23 | Funkstille

C H A R L I E

Die Sonnenstrahlen scheinen durch das Fenster, während im Hintergrund Musik läuft. Ich stehe in der Küche und warte darauf, dass mein Lebenselixier endlich zubereitet ist und ich in den Tag starten kann. Außerdem möchte ich nicht meinem Großvater über den Weg laufen, da er es sich zur Aufgabe gemacht hat, mich wieder glücklich zu sehen. Und dafür fährt er alle Geschütze hoch, die er zur Verfügung hat. Auch wenn es bedeutet, jemanden zu erwähnen, über den ich nicht unbedingt nachdenken möchte.

Gekonnt nehme ich die Tasse mit dem frisch gemahlenem Kaffee in die Hand und lausche den Klängen des Radios. Ich fühle mich besser, auch wenn unvollständig. Als würde etwas Entscheidendes in meinem Leben fehlen. Ich versuche dieses Gefühl jedoch zu ignorieren, auch wenn mein Herz schreit und mich gleichzeitig verflucht. Dafür habe ich die letzten Wochen damit verbracht, meine anderen Wünsche in die Tat umzusetzen. Und mit jedem Tag, der vergeht, komme ich meinem Ziel näher.

Und ich weiß genau, wem ich das zu verdanken habe, auch wenn ich es mir eigentlich nicht zugestehen will.

Mit einem Seitenblick schaue ich auf die Uhrzeit und bemerke, dass ich noch genügend Zeit habe, ehe ich losmuss.

In meinen Gedanken gehe ich all die Punkte nochmals durch, die ich unbedingt nicht vergessen darf. Außerdem freue ich mich total auf das heutige Gespräch. Es wurde endlich Zeit, dass ich die Initiative ergreife und mein Leben selbst in die Hand nehme. Lange genug habe ich mich kommandieren lassen und vergessen, was eigentlich zählt.

»Guten Morgen, Kleines«, höre ich die Stimme von meinem Großvater, der sich leise an mich herangeschlichen hat, sodass ich zusammenzucke und leise auf quieke.

»Musst du mich so erschrecken?«, erwidere ich mit stark klopfendem Herzen und atme tief ein. Sobald ich mich halbwegs beruhigt habe, sehe ich ihn tadelnd an. Trotzdem schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. »Guten Morgen. Willst du auch einen Kaffee?«

Dankend nickt er mir zu, ehe er sich hinsetzt und die Zeitung aufschlägt. Augenverdrehend wende ich mich ab, da ich bereits weiß, was jetzt kommen wird. Jeden Morgen führen wir das gleiche Gespräch. Wie eine Schallplatte, die einen Sprung drin hat.

»Mal sehen, was heute hier drin steht.«

»Ich hoffe doch, dass der Artikel, den du mir seit vier Wochen vorliest, nicht mehr veröffentlicht wurde.«

Sein rechter Mundwinkel zuckt nach oben, bevor er sich räuspert und den Kopf schüttelt. »Tatsächlich ist er nicht mehr da, aber es gibt hier etwas, dass dich vermutlich interessieren könnte.«

Nicht ganz überzeugt, runzle ich die Stirn, nachdem ich die Tasse vor ihm abstelle. »Wenn es etwas mit Cole Bennett zu tun hat, dann will ich es nicht wissen.«

»Bist du dir sicher?«, hakt er nach, ehe er einen Schluck nimmt und mich mit einem komischen Ausdruck mustert.

»Ja, ich bin mir sicher«, versuche ich es so überzeugend wie möglich zu sagen und nicke noch zusätzlich mit dem Kopf, um meine Worte zu unterstreichen.

»Auch nicht, wenn es darum geht, dass er die Firma verlassen hat und seine eigene gründet?«

Sofort halte ich mir die Hand vor dem Mund und huste, da ich mich an meinem Getränk verschluckt habe.

Was sagt er da?

