Kapitel 22
Die Spätsommer Sonne brannte unnachgiebig auf den großen Springplatz hinter der Springhalle. Die Bäume um den Platz hatten schon teilweise angefangen ihre Blätter einzufärben. Es war wohl nur eine Frage der Zeit bis den Herbst über uns hereinbrechen würde.
Ich mühte mich mal wieder mit einigen kleinen Cavallettis ab. Etwas Stangentraining stand mal wieder auf dem Plan. Steffi hatte mir dazu vor ein paar Wochen noch ein Paar Trainingspattern gegeben, die ich mit Viva mal ausprobieren sollte. Die Durchlässigkeit hatte in den letzten Wochen etwas nachgelassen, ebenso wie meine Konzentration. Letzteres verwunderte jedoch niemanden wirklich.
„Ach man!" Genervt hievte ich eine der rot-weiß gestrichenen Holzstangen zurück auf den Cavallettiblock, von dem sie mir zum gefühlt zwanzigsten Mal gefallen war. Das raue Holz kratzte unangenehm über meine Handflächen und ich sah mich schon wieder mindesten drei Splitter aus der rosigen Haut ziehen. Ich hatte meine Handschuhe natürlich mal wieder im Spind liegen gelassen, dabei wusste ich wie es um die alten Stangen stand, die nur noch als Vorlegestangen und für die Cavaletti- oder Stangenarbeit genutzt wurden. Den Rest hatten längst schon leichtere und beständigere Stangen mit Hochglanz Lackierung abgelöst.
Plötzlich wurde die Stange leichter. Überrascht sah ich von meinen geschundenen Händen auf. Lukas stand neben mir und hatte sie einfach wortlos auf den Ständer gehoben. Als er meinen Blick bemerkte, zuckte er bloß mit den Schultern. „Konnte sich ja keiner mitangucken." Was machte er hier überhaupt.
„Danke", murmelte ich peinlich berührt und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
Lässig musterte er mich. „Was hast du vor?"
„Wa..?", für einen Augenblick verstand ich nicht was er da von mir wollte. „Äh.. Stangentraining. Steffi hat mir dafür einen Plan gegeben."
Wissend nickte er. Seine grünen Augen hielten weiterhin meinen Blick. „Den hat sie mir für Pantas auch gegeben, damit er mal aufhört zu rennen." Belustigt zog er die Augenbrauen hoch, als wäre das alles nur ein blöder Witz. Wie gefährlich dieses Verhalten war, konnte auch ihm nicht entgangen sein. Ich würde es wohl nie verstehen, wie er immer alles so runterspielen konnte.
Ich blinzelte ihn einfach nur verwirrt an. So viel und vor allem so locker hatten wir schon lange nicht mehr miteinander gesprochen. Nervös malte ich mit der Spitze meiner ausgetretenen Stiefeletten Muster in den feinen Springsand.
Er grinste mich frech an und erinnerte mich in diesem Moment wieder so massiv an den Jungen, mit dem ich weite Teile meine Kindheit verbracht hatte. Nur dass mir damals bestimmt nicht durch den Kopf geschossen war, wie hübsch er doch war. „Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen?"
Ich suchte mit dem Blick nach einem neuen Fixpunkt und betrachtete eingehend einen etwas morsch wirkenden Balken, der den Springplatz von dem dahinter liegenden Wald abtrennte. „Nein. Es wundert mich nur dass du mit mir sprichst und noch nicht einfach davon gestürmt bist."
„Wenn du willst, kann ich das natürlich tun." Spott schwang in seiner Stimme mit. Ich konnte mir vorstellen wie sein Grinsen nur noch breiter geworden war und seine grünen Augen funkelten wie zwei Smaragde im Sonnenlicht. Er atmete aus. „Und jetzt Mal im Ernst. Ich war ein ziemlicher Arsch. Ich kann dir nicht mal genau erklären was da los war. Wie wäre es mit etwas Stangentraining und einem anschließenden Ausritt als Friedensangebot?"
