Kapitel 1
Was ich im Vorwort vergessen habe:
Die Geschichte ist eine „slow burn" Story, was heißen soll, dass es nicht so schnell erwachsenen Inhalt geben wird, es baut sich langsam auf. Also bitte nicht ungeduldig sein.😉
Und selbstverständlich ist wieder oldSis mit dabei, die das zweifelhafte Vergnügen hat, mir meine gröbsten Fehler aufzuzeigen. Danke dafür! 💖
Rosalyn eilte die letzten Meter auf dem Gehsteig entlang, bis sie am imposanten Eingangstor angekommen war. Widerwillig stieß sie die unverschlossene, metallene Gittertüre auf und stieg die wenigen Treppen nach oben, während sie in ihrer großen Manteltasche nach dem Haustürschlüssel kramte. Mit klammen Fingern nahm sie den Schlüssel und öffnete damit die schwere Sicherheitstüre der Londoner Villa.
Rasch schlüpfte sie hinein und verschoss diese sofort wieder hinter sich. Unmotiviert stellte sie ihre Aktentasche auf die Ablage, damit sie sich ihren Mantel und die dicken Winterstiefel ausziehen konnte. Das Wetter war unmöglich, die Busse hatten heute ewig gebraucht, um durch das Chaos auf den Straßen zu kommen. In der Nacht hatte es ein paar Zentimeter geschneit und die sonst so graue Großstadt war in eine dünne, weiße Schneedecke gehüllt, die mit Sicherheit bis zum Nachmittag nur noch eine schmutzige Schneemasse sein würde.
So leise wie möglich nahm sie ihre Tasche wieder an sich und schlich bis zur Bürotüre. Sie wollte die Bewohner der kleinen Villa nicht stören oder gar aufwecken. „Verdammt noch einmal", murmelte sie aufgebracht, als sie über den Schreibtisch sah. Es wartete schon wieder jede Menge Arbeit auf sie, wie sie mit einem routinierten Blick sogleich erkennen konnte. Egal ob es Film-, Interview- oder Theateranfragen waren, es wollte einfach kein Ende damit nehmen. Seid ihr Klient bei einem mehrteiligen Filmprojekt mitspielte, hatte sein Bekanntheitsgrad unermessliche Ausmaße angenommen.
Rosalyn arbeitete inzwischen fast zwei Jahre als Assistentin für Alan Rickman und half somit seinem Manager, die vielen Anfragen zu organisieren. Ihr aufeinandertreffen war durch reinen Zufall zustande gekommen, aber für sie schien es mittlerweile eher ein böses Schicksal gewesen zu sein, was sie beide zusammen geführt hatte. Sie war bei einer großen Agentur beschäftigt, die für etliche Schauspieler, unter anderem auch für prominente Leute, Termine und ähnliche Belange organisierte. Als ihre Vorgängerin bei ihm kündigte, besetzte sie den freien Platz. Recht schnell hatte Rosalyn herausgefunden, warum sich ihre Kollegin versetzen hatte lassen.
Mary. Eigentlich war alles mit diesem einen Wort gesagt.
Mary war die Lebenspartnerin von Alan und eine furchtbare Frau. Zwischen unbegründeter Eifersucht und genereller Unfreundlichkeit schwankte deren Stimmung hin und her. Wie es der bekannte Schauspieler nur aushielt mit dieser Furie zu leben, fragte sie sich schon, seit sie hier arbeitete.
Gerne hätte sie jetzt einen heißen Kaffee gehabt, um die morgendliche Eiseskälte zu vertreiben, doch sie traute sich zu dieser Zeit noch nicht in die Küche zu gehen. Wer weiß, vielleicht würde sie sonst das schlafende Ungeheuer wecken. Die Lage hier war mehr als verzwickt und der Wille, weiterhin mit Alan zusammenzuarbeiten wurde jeden Tag immer weniger. Mittlerweile dachte sie täglich daran, ebenso wie ihre Vorgängerin, zu kündigen oder zumindest zu versuchen, einen anderen Klienten zu bekommen. Wie sich das schon anhörte, überlegte sie traurig. Alan war für sie inzwischen so viel mehr als nur ein berühmter Schauspieler, auch wenn er ihr nie irgendwelche Hoffnungen gemacht hatte, schließlich war er vergeben. Sie musste mittlerweile bei jedem längeren Gespräch darauf achten, nicht wie eine der Fangirls zu wirken und ihn offenkundig anzuhimmeln. Mein Gott, er war aber auch äußerst attraktiv und dass er etwas über 50 war, störte sie überhaupt nicht.
Ausgelaugt durch ihre ganzen Gedanken und die immerwährenden Gefühle zu ihm, setzte sie sich an den Tisch und überblickte das Chaos, das sich vor ihr ausbreitete. Nachdem sie abermals nachgedacht hatte, entschied sie sich, doch das Risiko einzugehen, einen Kaffee zu holen. Denn wenn sie diesen Tag nur halbwegs überleben wollte, brauchte sie jetzt eine große Portion Koffein.
Wenn sie sowieso kündigen würde, müsste sie ohnehin keine Rücksicht mehr auf den alten Drachen namens Mary nehmen. Alan war ihr wirklich ans Herz gewachsen, aber sie hielt es trotzdem kaum noch aus. Leise trat sie den Weg in die Küche an, ging zur Kaffeemaschine und befüllte den leeren Behälter mit frischem Wasser. Nebenbei kontrollierte sie nach, ob genügend Kaffeebohnen in der Mahlkammer vorhanden waren.
