Kapitel 10
Das Turnier lief im Großen und Ganzen wie das letzte. Es gegafft, es wurde getratscht und ich war nicht bei der Sache. Viva riss das Alles so gut sie konnte für mich raus und Hannah war immer noch der Meinung ich solle mir eine Pause gönnen.
Liz stand bei Thilo und Ole. Sie waren ziemlich tief in einer Unterhaltung versackt und ich kam mir fehl am Platz vor. Ich hatte nichts zu sagen und beobachtete stumm den Turnierplatz in der Hoffnung, Lukas und das Mädchen nicht noch mal zusammen zu sehen. Allein der Gedanke daran ließ mein Herz schmerzen.
Warum musste alles momentan so bittersüß sein? Immer auf der Grenze zwischen Wahnsinn und etwas das sich zumindest in Grundzügen wie Alltag anfühlte. Wann kam der Resetknopf? Wo war mein Weg zurück in mein altes Leben.
Ich wollte wieder unsichtbar sein. Normal und nicht mit so einer Geschichte behaftete.
Thilo hielt mir plötzlich sein Handy unter die Nase. „Ist das nicht süß?"
„Was?" Verwirrt blickte ich auf den Bildschirm und musterte das Foto darauf. Sein langbeiniger Brauner stand Nase an Nase mit dem Familienhund. „Ja, niedlich." Ich bemühte mich um ein Lächeln. Zumal ich schon wieder Blicke im Rücken spürte.
„Wieder am Träumen gewesen?", zog Liz mich grinsend auf und stupste mich zwischen die Rippen. Ihre Laune war in keiner Spur von ihrer schlechten Runde im Parcours getrübt worden. Allgemein hatte ich das Gefühl sie schwebte seit der Nachhilfe von Ole auf Wolke Sieben und Mathe würde eventuell doch noch zu ihrem Lieblingsfach werden.
Schnell nickte ich. Ich hatte mich eher in meinen Sehnsüchten verrannt.
„Noch Mal danke, wegen Mathe. Ich verstehe den Kram zumindest mal zur Hälfte." Liz wandte sich schnell wieder den beiden Jungs, oder vielmehr ihrem Angebeteten.
Ole winkte ab. „Kein Problem."
„Ich verstehe den Scheiß auch nicht. Vielleicht sollte ich mich Mal dazusetzen." Thilo streckte sich und stopfte sein Handy wieder in die Tasche seiner Jacke.
Liz warf ihm sofort einen vernichtenden Blick zu.
Thilo musste schlucken, rücke verlegen seine Brille zurecht und setzte in diplomatisches Lächeln auf. „Obwohl so wichtig ist es auch nicht."
Ich suchte derweil mit dem Blick noch nach Lukas. Ein Mal wollte ich Glück haben und zumindest die Möglichkeit haben ihn abzupassen.
„Wenn du ein gutes Abi haben willst..." Liz seufzte und ich spürte ihren Blick auf mir.
„Geh weg damit. Ich bin froh, wenn ich bestehe und sich damit die Sache hat. Studieren steht eh nicht so auf meiner Agenda."
„Was hast du nach dem Abi vor?", mischte sich nun auch Ole wieder ein.
„Ich werde Sattler, egal was meine Eltern sagen. Ich sehe mich nicht in einem Hörsaal sitzen. Und bei euch so?"
Damit hatte er dann für einen Augenblick auf meine volle Aufmerksamkeit. Das hatte ich jetzt nicht erwartet. Auf mich machte er immer den Eindruck eines angehenden Tierarztes.
„Was?", verwirrt sah Thilo zwischen uns hin und her.
„Ich hätte Tierarzt getippt", sprach Liz meinen Gedanken aus.
„Alter, ich setzte in meinem Leben keinen Fuß in einen Schlachthof!" Thilo schnaubte auf und schüttelte sich. „Außerdem spätestens, wenn ich ein Tier einschläfern müsste, wäre Schluss. Passt doch viel besser zu dir, du bist doch nicht so feinfühlig."
Und wie Liz das sein konnte. Vielleicht nur nicht immer nachaußen.
„Pff. Ich studiere Psychologie. Das habe ich schon ganz tief im Herzen für mich manifestiert." Sie machte eine übertriebene Geste und grinste breit. „Mir egal wie oft ich mir noch anhören muss, dass mein Schnitt noch nicht gut genug ist. Ich packe das schon."
„Deinen Optimismus will ich haben." Thilo seufzte. Den würde ich auch sofort nehmen. Vielleicht könnte ich dann auch endlich daran glauben, dass alles gut werden würde.
„Und du?" alle wandten sich Ole zu.
Er zuckte mit den Schultern. „Architektur."
„Echt? Wie kommt das, denn?" Liz war natürlich Feuer und Flamme.
Dass sie Ole damit in Verlegenheit brachte, schien ihr nicht mal aufzufallen.
„Keine Ahnung. Fühlt sich einfach richtig an."
„Marie?", wandte sich Thilo an mich, als gerade Lukas an uns vorbeilief. Den Hund seiner Mutter an der Leine und in Richtung Lkw. Ich bekam Thilos Frage nicht wirklich mit.
Lukas sah wieder unglücklich aus. Die Schultern hingen und er trug sein perfektes Pokerface, das zur Schaustellen sollte, wie scheißegal ihm alles war. Ich wusste, wie es dahinter aussah. Warum ging er nicht offen damit um, dass es litt? Diese tiefen Ringe unter den Augen konnte ich nur zu gut verstehen.
