Kapitel 17

Müde schloss ich die Augen und lauschte einfach nur der ruhigen Stimme unserer Erdkundelehrerin. Sie sprach über die grünen Hügel des Südamerikanischen Regenwaldes und den dicht bewaldeten Ufern des Amazonas.

Vor meinem inneren Auge konnte ich deutlich die Stromschnellen im grünlich, braunen Amazonaswasser sehen. Die Bäume standen dich an dicht und hatten so gar nichts mit unserer heimischen Laub- und Nadelwaldpopulation gemein. Bestimmt klang er auch anders. In meinem Kopf klang er wie das Tropenhaus im Hagenbeker Tierpark, aber irgendwie was das doch falsch. Tonband aufnahmen, die in Endlosschleife für gelangweilte Europäer auf der Suche nach dem exotischen Gespielt wurde hatte bestimmt nichts mit der wahren Klangwelt des Jungels zutun.

Zoos waren strenggenommen ganzschön dekadent. Wir hatten Langeweile und besahen uns Tiere, die wir sonst nur im Fernsehen betrachten konnten, wann immer wir wollten. Es kostete eigentlich viel zu wenig und...

„Frau Matzke, sie arbeiten mit unserem Neuzugang zusammen. Eurer Mädels Clique tut das mal ganz gut. Ihr werdet mir die Tierwelt des Amazonasdeltas präsentieren. PowerPoint. Ich möchte keine Plakate sehen. Wir sind hier ja nicht mehr im Kindergarten."

Hilfesuchend sah ich zu Charly herüber, die hilflos die Hände hob und gekniffen zu Nona herüberblickte. Es hätte mich also auch schlimmer treffen können als Benji. Vielleicht war er ja ganz okay.

„Man, diese..." Charly biss sich rechtzeitig auf die Zunge und sprach schnell leise weiter. „Echt! Was soll das? Wir hätten diese Tiere sowas von gerockt und jetzt muss ich mit Miss Ich-bin-ja-soooo-cool irgendetwas über Kanibalenstämme schreiben. Zumindest habe ich das durchbekommen." Sie grinste schief und angelte sich ihre Federmappe, die schon bessere Tage gesehen hatte und viel zu bunt für Charlys sonstige Erscheinung war. „Viel Spaß mit dem Neuen. Vielleicht hilft er gegen deine Lukas Obsession, wenn er nett ist."

Ich wollte gerade protestieren, da war Charly schon mit ihren Sachen auf dem Arm zu Nona gestiefelt. Ihr gutgelauntes „Was geht Bitch?", sorgte jedoch nur dafür das Nona mal für eine Minute ihre Nagelfeile sinken ließ und mit den Augen rollte. Ich hätte so gerne mit ihr getauscht. Meinetwegen hätte Charly sogar alle brutalen Details, die sie nur so finden konnte an mir auslassen dürfen. Sogar einen Flashback hätte ich in Kauf genommen.

Benji ließ sich auf Charlys Platz sinken und blickte mich einfach nur erwartungsvoll an. Er hatte etwas von einem Pinguin, wenn er so da saß. Die Mütze trug zu dem Eindruck eindeutig bei, genau wie das stumme vor sich hin blinzeln. Warum sagte der Typ nichts?

„Hast du schon eine Idee?", kam es mir heiser über die Lippen. Unbehagen setzte sich in meinem Magen fest und ich bemühte mich seinem Blick stand zu halten.

Er blinzelte noch einmal und noch Mal, dann öffnete er den Mund und schloss ihn sofort wieder. Das konnte ja etwas werden und trug eindeutig nicht dazu bei, dass mein Bauchgefühl besser wurde. Nach noch Mal einigen Minuten des Starrens schüttelte er den Kopf.

Unschlüssig biss ich mir auf die Unterlippe und überlegte das Ganze einfach alleine zu machen. Ich fand Benji zunehmend unheimlich, wie er mich anstarrte. Als wäre ich das siebte Weltwunder, ach ja das war ich hier in der Gegend ja. Das Mädchen das überlebte. Könnte auch fast eine Prophezeiung sein. Nur das meine Endgegener sicher im Gefängnis saßen und wenn ich mich nicht täuschte das Sonnenlicht nie wieder als freie Menschen sehen würden.

Ich suchte Charlys Blick, die sah aber voller Begeisterung auf ihr Handy und hielt Nona etwas hin, was jene nur bleich werden ließ. Toll. Und ich hatte diesen glubschenden Fisch! Sogar Nona wäre besser.

