Umgeben von Verrat

Dottie

Wie an jedem Tag wusch sie auch an diesem die Kleider der Königin.
Doch etwas hatte sich verändert.
Heute trug die Zofe  kein Lächeln auf den Lippen. Ihr Mund war zu einer geraden, ernsten Linie geformt.

Ein Schmerz saß tief in ihrer Brust, hatte jegliche Freude aus ihrem Herzen vertrieben. Wieso hatte sie es nicht gesehen? Warum hatte sie es nicht bemerkt, dass Flora und Jaron nicht mit offenen Karten gespielt hatten? Wie hatte es ihr entgehen können, dass die beiden einer Revolte angehörten? Dass sie Verräter waren?

Stets hatte Dottie nur an das Gute in der Welt geglaubt, doch nun hatte sie die erbarmungslos, bittere Realität doch eingeholt und ihr gezeigt, dass nicht alles da draußen von Liebe und Friedlichkeit geprägt war.
Es gab schlimme Dinge, die tagtäglich innerhalb der Mauern, aber auch hinter den Toren des Palastes geschahen.

Es tat weh zu wissen, dass ihre Freunde auch sie hintergangen hatten. Die Treulosigkeit gegenüber der Königsfamilie war das eine gewesen, die Unehrlichkeit ihr gegenüber das andere.
Konnte sie Flora und Jaron überhaupt noch als Kameraden bezeichnen? Wie lange hatten die beiden ihr schon etwas vorgespielt und sie im Unwissen über ihre wahren Persönlichkeiten gelassen?

Immer wieder rieb sie das grüne, samtene Kleid über das Waschbrett, ließ es in den Zuber gleiten. Wasser spritzte über dessen Rand, beträufelte ihr eigenes Gewand.
Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie gar nicht bemerkte, dass sie ihre Hände langsam, aber sicher wundscheuerte.
Erst als sich die beinahe klare Flüssigkeit rot zu färben begann fiel es ihr auf.
Erschrocken ließ sie von dem Kleidungsstück ab und stand auf. Ihre Augen richteten sich auf die faltigen Finger, von denen Hautfetzen hingen.

„Ach, du lieber Himmel!", entwich es der jüngeren Zofe, die Floras Platz eingenommen hatte und ihr beim Waschen half. Zunächst nahm Dottie an, die kleine Schwarzhaarige würde sich tatsächlich um sie sorgen, doch sie wurde nur eine Sekunde später eines besseren belehrt.
„Geh und schone deine Hände. Ich mach das schon. So verunreinigst du nur die Kleider der Königin und jedes Dienstmädchen weiß, dass Blut sich nur schwer, bis gar nicht mehr aus Stoffen entfernen lässt!"
Es war die Angst, vor dem Zorn der Gekrönten, die da aus der neuen Bediensteten sprach.
Kein Wunder. Dottie wusste, wie ungehalten ihre Herrin werden konnte, wenn etwas nicht nach ihren Vorstellungen und Wünschen verlief. Es hatte Ewigkeiten gedauert bis sie eine Zofe gefunden hatte, die gut genug für sie gewesen war. Und diese war nun fort und überließ die beinahe unmögliche Aufgabe die Königin zufriedenzustellen, einem jungen, unerfahrenen Mädchen, das noch nie für Personen eines solch hohen Standes gearbeitet hatte.

Es brauchte einen Moment, ehe Dottie zu handeln begann, sich wortlos aus dem Raum entfernte und in Richtung der kleinen Kammer lief, in der sie des nachts schlief.
Dort säuberte sie die offenen Stellen und verband sie mit Leinentüchern.

Schwer seufzend wandte sie sich anschließend dem kleinen Rundfenster zu, das nur wenig Licht in den staubigen Raum ließ. Es erhellte das Bett und den kleinen nur bedürftig.

Sie ertappte sich bei dem Gedanken daran, wieso Flora und Jaron sie nicht mitgenommen hatten. Doch dann schüttelte sie den Kopf. Lieber hätte sie sich selbst das Leben genommen als die Familie Chaworh zu verraten.
Es mochte sein, dass der König nicht immer fair richtete und es stimmte auch, dass die steuerlichen Angaben immer höher wurden. Doch das bedeutete längst nicht, dass alles so schlecht war, wie es viele darstellten.

