Pfefferminze und Zitronenmelisse
Bone
Sanft fuhr der Wind durch sein Haar, kitzelte seine Haut und küsste seine Wangen. Eine Gänsehaut überzog seine Arme. Nicht weil ihm kalt war, sondern weil ihn das Gefühl nach Freiheit einzunehmen begann.
Ewigkeiten hatte er auf diesen Moment gewartet, der nun bald gekommen war. Seine Leute würden endlich das bekommen, was der ein oder andere Gerechtigkeit nannte. Die Ära der Reichen würde schon in wenigen Wochen ihr Ende finden.
Nachdenklich sah er von dem grünen Kraut mit den weißen Blüten in seinen Händen auf, wegen welchem er den Hügel erst erklommen hatte. Von diesem aus konnte er in der Ferne den Palast von Bardo erkennen. Die dunklen Mauern schlängelten sich an der Küste entlang. Sie wirkten bedrohlich wie eine Schlange.
Der Geruch von Pfefferminze und Zitronenmelisse stieg ihm in die Nase und erinnerte ihn wieder an seine eigentliche Aufgabe. Heute war er nicht her gekommen, um mit seinem alten Fernrohr, das er noch von den längst vergangenen Zeiten der Schiffsreisen besaß, die Wachen vor den Toren auszuspionieren, sondern um seiner Herrin einen Gefallen zu erweisen. Sie zwang ihn zu Nichts, was sie besonders machte und ihr schlussendlich auch den Titel Ritterin der Armen unter dem gemeinen Fußvolk eingebracht hatte.
Bone und seine Leute folgten ihr nicht, weil sie sie unterjochte und sie vor Angst erbeben ließ, sondern weil sie sie als ihresgleichen sah.
Ein letztes Mal ließ er den Blick über den Palast schweifen, ehe er kehrtmachte und den Hügel hinabstieg, der ihn zurück in den Schutz der hohen Tannen führte. Sein Pferd, eine honigfarbene Stute mit schneeweißem Haar, wartete dort geduldig auf ihn und zupfte währenddessen etwas an den Stängeln, die es geschafft hatten, sich durch das Moos hindurch zu kämpfen.
Sanft tätschelte er ihr den Hals, ließ das gepflückte Kraut in der ledernen Satteltasche verschwinden und kletterte dann auf ihren Rücken. Mit einem Schnalzen der Zunge signalisierte er ihr, dass es Zeit war, wieder aufzubrechen. Ohne zu zögern kam sie seiner Bitte nach, woraufhin er einen Piff ertönen ließ. Das ihm wohlbekannte Geräusch von Pfoten, die trommelnd über den Waldboden fegten, drang an seine Ohren und nur wenig später befand sich auch sein zweiter tierischer Gefährte wieder an seiner Seite: Blut, sein Wolf.
Das schwarze Tier mit den gelb glühenden Augen hetzte neben der Stute her, die sich durch seine Anwesenheit schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen ließ.
Bone hatte Blut als Welpe im Wald gefunden. Er hatte neben dem toten Kadaver seiner Mutter gelegen und gewimmert, wie ein kleines menschliches Baby. Vermutlich hatten ihr Jäger den Garaus machen wollen, sie aber lediglich schwer verwundet, sodass sie die Flucht hatte ergreifen können und am Ende in der Nähe ihres Jungen gestorben war.
Hilflos hatte er in Bones Armen gestrampelt, als dieser ihn am Nackenfell in die Höhe gehoben und ihn in seine Tasche gesteckt hatte.
Es hatte einiges an Zeit in Anspruch genommen, doch am Ende hatte der Wolf in dem Mann einen Freund gefunden, dem er vertraute.
Für die Gemeinschaft war Blut unabdingbar geworden. Er gewährte ihr Schutz bei Nacht, schützte die Schafsherden und half bei der Jagd.
Ein jeder bewunderte und respektierte das schwarze Tier. Bluts Treue aber galt nur Bone.
Der Mann ließ seine Stute wieder etwas langsamer werden, als sie sich der Lichtung im Wald näherten, in der er zuhause war.
Als die ersten braunen Holzhütten in Sicht kamen stieg er von ihrem Rücken, brachte sie zu dem kleinen eingezäunten Paddok, den sie sich mit einem schwarz-braun gefleckten Wallach teilte und nahm ihr Sattel und Zaumzeug ab.
Er holte die Pfefferminze und Zitronenmelisse aus der Tasche, hängte das Reitzeug über einen Balken des eingezäunten Bereichs und machte sich dann mit Blut auf den Weg zu der Anführerin.
Ihre Bleibe befand sich im Zentrum der kleinen Siedlung und unterschied sich nicht sonderlich von den anderen Behausungen. Sie war nicht größer, nicht geräumiger und auch nicht aus einer anderen Holzart gefertigt worden. Das Einzige, das besonders an ihr war, waren die kleinen blauen Blumen, die um sie herum wuchsen.
