21 | wieder Zuhause
C H A R L I E
Ein unangenehmes Gefühl durchflutet meinen Körper, als ich aus dem Flugzeug steige und wieder amerikanischen Boden unter meinen Füßen spüre. Die Anspannung, die mich seit gestern nicht loslässt, hat ein neues Level erreicht. Eigentlich sollte ich Freude verspüren, jedoch sieht das in meinem Inneren völlig anders aus.
Die Luft ist stickiger, als ich sie in Erinnerung habe. Der schwarze Wagen, der auf uns wartet, löst eine Schwere in meiner Brust aus. Und der Fahrer, der mich mit einem wachsamen und grimmigen Blick bedenkt, tut noch sein restliches. Alles in mir schreit, umzukehren. In meinem Kopf schrillen alle Alarmglocken, während mein Herz blutet. Dieses Mal kämpft mein Verstand nicht gegen meine Gefühle, da sie gleicher Meinung sind.
»Brauchst du noch einen Moment?«, flüstert mir Cole ins Ohr. Noch nie war ich dankbarer gewesen, als in diesem Moment. Seine aufmerksame Ader weiß, wie ich mich fühle und bestimmt ahnt er auch, was in meinen Kopf vor sich geht.
»Irgendwie schon. Tun wir hier das richtige?«, hake ich zweifelnd nach und ziehe meine Augenbrauen zusammen.
»Ich habe keine Ahnung, Goldflocke. Das werden wir in der nächsten Stunde herausfinden müssen.«
Tief atme ich ein und versuche meine Muskeln zu lockern. Es wäre besser, wenn ich meine bekannte Maske wieder aufsetze, nur fällt mir das schwerer, als ich dachte. Seitdem ich weiß, wie sich Freiheit anfühlt, möchte ich nichts mehr verstecken. Die wahre Charlie ist endlich aus mir herausgebrochen und will sich nicht wieder hinter den dicken Mauern verstecken.
»Also los, bringen wir es hinter uns«, sage ich, nachdem ich seine Hand in die Meine genommen habe, da ich gerade den Halt brauche, den nur er mir geben kann.
Entschlossen richte ich mich ein wenig auf und recke das Kinn nach oben. Gemeinsam steigen wir die Treppen hinab. Mir ist klar, dass es von unserer Rückkehr einige Fotos geben wird. Dass wir noch zusätzlich mit verschränkten Händen abgelichtet werden, wird die Gerüchte bloß mehr bestätigen. Aber das ist mir in diesem Moment egal.
Je näher wir dem grimmigen Fahrer kommen, desto mehr kribbelt meine Haut. Immer stärker drücke ich die Hand von meinem angeblichen Ehemann, jedoch gibt er kein Laut von sich. Viel mehr zieht er mich näher an sich heran, sodass ich mich neben ihm verstecken kann. Mit seiner Größe überragt er mich einige Zentimeter.
»Mr. und Mrs. Bennett«, begrüßt uns der Chauffeur und öffnet die Tür des Wagens, bevor wir kommentarlos einsteigen. Ein Augenverdrehen kann ich mir jedoch nicht verkneifen. Unfassbar, wie alle etwas annehmen, nur weil es in der Zeitung steht.
Sobald der Motor startet und wir langsam das Flughafengelände verlassen, versuche ich meine Emotionen in den Griff zu bekommen. Leider bröckelt meine Fassade und egal wie sehr ich dagegen ankämpfe, ist es alles andere als einfach. Es fühlt sich wie ein Höllentrip an, der mich innerlich verbrennen wird.
»Atme tief ein, Charlie. Bitte, ich will nicht, dass du jetzt in Panik verfällst.«
Ich versuche seinen sanften Befehl zu folgen, nur will der Kloß in meinem Hals nicht verschwinden. Viel mehr schnürt er mir die Luftzufuhr ab, die meine Lungen dringend benötigen.
»Wir sollten zurück, Cole. Einfach wieder verschwinden. Ich kann das nicht tun. Sie werden uns wie kleine Ungeziefer zerquetschen.«
»Beruhige dich, Charlie. Wir können nicht wieder zurück und ehrlich gesagt, wird es Zeit, dass du dich deinen Eltern stellst.«
Ich weiß, dass er recht hat. Ich weiß, dass ich endlich etwas dagegen unternehmen muss. Verflixt nochmal, ich weiß, dass ich mich komplett von ihnen lösen muss, um endlich frei sein zu können. Aber wenn man das ganze Leben über den eigenen Eltern gefallen wollte, um nur ein kleines Stück der Liebe zu erhalten, die ein Kind sich wünscht, ist das schwer.
