Kapitel 20
Gebannt sah Rosalyn dabei zu, wie Alan sich ein zweites Glas Whisky einschenkte. Langsam drehte er sich zu ihr um und begab sich ebenso auf seinen Platz. „Vielleicht reden wir darüber, wie wir uns in nächster Zeit zueinander verhalten sollten?", meinte sie zu ihm. Sie wusste noch immer nicht so recht, wie sie in Zukunft handeln musste, schließlich konnten sie nicht so weitermachen wie bisher. Sie wollte aufrichtig zu ihm sein, aber sie würde auch nicht alle Verhaltensregeln akzeptieren, die er eventuell fordern würde. Sie würde nicht um jeden Preis seine Assistentin bleiben, das wusste sie jetzt schon.
„Ich will ehrlich zu dir sein", begann er langsam zu sprechen, „ich weiß es selbst im Moment nicht. Am besten wäre es, wenn wir nach Paris ausführlicher darüber reden. Es ist gegenüber dir nicht fair, aber wie du gesagt hast, ich sollte es wenigstens noch einmal mit Mary versuchen, bevor ich einen größeren Schritt wie eine Scheidung einleite. Vielleicht könnten wir diese Woche nutzen, um Abstand zu halten. Jeder von uns sollte die derzeitige Situation überdenken, nach Paris reden wir weiter." Alan war der Meinung, dass sein Vorschlag Rosalyn gegenüber eigentlich nicht gerecht war. Aber sie wusste schließlich, dass er verheiratet war. Er betätigte den Knopf an der Wand, um den Kellner anzufordern.
Kurze Zeit später hatten sie eine Auswahl an Desserts bestellt und zusätzlich zwei Tassen Espressi. Der Abend hatte eine Wendung genommen, die sich die beiden nie zu träumen gewagt hätten. Wie es in Zukunft weitergehen würde, stand derzeit noch nicht fest.
*
Rosalyn war mittlerweile vor dem Gebäude der Agentur angekommen, in Kürze würde ihr Termin mit einem der Vorgesetzten stattfinden. Früher hatten sie regelmäßige Meetings gehabt, doch die Firma hatte verschiedene Einsparungen getroffen. Da es nicht mehr so gut lief, wie noch vor einigen Jahren, fanden solche Treffen nur noch selten statt. Etliche Schauspieler hatten ihre Assistenten direkt angestellt oder waren in einem viel größeren Netzwerk an Unternehmen untergebracht, welche für bessere internationale Projekte sorgten.
Lange hatte ihr Gespräch nicht gedauert, da sie ihren Wunsch einen anderen Klienten zu bekommen, nicht geäußert hatte. Während sie ihren Weg über das Treppenhaus nach unten antrat, dachte sie weiter über die vorangegangene Besprechung nach. Sie konnte heilfroh sein, dass sie ihren Job noch hatte. Es war wieder eine Kündigungswelle durch das Unternehmen gegangen und in der nächsten Runde wäre sie ebenso davon betroffen, das war ihr heute unmissverständlich mitgeteilt worden. Nur wann es so weit sein würde, konnte man ihr nicht beantworten. Wochen oder Monate? Wer wusste dass schon so genau. Die danach verbliebenen Mitarbeiter würden von der Zentrale aus arbeiten und nur noch über das Telefon für ihre Klienten erreichbar sein. Es würde in Zukunft der persönliche Kontakt verloren gehen, aber diese Umstellung konnte einiges an Geld einsparen. Laut ihrem Vertrag durfte sie Alan kein Wort davon sagen, was sie auch nicht vorhatte, schließlich hatte er im Moment genug eigene Probleme. Er würde eine neue Kollegin zugeteilt bekommen, die sich gleichzeitig um andere Schauspieler kümmern würde. Es machte absolut Sinn, diese Maßnahme umzusetzen, somit konnte ein Angestellter mehr erledigen als bisher.