Auch sie war Opfer seiner Urteile, war als junges Mädchen ihrer Familie entrissen worden. Zunächst hatte sie den König dafür verteufelt, aber dann schnell begriffen, dass es Vorteile mit sich brachte hinter den Mauern des Palastes zu leben.

Jahrelang hatte es der Herrscher geschafft den Frieden zu wahren und zu verhindern, dass ein Krieg das Land überkam.
Viele wollten, oder konnten das nicht sehen. Ihnen war nicht bewusst, wie viele Leben er damit gerettet, wie viele Existenzen er vor dem Untergang bewahrt hatte.

Dottie hatte Geschichten darüber gehört wie es war, wenn es zu Schlachten kam.
Dann brannten Häuser, der Geruch von verkohltem Fleisch und Blut zog sich durch die Straßen. Nirgendwo war man mehr sicher.
Nicht einmal vor Kindern machten feindliche Soldaten halt. Sie vergewaltigten die Frauen, brachten sie dann vor den Augen ihrer Männer um.
So war er, der Krieg.
Die Zofe war dankbar dafür, dass sie in einer Zeit hatte aufwachsen dürfen, in der keiner geherrscht hatte.
So wie die Dinge jetzt aussahen, würde sich das  allerdings bald ändern.

Terosa hatte selbstverständlich davon erfahren, dass die Prinzessin von Banditen entführt worden war.
Durch das Nichteingreifen des Königs von Bardo bestand nun die Gefahr, dass Terosa seine Soldaten schickte, um Vergeltung zu üben und seine Thronerbin eigenhändig aus den Fängen der rebellischen Truppe zu befreien, zu der auch Dotties einst geglaubte Freunde gehörten.

Wie lange noch, bis sie außerhalb des Fensters in etwas Entfernung anstelle der Idylle des am Ende des Hügels angrenzenden Dorfes in Flammen stehende Hausdächer betrachten konnte?
Sie fröstelte, rieb sich die Arme bei der Vorstellung daran.

Noch einige weitere Augenblicke stand sie dort und sah nach draußen, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte und zurück in den Waschraum kehrte.

„So fasst du die Kleider nicht mehr an!"

In der vergangenen Woche hätte Dottie diese Worte noch belächelt und sie auf die leichte Schulter genommen. Immerhin wusste sie um die Angst des Mädchens.
Heute aber konnte sie diese Unverschämtheit nicht auf sich ruhen lassen.
„Wag es nicht in diesem Ton mit mir zu sprechen! Es mag sein, dass du den Diensten der Königin unterstehst und ihr näher bist als ich, aber ich bin dennoch länger hier!"
Sie konnte dabei zusehen, wie die neue Zofe immer kleiner wurde. So als wären Dotties Worte Pfeile unter denen es sich wegzuducken galt.

„Ich habe Mädchen wie dich wie die Fliegen kommen und gehen sehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch du wieder dieses Platzes verwiesen wirst."
Von der Wahl der letzten Worte erschrocken, zuckte Dottie selbst zusammen. Was war nur los mit ihr? Sie erkannte sich nicht mehr wieder.
Hatte all der Verrat der sie umgab dazu geführt, dass sie sich allmählich selbst verlor?

Kurzerhand trat sie erneut aus dem Raum. Sie musste hier raus, brauchte dringend etwas frische Luft, um wieder klare Gedanken fassen zu können.
Eilig trugen ihre Füße sie durch die Gänge, den Blick auf den steinernen Boden gerichtet.
Ihr eigenes Verhalten ekelte sie so sehr an, dass ihr schlecht wurde.
So war sie nicht. Nein, das war nicht sie. Niemals hätte sie zu früheren Zeiten auf diese Weise mit einem Mädchen gesprochen. Oder überhaupt mit einem anderen Menschen.

Nicht darauf achtend wohin sie lief, rempelte sie auf ihrem Weg ungewollt einen Soldaten an. Hart stieß sie gegen dessen stählerne Rüstung, prallte von ihm ab und hätte er seine kräftigen Hände nicht um ihre dünnen Oberarme gelegt und sie festgehalten, wäre sie wohl gestürzt und auf ihrem Hintern gelandet.
Hitze schoss ihr in die Wangen als die umstehenden Kameraden des Mannes zu lachen begannen.

„Eine Zofe schusseliger als die andere!", prustete der eine.
„Zu mehr als zum Putzen und Nähen sind die einfach nicht zu gebrauchen!", ein anderer.