Mein Verstand versucht ein Andenken heraufzubeschwören, das mich an eine Zeit erinnern, wo noch alles gut war. Aber je mehr ich mein Gehirn durchforste, finde ich nichts, dass mich das Gute sehen lässt. Eher tauchen Bilder von dem Lackaffen neben mir auf. Aber genau das ist es, was ich in diesem Moment brauche.
»So ist es gut. Lass dich nicht unterkriegen.«
Wegen des Durcheinander, das in meinem Inneren herrscht, habe ich nicht einmal bemerkt, dass wir vor meinem Haus stehen.
Das surrende Geräusch des Wagens ist verschwunden und der Fahrer ist bereits ausgestiegen. Eine Sekunde später öffnet sich die Tür, sodass ich automatisch aussteige, auch wenn ich das eigentlich gar nicht möchte. Jedoch tut mein Körper es von selbst, als wäre ich eine Marionette, die von jemanden anderen gesteuert wird.
Cole ist ebenfalls ausgestiegen und bleibt neben mir stehen. Ein aufmunterndes Lächeln ziert seine Gesichtszüge. Er ist besser darin seine Nervosität zu überspielen, während ich ein Wrack bin, das gleich in Tränen ausbrechen könnte. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass er bereits seit Jahren gegen sie rebelliert, während ich die Hoffnung nicht aufgeben habe, dass sie sich irgendwann ändern werden.
»Ihre Eltern erwarten Sie beide im Wohnzimmer«, lässt er uns noch wissen, ehe er sich umdreht und uns für einen Moment allein lässt.
Mechanisch nicke ich ihm zu, bevor ich ein letztes Mal tief einatme und zur Tür schreite. Cole ist dicht hinter mir, hält mir den Rücken frei. Ich bin mir sicher, dass dieses Treffen in einer Katastrophe enden wird. Oder vielleicht eher in einer Explosion, die alles und jeden zerstören wird.
Die Tür wird geöffnet, bevor ich den Griff überhaupt berühren kann. Mrs. Sanders lächelt mich freundlich an, als sie mich begrüßt und uns hereinlässt. Diese Frau war mehr für mich da gewesen, als die Menschen, die es hätten sein sollen.
Stimmen dringen zu mir durch, die mit jedem Schritt lauter werden. Anscheinend ist eine Diskussion zwischen ihnen ausgebrochen. Anhand des Lärms, erkenne ich mehrere Menschen, weshalb ich ins Stocken gerate.
Wer ist sonst noch alles da?
Sobald wir den Raum betreten, wird es plötzlich still. Alle starren uns beide an. Auch Coles Eltern sind anwesend, was wir uns bereits gedacht haben. Ihre Blicke wechseln zwischen uns hin und her, als wären wir die größten Verbrecher dieser Welt, die von der CIA gesucht werden.
Nur am Rande erblicke ich meinen Großvater, der mir ein sanftes Lächeln schenkt. Ein grotesker Kontrast, der mir normalerweise ein Schmunzeln entlockt hätte.
Eine Begrüßung bekommen wir jedoch nicht, auch wenn mein Opa mich zu sich winkt. Meine Mutter ist jedoch schneller. Sie steht auf und kommt mir näher. Vor mir bleibt sie stehen und verpasst mir aber einen herzlichen Willkommensgruß, der sich gewaschen hat.
Ihre Handfläche erzeugt ein knallendes Geräusch, während meine Wange wie Feuer brennt. Mein Kopf fliegt zur Seite, als sich ein stechender Schmerz breit macht, der mir Tränen in die Augen steigen lässt.
Was zur Hölle?
Für einen Moment ist es mucksmäuschenstill. Niemand sagt ein Wort, keiner atmet. Ich könnte sogar schwören, dass die Uhr für eine endlos erscheinende Sekunde aufgehört hat zu ticken.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Cole packt mich an der Hand und stellt sich vor mich. Mein Großvater richtet sich ruckartig auf, ehe er ebenfalls zwischen uns stehenbleibt und meine Mutter mit großen Augen anblickt.
»Susan! Bist du von allen guten Geistern verlassen worden?«, ruft mein Großvater außer sich und kann nicht fassen, dass die anderen einfach nur zusehen.
