𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟯
I S A N A
Mit meinem letzten Donut in der Hand schlendere ich gelassen über den Hinterhof meiner Schule und beiße dabei genüsslich von meinen pinkfarbenen Nachtisch ab. Meine Mutter ist wirklich die Beste – sie vergisst nie, mir Süßigkeiten in meine Tasche zu schmuggeln. »Isana!«, erschrocken zucke ich zusammen und lasse dabei mein Essen fallen, weshalb ich sauer auf den Übeltäter blicke und meine Laune sich auf Anhieb direkt weiter verschlechtert. Was will dieses nervige Biest von mir!? »Du schon wieder, kannst du mich mal in Ruhe lassen? Es tut mir leid, aber ich mag dich nicht«, ich weiß, ich klinge fies, aber sie geht mir wirklich auf die Nerven und versteht nicht, was „nein" bedeutet.
Etwas geschockt aufgrund meiner Direktheit stützt sie ihre Lippen und räuspert sich dann schon mit einer angespannten Aura. »Woher weißt du überhaupt, dass ich den Hintereingang gewählt habe?«, brumme ich sie säuerlich an, während ich mich nach unten zum Boden beuge, um meinen Donut aufzuheben. »Mein Bruder meinte du wirst wahrscheinlich den Hintereingang nutzen, wenn ich sage, dass ich am Haupteingang auf dich warte«, erklärt sie mir und beobachtet mich mit zusammen gezogenen Augenbrauen dabei, wie ich den Donut wieder in meine Papiertüte packe. Ihr Bruder scheint also ein schlauer Fuchs zu sein, aber warum weiß er, dass sie mich sprechen will? Erzählt sie ihm eigentlich alles aus ihrem Leben oder ist er einfach ein Kontrollfreak, der seine Schwester nicht atmen lässt? »Den isst du doch nicht mehr, oder?«, angeekelt verzieht Peyton ihr Gesicht und zeigt mit ihren Finger auf meine Tüte, weswegen ich schnippisch aufschnaube und ohne etwas zu antworten ihr den Rücken kehre.
Natürlich werde ich ihn nicht essen, doch ihn auf den Boden liegen zu lassen wäre nicht nett gegenüber den Tieren, die soviel Zucker nicht vertragen können.
»Es tut mir leid, dass ich zu spät war. Manchmal kann mein Brude-«, ich unterbreche die Blondine. »Ist dein Bruder dein Boss?«, provokant schiele ich zu ihr herüber, doch statt dass ich einen beleidigten Ausdruck auf ihrem Gesicht vorfinde, sehe ich, wie sie mich mit bleichem Blick anstarrt und dabei perplex ihren Mund offen stehen lässt. Oh Gott, was ist denn mit der falsch?
»W..woher-«, sie räuspert sich. »Das war ein Spaß«, erneut unterbreche ich sie und komme mir dabei vor wie meine Mutter, die ebenfalls in jeden meiner Sätze dazwischen funken muss. Sie versucht unauffällig erleichtert aufzuatmen, weshalb ich mich ernsthaft frage, ob ihr Bruder sich wirklich als ihr Boss aufspielt, denn ihrer Reaktion nach zu urteilen, war meine eigentliche Spaß Frage in Gewisser Weise ernst zu nehmen.
Peyton ist zwar eine sehr hübsche, nette und humorvolle Person, doch ich habe einfach das Gefühl, dass sie bei unserer Freundschaft Hintergrundgedanken pflegt und mich wahrscheinlich nur ausnutzt, um sich mit meinen Freunden oder Elliott anzufreunden.
Das ist bestimmt auch der Grund, warum sie so dringend auf die Party wollte – sie nahm an, dass ich mich dort mit meinen Freunden verabreden würde. Nur schade, dass ich solche Partys hasse und meine Freunde sich meistens in Clubs oder ähnlichem reinschleichen, statt auf normalen Highschoolpartys zu feiern. Warum sie das tun war mir schon immer ein Rätsel, denn mittlerweile haben sie schon Hausverbot in sogut wie jedem Club.