Hektisch reiße ich ihm die Zeitung aus den Händen und überfliege den Artikel und das Interview. Mit großen Augen lese ich mir immer wieder die Worte durch, die mich so sehr überraschen. Nie hätte ich damit gerechnet, dass er diesen Schritt wagen wird. Denn das heißt, dass er sich nun ebenfalls komplett von ihnen gelöst hat. So wie ich es getan habe.

»Was? Wieso tut er das?«, murmle ich vor mich hin, jedoch hat mich mein Opa gehört, da er mich mit einer erhobenen Augenbraue mustert.

»Nun ja, er will dir zeigen, dass die Worte deiner Mutter nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Und da du nicht mit ihm reden möchtest, auch wenn er dich anruft, sucht er einen anderen Weg, um es dir zu zeigen.«

Skeptisch richte ich meinen Blick auf den Mann, der mir die letzten Wochen viel beigestanden ist und für mich da war. Ohne jegliche Fragen zu stellen.

»Wieso weißt du das so genau?«

Unschuldig zuckt er mit den Schultern. »Im Gegensatz zu dir, rede ich mit ihm und stehe ihm zur Seite. An dieser Stelle muss ich sagen, dass ich mehr von dir erwartet hätte.«

Mein Mund öffnet sich, ehe er sich wieder schließt. Kein Laut kommt mir über die Lippen, so perplex fühle ich mich. Er redet mit ihm? Und worüber?

»Sieh mich nicht so an. Ich hatte Mitleid mit dem Jungen, als er ins Haus gestürmt ist und deine Mutter zur Rede gestellt hat.«

Tief seufze ich auf, als ich mich auf den Stuhl fallen lasse und nicht weiß, was ich sagen soll. Cole Bennett hat tatsächlich auf sein Erbe verzichtet. Diese Tatsache ist keine leichte Kost.

Meine Hände massieren meine Schläfen, da sich die Kopfschmerzen ankündigen, ehe ich mich nach hinten lehne und meine Beine anwinkle.

»Meine Eltern haben mir mal wieder alles kaputt gemacht. Egal, was sie anfassen, es wird zerstört.«

»Und deswegen werden sie jetzt auch bestraft.«

Ich war dagegen, dass mein Großvater sich in die ganze Situation einmischt, jedoch wollte er sich nicht von mir aufhalten lassen. Er war außer sich vor Wut, als ich ihm alles bis ins kleinste Detail erzählt habe, nachdem er mich am Straßenrand gefunden hat.

»Darüber rede ich nicht mit dir«, erwidere ich nur darauf.

Es wäre auch sinnlos. Wir sind in dieser Sache unterschiedlicher Meinung. Während mein Großvater ihnen jetzt das Leben schwer macht, will ich einfach nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Also halte ich mich da raus. Sollen sie sich doch bekriegen. Wenn ich meine Ruhe weiterhin behalten kann, können sie machen, was sie wollen.

Viel mehr will ich mich auf mich selbst konzentrieren. Seit zwei Wochen tue ich endlich das, was ich seit Jahren hätte machen sollen. Ich beschäftige mich mit meinem Leben und meinen Entscheidungen. Mache das, was ich immer wollte und wie ich es mir immer gewünscht habe.

»Wann hast du heute das Gespräch?«, erkundigt er bei mir, da er bemerkt hat, dass ich einen Themenwechsel brauche.

Augenblicklich schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht, als ich an meinen kommenden Termin denke. Schon immer wollte ich etwas mit Kindern machen, weshalb es mich umso mehr freut, dass ich in dem Kinderheim ein Praktikum machen darf, während ich nebenbei Kurse belege.

»Um 11 Uhr.«

Erschrocken zucke ich zusammen, als ich nach einem Seitenblick erkenne, dass ich spät dran bin.

»Oh verflixt! Ich komme noch zu spät!«, rufe ich aus, ehe ich vom Stuhl springe und in mein Zimmer stürme.

