Kapitel 21

Die Vögel zwitscherten in den hohen Bäumen. Sanft strich der Wind durch ihre Kronen. Die Hufe der Pferde hallten dumpf auf dem moderigen Waldboden wider. Von weitem konnte man schon das rhythmische Rauschen des Meeres hören.

Viva spielte aufmerksam mit den Ohren. Ihr rotbrauner Schopf wippte von links nach rechts, während sie in einem flotten und motivierten Schritt unserer üblichen Route folgte.

Donnatello tat es ihr gleich. Die langen bunt gefleckten Beine nutzte er voll auf und kaute entspannt auf seinem Gebiss. Immer wieder blinzelt er in das Sonnenlicht, das hin und wieder durch das grüne Blätterdach über uns drang.

Je weiter wir zur Küste kamen, desto mehr wurde der Wald von Schafweiden und schließlich Dünenlandschaften abgelöst. Der Strandroggen wiegte sie wie von unsichtbarer Hand geführt im immer stärker werdenden den Wind. Das Wellenschlagen wurde immer lauter.

Mama nahm die Zügel ihres Begleiters auf und ritt vor mir auf den schmalen Weg zwischen der zwischen den Dünen zur offenen Strandfläche führte. Unter dem Schild, dass mit einer schwarzen Eule auf gelbem Grund auf das Naturschutzreservat hinwies, prangte das vertraute Reitwegschild mit dem Hinweis „Privatweg Reitclub Cavallio".

Vivas Schritte wurden länger und sie legte sich deutlich mehr aufs Gebiss je näher wir der offenen Fläche kamen. Der Wind umfing uns zunehmend und es versprach ein ungemütlicher Strandgalopp zu werden. Auch wenn man Himmel keine Wolke zu sehen war und die Sonne schien, als müsse sie uns vor dem kommenden Herbst noch einmal beweisen, was sie alles konnte.

Donnatello hielt an und Mama drehte sich in dem abgewetzten hellbraunen Springsattel, der garantiert aus Hannahs Fundus stammte und irgendwann in grauer Vorzeit mal auf einem ihrer Pferde gelegen hatte, zu mir um. Ihr blauen Augen glitzerten unter dem Schirm ihres Reithelmes hervor und sie grinste breit, als sie fragte, „Bereit?"

„Klar." Viva stand auch schon deutlich in den Startlöchern und schlug ungeduldig mit dem Kopf.

Sie nickte und trat noch einmal fester in die Steigbügel, ehe sie die Zügel aufnahm und Donnatello quietschend davonstob. Wie immer war ich im ersten Augenblick fasziniert davon, dass meine Mutter so reiten konnte. Ich kannte sie immer nur vorsichtig und auf Nummer sicher gehend, aber in solchen Momenten schien ihre Jugend im Springsattel an die Oberfläche zu drängen. Der Sand stob auf, die Hufe hinterließen tiefe Spuren.

Viva kam kaum hinterher. Ihr schlanker Körper streckte sich unter meinem Entlastungssitz. Die kurz geschnittene Mähne flog im Wind. Ihre Sprünge wurden immer raumgreifender. Der Strand flog unter uns nur so dahin, die Wellen verschwammen zu einer einzigen blau-grauen Mauer. Tief atmete ich die frische Meeresluft ein und spürte den Wind in meinem Gesicht. Er zerrte an meiner Kleidung, als wolle er dass ich hier bleibe. Verdammt, ich hatte mich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt!

Prustend wurde meine Stute wieder langsamer und parierte schließlich in den Trab durch, als Mama und Donnatello wieder in Sicht kamen. Auch der Wallach pumpte heftig. Schaum lief ihm aus dem Maul und er sah aus, als würde er jeden Moment wieder so losrennen wollen.

Mama hatte ganz rote Wangen, aber ihre Augen strahlten mindestens genauso begeistert wie vorher, wenn nicht sogar mehr. „Das war ja was." Sie wischte sich mit dem Handrücken ein paar Haare aus dem Gesicht und tat dabei so als sei Donnatellos getänzel nichts was sie auch nur Ansatzweise stören würde. Was war das denn?