»Mein Bruder arbeitet als Mechaniker.«
Um Himmels Willen, ich kann mich nicht daran erinnern gefragt zu haben! Entnervt nicke ihr nur desinteressiert zu. »Ich muss nach Hause«, eigentlich muss ich das nicht, ich möchte ihr einfach nur entkommen. Normalerweise bin ich zu niemanden so abweisend, nicht einmal zu Eliott, aber sie gibt mir kein gutes Gefühl. Und eines, was meine Eltern mich gelehrt haben ist, dass ich immer auf mein Bauchgefühl hören und lieber übervorsichtig handeln soll, bevor ich zu unvorsichtig bin. Und da kann ich ihnen mehr als nur zu stimmen. Gerade als ich ansetze mich wegzudrehen, umgreift sie plötzlich etwas fester meinen Arm und dreht mich zu sich. »Es tut mir leid, Ivana. Wirklich, normalerweise bin ich nicht so unzuverlässig und nervig, aber ich mag dich echt gern und würde dich noch besser kennenlernen und freuen, wenn du mich kennenlernen möchtest. Ich habe hier noch keine Freunde und du scheinst nett«, sie lächelt mich wieder mit einem unschuldigen Ausdruck an.
Langsam löse ich meinen Arm von ihren Griff.
»Ich heiße Isana.«
• • •
Summend schließe ich mit einem Vanilleeis in meiner linken Hand den Kühlschrank zu und stelle dann die kleine Packung von Eis vermischt mit winzigen, getrockneten Erdbeerstückchen auf den Tresen vor mir ab, bevor ich konzentriert auf das Lied, welches aus dem Radio dringt, einen großen Löffel und eine runde Schüssel aus dem Küchenregal hole. »Ziemlich ungesund«, höre ich unerwartet laut von der Küchentür aus, weshalb ich verschreckt meinen Blick hebe und dabei vergesse den Refrain vom Lied mitzusingen, nur um in das dümmlich grinsende Gesicht meines Vaters zu schauen. Skeptisch hebe ich meine Augenbrauen an und mustere ihn mit einem prüfenden Blick. »Dafür verschwendest du wertvolles Geld?«, stichelt er weiter und läuft mit verschränkten Armen auf die Eispackung zu. Ein sanftes Lächeln schleicht sich auf meinen Lippen und ich ignoriere gekonnt seinen provokanten Blick, der definitiv dazu dienen soll mich zur Weißglut zu bringen, nur leider wird das nicht klappen.
»Mhm«, brumme ich desinteressiert und stöbere noch einmal kurz im Kühlschrank herum, bevor ich glücklicherweise noch Sprühsahne im Inneren vorfinde und es mit einem zufriedenen Ausdruck hervorhole.
»Und Sahne auch noch, dann beschwere dich nicht übe-«, ich unterbreche meinen Vater mit dem Zuknallen der Kühlschranktür, ehe ich mich ruckartig zu ihm rumdrehe und anfange meine Lippen aufeinander zu pressen. Vielleicht schafft er es doch mich zur Weißglut zu bringen. Wenn er nicht mein gesamtes Leben bezahlen würde und es mir auch nicht geschenkt hätte, würde ich ihn jetzt von A bis Z beleidigen, doch stattdessen formt mein Mund sich wieder zu einem frechen grinsen. »Hörst du das eigentlich auch?«, gespielt verwirrt schaue ich mich in unserer Küche um und entgehe nun seinen prüfenden Blick. Hoffentlich fällt er darauf rein. Aus dem Augenwinkel heraus erkenne ich, wie er mein Tun nachahmt und sich verwirrt umschaut. »Nein, was meinst du?«
»Ein Vogel, ich höre ihn zwitschern«, bevor er auch nur darauf reagieren kann rede ich weiter, »Er sagt, es fehlen 20 Dollar in deinem Portmonee.«
Frech grinsend wende ich mich von meinem geschockten Ebenbild ab und laufe mit meiner Schüssel voller Eis und Sahne aus der Küche, nur um dann geradewegs in die Arme meiner Mutter zu laufen, die sich gerade glücklicherweise aber nicht im geringsten für mich interessieren zu scheint. Ein wenig beleidigt schaue ich der hektischen Ehefrau meines Vaters hinterher und entscheide mich ihr doch lieber zu folgen, anstatt mich, wie eigentlich geplant, ins Wohnzimmer zu setzen und während ich eine Serie schaue mein Eis zu essen. Zwar bin ich kein kleines Kind mehr, aber ein wenig mehr Aufmerksamkeit darf ich wohl von meiner eignen Mutter wünschen. »Ivan!«, schreit meine Mutter mit einem Ton in ihrer Stimme den ich bisher nur selten wahrgenommen habe. Augenblicklich kippt meine Stimmung. Ist etwas passiert? Mit zusammen gezogenen Augenbrauen und einem mulmigen Gefühl in meinem Bauch, welches möglicherweise von dem vielen süßem, was ich gegessen habe stammen könnte, betrete ich nach ihr die Küche, in der ich meinen immer noch etwas perplexen Vater eine ausgesteckte Zunge zuwerfe, bevor ich mich wieder etwas erwachsener meiner Mutter zu wende.
