16 | Klettern
C H A R L I E
Mit stark hämmerndem Herzen blicke ich die steile Wand hoch, die mir eine unangenehme Gänsehaut verschafft. Abermals muss ich schlucken, jedoch will der Kloß in meinem Hals nicht verschwinden. Jeder einzelner Muskel ist zum Zerreißen angespannt und ich bin mir nicht mehr so sicher, ob ich das wirklich durchziehen möchte. Die Vorfreude, die ich noch vor einigen Minuten verspürt habe, trübt sich ein wenig, da ich damit nicht gerechnet habe.
Die Klippe, die an einigen Orten mit Eisenstangen versehen ist, sieht nicht unbedingt sicher aus. Zudem ist es etwas völlig anderes eine Felswand hochzusteigen, als eine banale Kletterwand, die ich bereits als Kind geliebt habe.
»Ähm … ist das wirklich sicher? Können wir da nicht herunterfallen?«
Cole bleibt hinter mir stehen, legt seine Hände auf meine Schultern und beugt sich ein wenig zu mir hinunter. »Kriegst du etwa kalte Füße, Goldflocke?«, stichelt er amüsiert, weshalb ich mit den Augen rolle, auch wenn er es nicht sehen kann.
»Das kannst du mir doch nicht übel nehmen, Lackaffe. Immerhin sind wir bisher keine Felswand hinauf geklettert.«
Langsam dreht er mich zu sich herum. Die Funken, die ich jedes Mal fühle, sobald wir uns berühren, machen das Ganze nicht unbedingt besser. Ich muss mich jetzt konzentrieren und mich nicht aus der Bahn werfen lassen.
»Aber dafür eine Hotelwand, Charlie«, fängt er an und die Erinnerung bringt mich zum Schmunzeln. Stimmt, das haben wir beide wirklich getan und ich muss zugeben, dass ich mich geschickter angestellt habe als er. »Außerdem sind wir hier bestens gesichert. Miguel und Cecilia werden sich um uns kümmern, sodass du dir keine Sorgen machen musst.«
Eindringlich blickt er mir in die Augen, sodass alles andere um uns herum verblasst. Nichts nehme ich wahr, außer den Mann vor mir, der mich versucht zu beruhigen. Mein Herz schlägt zwar keineswegs langsamer, aber dafür hat sich der Grund verändert. Zudem umhüllt mich sein berauschender Duft, weshalb ich krampfhaft versuche, mich nicht einlullen zu lassen. Wie gesagt, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Vielleicht später …
Tief hole ich Luft und verdränge die Gedanken aus meinem Kopf, ehe ich ihm leicht zunicke.
»Okay, wenn du das sagst.«
»Wenn du dir unsicher bist, dann können wir es auch lassen. Ich dachte, es würde uns beiden aber guttun.«
Denkt er wirklich, dass ich kneifen werde? Bestimmt nicht. Vor einer Revanche drückt man sich nicht und wenn ich mir die Fotos ansehe, von den Leuten, die hier bereits hochgeklettert sind, dann kann ich das auch. Zudem war die Flucht aus dem Hotel zehnmal gefährlicher.
»Nein, schon gut. Ich werde bestimmt keine Gelegenheit verpassen, dir in den Arsch treten zu können, Lackaffe«, säusle ich mit schief gelegtem Kopf und lächle ihn gleichzeitig zuckersüß an.
»Etwas anderes habe ich auch gar nicht erwartet.« Zwinkernd lässt er mich los.
Das Ehepaar, das uns heute begleiten wird, wartet bereits an der Theke. Miguel wird Cole sichern, während seine Frau sich um mich kümmern wird. Ich könnte mir innerlich auf die Stirn schlagen, da es keinen Grund für eine Eifersucht gibt. Aber in dem Moment habe ich lediglich Cecilia gesehen, die meinen Lackaffen umarmt. Eigentlich würde mich das gar nicht so stören, aber Cole hat eben seine eigene Vorgeschichte.
»Bist du so weit?«, strahlt sie mich an und hält in den Händen die Partnersicherung, die ich skeptisch mustere.
