlich nicht wusste, ob ich sie überhaupt an mir mochte.

„Weiß nicht. Ist die nicht etwas altbacken?"

„Altbacken? Die ist höchstens Indie!" Sie sah mich schockiert an und warf mich dann mit dem Kleidungsstück ab. „Los anziehen!"

„Eye Captain", kicherte ich und reichte die Schnapsfalsche an sie weiter.

Während ich die Tunika über meinen Sport-BH zog genehmigte Liz sich einen großen Schluck aus der Flasche und verzog kaum, dass sie sie abgesetzt hatte das Gesicht.

„Das Zeug ist echt fies! Ich habe das Gefühl, das brennt mir jeden Moment die Speiseröhre weg!" Sie stöhnte auf und ließ sich zurück auf mein Bett fallen. Nach einem Moment des Sammelns musterte sie mich. „Ist echt süß. Dazu eine enge Jeans und die Jacke, die du von deiner Mum bekommen hast und wir haben etwas akzeptables."

„Wenn du das sagst." Ich betrachtete mich kritisch im Spiegel. So ganz gefiel ich mir in dem Ding nicht. „Lass uns trotzdem mal gucken, ob wir nicht etwas Besseres finden."

Liz seufzte und zupfte das nächste Oberteil auf dem Kleiderberg auf meinem flauschigen dunkelrosanen Teppich. „Zu langweilig", beschied sie prompt und warf das dunkle T-Shirt zur Seite.

Ich zog ein rosa Crop-Top mit Spitzendetail aus dem Haufen. „Wie ist das?"

Liz seufzte. „Okay. Ich finde die Tunika immer noch besser."

„Aber die ist nicht so ganz ich. Wenn du weißt, was ich meine." Ich zog sie wieder aus und das Top über. Sofort war ich mit meinem Spiegelbild zufriedener. Ich sah gleich viel mehr nach einer etwas verruchteren Version von mir selbst aus. Gut, immer noch nach einem Mädchen, das jeden Sonntag brav in die Kirche ging und keine Doppeldeutigen Witze verstand, aber etwas mehr nach einem Abenteuer abseits von dem Rauchen eines Joints. „Was ziehst du eigentlich an?"

Liz rollte sich unwillig stöhnende von meinem Bett und angelte ein schwarzes Kleid aus ihrer Tasche. Als sie es in die Höhe hielt, war ich mir ziemlich sicher, dass sie es in ihrer Tasche hatte aus dem Haus schmuggeln müssen. Es war vielleicht gerade so in der Lage ihr bis über den Hintern zu reichen, der Ausschnitt war tief, allerdings nicht so tief, dass man das Gefühl hatte man könne ihr bis zum Bauchnabel gucken. Die Halter überkreuzen sich im Rücken und da war ich mir ziemlich sicher, dass es fantastisch an ihr aussehen würde.

„Willst du vielleicht nicht eine kurze Sportshort von mir haben, zumindest bis wir bei Bea sind. Wir müssen ja noch Rad fahren."

„Man so weit hatte ich nicht gedacht, aber gute Idee!" Liz atmete laut aus und trank noch einen Schluck aus der Schnapsflasche. „Glaubst du Ole wird mich heute mal beachten?"

„Hast du keine anderen Probleme?", kicherte ich und nahm ihr die Flasche ab. Ich trank jetzt ebenfalls einen Schluck und verzog das Gesicht als der Alkohol mir die Kehle runter brannte. Fast augenblicklich griff ich nach meiner Wasserflasche.

Da sprang Liz schon auf und machte die Musik lauter. „Ich liebe dieses Lied", rief sie über die ersten Takte zu mir rüber. Dann griff sie lachend nach meinen Händen und sang laut mit „Drop dead Gorgeous. Make them bodies hit the floor. Work!"

Ich stieg sofort in der nächsten Zeile ein. „All my bitches hella bad. Walk it forward, walk it back." Wir kicherten und tanzten so gut es ging durch mein Zimmer. Spätestens nach „She's a baddie with bass line, call her daddy she don't waist time" wussten wir dann beide den Text nicht mehr und sangen irgendeinen Schwachsinn.

„Seid ihr schon etwas angetrunken?", begrüßte uns Bea an ihrer Haustür und hielt uns beiden die Tür zum kleinen Friesenhaus am Rand zur Innenstadt auf.

„Nein", winkte Liz ab und kicherte los.

„Meine Eltern sind auch nicht da. Aber haben kein Problem damit, wenn wir hier alle übernachten." Bea gähnte und fuhr sich durch die gelockten Haare. „Taschen schmeißt ihr einfach in den Flur und morgen können wir ja irgendwo in der Innenstadt frühstücken. Vielleicht in dem süßen Café von dem Marie schon ein paarmal erzählt hatte."

Sofort nickte ich. Das war die Idee und Ellie würde sich bestimmt auch freuen mich zu sehen. Außerdem hatte ich nach einer Nacht, in der es anscheinend viel Alkohol geben würde bestimmt noch mehr Lust auf eines ihrer göttlichen Croissants.