Mein Herz schlug schneller. Ich hatte mich einhundert Prozent verhört. Nie im Leben würde sich ein Lukas Stüwe seine Fehler eingestehen. Vielleicht war ja doch etwas dran an dem, was Mama sagte und er wäre mal ein Stück erwachsener geworden.
Ich wandte den Kopf und musterte ihn kritisch von der Seite. Er sah normal aus. Die dunklen Haare lagen wie so oft unordentlich, was ihm diesen unbedarften Charm gab, das dunkelblaue Poloshirt hatte schon wieder einen kleinen Staubfleck auf Brusthöhe, den er einfach wegwischen könnte, aber wahrscheinlich mal wieder nicht bemerkt hatte. Er sah immer aus als wäre ihm sein Äußeres nicht so wichtig, aber auf diese Art die trotzdem an Klasse und Eleganz nicht sparte. Liz sagte mal man könne ihm den Richboy schon von weitem ansehen.
„Ok. Faires Friedensangebot." Beschied ich. „Aber wehe du lässt mich einfach stehen, dann musst du mir nie wieder unter die Augen treten."
Abwehrend hob er die Hände und lachte so ehrlich auf, dass mein Herz einen kleinen Hüpfer machte. „Keine Panik. Hatte ich nicht geplant."
Viva pustete mir ihren warmen Atem ins Gesicht, als ich ans Gatter ihrer Weide trat. Die drei standen schon wieder vorne am Gatter und schienen eindeutig genug von der Wiese zu haben. Libby schien Viva fast schon neidisch anzublinzeln, als ich sie an ihr Halfter nahm.
Als ich den Hof zu den Koppeln am Wald verlassen hatte, meinte ich gesehen zu haben, wie Lukas sich sein Fahrrad und einen Führstrick geschnappt hatte.
Hannah hatte für Pantas nach fast drei Monaten endlich eine passende Wallachherde gefunden, mit der er sich sehr gut vertrug. Ich hatte ihn auch schon mehrere Male mit einem jungen deutschen Reitpony Wallach, den Hannah im Beritt hatte, spielen gesehen.
Vivas beschlagene Hufe hallten gleichmäßig auf den Pflastersteinen wider, als wir den kleinen Grasweg zwischen den Weiden verließen und auf den breiten Weg zwischen den beiden Reithallen hindurch zu den Ställen einschlugen.
Von weitem hörte man schon das rhythmische schnelle Schlagen von beschlagenen Hufen von der Einfahrt. Ich musste mich nicht mal strecken, um zu sehen, dass Lukas wie in alten Vielseitigkeitszeiten lässig mit einer Hand am Lenker auf seinem Fahrrad fuhr und in der anderen den schwarzen Führstrick hatte, der an Pandas Halfter hing. Der Hengst trabte anstandslos neben dem Drahtesel her die Einfahrt hoch. Zuckte nur ab und an mit den Ohren, um einige Fliegen abzuwehren. Der Schweif schlug entspannt hin und her und er beobachtete seine Umgebung aufmerksam. Einige der ankommenden Reitschüler bleiben stehen und starrten den beiden mit offenem Mund hinterher. Pantas war auch eine Erscheinung und sowas sah man nicht unbedingt jeden Tag. Schon gar nicht als Schulreiter.
Die Ankunft der Reitschüler hatte jedoch zur Folge, dass Hannah sich am Anbinder aufbaute. Mich bedachte sie mit einem kurzen wohlwollenden nicken, als ich Viva in einen der Anbinder einklinkte, die gestern noch nicht angebracht gewesen waren.
„Sag mal spinnst du!", fuhr sie Lukas an, als er von seinem Fahrrad sprang und mir einfach Pantas in die Hand drückte, um sein Fahrrad wieder wegzustellen.