„Vorwarnen wäre schön gewesen."

„Wie? Ich hatte keine Ahnung, dass der so schnell wird. Hannah sagte nur er wäre länger nicht mehr im Gelände gewesen und davor nur mit Anfängern." Sie lachte und klopft dem Schecken den Hals. „Eine Schande, dabei bist du doch so ein toller Kerl!" Wie als hätte er sie verstanden, schnaubte er auf und ruckte einmal kurz mit dem Kopf. „Ab nach Hause, oder?", wandte sie sich wieder an mich, ehe sie anritt und Donnatello den nächsten kleinen verschlungenen Weg einschlagen ließ.

Der Wind wurde weniger, als wir wieder in dem Schutz der Dünen verschwanden, nur das Wehen des Standroggens deutete noch darauf hin, wie windig es eigentlich war. Manchmal lag er fast platt auf den Sandhügeln.

Nach kurzer Zeit hatten wir den Strand vollständig hinter uns gelassen und vor uns erstreckten sich die vom Deich geschützten Weizenfelder von Bauer Hinners. Mama ließ Donnatello wieder mehr Zügel.

„Was ein Wetter", schwärmte sie und verfolgte mit dem Blick ein paar Möwen, die über uns kreischten. „Wir waren wirklich schon seit Jahren nicht mehr zusammen ausreiten, kommt es mir vor."

„Das letzte Mal als Viva neu war und wir Fee noch nicht verkauft hatten."

„Stimmt. Da bist du das erste Mal mit Viva ausgeritten und sie hat sich vor diesem alten Ehepaar mit dem Regenschirm erschreckt."

Das hatte sie. Quietschend war sie über den Weg gehüpft, als würde sie sich darüber eschauffieren, dass es jemand wagte, so eine Monstrosität wie einen Regenschirm in ihrer Gegenwart zu benutzen.

Bei der Erinnerung musste ich kichern und wuschelte ihr einmal durch die Mähne. Sie hatte manchmal ihre fragwürdigen Anwandlungen.

„Hach, ich weiß noch mein erstes Pferd hatte am Anfang Angst vor Möwen. Wenn er sie nur schreien gehört hat, ist er schon beinahe kopflos geworden. War ich froh als Viva nur meckerte und einen großen Satz zur Seite machte. Da konnte ich dann meine Mutter endlich mal verstehen."

„Du sagtest immer Milky wäre lieb gewesen."

Sie zuckte mit den Schultern. „War er auch, aber ich war ihm mit dreizehn einfach nicht gewachsen und meine Eltern hatte keine Ahnung. Bei dir wollte ich es einfach besser machen und habe das anscheinend auch hinbekommen. Du musstest kein Vierjähriges Pferd erst erziehen, ehe du damit wirklich gute Erinnerungen sammeln konntest."

Jetzt erklärte sich auch, warum sie Donnatello ohne jegliche Scheu behandelte. „Hättest du nicht gerne wieder ein Pferd nur für dich?"

Sie lachte auf. „Höre ich da einen Hintergedanken heraus junge Dame?"

Als ob ich daran gedacht hatte, wie schön es wäre Viva nur für mich zu haben. Ich rollte mit den Augen. „Das meinte ich nicht!"

Mama schüttelte den Kopf. „Es ist gut, wie es ist. Ein Pferd reicht erst Mal. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn du zum Studium wegziehst und Viva mitnehmen solltest. Aller, aller spätestes, wenn ich in Rente gehe, aber bis dahin ist noch ganz viel Zeit."

„Wenn ich zum Studium weggehe." Ich hatte immer noch keine Ahnung, was nach dem Abitur kommen würde. Je näher es kam, desto mehr fühlte ich mich wie ohne Kompass auf dem offenen Meer aussetzt. Was wusste ich jetzt, was ich für den Rest meines Lebens machen wollte?

„Das dauert auch noch. Gott, zwei Jahre noch. Das wird alles schon."

Als wir wieder auf den Hof ritten, kam Hannah uns schon entgegen. Sofort als sie uns sah, grinste sie breit und blieb schließlich vor Mama und Donnatello stehen.

