Kapitel 16: Zwischen den Zeilen


Die Tage nach ihrem letzten Gespräch mit Draco vergingen schnell, aber sie hinterließen eine merkwürdige Rastlosigkeit bei Hermine. Sie war normalerweise jemand, der es schätzte, in einem klaren, geordneten Alltag zu leben. Doch seit der Nacht im Sturm und den folgenden Begegnungen mit Draco schienen ihre Gedanken immer wieder um ihn zu kreisen – unaufhaltsam, irritierend, und doch auch aufregend.

Sie versuchte, sich abzulenken. Sie verbrachte mehr Zeit in der Bibliothek, vertiefte sich in ihre Studien und vermied jeden überflüssigen Kontakt zu Draco. Doch er schien es ihr nicht leicht machen zu wollen.

„Granger, bist du sicher, dass du all diese Bücher auch wirklich lesen kannst?" Seine Stimme ertönte hinter ihr, als sie in der Bibliothek an einem überfüllten Tisch saß.

Hermine verdrehte die Augen, bevor sie sich zu ihm umdrehte. „Ich bin sicher, dass meine Lesefähigkeiten deinen Erwartungen entsprechen, Malfoy."

Draco grinste schief und ließ sich gegenüber von ihr nieder, ohne eingeladen worden zu sein. „Gibt es irgendein Thema, das du nicht studierst? Es scheint, als hättest du alle Bereiche der Magie abgedeckt."

„Vielleicht", antwortete sie scharf, „weil ich tatsächlich daran interessiert bin, etwas aus meinem Leben zu machen. Anders als manche, die ihre Zeit damit verbringen, andere zu belästigen."

„Beruhige dich, Granger. Ich bin nur hier, um zu arbeiten. Zufällig mag ich diesen Tisch."

„Zufällig?" Sie schnaubte. „Natürlich."

Trotz ihrer Worte konzentrierte sie sich auf ihre Bücher, während Draco anfing, in einer alten Abschrift über Flüche zu blättern. Minuten vergingen in angespannter Stille, und obwohl Hermine vorgab, ihn zu ignorieren, bemerkte sie, wie oft ihr Blick ungewollt zu ihm wanderte. Er wirkte anders, wenn er vertieft in ein Buch war – sein Gesicht entspannt, seine Stirn leicht gerunzelt, während seine Augen die Zeilen scannten.

Nach einer Weile sprach er, ohne den Blick von seiner Seite zu heben. „Warum interessiert dich eigentlich Verteidigung gegen die dunklen Künste so sehr? Du hast den Krieg gewonnen, Granger. Denkst du, es kommt noch etwas auf uns zu?"

„Man kann nie vorsichtig genug sein", antwortete sie und richtete sich auf. „Außerdem finde ich, dass es wichtig ist, vorbereitet zu sein – für alle Eventualitäten."

Er nickte, als ob er ihre Antwort akzeptierte, aber etwas in seinem Blick verriet, dass er mehr sagen wollte. Schließlich schloss er sein Buch und lehnte sich zurück, wobei er sie erneut ansah. „Und was ist mit dir persönlich, Granger? Glaubst du, dass du je... Frieden finden kannst?"

Hermine starrte ihn überrascht an. Es war eine ungewöhnlich ehrliche Frage, und sie wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte. „Ich weiß nicht", sagte sie schließlich leise. „Aber ich weiß, dass ich es versuchen muss."

Er nickte langsam, als ob er ihre Worte verstand. „Das sollten wir alle."

Die nächsten Tage verliefen ähnlich – unerwartete Begegnungen, kurze Gespräche, und immer wieder diese unausgesprochene Spannung zwischen ihnen. Hermine bemerkte, dass Draco in den letzten Wochen offener geworden war, weniger darauf bedacht, seine Worte mit scharfem Sarkasmus zu würzen.

Eines Abends, während ihrer Runde als Vertrauensschüler, liefen sie erneut aufeinander. Es war spät, und die Gänge waren leer.

„Malfoy", begann Hermine, nachdem sie eine Gruppe Erstklässler zurechtgewiesen hatten, die außerhalb der Schlafsäle herumlungerten, „ich habe bemerkt, dass du dich verändert hast."

„Habe ich das?" fragte er und warf ihr einen neugierigen Blick zu.

„Ja. Du bist... nicht mehr ganz so unerträglich."

Er lachte leise. „Ein großes Kompliment, Granger. Danke."

„Das war ernst gemeint", sagte sie, ihre Stimme weicher. „Du... bemühst dich wirklich, oder?"

„Vielleicht", gab er zu. „Aber nicht aus den Gründen, die du vielleicht denkst."

Sie blieb stehen und sah ihn an. „Was meinst du?"

Draco schien einen Moment zu zögern, bevor er antwortete. „Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist, sich selbst zu verändern. Oder ob wir immer das bleiben, was andere in uns sehen."

Hermine dachte an die vielen Male, in denen sie selbst verurteilt worden war – als Streberin, als „Schlammblut". Sie wusste, wie schwer es war, solche Stempel loszuwerden.

„Es ist möglich", sagte sie schließlich. „Aber es dauert. Und du musst es zuerst für dich selbst tun – nicht für andere."

Draco sah sie an, und für einen Moment war die Luft zwischen ihnen schwer. Es war ein Blick, der mehr sagte, als Worte je ausdrücken könnten.

„Granger", sagte er schließlich, seine Stimme leise, „du bist eine echte Nervensäge, weißt du das?"

Sie schnaubte. „Und du bist ein arroganter Mistkerl. Wir sind quitt."

Doch als sie sich voneinander abwandten und ihre Runde fortsetzten, konnte keiner von beiden das Gefühl abschütteln, dass sie sich auf etwas Unvermeidliches zubewegten. Etwas, das bald nicht mehr ignoriert werden konnte.

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