„Super. Vertragt ihr noch einen Kurzen, oder müsst ihr danach schon ausnüchtern?" Kritisch beäugte Bea uns und schütte sich selbst in der an den Flur angrenzenden Küche einen Klaren in ein Shotglas.

Kräftige Beats wehten schon über den Strand und Nico stand wie jede Strandparty hinter dem Tresen der Bar seines Vaters und schenkte fleißig die ersten Drinks aus. Das Geld kam unserem Abiball zugute, wie ich das verstanden hatte.

Bea zog uns sofort zur Bar. „Hey Nico. Was hast du heute im Angebot?"

„Alles was du willst, liebste Bea. Für dich heute auch umsonst als Dankeschön für die Mathehausaufgaben vor zwei Wochen." Nico stellte drei Becher auf den Tresen und sah Bea fragend an.

Die grinste ihn nur breit an. „Dann mach mir doch mal drei Sex on the Beach und verrate mir, ob sich Charly und Emma hier schon herumtrieben."

„Charly ist noch nicht hier. Sonst wäre der Jägermeister schon leer." Er schüttete die erste Kompetente in die Becher. „Und Emma? Keine Ahnung. Die hat gerade noch diesen Schönling vom Schloss angegafft." Die nächste Flüssigkeit landete in den Bechern. „Der und so ein Blonder haben jeden Falls nach unseren Pferdemädels gefragt." Sofort schlug mein Herz schneller und ich spürte, wie ich rot wurde. Lukas war hier und er hielt nach mir Ausschau. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie machte mich das glücklich.

Nico schob die Becher mit einem Lächeln zu uns herüber und wies etwas den Stand herunter. „Da unten müssen sie irgendwo stehen. Der blonde war nicht sehr gesprächig und der Schönling ist sich ja wirklich um keinen Spruch verlegen."

Liz lachte. „Ja das klingt nach den Jungs!", dann griff sie nach meiner Hand und dem Becher. Ehe ich auch nur einen Schluck von meinem Getränk nehmen konnte, standen wir schon neben Lukas und Ole.

„Ich habe gehört nach uns wurde gefragt?" Liz setzte einen Blick auf bei dem wohl viele Jungs sich ihr zu Füßen gelegt hätten. Zuckersüß lächelte sie Ole an, der einfach nur nickte und einen Schluck von was auch immer er bevorzugte trank. Er sah allgemein aus, als würde er am liebsten gehen oder alternativ in seinem grauen Hoodie versinken wollen.

Lukas musterte mich. „Gefragt ist zu viel gesagt. Ich wollte einfach nur wissen, ob ihr auch da seid. Muss der Typ an der Bar wohl falsch verstanden haben." Er löste seinen Blick nicht und seine grünen Augen sahen im fahlen Licht des zu Ende gehenden Tages aus wie dunkle Murmeln in denen sich nur ab und an das Licht so brach, dass man einen kleinen Schein grün sehen konnte. „Wie viel habt ihr schon intus?"

Ich fühlte mich unfähig ihm zu antworten. Ich starrte ihn an wie ein Schaf. Wenn er mich so ansah, fühlte es sich so an, als wäre mein ganzer Körper aus Gummi.

Liz plusterte die Backen auf. „Nicht viel. Also wir sind beide noch ziemlich klar."

„Danach sieht Marie nicht unbedingt aus." Sah er mich da gerade besorgt an? Verdammt war das süß!

„Mir geht's gut", hörte ich mich selbst wie durch Watte sagen. Sein Blick war allerdings nicht weniger besorgt gewesen. Stattdessen sah er plötzlich über mich hinweg.

„Ist das normal, dass so ein Typ mit Kamera euch beobachtet?"

Ich traute mich gar nicht umzudrehen. Aus irgendeinem dummen Grund hatte ich Angst davor, dass er sich sonst in Luft auflösen könnte.

Liz neben mir zuckte bloß mit den Schultern. „Macht bestimmt nur Fotos für die Dropbox. Nico wollte da irgendwie jemanden haben."

Lukas zog die Augenbrauen zusammen und nickte langsam, dann sah er mich wieder an. „Sorry, aber wir bekomme erst Mal Wasser in dich rein. Ich habe sonst echt ein schlechtes Gewissen."

Liz knuffte mich in die Seite und murmelte, „Spießer!"

Ich wollte gerade protestieren und sagen, dass es mir wirklich gut ging und er gerade einfach aussah wie aus einer anderen Welt - Gut, den letzten Teil ganz klar nicht laut, da hatte er mich auch schon am Handgelenk gefasst und zog mich von Liz und Ole weg.

Wenige Schritte stolperte ich hinter ihm her, dann stemmte ich mich in den Boden. Wer glaubte er eigentlich wer er war, dass ich ihm einfach folgte? Er war Lukas fucking Stüwe, der sich viel zu oft schon mir gegenüber danebenbenommen hatte. Wer sagte mir, dass er mich nicht einfach wieder etwas nüchterner irgendwo stehen ließ? „Was soll das?"