Vielleicht war dieser Gesprächsausgang ein Zeichen. Ein Zeichen für einen neuen Lebensabschnitt, welchen sie eigentlich schon länger im Kopf hatte. Bis jetzt war sie aber immer zu feig gewesen, ihre Komfortzone zu verlassen. Nun blieb ihr wohl nichts anderes mehr übrig, als sich gedanklich damit zu beschäftigen, ihre Zukunftsvision auch in Taten umzusetzen. Gleich heute noch würde sie sich für einen Besichtigungstermin für die Wohnungen, weit außerhalb von London, anmelden. Letztendlich glaubte sie nicht, dass Alan nachdem er in Frankreich gewesen war, an eine Scheidung denken würde. Viel wahrscheinlicher war, dass er sich mit Mary versöhnen würde, damit er einer unangenehmen Situation aus dem Wege gehen konnte. Und selbst wenn er sich trennte, würde es noch lange nicht bedeuten, dass er mit ihr eine Beziehung beginnen würde. Nein, sie würde jetzt auf sich und ihre Bedürfnisse achten, letzten Endes wollte sie nicht auf der Straße stehen. Sie musste rasch handeln, schließlich würde ein neuer Vermieter auf eine Sicherstellung ihrer Einkünfte bestehen. Derzeit konnte sie vorweisen, dass sie ein regelmäßiges Einkommen hatte, aber wer weiß wie lange noch. Danach würde sie keinen neuen Mietvertrag bekommen, immerhin würde kein zurechnungsfähiger Vermieter so etwas riskieren.
Fröstelnd wartete Rosalyn an der Haltestelle auf den Doppeldeckerbus. Sie konnte ihre Gedanken nicht mehr richtig verarbeiten. Alles schoss kreuz und quer durch ihren Kopf. Der gestrige Abend mit Alan war aufregend gewesen, doch sie hatte keine Zeit, sich weiterhin mit diesem Thema zu beschäftigen. Viel wichtiger war im Moment ihre Wohnungssituation, da sie ihre aktuelle Wohnung nicht behalten wollte. Diese war zu teuer und wenn sie vorübergehend keinen Job mehr haben würde, könnte sie sich die momentane Unterkunft nicht mehr lange leisten, immerhin wollte sie nicht ihr ganzes Erspartes dafür verschwenden. Aber zu allererst würde sie jetzt zurückfahren und sich bei Alan wie ausgemacht melden, doch das musste noch etwas warten.
*
Alan saß gerade in der Maske, es wurden wieder ein paar Szenen für Harry Potter gedreht. Noch musste er warten, bis er an der Reihe war, sich in Snape zu verwandeln. Heute war er zu früh ins Studio gekommen, da er nicht zu Hause bleiben wollte. Lieber würde er hier mit den Kollegen reden oder den Filmemachern über die Schultern sehen. Viel hatte er mit Mary nicht gesprochen. Sie nahm ihm übel, dass er am Sonntagabend einfach verschwunden war. Als er an Rosalyn dachte, sah er zum wiederholten Male auf sein Handy. Was dauerte da so lange? Warum rief sie ihn nicht endlich an? Ihre Besprechung in der Agentur musste doch schon längst erledigt sein. Ungeduldig starrte er noch einmal auf das Display, es schien nichts zu nützen. Er schob sein Mobiltelefon in seine Hosentasche, da er aufgerufen worden war, um an seinen Platz in der Maske zu kommen.
Alan sah durch den Spiegel dabei zu, wie ihm die lange Schwarzhaarperücke angeklebt wurde. Plötzlich begann sein Handy zu läuten, doch er konnte weder abheben, noch das Gerät aus der Tasche holen. Ausgerechnet jetzt konnte er den Anruf nicht entgegen nehmen, wahrscheinlich rief ihn gerade Rosalyn an. Sobald er hier fertig war, würde er sie umgehend zurückrufen. Angespannt sah er der Mitarbeiterin dabei zu, wie sie die Perücke richtete, um dieser den letzten Schliff zu verpassen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top