Verfolgt
Ein Knall zerreißt die Luft, Staub wird aufgewirbelt. Irgendwo fängt ein Kind an, zu weinen und ein Pärchen schaut wie versteinert zu, als ein Mann an ihnen vorbeirrennt, eine Pistole in seiner Hand.
Heiße Luft strömt ihr entgegen, als sie durch das Fenster klettert und in die fremde Wohnung einsteigt. Hinter sich hört sie den Mann rufen. Er ruft ihren Nachnamen, verlangt von ihr, dass sie stehen bleibt, aber sie läuft zur Haustür, die auf der anderen Seite liegt und damit an der nächsten Straße.
Der Mann hat beobachtet, wie sie durch das Fenster kletterte. Er folgt ihr nicht, er weiß, wo sie hinwill. Gehen lassen kann er sie aber nicht. Sie hat Informationen und wenn sie diese weitergibt, wird es ihm den Kopf kosten. Wortwörtlich.
Sie stößt die Haustür auf und ignoriert die junge Frau, die sie anschreit, was zur Hölle sie in ihrer Wohnung zu suchen hat.
Sie rennt die Straße hinab, Angst steigt in ihr auf. Es ist einer ihrer bisher wichtigsten Aufträge und sie ist so nah dran an der Lösung.
Sie soll jemanden finden und sie weiß, wo er wohnt.
Nur ein paar Informationen, die sie jetzt besitzt, könnten das Leben einer Person zerstören. Doch nun wird sie verfolgt und ihr Leben könnte vorbei sein, wenn sie es nicht schafft, zu entkommen.
Der salzige Geruch von Meerwasser steigt ihr in die Nase und sie hört die Möwen kreischen. Das Meer wird ihr Retter sein.
"Bleib stehen!" Verdammt. Er hat sie gesehen und ist ihr wieder auf den Fersen. Ihre Füße berühren kaum den Boden, so schnell rennt sie.
Ihr Blick ist auf das Meer gerichtet, dass zwischen den Häusern hervorschaut.
Sie darf sich jetzt nur nicht in den engen Gassen der Altstadt verlaufen, sonst ist sie dran.
Ein einziger Gedanke hat sich in ihr Unterbewusstsein eingebrannt: Du musst das Meer erreichen.
Einige Leute schreien oder starren einfach nur, als beide an ihnen vorbeilaufen. Man sieht nicht jeden Tag eine solche Verfolgungsjagd.
Der Mann gibt einen weiteren Schuss ab, der zwar daneben geht, aber eine Hauswand trifft. Putz splittert ab und die Angst macht sich wieder bemerkbar.
Sie will noch nicht sterben.
Sie hört ein Auto und Erleichterung macht sich breit in ihrem Herzen. Sie hat fast die Uferpromenade erreicht, dann kann sie die Altstadt hinter sich lassen. Sie weiß, er wird ihr dennoch folgen, auch wenn sie von Menschen umgeben sein werden. Er wird sich lieber vergewissern, dass sie tot ist, auch wenn er dafür ins Gefängnis muss.
Das ist das Problem daran, wenn Geheimnisse töten können.
Sie erreicht die Straße, alles ist voll mit Menschen. Überall sind Familien, Eltern, die ihren Kindern ein Eis kaufen, jede Menge Leute, die den ahnungslosen Touristen verschiedenste Dinge für viel Geld andrehen und Pärchen, die den Blick aufs Meer genießen.
Ohne nach rechts oder links zu schauen, stürzt sie auf die Straße. Fast wird sie von einem Auto erwischt, aber es bremst gerade noch rechtzeitig ab und hupt sie an.
Sie schaut nicht zurück und hofft, dass ihr Verfolger wegen dem Auto abbremsen musste.
Sie drängt sich durch die Menschen hindurch und hört den Mann, der sie ruft, aber sie bleibt trotzdem nicht stehen. Stattdessen eilt sie die Treppe hinunter, die zum Strand führt. Sie stößt einen Mann zur Seite, der ihr den Weg versperrt.
Er schreit ihr nach, dass sie gefälligst aufpassen soll.
Ihr Leben ist wichtiger als seine verletzten Gefühle, denkt sie sich.
Sand umschließt ihre Füße und ihre Schuhe versinken fast darin. Ihre Füße tragen sie zum Meer, gesteuert von dem Gedanken, endlich in Sicherheit zu sein.
Der Sand zwingt sie dazu, langsamer zu laufen, aber sie zwingt sich, nicht über die Schulter zu blicken. Immer, wenn man das macht, ist einem der Tod so gut wie sicher.
Eine Frau regt sich darüber auf, dass sie auf ihr Handtuch tritt, doch sie ignoriert es.
Die Erlösung kommt, als sie sich ins Wasser stürzt. Sie watet tiefer hinein, ein paar Meter, bis das Wasser etwas tiefer wird.
Sie weiß, wie komisch es für die unwissenden Leute am Strand sein muss, zu sehen, wie eine Frau mitsamt ihren Klamotten ins Wasser springt und dann nicht mehr auftaucht.
Denn in ihrem Kopf sieht sie ein Bild und ihr Körper verformt sich, ihre Haut verändert sich und ihre Haare verschwinden, ihr Körper streckt sich und nur wenige Sekunden später taucht sie als Orca durch das Wasser. Nur ihre Rückenflosse lässt auf ihre Präsenz schließen, aber ihr ist egal, dass sie hunderte Leute so sehen - die Verwandlung haben sie nicht gesehen, denn die fand unter Wasser statt. Den Rest können sie sich denken.
In ihrem Kopf hört sie jemanden fluchen. Gut, dass der Mann kein Seawalker sondern Woodwalker war und im Wasser keine drei Minuten überleben würde, sollte er versuchen, ihr zu folgen.
Erst, als sie weit weg vom Ufer entfernt ist, fühlt sie sich wirklich sicher. Hier verfolgt sie niemand - und wenn doch, ist sie wahrscheinlich schneller oder stärker oder kann irgendwie fliehen. Und das wichtigste: Sie kann zu ihrem Arbeitgeber gehen und ihm mitteilen, was sie herausgefunden hat. Und dann wird sie ihren neuen Auftrag erhalten: Die Person ausfindig machen, die ihr Verfolger schützen wollte.
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