Kapitel 24
Schon als ich am nächsten Schultag in den Oberstufenraum kam, schlug mir abgestandene Luft entgegen. Emma, die hinter mir in den Raum getreten war ging schnurstracks zum Fenster, um es aufzureißen.
Charly winkte schon vom üblichen Tisch mit einem Kaffeebecher in der Hand. Liz neben ihr wirkte mal wieder in ihrer eigenen Welt, zumindest drehte sie eine ihrer dunklen Wellen gedankenverloren auf ihrem Zeigefinger auf und starrte abwesend auf die Tischplatte.
„Ihr glaubt nicht was...", fing Charly schon an zu sprechen, ehe wir überhaupt saßen. In ihrer Stimme schwang eine freudige Anspannung mit. Sie hatte also mal wieder den neusten Klatsch für uns. Bestimmt hatte sie zu viel Zeit mit den Klatschtanten unserer Stufe in der ersten Doppelstunde verbracht.
„Lass mich, mich doch erst Mal hinsetzen und warum habe ich keinen Kaffee bekommen." Unterbrach Emma sie und ließ sich demonstrativ gähnend auf den leeren Stuhl gegenüber von Charly fallen. „Und wo ist Bea?"
„Ist doch egal! Das glaubt ihr echt nicht." Charly trommelte aufgeregt mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Mit einem verschwörerischen Grinsen lehnte sie sich vor und wollte gerade den Mund auf machen, da war Emma wieder schneller.
„Ich hole mir noch eben einen Kaffee und was ist hier eigentlich schon wieder veranstaltet worden in den Freistunden?" Emma kramte ihr Portemonnaie aus ihrer alten Lederumhängetasche. Mit dem Kinn deutete sie auf die Fußspuren auf der ehemals vollständig weißen Wand.
Charly zuckte mit den Schultern.
Emma seufzte und wedelte vor Liz Gesicht mit ihrer hand herum. „Erde an Frau Schönfeld. Soll ich Ihnen etwas vom Kiosk mitbringen?"
Erstaunt riss Liz sich von der Tischplatte los und schüttelte dann bestimmt den Kopf. „Passt schon danke." Was war nur heute mit ihr los? Musste ich mir sorgen machen?
„Alles gut bei dir?", harkte ich nach, aber bekam nur ein schnelles Nicken gepaart mit einem breiten Grinsen. Ich konnte mir da schon denken, dass ihre merkwürdige Verstimmung garantiert schwedischer Natur war. „Also war der Ausritt gut?"
Liz wurde augenblicklich rot und grinste nur noch breiter. „Erzähle ich dir später."
Charly schob beleidigt die Unterlippe vor. „Und was ist wenn ich es auch wissen will?" Ihr Kaffeebecher landete zielsicher mit reichlich Schwung im nahestehenden Mülleimer. Einige Jungs am Nebentisch nickten ihr anerkennt zu. Mit einem Selbstsicheren Lächeln auf den Lippen verbeugte Charly sich und sah dann wieder Liz an.
Die seufzte und rollte mit den Augen. „Dann rufe ich dich nach der Schule meinetwegen auf dem Weg zum Stall an."
„Was machst du da eigentlich immer den ganzen Tag?" Charly schnappte sich wieder ihre Tasche vom Boden und fing an es wie jeden Morgen nach Kaugummi zu durchsuchen.
Liz zuckte mit einer Schulter. „Na da übliche, putzen, reiten, Mathe lernen."
„Aha. Bea ist immer noch total verwirrt von deiner letzten Klausur. Sag mal wie hast du das bitte geschafft von fünf auf zwei in nur einer Klausurenphase."
„Das Wunder heißt Ole Sjögren, ist Schwede, sehr zurückhaltend und das ist ihre einzige Chance ihm auch nur ansatzweise nahe zu kommen." Wie hatte Charly das nur verpassen können?
Überrascht hob Charly beide Augenbrauen und zog dann mit einem leisen triumphierenden Aufschrei das letzte Kaugummi aus der schon reichlich verschlissenen Packung. „Ich wusste ich habe noch eins." Genüsslich schob sie es sich in den Mund und legte die leere Packung vor sich auf den Tisch. Es waren die üblichen Erdbeerkaugummis, die Charly schon kaute, seit ich sie kannte. Sie hatte uns bestimmt schon X mal erklärt, dass sie Pfefferminze eigentlich nur als Geschmack für Zahncreme angemessen fand. Sobald ihr Alkoholpegel auf Partys allerdings hoch genug war, kippte sie auch Pfefferminzschnaps weg wie sonst was.
