Kapitel 26


Frustriert ließ ich den Blick über die Feiernden gleiten. Raffaeles Mutter war in ein Gespräch mit der frischverheirateten Braut vertieft. Sein Vater stand nur wenige Schritte entfernt, führte eine gestenreiche Diskussion mit zwei der fremden Dons. Raffa war wiederum von dieser Angelina Calieri und ihrem Wachhund in Beschlag genommen worden. Die Frauen hatten mir einige Male zuvor schon zugewunken, mir ein Zeichen gegeben, dass ich mich zu ihnen setzen sollte. Doch wozu? Um italienische Rezepte auszutauschen oder über die illegalen Machenschaften ihrer Ehemänner zu philosophieren? Ich seufzte. Diese Feier zeigte, wie wenig ich in diese Gesellschaft passte.

Ein leichter Lufthauch strich um meine Beine wie eine hungrige Katze. Ich reckte den Hals, versuchte, die Ursache dafür aufzuspüren. Seitdem die Feierlichkeiten vor etwa zwei Stunden nach drinnen verlegt worden waren, prasselten zu viele Gerüche und Geräusche auf mich ein. Ich sehnte mich nach frischer Luft und etwas Ruhe zum Nachdenken. Wieso waren Italiener nur immer so laut? Wozu schreien, wenn sich die Möglichkeit bot, sich gesittet zu unterhalten? Früher hatte ich es für ein Klischee gehalten, doch mittlerweile hatten sie mich eines Besseren belehrt. Ich folgte dem Windzug wie eine Biene dem Blumenduft und bemerkte kurz darauf eine Tür, die hinaus in den Garten führte. Ich huschte hindurch, auf der Hut davor, von Raffa entdeckt zu werden. Sein Plan, dass Romano und Vicente auf mich aufpassten, war nicht aufgegangen. Sie waren ziemlich schnell von den anderen Bodyguards in Beschlag genommen worden und tranken mit denen meiner Vermutung nach um die Wette. Es war ihnen von Herzen gegönnt.

Ich starrte in den dunklen Garten. Ob die Genoveses Wachen aufgestellt hatten? Das würde ich aller Wahrscheinlichkeit nach schnell bemerken. Ich hoffte nur, dass sie ein Mädchen wie mich nicht mit einem Einbrecher verwechselten. Ach was, das war hier eine Party. Ein Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen. Dieses Mal versteckte ich mich nicht hinter einem Vorhang in einem verbotenen Büro, sondern spazierte ungezwungen zwischen Mafiosi umher. Vor wenigen Wochen völlig undenkbar. Dennoch sah ich mich misstrauisch um, entdeckte aber nur Feiernde, die rauchten oder sich lautstark unterhielten. Keiner achtete auf mich. Fürs Erste beruhigt, lief ich an einigen Rosensträuchern vorbei zum hinteren Teil des Gartens. Hier war es friedlicher. Nur vereinzelt wehten Wortfetzen herüber. Von der Musik aus dem Haus war nichts zu hören. Ein riesiger Baum ragte kurz vor der hohen Mauer empor, die das Gelände umgab. Mein Blick wanderte am Stamm hoch, verharrte bei einem Ast, der über das Mauerwerk reichte. Schade, dass sie im Weg stand. Mit Leichtigkeit hätte man dort eine Schaukel anbringen können, um an einem heißen Sommertag ein wenig im Schatten auszuruhen. Wie viele Dons der Baum wohl schon erlebt hatte? Ich sah zur Baumkrone hinauf, legte dafür den Kopf in den Nacken. So hoch und breit war er mit Sicherheit uralt.

„Brauchst du Hilfe beim Hochklettern?" Eine tiefe Stimme mit italienischem Akzent dröhnte durch die Stille. Wie versteinert blieb ich an Ort und Stelle. Kalter Angstschweiß brach mir aus.

„Lass das, Massimo. Es gab schon einen Riesenaufstand, als Sarah versucht hatte, abzuhauen." Ich horchte auf. Sarah, das war doch der Name der Braut! Sie hatte versucht, zu fliehen? Wieso denn? Sie sah bei der Trauung wunschlos glücklich aus.

„Aber nicht so ein Theater wie an dem Tag, als Gina sich davongemacht hat." Der Italiener lachte leise. „Verdammt, sie hat uns gut auf Trab gehalten."

„Sie hat die Familien geeint. Und jetzt haben wir eine neue Familie in unserer Mitte." Der zweite Mann sprach langsam, klang ein wenig nachdenklich. „Ich frage mich, inwiefern die Kleine hier zu Ilimitada passen wird." Wieso redete er über die Gruppierung der Italienerin? Ich runzelte die Stirn.