»Ich kann dich dorthin fahren, wenn du willst«, schreit mein Opa mir noch hinterher, bevor er sich wieder seiner Zeitung und dem Kaffee widmet.

»Nicht nötig, aber danke«, lehne ich sein Angebot ab, ehe ich mit meiner Tasche das Haus verlasse.

°°○°°

Mit einem erleichterndem Lächeln verlasse ich das Gebäude und strahle um die Wette. Die letzten Details haben wir heute noch besprochen, ehe ich nächsten Monat endlich anfangen kann. Es fühlt sich surreal an, dass ich endlich das tue, was ich immer wollte.

Während ich mein Smartphone in der Tasche suche, schlage ich den Weg zum Haus ein. Auch wenn ich meinen Großvater bald sehen werde, möchte ich ihm die Nachricht jetzt schon erzählen.

Mein Herz schmerzt, da ich eigentlich einem bestimmten Menschen die Neuigkeit sagen möchte, jedoch halte ich mich zurück. Seit Wochen habe ich nichts mehr von ihm gehört. Seine Nachrichten und Anrufe habe ich mit einem schlechten Gewissen ignoriert. Ich weiß eigentlich, dass ich ihm eine Chance geben muss, um sich zu erklären.

Nur habe ich große Angst vor diesem Gespräch.

Leider geht sofort die Mailbox an, weshalb meine Schritte beschleunige, um eher nach Hause zu kommen. Nach einer Weile sehe ich die Auffahrt, aber kein Auto. Mein Opa muss irgendwohin gefahren sein, was mich verwirrt die Stirn runzeln lässt. Immerhin hat er mir nichts über einen Termin erzählt.

»Wieso geben Sie alles auf, was Ihre Eltern für Sie aufgebaut haben?«, höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir, die mir eine sofortige Gänsehaut verpasst.

Ich hätte nicht an ihn denken sollen. Als hätten ihn meine Gedanken heraufbeschworen. Leicht gerate ich ins Stocken, ehe ich einfach weitergehe. Ich habe Angst, mich ihm zu stellen und ihn anzusehen. Wer weiß, welche Gefühle es in mir auslösen wird.

»Weil ich von einem besonderen Menschen gelernt habe, dass ich für mich selbst einstehen soll. Ich muss das tun, was sich richtig anfühlt. Nur habe ich leider zu spät gemerkt, dass ich durch mein Verhalten das Wertvollste verloren habe. Den Menschen, der mir alles bedeutet.«

Immer weiter laufe ich, bleibe nicht stehen. Trotzdem höre ich seinen Worten aufmerksam zu. Es sind die Worte, die ich heute in der Zeitung gelesen habe.

»Wie meinen Sie das? Wen haben Sie verloren?«, spricht er weiter.

Das Kribbeln setzt ein, da ich mich so nach seiner Stimme gesehnt habe. Wie oft habe ich mir seine Nachrichten angehört, die er mir hinterlassen hat? Unzählige Male.

»Durch einen Fehler, den ich mir niemals verzeihen kann. Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Waren Sie schon mal verliebt? Nicht? Es ist das schönste Gefühl, dass sie erleben könnten. Das Kribbeln, die Schmetterlinge und das Gefühl endlich am richtigen Ort angekommen zu sein. Das alles fühle ich, wenn ich bei Charlie Stuart bin.«

Verflixt! Ich kann das nicht.

Wegen seine letzten Worte halte ich inne. Ich kann nicht fassen, dass er das wirklich gesagt hat.

Langsam drehe ich mich um. Sein Anblick verschlägt mir die Sprache. Er sieht müde aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Seine Haare, die ihm ins Gesicht fallen, haben den Glanz verloren. Dunkle Augenringe zieren seine Gesichtszüge und am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen. Trotzdem halte ich mich zurück, da ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll.

»Was wird das?«, will ich wissen und verschränke abwehrend die Hände vor der Brust.

»Ich will meinen Wunsch einlösen, Charlie.«

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