Emma kam mit einem dampfenden Becher Kaffee wieder, der roch, als könne man mit ihm sämtliche Tote auf dem Kleinblommer Friedhof auf einmal wieder zum Leben erwecken. „Bea steht noch am Kiosk. Sie hat ihren Kuli leer geschrieben und wollte partout keinen von meinen."
„Du kennst sie doch. Da gehen nur diese ganz bestimmten Gelschreiber. Aber wenn du einen überhast, nehme ich den gerne. Meiner pfeift aus dem letzten Loch und ich sehe mich schon die Hälfte von Geschichte heute mit Bleistift schreiben." Charly setzte ihr bestes Lächeln auf und fing wieder an auf der Tischplatte herumzukommen.
„Kein Kaffee mehr für dich! Charly, komm mal runter." Liz legte müde den Kopf auf die Tischplatte und warf ihr einen genervten Blick zu.
„Aber das, was ich jetzt weiß, ist einfach zu spicy." Charly biss sich auf die Unterlippe und sah hoffnungsvoll zur Tür. Emma würde sie wieder unterbrechen, wenn Bea noch nicht hier wäre.
Sie atmete merklich auf, als auch Bea endlich in den Raum schlitterte. Den neuen Kuli wie eine Trophäe in der Hand und ihren Büchern für sie nächste Stunde schon unter dem Arm. „Wartet ihr etwa auf mich? Ist etwas passiert?"
Charly grinste so breit, dass man fast meinen könnte sie würde die Sonne ersetzten wollen, die sich schon wieder hinter dicken Wolken versteckte. „Kann man so nennen!"
Warum machte sie es so spannend? Hier passierte doch fast nie etwas wirklich Interessantes, also konnte es schon nicht so spektakulär sein.
„Hau raus!" Emma lehnte sich seufzend zurück und rührte mit einem dünnen Holzstäbchen in ihrem Kaffee herum, den sie wahrscheinlich mal wieder so gesüßt hatte, dass sie jeden Moment einen Zuckerschock bekommen könnte. Das es nicht stehen blieb wunderte mich fast schon, wenn ich mir die sieben leeren Zuckerpäckchen vor ihr auf dem Tisch so ansah.
„Der Neue, ihr wisst schon dieser Benji...", prompt unterbrach Emma sie schon wieder.
„Ach, der mit dem Marie dieses Erdkunde Referat machen muss."
„Ja, genau der." Charly rollte mit den Augen. „Lässt du mich jetzt vielleicht endlich mal ausreden!" Abwehrend hob Emma die Hände und Charly lehnte sich noch weiter vor, dass sie fast mit dem Oberkörper auf dem Tisch lag. „Der ist von seiner letzten Schule geflogen, meinte Seline. Sie hat da wohl eine Cousine, die mit ihm in einem Jahrgang war und wisst ihr auch wieso?"
„Woher Charly? Wir wussten nicht mal, dass er hier ist weil er geflogen ist." Bea legte ihre Bücher auf den Tisch und zupfte beim Hinsetzen ihren hübschen schwarzen Faltenrock zurecht.
„Man lasst mich doch mal erzählen, schon mal von rhetorischen Fragen gehört?" Eingeschnappt ließ Charly sich wieder auf ihren Stuhl fallen und sah genervt zwischen Emma und Bea hin und her.
„Klar. Im Gegensatz zu dir schwänze ich nicht bei jeder Gelegenheit Deutsch", feixte Bea prompt.
Charly, die als einzige von uns schon achtzehn war streckte ihr die Zunge heraus. „Ich muss den Vorteil Volljährig zu sein auch mal ausnutzen, aber darum geht es auch nicht!"
„Erzähl schon!" Ich wurde jetzt auch ungeduldig. Vielleicht war mein schlechtes Bauchgefühl gegenüber Benji gerechtfertigt, wenn er von seiner letzten Schule geflogen war. Er kam mir gleich so komisch vor.