„Warum kommt mir das Bild so bekannt vor?"

„Er sieht ein bisschen aus wie Milky", murmelte Mama mehr zu sich selbst als zu Hannah.

Die hatte sie trotzdem verstanden. „Und wie war er?" Sie wischte sich die Finger an der grauen Reithose ab.

„Der hat ganz schön Feuer!"

„Viva kam kaum hinterher."

Hannah lachte auf. „Das bisschen Kardio hat ihr auch nicht geschadet." dann wandte sie sich an Mama. „Der springt auch gut. Vielleicht willst du ihn mal in einer Stunde reiten."

„Wo denkst du hin? Die Zeiten sind vorbei." Kopfschüttelnd schwang sich Mama aus dem Sattel und nahm die Zügel vom Hals des Scheckens, ehe sie die Steigbügel umschlug und den Sattelgurt lockerte. „Wenn wir gerade darüber reden. Wo ist dein Vater? Ich hätte da etwas, wozu ich ihn gerne einladen würde."

Hannah zuckte mit den Schultern, wobei der Stoff ihrer beerenfarbenen Weste leicht knisterte. „Du, was weiß ich. Im Zweifel immer im Haus." Mit ihren langen und buntlackierten Fingernägeln fischte sie ihr Handy aus der Hosentasche, gefolgt von ihrem dicken, lautklimpernden Schlüsselbund mit dem abgewetzten Stoffpferdchen. „Ich muss jetzt auch, wollte nur mal hören, wie es war und ob alles gut ist." bei letzterem fiel ihr Blick auf mich.

Ich lächelte ihr zu. „Alles in Ordnung. Wie immer."

Zufrieden nickte sie und zog ihren blonden Pferdeschwanz noch einmal nach, dann winkte sie uns mit ihrem Schlüsselbund zu. „Bis morgen. Ich muss jetzt erst Mal Weide machen. Vatta drängt drauf."

Mama machte gerade den Mund auf, um ihre Hilfe anzubieten, da war Hannah schon n der kleinen Gasse zwischen Weidezaun und Reithalle verschwunden, in der das Baumaterial seit Tagen auf seinen Einsatz wartete. Einer der Bereiter fuhr grüßend mit einem Radlader an uns vorbei. Kurz sah Mama enttäuscht aus. Bestimmt war das auch eine Erinnerung aus ihrer Jugend. Elli hatte mal erzählt, dass sie und Lina so viel Mist zusammen gemacht hätten jedes Jahr, wenn sie zum Weideeinsatz eingeteilt gewesen waren. Heute gab es das nicht mehr. Der Hof war gewachsen und damit auch der Anspruch der Reiter an die Vollpension ihrer Pferde.

Ich ritt noch weiter bis vor den Stall in dem Viva ihre Box hatte. Dort schwang ich mich auf dem Putzplatz aus dem Sattel.

Noch ehe ich die Steigbügel hochmachen konnte oder auch nur daran denken meinen Reithelm abzunehmen, knackte es schon wieder in den Büschen. Das war doch eigenartig.

Mein Puls schnellte in die Höhe und ich konnte deutlich das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Da war jemand, das konnte ich deutlich fühlen. Genauso wie dass dieser Jemand mich beobachtete. Wieder dachte ich an die Hubers und versuchte mir einzureden, dass sie im Knast saßen und ich eindeutig sicher vor ihnen war.

„Hallo?" Sollte ich nicht besser hingehen und gucken als im dünnsten Stimmchen, dass ich draufhatte zu rufen? Andererseits hatte mir Mut nicht viel Glück gebracht beim letzten Mal, dass ich einfach etwas getan hatte, ohne darüber nachzudenken.

Nichts passierte. Ich verharrte in meiner Bewegung und fixierte den Busch. Es war, als würde alles und jeder seine Luft anhalten. Selbst Viva rührte sich nicht, dabei bettelte sie sonst spätestens jetzt um ein Leckerchen aus meiner Hosentasche.

Schnell klaubte ich meine Sachen zusammen und zog mich mit Viva am Zügel in den Stall zurück, in der Hoffnung unser Beobachter würde uns dahin nicht folgen können.

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