„Marie?" Liz wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht rum.
Widerwillig hörte ich auf ihm nachzusehen.
„Das muss aufhören!", stöhnte meine beste Freundin auf und bekam von Ole ein zustimmendes Nicken.
„Kinnas, ihr müsst mal miteinander reden, das hält doch kein Schwein mehr aus."
„Das war das Norddeutscheste, was ich jemals von dir gehört habe." Thilo musste lachen.
Ole schüttelte bloß den Kopf. „Geh ihm hinterher. Er wird von selbst nicht auf dich zukommen. Auch wenn er gerne würde. Luke steht sich selbst im Weg. Keine Ahnung, was er sich da einredet, warum er nicht mit dir reden kann, aber es bröckelt langsam."
Ich sah ihn zweifelnd an.
„Wirklich, Marie, geh! Du kannst mir da glauben."
Liz stieß mich gegen die Schulter. Wahrscheinlich auch nicht ganz uneigennützig. Thilo war noch ahnungsloser als ich und würde 100 Prozent nicht blicken, dass sie schon wieder massiv Ole anbaggerte. Für Liz eindeutig genug um die Operation Schwede, wie Charlie sie getauft hatte weiter zu vertiefen.
Noch einmal sah ich unsicher in die Runde, dann lief ich Lukas mit weichen Knien nach.
Matty, die rötlich-beigefarbene Hündin seiner Mutter nahm gerade große Schlucke aus einer der Wassereimer für die Pferde. Pantas, für den der Eimer wohl eigentlich war schnorchelte irritiert und schien hin und her gerissen zu sein, zwischen Ausrasten und Abwarten. Lukas war natürlich die Ruhe selbst, während mein Puls in so einer Situation wahrscheinlich schon auf 180 wäre.
Sich die Lefzen leckend ließ Matty von dem Eimer ab und wedelte freudig mit der Rute als sie mich näherkommen sah. Sofort blickte Lukas auf und meinte kurz Wärme in seinem Blick aufflammen zu sehen. Viel zu kurz, dann zeigte er mir wieder die kalte Schulter, obwohl Matty mit ihrem ganzen Gewicht in meine Richtung zog.
Schwer schluckend blieb ich in einiger Entfernung stehen. Ich könnte immer noch zurück zu den Anderen gehen und so tun, als hätten wir gesprochen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich den Mund aufmachte. „Können wir vielleicht dieses eine Mal reden?"
Keine Regung.
„Bitte, ich weiß nicht, was ich dir getan habe. Aber ich drehe bald durch."
Pantas spielte angespannt mit dem Schweif und machte den Rücken fest. Er wagte es gar nicht zu trinken und auch Matty hatte aufgehört zu ziehen. Es war, als würden alle die Luft anhalten.
Lukas schüttelte einfach nur den Kopf. Er drehte sich nicht Mal zu mir um.
Ich hätte schreien können. Es war, als würde mir jemand einen Glühenden Stab in die Brust rammen. Warum sagte er nichts? Warum? Verzweiflung schwappte in mir hoch.
„Bitte", flehte ich tonlos mit zitternder Stimme. Das musste doch irgendetwas in ihm auslösen. Irgendetwas.
Pantas Ohrenspiel nahm zu und der Hengst machte nervös einen Schritt zurück.
Ganz langsam und zögerlich drehte sich Lukas zu mir um. In seinem Gesicht spiegelte sich das erste Mal all das Leid offen. Es war faszinierend, wie sich Schmerz, Angst und Qualen durch seine makellose Maske brachen. Sein Blick war roh und von all der Pein gezeichnet, die auch ich jede Nacht ertragen musste.
Mein Herz beschleunigte sich freudig und kurz keimte Hoffnung in mir auf. Er sah mich endlich mal an und öffnete die Lippen, um etwas zu sagen. Meine Mundwinkle zuckten verzweifelt nach oben.
„Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben."
Meine Augen wurden groß und ich stammte „Wa ... was?" Er machte Witze. Das ... das musste ein Witz sein. Er meinte das nicht so. Garantiert.
„Es ist besser so. Hör auf mir zu schreiben."
Wie konnte er so trocken und abgeklärt klingen, aber mich ansehen, als würde ich ihm gerade das Herz rausreißen? Wie ging sowas? Wie konnte man so sein?
Ich schüttelte einfach nur den Kopf. Nein! Das war ein wirklich schlechter und blöder Witz. Meine Unterlippe fing an zu zittern und alles in mir fuhr Achterbahn. Er meinte das nicht so. Ganz bestimmt! Ganz sicher! Das war alles nur Show.
„Geh!"
Matty winselte leise und schlich mit rundem Rücken zurück zu Lukas. Sachte stieß sie ihm gegen den Oberschenkel, als würde sie ihn trösten wollen.
„Geh, verdammt noch mal!"
Ich zuckte zusammen. In meiner Brust wurde es ganz eng. Mit zitternden Händen drehte ich mich langsam um. Ich hoffte er würde noch etwas sagen. Irgendetwas. Ich wollte mich doch nur an etwas festklammern. So durfte unsere Freundschaft doch nicht enden! Nicht wenn ich nicht wusste, was los war! Was sollte das? Warum log er so?
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