Charly atmete tief ein. „Also, er soll ein Mädchen gestalkt haben. Also gestalkt-gestalkt und nicht so Instastalking."
„Ist doch bestimmt wieder nur Gelaber. Selina hatte doch schon immer die haarsträubendsten Geschichten auf Lager." Bea schlug demonstrativ ihr Deutschbuch auf.
Emma hob ihren Kaffeebecher an die Lippen. „Aber nicht unwahrscheinlich. Dann dürfte er bestimmt auch nicht mehr auf ein der Schulen in der Stadt gehen und wie ich es mitbekommen habe kommt er wohl jeden Morgen mit dem Zug."
„Der sieht danach gar nicht aus. Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Die erzählen sich bestimmt wieder nur so einen Unsinn, weil er keinen Anschluss findet und immer alleine in der Pausenhalle abhängt." Liz fuhr sich müde mit den Händen über das Gesicht.
„Und wenn schon. Ich finde den schon ein bisschen wired. Ich schwöre es euch mit dem Stimmt etwas nicht.", beteuerte Charly und sah mich an. „Was meinst du?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Er kam mir schon etwas komisch vor, aber seit... na ihr wisst schon, habe ich manchmal eine etwas verzerrte Wahrnehmung. Keine Ahnung, was ich davon halten soll." Das Gerücht war spannend, wie jedes, aber ein Teil in mir wollte es nicht ganz glauben. Dafür wirkte Benji, dann doch viel zu... normal? Konnte man das so nennen?
Charly wollte den Mund aufmachen, verstummte jedoch sofort und murmelte nur leise, „Wenn man vom Teufel spricht."
Mit einem Blick über die Schulter konnte ich sehen, dass Benji auf uns zukam. Wie immer hatte er seine Mütze tief in die Stirn gezogen und die Hände in den Taschen seiner abgewetzten dunkelbrauen Lederjacke. „Hey Marie," sprach er nur mich an. Verlegen kratzte er sich im Nacken als er neben mir stehen geblieben war. „Ich wollte mal fragen, was jetzt mit dem Referat ist, also das muss ja bald fertig sein und du warst Donnerstag und Freitag nicht in der Schule." Röte kroch ihm in die Wangen.
Ich fühlte mich sofort wieder unwohl.
Liz musterte ihn augenblicklich bereit zum Zuschlagen aus den Augenwinkeln. Von ihrer Müdigkeit war nichts mehr zu merken.
Mit einem fahrigen Lächeln erklärte ich möglichst neutral, „Ich wollte mich heute Nachmittag an meinen Teil setzen. Ich schicke dir den Link zur PowerPoint einfach per WhatsApp. Das müsste doch eigentlich reichen, oder?"
Kurz blitzte Enttäuschung in seinem Blick auf, dann nickte er ergeben. „Klar. Passt so."
So schnell wie er gekommen war, war er wieder weg.
Charly hob beide Augenbrauen. „Da ist wohl jemand in unsere Marie verschossen."
Ich schüttelte sofort den Kopf.
„Klar, ich weiß schon nicht dein Typ." Charly zwinkerte mir zu.
Liz sah daraufhin verwirrt zwischen uns her. „Was habe ich verpasst?"
„Das will ich auch wissen!", protestierte Emma augenblicklich. „Verheimlichst du uns etwas deinen ultraheißen und fantastischen Freund?"
Unter ihren Blicken schrumpfte ich etwas. „Nein! Da gibt es niemanden."
„Außer Lukas", warf Liz mit einem frechen grinsen ein.
„Das Irnstamodel?", rief Emma überrascht aus.
Sofort richtete ich mich wieder auf und zog Emma wieder zurück auf ihren Stuhl. „Wir sind nur Freunde."
„Das hat sich wieder eingerenkt? Ist doch super!" Wie immer war Bea die Einzige die bei dem Thema nicht direkt ausrastete und so erfrischend normal damit umging.
Emma verzog genervt das Gesicht sie hätte eindeutig gerne ein paar Details gehabt. Liz hingegen warf mir einen vielsagenden Blick zu. Um ein Gespräch mit ihr zu dem Thema würde ich nun nicht mehr herumkommen.
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