Kapitel 23

Stimmengewirr wehte zu uns herüber, als wir gerade dabei waren unser Training für heute zu beenden. Der Wind hatte etwas aufgefrischt. Die Bäume rauschten und es roch, als würde es bald anfangen zu regnen.

Eine Gruppe von Reitschülern beobachtete mit glänzenden Augen wie wir uns beide die Zügel aus der Hand kauen ließen und Lukas am langen Zügel noch eine Stangenreihe anritt. Pantas zog etwas an, aber hob dennoch immer passend die Beine.

Im Allgemeinen war das Training für uns beide wohl erfolgreich gewesen. Viva war schon lange nicht mehr so bei mir gewesen und Pantas war tatsächlich mal etwas vom Gas heruntergekommen.

Lukas parierte ihn schließlich neben mir wieder durch. Sein Blick glitt ebenfalls zu den Reitschülern. „Haben wir in dem Alter auch so gegafft?"

„Klar, frag Hannah! Wie oft haben wir ihr dabei zugesehen, wenn sie ihre Springpferde abgesprungen ist? Oder Biggie mit den Dressurpferden."

Er zuckte mit den Schultern und blickte gen Himmel, in dem sich die ersten dunklen Wolken auftürmten. „Wie siehts aus? Wollen wir noch ausreiten gehen, oder keine Lust auf Regen?" Aus seinem Blick konnte ich nicht lesen was mit ihm war.

Regen würde mir nichts ausmachen. Wahrscheinlich war es eh nur ein Schauer so wie der Wind vom Meer her drückte wären die Wolken schnell vorbeigezogen. Also was sollte es. „Klar, oder bist du neuerdings aus Zucker?"

Lukas musste grinsen. „Wäre mir neu."

Die kleinen Mädchen am Zaun bestaunten Pantas mit riesigen Augen. An irgendeinem Punkt in seinem Leben hatte bestimmt jedes Pferdemädchen schon mal von einem nachtschwarzen Hengst geträumt. Und Pantas sah wohl einfach aus wie ein wahrgewordener Traum. Die kräftigen Muskeln spielten unter dem glänzenden tiefschwarzen Fell und er gab sich alle Mühe am Zügel zu laufen, auch wenn Lukas sie ihm lang ließ und nur minimal einwirkte, um ihm die Richtung zum Wald zu weisen.

Viva konnte ich bei weitem nicht so fein reiten. Ich sollte vielleicht doch mal fragen, ob wir irgendwann mal wie früher zum Spaß die Pferde tauschen konnten. Pantas war bestimmt ein Pferd, dass genau dieses feine Reiten einforderte und Viva würde ein feiner Reiter, der sie auch am Bindfaden rund reiten könnte, mal wieder sehr guttun.

Mit aufgerichtetem Kopf und hoch aufgestellten Öhrchen folgte Viva dem stolzen Rappen um die Reithalle herum. Das Hufgetrappel hallte dumpf von den roten Backsteinwänden, der Halle wider. Dumpf konnte man hören, wie Hannah eine Springstunde gab, genauso wie das Schnaufen eines Pferdes, das gerade artig seinen Reiter durch den aufgebauten Parcours trug.

Lukas drehte sich gerade zu mir um, da meinte ich ein Klicken hinter mir gehört zu haben. Irritiert löste ich den Blick von ihm und drehte mich ebenfalls um, aber uns folgten nur die kleinen Mädchen in einem angebrachten Abstand. Komisch.

„War was?", wollte Lukas auch sofort wissen, als ich mich kopfschüttelnd wieder nach vorne wandte. Schnell schüttelte ich den Kopf. „Okay. Dann würde ich vorschlagen wir reiten heute nur bis zum Deich. Die Wellen dürften ziemlich hoch sein und der Strand mehr als ungemütlich."

„Klingt gut. Aber wenn es regnen sollte, kann ich mir vorstellen, dass sie auf den Feldern zugange sind. Gestern sah der Weizen zumindest ziemlich reif aus."