Das hindert jedoch meine Mutter nicht daran, mich weiterhin mit ihren Blicken zu erdolchen. Ihre Augen funkeln vor Zorn auf, während sie mit dem Finger auf mich zeigt. »Du undankbares Kind. Wie kannst du es wagen, einfach so zu verschwinden?«
Bitter lache ich auf. »Wofür soll ich denn dankbar sein? Ihr habt mich mein ganzes Leben ignoriert und mir trotzdem vorgeschrieben, was ich zu tun habe.«
»Und hat dir dabei etwas gefehlt?«, kontert sie sofort und legt ihren Kopf schief. Das tut sie immer, wenn sie mir eine Predigt hält. Als wäre ich noch ein Kind. »Du kannst dir alles kaufen, was du dir wünschst. Wir haben so hart gearbeitet und was tust du? Du hintergehst und uns lässt uns im Stich.«
»Susan! Wie kannst du so mit ihr reden?«, mischt sich mein Großvater erneut ein. Von meiner ganzen Familie hat er mir die meiste Liebe geschenkt, jedoch habe ich ihn selten gesehen. Er reist viel um die Welt und hat aus diesem Grund wenig Zeit, deswegen bin ich so überrascht, dass er heute hier ist.
»Das geht dich nichts an, John. Ich führe eine Unterhaltung mit meiner Tochter, also bitte ich dich darum, dich nicht einzumischen.«
»Ich bin nicht deine Tochter. War ich nie.«
Gespielt dramatisch legt sie eine Hand auf ihr Herz, als würden sie meine Worte verletzen. »Leider bin ich aber deine Mutter. Daran können wir nichts ändern, auch wenn ich mir es wünsche.«
Mein Mund klappt bei ihren Worten auf. Sie hat mir bereits einige Dinge an den Kopf geworfen, jedoch nie etwas in diese Richtung.
»Na dann haben wir das geklärt. Such dir jemand anderen, der dir diesen Vertrag erfüllen wird. Ab heute will ich nichts mehr mit euch zu tun haben.«
Die Augen meiner Mutter weiten sich, ehe sie für einen kurzen Moment vorsichtig zu meinem Großvater blickt. Dieser hat seine Augenbrauen zusammengezogen, während er versucht zu verstehen, was hier genau vor sich geht. Wie es aussieht, wusste er nichts von diesem Dokument, was mich irgendwie überrascht. Ich dachte immer, dass er mit ihnen unter einer Decke steckt.
»Kann mir jemand erklären, worum es hier geht?«, verlangt er zu wissen und blickt jeden hier im Raum an.
Mich interessiert das Ganze nicht mehr, weshalb ich mich umdrehe, um von hier zu verschwinden. Ich glaube, dass alles gesagt worden ist und ich will nicht noch einmal ins Visier geraten. Kurz bevor ich jedoch den Raum verlassen kann, höre ich noch ein letztes Mal die Stimme meiner Mutter.
»Du naives Mädchen. Frag dich mal, wie wir euch finden konnten. Cole ist nicht so unschuldig, wie du denkst. Er hat seinen Teil der Abmachung eingehalten, während du uns verraten hast.«
Ich gerate für einige Sekunden ins Stocken, ehe ich mich wieder fange und mit schnellen Schritten dieses Haus endlich verlasse. Dabei schwirren mir ihre Worte im Kopf, wie ein ätzendes Gift, das alles um sich herum vernichtet.
Draußen angekommen drehe ich mich zu Cole um und sehe ihn an. Ich hoffe, dass meine Mutter mich angelogen hat. Dass er nichts damit zu tun hat und mich nicht hintergangen hat. Ich hoffe so sehr, dass ich mich irre.
In seinen Augen kann ich aber Schuld erkennen, weshalb mein Körper anfängt zu zittern. Nein, bitte nicht. Wieso sollte er sich schuldig fühlen, wenn er nichts damit zu tun hat? Wieso sollte er mich so ansehen?
Ein mulmiges Gefühl macht sich in meinem Inneren breit. Jegliche Szenarien tauchen auf und jede einzelne verpasst mir einen gewaltigen Stich in meiner Brust.
»Es ist nicht so, wie du denkst.«
Tränen kullern mir meine Wange hinab, die sich in meine Haut brennen, während ein neues Gefühl die Oberhand gewinnt.
Verflixt! Cole Bennett hat mich verraten.
Wie konnte ich nur so dumm sein?
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