»Wie genau funktioniert dieses Seil?«, will ich wissen. Vielleicht hilft mir das noch eher, sodass ich mir später den Kopf nicht zerbreche.
»Ich werde dich bis nach oben begleiten, Charlie. Wir werden parallel zueinander nach oben klettern und uns dabei sichern. Ich werde dir Tipps geben, wie du zur nächsten Eisenstange gelangst oder dich motivieren.«
Ich nicke ihr nach jedem Wort zu. Das hört sich bisher alles nicht so schwer an. Zudem fühle ich mich sicherer, wenn mich ein Profi begleitet, auch wenn ich mir sicher bin, dass Cole mich am besten motivieren könnte.
Meine Kletterpartnerin hält zwei Seile in die Höhe, ehe sie ebenfalls zwei Karabiner in die Hände nimmt. »Das ist unsere Verbindung und mit diesem Seil wird dir nichts passieren. Falls du fallen solltest, wird es dich auffangen und dir geschieht nichts.«
Hart schlucke ich, nachdem ich dieses Ding betrachte. Es sieht zwar stabiler aus, als die Bettlaken, die ich zusammengebunden habe. Trotzdem macht mein Herz wieder Saltos in meiner Brust. Cecilia übergibt mir zuerst den Gurt, den ich sofort anziehe, ehe sie mir den Helm überreicht. Sie kontrolliert den Sitz, zieht an einigen Enden, bevor sie sich ebenfalls bereit macht.
Sobald auch die Karabiner und das Seil dran sind und wir startklar wären, schlendert Miguel zu uns rüber und kontrolliert sicherheitshalber alle Knoten. Zufrieden nickt er uns zu, ehe er zurück zu Cole läuft und das Ganze wiederholt.
Die ganze Zeit über höre ich Cecilia aufmerksam zu, da sie mir noch weitere Dinge erklärt. Bei jeder Eisenstange, gibt es ebenfalls eine Sicherungsstelle, wo ich das eine Seilende fixieren muss. Die Angst verschwindet nicht komplett, jedoch ist sie nicht mehr so groß. Außerdem rauscht langsam das Adrenalin durch meine Adern. Es kribbelt, während die Vorfreude wieder zum Vorschein kommt.
»Na, bist du bereit zu verlieren?«, höre ich Cole sagen, nachdem wir vor der Felswand stehen bleiben.
Mit zusammengekniffenen Augen blicke ich ihn an. »Die Frage solltest du dir lieber selbst stellen, Lackaffe. Gegen mich hast du keine Chance.«
»Das werden wir sehen. Ein Wetteinsatz würde das Ganze noch interessanter gestalten. Was denkst du?«
Lange muss ich nicht überlegen. »Klar. Hast du eine Idee?«
Ich kann den Schalk in seinen Augen sehen, als er mir einen Schritt näher kommt. »Wer zuerst oben ist, darf sich etwas wünschen.«
Cole streckt mir die Hand entgegen, die ich sofort ergreife. »Deal.«
Er zieht mich noch näher an sich heran, bis sich unsere Lippen berühren. Sanft küsst er mich, ehe er seine Stirn auf die Meine legt.
»Pass auf dich auf, Charlie.«
»Das gilt auch für dich, Cole.«
Tief atme ich ein, ehe das Signal für den Start erklingt und wir uns sofort auf die Wand stürzen. Ich klettere langsam, aber effizient nach oben. Am Anfang ist es noch leicht, aber irgendwann ab der Mitte, sind die Eisenstangen immer schwerer zu erreichen. Trotzdem sichere ich mein Seil nach jedem Meter an den Fixierpunkten. Sicher ist sicher und ich habe keine Lust herunterzufallen.
Cecilia ist mir auf den Fersen und mustert jede meiner Bewegung. Cole ruft mir immer wieder irgendetwas zu, jedoch nehme ich es nur am Rande wahr. Mein ganzer Fokus liegt auf meiner Aufgabe. Jeden Schritt überlege ich mir zweimal, ehe ich weiter hochklettere. Meine Arme fühlen sich bereits schwer an, meine Oberschenkel brennen, als hätte ich einen Marathon bestritten und meine Lungen verlangen nach Luft. Schweißperlen benetzen meine Stirn, laufen mir den Rücken hinab, ehe ich einen tiefen Atemzug nehme.
