Kapitel 60


„Caralina." Ich spürte Raffaeles Körper hinter mir, ohne dass er mich berührte. Einen Augenblick genoss ich seine Nähe, dann tauchten erneut die Zweifel auf, die mich plagten. Nach meinen deutlichen Worten im Besprechungsraum hatten alle Männer mich in Ruhe gelassen. Selbst beim Abendessen hatte niemand das Gespräch erwähnt. Genauso wenig hatten die Frauen mehr über eine Hochzeit gesprochen. Ich presste die Lippen aufeinander. Hatte ich durch die Aktion vor einigen Stunden die Zugehörigkeit zur Familie verspielt? Dann blieb mir nur der Eintritt in Ginas Gruppierung. Ich kämpfte gegen den Kloß in der Kehle an. „Mia amore?" Eine sanfte Berührung an der Hüfte. Ich drehte mich um. Sorge lag in Raffas Blick.

„Ich kann so nicht weiterleben", flüsterte ich. Meine Augen füllten sich randvoll mit Tränen.

„Ich weiß, gattina." Er trat einen Schritt auf mich zu, streckte den Arm aus. „Lass uns ein wenig im Garten spazieren gehen." Zögernd ergriff ich seine Hand, folgte ihm in einen kaum beleuchteten Teil, der bei jungen Pärchen mit Sicherheit beliebt wäre, wenn das Grundstück nicht der Mafia gehörte. Ich seufzte verhalten. Hier waren wir ungestört. Gleichzeitig war ich ihm ausgeliefert. Sein Schweigen lastete schwer auf mir, bis ich es als Erste brach.

„Hast du dich entschieden, wie es mit uns weitergehen soll?" Wie zur Antwort ließ er mich los. Ich senkte das Kinn auf die Brust. Das war dann wohl eindeutig.

„Cara, sieh mich bitte an." Raffaele sank vor mir auf die Knie. „Ich habe dir mit meinem Verhalten zu Hause und hier in Toledo sehr wehgetan. Wie du weißt, starb meine beste Freundin, Alerios Tochter Giorgina, bei einem Einsatz. Ich hatte zuvor versucht, ihr die Sache auszureden, doch sie war genauso stur wie du. Nach ihrem Tod haben mich monatelang Albträume geplagt, dass ich meine Schwester nicht retten konnte. Denn das war sie für mich. Nicht die zukünftige Ehefrau, die unsere Familien in ihr sahen." Er brach ab, wischte sich über das Gesicht. „Dann, als mein Vater ein Mädchen in die Hände bekam, das in einem unserer Restaurants herumgeschnüffelt hatte, hielt ich sie ebenso wie er für eine Spionin. Ich schaute bei den Verhören zu, sah, wie sie immer mehr dahinsiechte. Es interessierte mich nicht. Erst nachdem sie in unserem Keller elendig verreckt war, begriff ich, dass sie unschuldig war. Ein Spielball in den Händen der Spanier, der uns nur ablenken sollte. Dann brachte er dich mit."

„Wenn dein Vater mich verhört hat, warst du nicht anwesend", erwiderte ich leise.

„Doch, ich stand draußen neben der Tür, hörte dein Flehen, deine Schreie. Wie du immer mehr brachst. Papà hörte nicht auf mich, als ich ihm von meinem Gefühl erzählte, dass du unschuldig seist. Blieb mir nur die Lösung, dich rechtzeitig zu befreien. Die Reise meiner Eltern gab mir dafür die perfekte Gelegenheit. Er sollte nichts erfahren. Ebenso wenig wollte ich mich in dich verlieben. Doch deine tollpatschige Art und deine verletzte Seele erweichten mein Herz mehr als mir in dem Moment lieb war. Ich hatte schnell raus, dass es schwer werden würde, dich ziehen zu lassen." Er schüttelte den Kopf. „Und dann, als ich kurz davorstand, kam uns mein Vater dazwischen. Ich verdächtige ja noch immer Alerio, dass der ihm Bescheid gegeben hat, damit er eher heimkehrte."