Rosalyn wusste, dass es Mary überhaupt nicht passte, wenn sie in ihren privaten Räumen war. Aber sie sah nicht ein, sich ihren Kaffee selbst mitzubringen. Außerdem hatte ihr Alan ausdrücklich erlaubt, dass sie jederzeit in die Küche durfte. Wie sich das schon anhörte, „durfte" so etwas Lächerliches, wirklich unglaublich.
Als sie alles erledigt hatte, schaltete sie die Maschine ein. Währenddessen ging sie zum Küchenschrank, öffnete diesen und holte eine der kostbaren Porzellantassen hervor. Mary hatte einen sehr exquisiten Einrichtungsgeschmack, Alan hingegen war es egal, ob er aus einem Papierbecher oder aus einer 200 Pfund Sterling teuren Kaffeetasse trank. Rosalyn hoffte inständig, dass das laute Mahlgeräusch der Kaffeemaschine nicht bis in den ersten Stock zu hören war. Gedankenversunken sah sie dem heißen Gebräu dabei zu, wie es in die Tasse lief. Kaum war der Brühvorgang beendet, nahm sie ihr Getränk an sich und schnupperte genüsslich daran. Hinter ihrem Rücken erklang plötzlich eine dunkle Baritonstimme. Alan erschreckte sie mit seiner unerwarteten Anwesenheit so sehr, dass ihr der Kaffeebecher aus der Hand rutschte. „Scheiße!", rief sie aufgebracht, „jetzt ist mir auch noch dieses teure Ding aus den Fingern geglitten!" Zu ihrem Glück war ihr nichts von dem heißen Kaffee auf ihrer Kleidung gelandet.
„Guten Morgen, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken", beteuerte Alan und trat nun näher an das Geschehen, um zu sehen, was genau passiert war.
So ein riesiger Mist! Rosalyn wusste nicht, ob sie jetzt lachen oder weinen sollte, schließlich war gerade eine schweineteure Tasse kaputt gegangen. Sie sammelte für ein paar Sekunden ihre Gedanken, danach meinte sie zu Alan: „Es tut mir leid, ich wollte keinen der teuren Gegenstände zerstören. Bitte schreibe mir eine Rechnung, ich komme dafür auf."
„Sei nicht albern Rosalyn", bestimmte Alan, „ich bin froh, dass du dir nicht das heiße Getränk auf deine Bekleidung geschüttet hast. Komm, lass uns die Überreste wegräumen. Mary wird es schon nicht merken, wenn eine dieser unnötigen Dinger fehlt." Er blickte ihr aufmunternd entgegen und begann nun die ersten Scherben einzusammeln. „Außerdem gefallen mir diese Tassen ohnehin nicht wirklich", meinte er noch verschwörerisch zu ihr und grinste sie schelmisch an.
Das glaubte er ja wohl selbst nicht, dachte sie sich und starrte in seine braunen Augen. Sie konnte sein Lächeln gerade nicht erwidern, denn diese Hexe würde bestimmt jetzt schon wissen, dass eines ihrer Schmuckstücke kaputt gegangen war, noch bevor sie es wirklich gesehen hatte. Lieber wollte sie nichts mehr auf seine Aussage entgegnen und begann nun ebenso das Chaos vor ihnen zu entfernen. Beinahe hätten sie es geschafft, doch als die Türe aufging und Mary in den Raum trat, waren Rosalyns Befürchtungen wahr geworden und es würde mit Sicherheit gleich eine unangenehme Situation entstehen.
„Was war das eben für ein Geräusch?", fragte diese spitz. Erst als sie komplett in die Küche getreten war, bemerkte sie seine Assistentin. Sogleich änderte sich der Ausdruck ihres Gesichtes und sie starrte böse zu ihr. „Was haben Sie nur angerichtet? Das müssen Sie bezahlen!", keifte die ältere Frau sofort in ihre Richtung.
„Ich habe Ihrem Mann gerade angeboten, für den Schaden aufzukommen!", entgegnete sie nun unfreundlich zu ihr. Denn Rosalyn wusste, dass sie dafür geradestehen musste. Aber sie sah nicht ein, dass das Gespräch nicht in normaler Umgangssprache möglich war.
„Das ist doch das Mindeste, was Sie machen müssen. Aber bitte gehen Sie jetzt in das Büro und erledigen Sie Ihre Arbeit, für die Sie eigentlich hier sind!", meckerte Mary weiter.
Rosalyn war über die erniedrigende Behandlung so in Rage, dass sie am liebsten noch eine weitere Tasse ruiniert hätte. Der Morgen hatte bereits schrecklich begonnen, nicht einmal ihren Kaffee hatte sie bekommen. Besser wäre es, wenn sie jetzt sofort verschwinden würde.
Alan mischte sich nun ebenso ein und meinte zu seiner Assistentin: „Komm, geh lieber schon einmal nach nebenan. Ich bringe den Rest für dich in Ordnung." Mehr wollte er zu diesem Thema nicht sagen, zumindest nicht vor seiner Frau. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihm aus und er fand das Verhalten seiner Ehefrau unangebracht. Sie hatten mehr als genug Geld und diese hässliche Tasse konnte er mit seinem Wechselgeld bezahlen. Für seine Assistentin hingegen wäre es ein gewaltiger Einschnitt in ihr Gehalt und er würde nicht zulassen, dass sie dafür aufkommen müsste.
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