Kurz war ich geneigt etwas Flapsiges zu antworten, aber Lukas war schneller. „Er ist nur auf der Einfahrt auf Asphalt getrabt, den Rest vorbildlich auf Gras. Ich laufe doch nicht den ganzen Weg bis runter zu den Hinnerskoppeln."
Fassungslos schüttelte Hannah den Kopf. „Vorbildfunktion ist dir ein Fremdwort, oder? Wie soll ich den Reitschülern jetzt erklären, dass man erstens ein Pferd nicht lange auf Asphalt traben lässt und zweitens nicht am Fahrrad laufen lässt."
Lukas grinste sie an und zuckte mit den Schultern. „In Wales haben wir das ständig gemacht. Sonst wären wir Stunden lang unterwegs gewesen. Ich mache das nun wirklich nicht zum ersten Mal und so gefährlich ist das auch wieder nicht."
Hannah schnalzte mit der Zunge. „Ich glaube ich muss mal wieder mit deiner Mutter reden."
„Die hat das früher auch gemacht. Meine Grandma macht das mit ihren Vielseitigkeitspferden immer noch, wenn sie die beim Nachbarn stehen hat. Und glaub mir mit den drein gleichzeitig an der Hand würde ich das auch nicht machen."
Unzufrieden schob Hannah die Unterlippe vor und zückte ihr Handy. „Bis später. Pass mir darauf auf, dass der sich heute nicht aus Versehen umbringt." Säuerlich wandte sie sich an mich und riss dann sofort die Augen erschrocken auf. „So meinte ich das natürlich nicht."
„Schon gut.", winkte ich schnell ab. Sie hatte es nur so dahingesagt. Es war alles gut. Anscheinend war ich inzwischen an dem Punkt, dass mich sowas nicht mehr triggerte.
„Viel Spaß" wünschte sie fahrig und verschwand dann mit schnellen Schritten und blass um die Nase zum Schulstall.
Lukas nahm mir Pantas wieder ab und sah ihr ebenfalls nach. „Gehts ihr gut? Oder was war das?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Sie macht sich nur sorgen, dass etwas aus dem Ruder läuft."
„Wenn du mich fragst, dann braucht sie mal Urlaub. Sie ist ständig von morgens bis abends hier. Durchatmen würde ihr eindeutig guttun." Er band Pantas drei Plätze von Viva entfernt an. Der Hengst stand unbeeindruckt guckend am Balken und streckte schließlich den Hals um schnaufend den Balken abzuschnüffeln und einmal quietschend hineinzubeißen. „Gut, der hier auch." Lukas klopfte ihm lachend den Hals. „Spinner!"
Viva hatte sich das alles nur angesehen, als wenn sie damit nichts zu tun haben wollen würde. Schnell ging sie dazu über sich zur Putzbox zu strecken und mit einem langem Giraffenhals zu versuchen an die Packung mit Leckerlies zu kommen, die Mama gestern einfach in die Box geschmissen hatte. Seufzend schob ich sie weg und versuchte die Tüte in Sicherheit zu bringen. Sie war jedoch schneller und hatte das Plastik mit den Zähnen gegriffen. Stolz nickte sie mit dem Kopf und verteilte damit den Inhalt über den halben Putzplatz.
Genervt stöhnte ich auf. „Danke Viva! Wirklich toll gemacht! Da gibt es bestimmt wieder Ärger von Hannah."
Lukas bemühte sich sichtlich nicht loszulachen und schnappte sich dann wortlos den Besen.
Viva ließ derweil enttäuscht die Tüte fallen und versuchte an die auf dem Boden liegenden runden Kekse zu kommen, aber der Anbinden war einfach nicht lang genug. Genervt schnaufte sie auf und knabberte an meinem Rücken, als ich mich bückte, um die Tüte aufzuheben, genauso wie alle Leckerlies in meiner Reichweite.
Was ein Tag!
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