„Alerio wollte mich unter allen Umständen bei euch behalten", murmelte ich, erinnerte mich an den Blick in dessen Augen, als er mir im Keller Wasser zu trinken gab. Wieso hatte er sich nicht über den Befehl des Dons hinweggesetzt? Ahnte er da schon, dass Raffa ungehorsam sein würde?

„Zu Recht." Der Italiener holte eine kleine Schachtel hervor, drehte sie zwischen seinen Fingern. Mir stockte der Atem. „Cara, ich weiß, dass ich mich oft wie ein Idiot verhalten habe. Dass ich dich nicht verdiene. Ja, ich kam nicht damit zurecht, dass ich dich bei der Mission fast verloren habe. Dass du obendrein durch die Verletzungen unser Kind verloren hast. Ich bin schuld daran. Hätte ich doch nur nie zugestimmt." Seine Stimme brach, Tränen rollten ihm über die Wangen. Ich blieb stocksteif stehen, von seinen Emotionen und Worten gelähmt.

„Ich..." Was erwiderte ich nur? Raffaele nahm mir die Entscheidung ab.

„Der Grund, weshalb ich nicht zu dir kam, dich mit deinen Gefühlen alleingelassen habe, ist simpel. Ich wollte, dass du mich hasst, damit dir der Abschied leichter fiel. Ich wollte, dass du vor mir, vor der Mafia in Sicherheit lebst. Deswegen haben wir auch nicht meinem Onkel Bescheid gegeben, um dich beobachten zu lassen. Der erste Impuls meines Vaters war, dich zurückzuholen. Ich überzeugte ihn, es sein zu lassen. Immerhin war es auch seine Schuld, dass du dich beweisen wolltest. Dann wollte er seinen Bruder auf dich ansetzen. Auch davon hielt ich ihn ab. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass dein echter Vater meinem Onkel das Leben gerettet hatte. Wie viel wäre dir erspart geblieben, hätte ich mich nicht von dem Wunsch, dich vor allem Unheil zu schützen, leiten lassen!" Wie durch einen Schleier sah ich, dass er die Schachtel öffnete. Doch durch meine Tränen erkannte ich nicht ihren Inhalt. Ein Schluchzer, dann ein zweiter.

„Ich wollte doch einfach nur bei dir sein, in deinen Armen liegen." Ich gab mich den aufgestauten Emotionen hin, ließ sie endlich hinaus.

„Ich weiß", flüsterte er heiser. „Ich verdiene dich nicht. Dennoch," sanft umschloss er meine Hand, „Caralina, bitte werde meine Frau. Ich bin nicht perfekt, doch ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um dich nie wieder zu enttäuschen."

„Ja, ich will", hauchte ich zurück, sank ebenfalls in die Knie und schlang die Arme um Raffaele, der mich fest an sich drückte.

„Mia amore, bitte verzeih mir. Io sono un asino", murmelte er. Zwischen meinen Schluchzern hindurch kicherte ich.

„Du hast Glück, ich mag Esel", brachte ich schließlich hervor. „Selbst wenn sie so störrisch sind wie du."

„Che fortuna!" Erst sanft, dann fordernd küsste er mich. Meine Knie zitterten, ob von der Kühle des Bodens oder den Anspannungen, die langsam von mir abfielen. Endlich hatte ich meinen Raffa wieder, den Mann, den ich liebte. Nach einer Weile schnappten wir beide nach Luft. „Nimm es mir nicht übel," murmelte er, „aber die nächsten zwei Jahre verhüten wir." Er steckte mir einen Ring an den Finger. „Was willst du denn gern studieren?"

Da war sie, die kalte Dusche. Seitdem ich Kalifornien unfreiwillig verlassen hatte, hatte ich nicht darüber nachgedacht. Immer hatte ich gehofft, zurück zu Raffaele und seiner Familie zu kehren. Nie hatte ich wirklich einen Plan B in Betracht gezogen. Womöglich sollte ich es zugeben. „Ich habe keinen blassen Schimmer."

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Habt Ihr erwartet, dass Raffa sich so offen zeigt?

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