Er schüttelte den Kopf. „Dann hätte Hannah etwas gesagt. Sie bekommt, doch immer bescheid was wann wo geerntet wird. Besonders wenn es Getreide ist. Dann wäre sie auch kaum hier und würde Unterricht geben."

Das stimmte auch wieder. Wenn es um Stroh ging, war Hannah schnell. Die Ställe im Umkreis mussten sie hassen. Kaum dass jemand seinen Mähdrescher auf das Feld fuhr, war sie gefühlt da und verhandelte schon nach einer kurzen Qualitätskontrolle über den Ballenpreis. Und spätestens am übernächsten Morgen stand dann schon wieder ein voller Ballenwaagen auf dem Hof, wo dann fluchende Pfleger und Bereiter unter ihrem Fachkundigen Blick alles einlagern durften.

Wieder ein Klicken. Ich entschied einfach, dass es eines der Mädchen war, die Fotos von ihrem neuen Traumpferd machte. Wobei keine von ihnen hatte eine Spiegelreflex um und das Geräusch würde ich überall wieder erkennen. Aber warum sollte jemand Fotos von uns machen?

Pantas bog um die Halle und Lukas hielt ihn an, um seine Mutter zu begrüßen, die mit Libby an der Hand aus der kleinen Longierhalle kam. Lena hob kurz die Hand, als sie mich sah, und warf Lukas einen Blick mit erhobener Augenbraue zu, woraufhin er bloß mit den Augen rollte und Pantas bedeutet zügig weiter zugehen.

Die Wolken brachen auf als wir gerade in das schützende Blätterdach des Waldes eintauchten. Der Regen trommelte auf den Waldboden. Sofort roch es metallische und nach altem Laub. Wie ich diesen Geruch liebte.

Lukas sah kritisch hoch. „Das war wohl Timing."

„So kann man es auch nennen. Eigentlich ist es doch echt schön bei Regen im Wald."

„Du meinst wohl man begegnet ausnahmsweise mal keinen Mountainbikern die einen ohne Rücksicht auf Verluste über den Haufen fahren wollen und laut schnatternden Muttis wahlweise mit Stöcken in der Hand oder Kinderwagen inklusive lautplärrender Kleinkinder."

So konnte man es auch nennen. Ich fragte mich da immer, was diese Leute alle auf dem Reitweg wollten. Gerade die Mountainbiker richteten so viel Schaden an. Auch jetzt im Regen konnte man die tiefen Furchen der Radfahrer im Waldboden sehen. Die Pferdehufe hingegen hatten den Boden an den viel berittenen Stellen festgetreten. An einigen Stellen standen trotzdem schon die ersten Schlammpfützen, die leise schmatzten, sobald ein Pferd hineintrat.

Das Prasseln des Regens machte die Stille zwischen uns erträglicher. Ich wusste, wenn ich ehrlich war, nicht was ich sagen sollte, und Lukas schien es ähnlich zu gehen. Er starrte gedankenverloren auf den Weg vor uns und gab Pantas nur ab und an mal eine kaum sichtbare Hilfe, dass der Hengst in keinen Zuckelschritt verfiel. Dass der das überhaupt konnte, wunderte mich wenn ich ehrlich war.

„Wie geht es dir?", durchbrach er nach Minuten des Schweigens und in den Regen Lauschens.

Ich presste die Lippen zusammen. Ein Teil von mir wollte ganz laut die Wahrheit sagen, ein anderer in einer strahlenden Lüge auftischen. Ich wollte nicht, dass er sich auch noch Gedanken um mich machte. Wenn ich an meine letzte Panikattacke auf dem Springplatz zurückdachte und seinem alarmierten Blick... „Es geht schon irgendwie. Und... und dir?"

Er zuckte mit den hageren Schultern. „Der Podcast war scheiße. Mum wollte nicht, dass ich ihn mir anhöre, aber..." Er seufzte. „Ich musste irgendwie. Weißt du, dass sie den Anwalt angestrengt hat die beiden Podcaster abzumahnen?"