»Ist alles okay?«
Im Augenwinkel erkenne ich die besorgte Haltung meines Vaters – seine Schultern sind angespannt, sein Blick gleicht meinem und seine Beine näheren sich seiner Frau, die wie angewurzelt mitten in der Küche steht und mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck auf die Tageszeitung vor sich hin starrt. »Sofiya«, die tätowierte Hand meines Vater umschließt die meiner Mutter, welche aber ruckartig ihre Hand aus dem sanften Griff meines Vaters entzieht. Neugierig, begleitet mit dem ungutem Gefühl in meinem Bauch erhasche ich einen Blick auf die Zeitung in den zitternden Fingern meiner Mutter.
Doch bevor ich etwas vernünftiges darauf erkennen kann, reißt mein Vater die Zeitung weg und wirft selber einen Blick drauf, bevor sein besorgter Ausdruck sich zu einem aggressiven wandelt und er brutal die Zeitung auf den Tresen wirft und somit eine Vase voller Blumen umkippt, ehe man Glass zersplittern hört. Ich zucke ängstlich zusammen und versuche zu begreifen, was gerade hier vor sich geht. Das war meine lieblings Vase. Was steht in der Zeitung und warum sind beide so aufgelöst? »Ist..ist alles in Ordnung, ist etwas mit der Bank?« Meine Stimme ist ein einziges Hauchen, so sehr nimmt mich die jetzige Situation mit. In den letzten siebzehn Jahren haben meine Eltern Situationen entgangen, in denen sie ihre Angst vor mir entblößt haben, doch heute steht ihnen pure Panik ins Gesicht geschrieben.
Meine Eltern tauschen einen undefinierbaren Blick aus. »Geh in dein Zimmer, Isana«, befiehlt mein Vater ohne mich anzuschauen, was mich stutzig werden lässt. Verheimlichen sie mir etwas? Patzig verschränke ich meine Arme ineinander. Ich werde nicht in mein Zimmer gehen, schließlich bin ich keine fünf mehr und mache mir ernsthaft sorgen. »Nein, Papà, ich bin erwachsen genug, um eu-«, mitten in meinem Satz werde ich durch das laute Brüllen meines Vaters unterbrochen, welches mich angstverzerrt zusammen zucken lässt. »Isana, geh in dein verdammtes Zimmer, ich wiederhole mich nicht gern!«
Und dann gehe ich auch, so, wie es mir beigebracht wurde – auch, wenn ich für einen kurzen Moment daran gedacht habe dramatisch aus der Haustür zu stürmen – meine Eltern haben gerade wahrscheinlich andere Sorgen und ich möchte ihnen nicht noch mehr bereiten. Ich habe über die Jahre gelernt, dass man manchmal einfach auf seine Eltern hören muss, nicht immer, aber wenn es nur kleine Sachen sind, wie in sein Zimmer zu gehen, dann tut man das auch. Ich beiße mir auf meine Lippen. Trotzdem musste er mich nicht so anschreien, er weiß genau, dass ich anfangen muss zu weinen, wenn jemand sein Ton gegenüber mir erhebt.
Jetzt bin ich wieder fünf.
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