Marry trug ein grünes Kleid. Es war verziert mit schwarzen Blumen, die sich unregelmäßig über den Stoff rankten. Es fiel locker um ihre Beine, die von dem Sonnenschein der vergangenen Tage braun gebrannt waren. Ihre Haare hatte sie wie immer, zu einem Dutt gesteckt, von dem jetzt allerdings nicht mehr viel übrig war. Der Lippenstift, den sie immer trug, war verlaufen und einer der beiden Ohrringe fehlte. Kleine Schwalben aus Silber. Er konnte den verloren gegangenen nicht sehen, so sehr er sich auf bemühte. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn sie einfach nur vergessen hätte, dass es noch einen zweiten gab, so wie es ihre typische Art war, an die er sich in den letzten Wochen so gewöhnt hatte. Der Riss in ihrem Ohrläppchen und das Blut bezeugten seinen Gedanken jedoch die Lüge. Herausgerissen hatte man ihn. Vielleicht beim Kampf, vielleicht mit Absicht. Nichts von beidem wollte er sich vorstellen. Das dünne Rinnsal der Wunde hatte sich seinen Weg gebahnt, bis hinunter an den Hals. Hier wurde es unterbrochen, durch eine Verletzung, die einer Kratzspur ähnelte. Vielleicht ein Tier, doch nirgendwo waren Anzeichen dafür, mit Ausnahme der Kratzspuren, aus denen sich das Blut über das Kleid verteilt hatte, als es mit jedem Herzschlag hinaus gepumpt wurde. Immer, wenn das Herz Blut in einen neuen Kreislauf schickte, schoss ein Schwall hinaus. Er konnte es deutlich vor sich sehen. Auch ihre Hände konnte er erkennen, die verzweifelt versuchten, die Wunde abzudecken. Alles erschien vor seinen Augen, so wie es gewesen sein musste. Ihr panisches Gesicht, ihr vor Angst verzerrtes Gesicht. Das unnatürlich abstehende Bein, das durch das zerschmetterte Kniegelenk nicht mehr belastbar war. Ihr Sturz, als es unter ihr nachgab. Das Messer, das sich in ihre Schulter gebohrt hatte, das Knacken als sie die Arme dennoch nach oben riss, um die Schläge ins Gesicht abzufangen. Der Ausdruck in ihren Augen, als sie wusste, dass niemand ihr rechtzeitig zu Hilfe kommen konnte. Die Furcht, als das Blut aus der Wunde am Hals, zwischen ihren Fingern hervor lief. Die Farbe, die langsam aus ihrem Gesicht verschwand und die trübenden Augen, bei ihren letzten Atemzügen. Jetzt lag sie am Boden. Das Bein noch immer verdreht und die Hände ruhten an ihrem Hals. Um sie herum trocknete das Blut langsam an. Mit glasigen Augen, noch gefüllt mit Tränen, starrte sie auf die Uhr, die an der Wand hing. Das Glas war zersprungen und der Zeiger abgebrochen, doch der Mann und sie lachten noch immer. Mit zitternden Beinen ging er langsam auf sie zu, sank neben ihr auf die Knie. Das warme Blut klammerte sich sofort an seiner Kleidung fest. Seine Hand zuckte unkontrolliert, als er zögerlich ihre Augen schloss. Das einzige Geräusch, das wieder zu ihm durchdrang, war das Ticken der Uhr und das Knacken, wenn der zerbrochene Zeiger seine Position veränderte. Tick Tack Tick Tack Tick Tack Tick Tack. Sekunden, Minuten, vielleicht Stunden vergingen. Er starrte einfach nur in Leere, geradeaus. Nichts nahm er war, außer das Ticken. Es lachte ihn aus, bestrafte ihn. Dann übermannte ihn der Reflex seines Körpers; Blinzeln; riss ihn aus seiner Starre. Der Küchentisch schien nichts von dem Kampf mitbekommen zu haben. Er schien das einzige Möbelstück zu sein, das weder blutverschmiert, noch demoliert war. Mit aller Kraft wollte er ihn anziehen, half ihm auf die Beine. Ein kleiner Zettel lag auf dem Tisch. Zahlen ratterten sofort durch seinen Kopf: 2914 5914111216514 1 19381514 13111 235920518 2152514 1
Mühsam entzifferte er die Botschaft, die sie für ihn hinterlassen wollte. Er verzweifelte fast, weil er nicht sofort verstand, was er las. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich begriff, was da stand: „Bin einkaufen! Schon mal weiter üben!" Jetzt war es um ihn geschehen. Seine Selbstbeherrschung brach in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Er stürzte wieder auf die Knie, den Zettel fest in seiner Hand. Um ihn herum bildete sich ein ihm so bekannter Strudel. Schwarz und Weiß wirbelten um ihn herum, nahmen ihm jegliche Orientierung. Ihm war egal, wo er morgen sein würde, aber er konnte noch nicht gehen. Panisch versuchte er dagegen anzukämpfen. Er konnte Marry nicht einfach so da liegen lassen und selbst verschwinden. Das glich Verrat. Verzweifelt schrie er, rannte in irgendeine Richtung, schlug um sich. Nichts half. Er verlor in dem Moment, als er das Bewusstsein verlor und in die schwarze Dunkelheit gezogen wurde, die ihn mit offenen Armen empfing.
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