„Im Buch ist eine Seite"

Überrascht wandte ich mich wieder dem Fisch zu. „Hmm?" Es hatte gesprochen.

„Seite 217." Er lächelte verhalten und irgendwie eigenartig. Es war kein typisches Lächeln. Die Mundwinkel ging komisch nach oben, so als ob er sich nicht sicher wäre und doch irgendwie stolz auf sich.

Schnell sah ich weg und zum Fenster. Eine Gruppe älterer Schüler stand draußen und besah sich etwas im Schulgarten. Ganz am Rand standen zwei Jungs, die Hände tief in den Taschen ihrer Jeans vergraben und miteinander reden. Beim zweiten Hinsehen wünschte ich mir, ich hätte nicht hingesehen. Natürlich musste er dastehen. Cool, unnahbar und mich konsumierend wie eh und je. Warum konnte das Glück nicht einmal auf meiner Seite sein und Lukas Stüwe mal nicht in meinem Blickfeld stehen lassen. Unweigerlich seufzte ich leise und schlug das Buch auf.

„Dein Freund?", wollte Benji wissen.

Ich schüttelte den Kopf. „Nicht in diesem Leben und auch nicht im nächsten." Das wäre wohl nicht einmal gelogen und der Text über die Fauna sehr viel wichtiger als irgendwelche gelangweilten, reichen Schnösel mit schönen Augen und bezaubernden Lächeln.

„Hm", machte Benji und beugte sich dann ebenfalls über sein Buch, als ich kurz zu ihm herübersah, um zu prüfen, wo er wohl gerade im Text war, meinte ich das etwas anders an ihm war. In seinen Augen glitzerte etwas Neues. Es war wie bei einem Kind, dem jemand einen Lolli gegeben hatte und sagte es dürfe ihn erst Zuhause auspacken, die Süßigkeit wäre etwas ganz besonderes und leckeres. „Die Riesenotter sind irgendwie cool." Er legte einen Finger auf das Bild eines Otters mit seinen Jungen.

„Ich wusste nicht mal, dass es sie gibt."

Okay. Er war also von den Ottern fasziniert und ich offiziell absolut paranoid.

Überrascht sah er vom Buch auf und musterte mich. Sein Blick war durchdringend, als würde er versuchen bis in mein tiefstes Inneres zu sehen. Unbehaglich rutschte ich auf meinem Stuhl zurück. Vielleicht war ich doch nicht paranoid und der Typ wirklich komisch.

„Dann nehmen wir ihn wohl in unseren Vortrag?", schlug ich zögerlich vor. Ich würde wohl kaum die Einzige sein, die nicht wusste, dass diese Wesen auf unserer Erde wandelten.

Er nickte und zog sein Handy aus der Hosentasche. „Klar. Gibst du mir deine Nummer?"

Alles in mir schüttelte sich bei der Frage. Das würde ich garantierte nicht tun! Er brachte so viele Alarmglocken bei mir zu klingeln, wie ein Erdbeben und ein Tsunami gleichermaßen in Japan. Da würde ich ihm bestimmt nicht meine Nummer geben.

„Nur für den Vortrag." Er hatte wohl meinen erschrockenen Blick bemerkt. Trotzdem war da noch dieses kleine Etwas das mich zögern ließ. Er sah mich an, wie ein Jäger, der seine Augen auf ein Ziel gerichtete hatte, bereit den Abzug der Flinte zu drücken. Nur war ich kein mächtiger Hirsch, der blutend auf dem Boden einer Lichtung liegen würde, eher war ich das Reh das schneller als er gucken konnte, verschwand. „Also?"

Was drängte er denn jetzt? Ich biss mir auf die Unterlippe und sah wieder aus dem Fenster in der Hoffnung vielleicht doch noch einen Blick auf Lukas zu erhaschen. Einfach um auf andere Gedanken zu kommen und Benji eventuell wieder als normalen Menschen wahrzunehmen. Aber die Gruppe war weg und mit ihnen Lukas, dieses verdammte Arschloch, von dem ich wohl doch nicht loskam. Vielleicht war ich wirklich etwas obsessiv.

Tief atmete ich durch und fischte mein Handy aus der Jackentasche. Was sollte schon passieren? Er war doch eigentlich nett und konnte nichts dafür, dass mein Kopf gerade in jedem eine potentielle Gefahr sehen wollte.  

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