Der Griff um ihre Arme löste sich wieder. Sie sah zu ihrem Retter auf, der sie ruhig durch braune Augen musterte. Jene strahlten eine wohlige Wärme aus.

„Ver.. verzeiht", stammelte sie und schob sich dann auch schon an ihm vorbei, um der peinlichen Situation so schnell wie nur möglich zu entkommen.
Kurz bevor sie um die nächste Ecke bog, hörte sie einen der Soldaten noch sagen: „Sir Haldar, Ihr habt Euch gerade doch nicht etwa verliebt?" Ein erheitertes Lachen folgte. „Das könnt Ihr Euch zu diesen Zeiten nicht leisten. Ihr braucht Euren Verstand auf dem Schlachtfeld, nicht im Bette einer Magd!"

Wut kochte in Dottie auf, während sie fast schon durch die restlichen Gänge rannte.
Ritter unterstanden ebenso wie sie den Diensten der Königsfamilie und doch hielten sich beinahe ausnahmslos alle  für etwas besseres und das nur, weil das Zepter des Herrschers für wenige Sekunden ihre Schultern berührt hatte und er ihnen den Titel Sir zusprach.

Nur wenige Sekunden nachdem der Zorn in ihrer Brust aufgekeimt war, mischte sich Angst darunter. Die Worte des Soldaten hallten nochmals in ihren Gedanken wider: Ihr braucht Euren Verstand auf dem Schlachtfeld, nicht im Bette einer Magd.

Auf dem Schlachtfeld.

Dotties Herz verkrampfte sich in ihrer Brust. Bedeutete das etwa, dass wirklich ein Krieg im Anmarsch war?
Oh, du lieber Gott, wenn du von dort oben zusiehst, bitte verhindere es. Bitte lass nicht zu, dass so viele Menschen ihre Leben lassen. Bitte sorg dafür, dass Einsicht einzieht, bevor die Schwerter aufeinandertreffen.
Sie hoffte, dass der Mann im Himmel ihre Gebete erhörte, denn er war vermutlich der Einzige, der genügend Macht besaß, um das Unausweichliche abzuwehren.

Als sie schließlich nach draußen auf den Innenhof trat, legte sie ihre Hände auf die Oberschenkel, beugte den Oberkörper nach vorne und sog gierig die frische Luft ein.
Von den sich überschlagenden Ereignissen war ihr schwindlig geworden.

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Miss?"

Sie wandte den Blick dem kleinen, dicklichen Mann mit der Halbglatze zu, der den Palast gerade hatte betreten wollen, aber innegehalten hatte, sobald er sie und ihren aufgebrachten Gemütszustand bemerkt hatte.

Dottie kannte den Kerl, hatte ihn schon öfters in der Nähe des Königs gesehen und wusste, dass er einer seiner Berater war.

Ohne auf seine Frage einzugehen, stellte sie ihm zwei andere: „Ist es wahr? Wird Terosa seine Soldaten schicken?"

Überrumpelt von ihrer Erkundigung fasste er sich an die schmierig, glänzende Stirn.
„Es ist mir wirklich nicht gestattet frei über solche Angelegenheiten zu sprechen ...", setzte er an, wurde aber sofort von Dottie unterbrochen, die in diesem Moment sämtliche Manieren zu vergessen schien.
„Wenn es wahr ist, dann müsst ihr das Volk warnen! Es muss die Gelegenheit bekommen, die Dörfer zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen! Ihr müsst ihm Einlass gewähren!"

Ihr Herz raste immer schneller, brachte ihren ganzen Körper zum Beben. Sie atmete so hastig, dass sie langsam blass wurde.
Die Welt um sie herum drehte sich immer schneller.

„Miss, bitte setzt Euch auf die Stufen und ..."

Mehr hörte sie nicht mehr.
Mit jedem Wort war ihr die quakende Stimme des Beraters immer weiter entfernt vorgekommen, bis sie schließlich nur noch ein dumpfes Rauschen in ihrem Ohr gewesen war.

Die Sicht verschwamm vor ihren Augen, verzerrte sich zu einem surrealen Bild. Aus dem rundlichen Gesicht des dicklichen Mannes, wurde ein längliches. Der halbe Glatzkopf verschmolz mit seiner Umgebung.

Dottie kippte nach hinten, spürte wie die Arme des Beraters sie gerade noch rechtzeitig auffingen.

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