„Ilimitada. Wir kennen keine Grenzen, nur unseren Respekt." Der Erste atmete tief durch. Sein Atem streifte meine Haare, ließen sie erzittern, so wie ich in meinem Innern bebte. Was wollten die Männer von mir? „Nun, sollen wir dir beim Klettern helfen oder nicht?" Er packte mich erstaunlich sanft an der Schulter. Ich gehorchte der unausgesprochenen Aufforderung, drehte mich zu ihnen um, doch schaute an ihnen vorbei.

„Ich bekomme Ärger, wenn ich abhaue", gab ich zu bedenken, meine Stimme kaum lauter als der Wind, der aufkam. Ich vermied krampfhaft jeglichen Blickkontakt. Dieser Massimo war einer der Dons. Ihn durfte ich auf gar keinen Fall reizen. Nicht auszudenken, welche Strafe mich sonst erwartete. Ich schlug die Arme um meinen Körper.

„Ach Mist, sie ist zu brav und schreckhaft." Der Zweite musterte mich ausgiebig.

„Das hat nichts zu sagen. Lucy war auch zurückhaltend und brav, als sie Emiliano um den Finger wickelte. Oder Giulia. Seitdem sie Mutter ist, trägt sie ständig eine Waffe mit sich herum. Spätestens eine Schwangerschaft verwandelt brave Mädchen in Löwenmütter, wenn sie ihre Kinder in einer Mafiafamilie großziehen."

„Hört ihr zwei Halunken mal auf, die Kleine so zu erschrecken?" Beide Männer fuhren bei der schneidenden Frauenstimme zusammen. Sie traten zur Seite, gaben den Blick auf eine schlanke Brünette frei. Mist, oder cazzo, wie Raffa sagen würde. Er hatte mich ausdrücklich davor gewarnt, mich von ihr in ein Gespräch verwickeln zu lassen.

„Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden", sagte ich betont höflich und stakste an der Dreiergruppe vorbei. Nur nicht zu hastig, oder es fiel auf, dass ich mich ihretwegen aus dem Staub machte.

„In die Richtung wollte ich auch gerade." Ich zuckte zusammen, als die Frau sich bei mir unterhakte. Wieso bildete ich mir nur ein, dass sie genau darauf gewartet hatte? „Keine Angst. Ich will mich nur in Ruhe mit dir unterhalten, ohne dass uns dein Wachhund dazwischenfunkt. Der ist ja noch schlimmer als mein Mann, der sich allerdings gerade nützlich macht und deinen Freund ablenkt."

„Raffaele ist nicht mein Freund", murmelte ich. Ein leider hinterherzuschicken, verkniff ich mir. Die Italienerin lachte leise.

„Glaub mir, Kleines. Wenn ein italienischer Mann sich so aufführt, ist er gnadenlos in dich verschossen. Den wirst du nicht mehr los, selbst wenn du wolltest." Wir liefen auf das Gebäude zu. Ich erwischte mich dabei, wie ich nach Raffa Ausschau hielt, damit er mich rettete, doch er war nirgends zu entdecken. „Allerdings," fuhr sie fort, „du möchtest ihn gar nicht mehr loswerden. Habe ich recht?"

Ich blieb ihr die Antwort schuldig. Zu sehr verwirrten mich ihre Worte. Mein Schweigen schien sie nicht zu stören, eher im Gegenteil. Sie führte mich zielgenau in die Bibliothek. Wie eine Person, die diese Villa wie ihre Westentasche kannte.

„Ich habe euch schon mal etwas zu trinken geholt. Dann redet es sich leichter." Ihr Mitarbeiter drückte mir ein Glas mit einem fruchtig riechenden Cocktail in die Hand. War da etwa Alkohol drin? Vorsichtig nippte ich daran, schmeckte aber nichts Ungewöhnliches.

„Setze dich doch bitte." Die Frau nahm auf dem Sofa Platz, klopfte mit der Hand auf die leere Stelle neben sich. Ich atmete tief durch. Was könnte mir hier schon großartig passieren? Wahrscheinlich hatte Raffa übertrieben, weil er sie nicht persönlich kannte. Ich folgte ihrer Aufforderung, nahm einen weiteren Schluck. Kein Brennen, nur süßer Saft. „Dann erzähle mir von dir. Du siehst nicht so aus, als ob du in die Mafiawelt hineingeboren wurdest. Genauso wenig nehme ich es dir ab, dass du Italienerin bist, trotz deines italienischen Namens." Was wurde das hier? Ein Verhör? Vielleicht wäre Alkohol doch ganz nützlich, um meine Nerven zu beruhigen.

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Gina, der Mädchenschreck. 😂 Was die wohl wieder ausheckt? 🤔

Was haltet Ihr denn von Ginas Aussagen in Bezug auf Raffa? Bildet sie sich das nur ein?

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