Ich nickte. „Mama hatte das erzählt. Meine Eltern überlegen sich der Mahnung anzuschließen. Sie wollen das morgen mit Oma und Opa besprechen. Die Stadt will den Hof jetzt abreißen. Zu viele Schaulustige."

„Der Horrorhof von Kleinblommen, bei so einem reißerischen Titel ist es doch klar, dass Leute herkommen und sich den Scheiß geben wollen. Weißt du was aus den Pferden geworden ist?"

Ich schüttelte den Kopf. Das war mir entgangen. Irgendwann hatte ich dazu mal was gehört, aber es war in dem Wirrwarr und Chaos des Traumas untergegangen. „Hoffentlich geht es ihnen besser."

„Wird wohl kaum schwer sein." Lukas lachte bitter auf und hatte bestimmt genau wie ich die drei Welshponys vor Augen. Sie hatten ihn mehr getroffen als er zugeben wollte. Auch wenn er immer so cool tat, war er eigentlich eine ziemlich mitfühlende Seele.

„Ich habe immer noch Albträume", gab ich leise zu. Es auszusprechen tat gut. Es war anders als mit meiner Therapeutin zu reden, die nur nickte sich Notizen machte, irgendwann nachfragen stellte und dann zu einem gut gemeinten Rat ansetzte. „Es sind immer dieselben."

Lukas nickte bedächtig und sein Blick wurde glasiger. „Das kenne ich. Und immer und immer wieder wacht man auf und muss erst realisieren, dass alles vorbei ist." Wie musste es ihm gehen, wenn der Wind gegen die Scheiben drückte, das Haus ächzte und knarzte? Sie wohnten direkt oberhalb des Badestrandes in einer modernen Villa mit Meerblick. Sollte sich in den letzten Jahren nichts verändert haben, dann ging sein Zimmer immer noch zum Meer raus.

„Vor zwei Nächten war es so heftig, dass ich nicht mal einschlafen konnte." Ich musste schlucken. Wieder ein verständnisvolles nicken. „Ich frage mich wann das endlich aufhört."

„Wer weiß das schon. Es könnte morgen schon aufhören, oder nächste Woche, vielleicht in ein paar Jahren, vielleicht auch..." Er atmete scharf ein. „Nie."

„Und was glaubst du?"

„Dass ich wieder von hier weg muss. Jeder scheint einen plötzlich zu kennen und dieses angaffen geht mir auf die Nerven. Ich will vergessen, aber wie soll ich das wenn mich jeder daran erinnert?"

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Wollte er etwa wieder zurück nach Wales? Wir hatten doch gerade erst wieder angefangen uns anzufreunden und er war der Einzige der wirklich nachvollziehen konnte was in mir vorging.

„Was ist mit dir?" Pantas stieg über einer umgekippten kleinen Birke, die über dem Weg lag.

„Ich weiß es nicht. Die Zeit nach dem Abi ist für mich nur eine weiße undurchdringliche Masse, die sich einfach nicht formen und anmalen lassen will. Ich habe beinahe das Gefühl sie hätten mir an dem Tag auch jeglichen Willen auf eine Zukunft ausgesaugt."

„Auf mich hast du immer den Eindruck gemacht, als würdest du irgendwann mal Tierärztin sein. Weißt du nach als unser alter Hund Vidar einen Spatzen gefangen hat und du ihn ums Verrecken retten wolltest, dabei war das arme Tier schon längst an einem Herzinfarkt gestorben."

In meiner Vorstellung hielt ich wieder den kleinen leblosen Körper des Spatzens in den Händen. Sein Federkleid mit Speichel verklebt und erinnerte mich wieder an die Tränen, die ich deshalb vergossen hatte. Bestimmt eine Woche hatte ich Vidar, den großen wuscheligen schwarzen Jagdhund ignoriert, auch wenn er liebend gerne mit mir und Lukas im Garten gespielt hätte. Dafür hatten wir dann beide Rotz und Wasser geheult als der Rüde Krebs bekommen hatte und innerhalb weniger Wochen so abbaute, dass er nur noch eingeschläfert werden konnte.

„Tiermedizin? Keine Ahnung!"

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top