„Ich will dich wieder etwas nüchterner bekommen. Du siehst aus, als hättest eine halbe Bar geleert." Er ließ mein Handgelenk los und sah mich wieder so weich an. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Konnte er mich nicht einfach küssen? Danach wäre ich bestimmt wieder nüchtern.

„Du..." Ich musste mich sammeln und bemühen nicht auf seine Lippen zu starren,"... Du musst nicht auf mich aufpassen."

Er lachte auf. „So besoffen wie du bist, bin ich das Beste was dir passieren konnte!"

„Hältst du dich jetzt für einen Gott?" Provozierend legte ich den Kopf schief und verschränkte die Arme vor der Brust. Nur ganz am Rand bekam ich mich wie die ersten die Party schon verließen. Da traf mich schon der erste Regentropfen am Arm.

Schmunzelnd legte er ebenfalls den Kopf schief. „Einfach nur für das Arschloch, dass dir lieber den Abend rettet, als dich weiter abzufüllen und zu hoffen, dass du mit mir ins Bett steigst. Und glaub mir, wenn man sich einige hier anguckt, würden sie liebend gerne genau das tun!"

Am liebsten hätte ich ihn gefragt, was er am liebsten tun würde, aber biss mir rechtzeitig auf die Zunge. Inzwischen traft mich schon der zweite Regentropfen. „Warum sollten sie das tun wollen?"

„Weil sie Arschlöcher sind und du gerade ein leichtes Opfer." Lukas seufzte und wollte wieder nach meinem Handgelenk greifen, aber ich machte einen Schritt zurück.

„Ich bin kein leichtes Opfer." Das wollte ich zumindest nicht sein.

Lukas sah aus, als wenn er mich am liebsten hochgehoben hätte und zur Bar getragen. Er würde jeden Moment die Geduld mit mir verlieren. „Marie, du bist naiv! Du bist traumatisiert und solltest eigentlich nicht so viel trinken. Du würdest hier jedem glauben, wenn er dir sagt, dass er sich um dich kümmern wird, nur weil es das ist, was du gerade eigentlich brauchst."

Ich wollte ihm gerade widersprechen, als über uns der Himmel aufbrach. Dicke Regentropfen prasselten auf uns herab, durchweichten unsere Klamotten. Ich konnte fühle, wie meine Haare innerhalb weniger Sekunden an meinem Kopf klebten. „Ich brauche nichts."

Wieder schmunzelte er und streckte die Hand nach mir aus. Tief sah er mir in die Augen, während er über meine Wang strich. Ganz sanft.

Eine Gänsehaut legte sich über meine Arme und ich fühlt mich, als würden meine Knie jeden Moment nachgeben. Nach Halt suchend griff ich nach seiner Hand, die er eben noch an meiner Wange liegen hatte. Fest umklammerte ich seine warmen Finger und starrte ihn einfach nur an.

Er war zu schön, um mich so zu berühren. Er konnte mich so doch nicht berühren ohne eine Vorwarnung. Ich wusste doch gar nicht was das mit mir machen würde.

„Siehst du, du brauchst mich." Seine Stimme ging mir durch Mark und Bein, hallte in meinem Innersten wider und brachte etwas tief in mir zum Kribbeln. Tausende kleine Schmetterlinge, obwohl bei Nacht waren es wohl eher Glühwürmchen wirbelten durch meinen Bauch. Wieder konnte ich nicht anders als auf seine Lippen zu starren.

Diese wunderschönen Lippen. Waren sie wohl immer noch so weich wie im Sommer? Und wie schmeckten sie wohl?

Kurzerhand machte ich einen Schritt auf ihn zu. So dicht bei ihm zu stehen, ließ diese Glühwürmchen nur noch wilder tanzen. Einfach aus der Laune heraus stellte ich mich auf die Zehenspitzen. Ein Kuss mehr wollte ich doch gar nicht. Dann konnte er mich meinetwegen auch zur Bar schleppen und mit Wasser abfüllen, bis ich wieder komplett nüchtern war.

Sein warmer Atem streifte meine Lippen und er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber ich war schneller. Bestimmt drückte ich meine Lippen auf seine. Er sollte echt weniger labern und mich mehr küssen. Seine Lippen waren tatsächlich so weich wie ich sie noch in Erinnerung hatte. Sie schmeckten nach Alkohol und irgendetwas süßem, das verdammt lecker war und von dem ich gerne mehr hätte.

Ich spürte, wie er die Hände auf meine Hüfte legte. Ganz kurz hatte ich den Eindruck er würde mich zurück küssen wollen, aber dann drücke er mich von sich.

„Du brauchst mich eindeutig", stellte er fest und sah über mich hinweg den Strand herunter. „Gut, wie es aussieht bin ich auch gerade die einzige Option, die du hast."

Verwirrt sah ich mich ebenfalls um, um festzustellen, dass alle anderen vor dem Regen geflohen waren. Natürlich auch Bea und Liz.

Bestimmt griff Lukas nach meiner Hand und lief los.

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