»Du machst das großartig, Charlie. Weiter so! Wir beide schaffen das«, ruft meine Partnerin, als ich einen Moment innehalte.
Verflixt! Ich kann nicht mehr.
Ich riskiere einen kurzen Seitenblick und sehe, dass Cole einige Meter Vorsprung hat. Oh nein! Er darf diese Wette unter keinen Umständen gewinnen. Niemals! Ich kratze meine letzte Motivation zusammen und ziehe mich krampfhaft weiter hoch, während ich gleichzeitig meine nächsten Schritte plane.
»Genau so, Charlie! Du machst es genau richtig. Zeigen wir unseren Männern, dass sie uns niemals unterschätzen dürfen.«
»Ich versuche es«, murmle ich vor mich hin und greife nach der nächsten Eisenstange.
Immer wieder ziehe ich mich hoch und versuche die beiden einzuholen. Durch das Adrenalin pumpt mein Herz stärker, meine Atmung beschleunigt sich und mit letzter Kraft klettere ich die letzten zwei Meter in Eiltempo nach oben.
Zwei große Hände greifen nach mir und helfen mir noch das letzte Stück hoch, ehe ich außer Atem auf dem Boden liegen bleibe und versuche mich zu beruhigen.
»Verflixt! Das war … echt genial«, bringe ich stoßweise hervor.
»Ich bin stolz auf dich, Goldflocke«, höre ich Cole sagen, weshalb ich ruckartig meinen Kopf zu ihm drehe. Nein, oder?
»Du warst vor mir oben«, stelle ich überflüssigerweise fest.
»Aber nur einige Sekunden, Charlie. Du hast mich fast eingeholt.«
Langsam richte ich mich auf. »Du hast gewonnen. Also, was wünschst du dir?«
Lächelnd schüttelt er den Kopf. »Noch nichts. Ich werde den Wunsch aufbewahren.«
Cole hilft mir auf die Beine und nimmt meine Hand, ehe er unsere Finger miteinander verschränkt. »Geht es wieder?«
Augenblicklich nicke ich ihm zu. »Na dann, sollten wir uns wieder sauber machen, ehe wir etwas essen. Was denkst du?«
Wiederholt nicke ich, sodass er mich mit sich zieht. Erst jetzt bemerke ich die kleinen Tiny House, die sich hier befinden. Nur in einem ist Licht vorhanden, während die anderen in der Dunkelheit verweilen. Und genau auf dieses steuert Cole zu.
»Was ist das hier?«, hake ich neugierig nach.
»Cecilia und Miguel bieten nicht nur Klettermöglichkeiten an, sondern auch eine Wohlfühloase. Du wirst gleich sehen, was ich damit meine.« Als er die beiden erwähnt, merke ich, dass ich mich bei Cecilia gar nicht bedankt habe. Sofort drehe ich meinen Kopf nach hinten. Aber von ihnen fehlt jede Spur.
Die Tür ist nicht abgeschlossen, als Cole sie öffnet und wir eintreten. Für einen Moment halte ich inne, während ich mit offenem Mund die Location anstarre.
Lichterketten schmücken den kleinen Raum und verleihen eine angenehme Atmosphäre. Vor der Glasfront, von wo wir direkt auf das Meer blicken können, liegt eine Decke auf dem Boden. Daneben ist ein klassischer Picknickkorb zu sehen, gefüllt mit allen möglichen Leckereien.
»Wow!«, hauche ich und nähere mich den Fenstern.
»Das Beste hast du noch nicht gesehen.« Er öffnet die Balkontür, bevor wir uns nach draußen begeben. Zum Vorschein kommt ein Whirlpool. Das Wasser blubbert vor sich hin, sodass ich am liebsten gleich hineingehen möchte.
»Wie sieht es aus, Goldflocke? Leistest du mir hier drin Gesellschaft?«
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