Bone erklomm die zwei Stufen, die zur Eingangstür führten und klopfte dabei auf die selbe Art und Weise an, wie er es immer tat, um ihr zu signalisieren, dass er es war, der um Eintritt bat: drei kraftvolle Faustschläge mit Abständen von jeweils zwei Sekunden.
Der schwarze Wolf setzte sich geduldig an seine Seite, hechelte und wartete mit ihm, bis ihnen schließlich geöffnet wurde.
Margary blinzelte ihn durch ihre dunkelbraunen Augen an und sobald sie ihn erkannte, formten ihre Lippen sich zu einem warmen Lächeln. Sie schob sich eine ihrer grauen Locken hinter das Ohr, ehe sie zur Seite trat und ihn und Blut nach drinnen ließ. Mit einer Handbewegung signalisierte sie Bone, dass die Anführerin sich im Hinterzimmer befand. Dann beugte sie sich zu seinem pelzigen Begleiter hinab und kraulte ihm den Rücken. Ein wohliges Brummen verließ dessen Kehle und er presste sich mit der Flanke an ihre Schenkel. So wild er auch manchmal war, so sehr liebte er doch auch die Streicheleinheiten, welche die Greisin ihm bei jedem ihrer Zusammentreffen zukommen ließ.
Bone schob sich an den beiden vorbei, fasste Margary dabei kurz sanft an die Schulter. „Hat sie sich bereits entkleidet?" Nur ungern wollte er in das hintere Zimmer stürmen und dabei einen Blick auf etwas erhaschen, das nicht für seine Augen bestimmt war.
Margary gab ihm mit mehreren Gesten zu verstehen, dass ihre Anführerin ihr Gewand zwar nicht mehr trug, aber er sich keine Sorgen zu machen brauchte auf nackte Haut zu treffen.
Er nickte knapp, wandte sich dann von der stummen Frau ab und klopfte kurz in der altbekannten Weise an, ehe er den kleinen Raum betrat, den er schon so oft zu Gesicht bekommen hatte.
Der wohlige Dampf von heißem Wasser schlug ihm entgegen und füllte seine Lungen, befreite seine Atemwege auf angenehme Art.
Vorsichtig und leise ließ er die Tür wieder in ihre Angeln fallen, da er die angenehme Ruhe nicht stören wollte, die sich in dem kleinen Zimmer breitgemacht hatte.
„Bone."
Die Sanftheit in ihrer Stimme brachte ihn augenblicklich dazu zu lächeln.
Normalerweise war er kein Mann, der seine Mundwinkel allzu häufig anhob, doch die Anführerin hatte eine gewisse Wirkung auf ihn, die ihn sich einfach unbeschwert und leicht fühlen ließ. Hinter diesen vier Wänden konnte er einfach er selbst sein, ganz ohne sich verstellen zu müssen. Sie akzeptierte ihn so wie er war und das brachte ihn dazu sich in ihrer Gegenwart anders zu verhalten, als in der der anderen Einwohner.
Seine eisblauen Augen legten sich auf ihr Gesicht, das für ihn absolut makellos war, auch wenn es manch andere Person anders sah.
Eine lange Narbe zog sich rechtsseitig von ihrem Haaransatz bis hin zu ihrem Kinn. Es grenzte an ein Wunder, dass sie ihr eines Augenlicht nicht verloren hatte.
Er wusste um die Geschichte hinter dem verheilten Wundmal. So betrachtete er es als Perfektion, nicht als Entstellung.
Wortlos hielt er die Kräuter in die Höhe, womit er ihr ein erfreutes Lachen entlocken konnte.
„Womit habe ich es nur verdient, solch einen guten Mann an meiner Seite zu haben?"
Sie erhob sich von ihrem Stuhl, hielt dabei das Tuch aus weißer Schafwolle fest, welches ihren nackten Körper vor ihm verhüllte.
Ihr weißes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der leicht hin- und herwippte, als sie auf ihn zukam.
Mit ihren zierlichen Fingern griff sie nach der Pfefferminze und Zitronenmelisse, hielt sich beide unter die Nase und nahm einen tiefen Atemzug. „Herrlich. Ganz frisch, so wie ich es liebe."
Stumm beobachtete Bone sie dabei, wie sie zur Wanne schritt und die Kräuter in das heiße Wasser gab. Sofort begann sich im Raum ein wohltuender Duft auszubreiten.
„Setz dich." Kurz sah sie über ihre Schulter und deutete auf den Stuhl, auf dem sie zuvor gesessen hatte, ehe sie ihm den Rücken zuwandte und das Tuch fallen ließ.
Augenblicklich nahm er den Blick aus Respekt von ihr, richtete ihn auf den Boden und lief zu dem Sitzplatz hinüber, um sich auf diesem niederzulassen. Er betrachtete seine Hände, die er sich in den Schoß legte. Der Klang des Wassers verriet, dass sie sich in die Wanne gleiten ließ.
„Hast du etwas gesehen, als du auf dem Hügel warst?", fragte sie währenddessen.
Er räusperte sich kurz, ehe er ihr antwortete: „Ich habe nicht viel Zeit damit vergeudet die Mauern zu betrachten, sondern nach Pfefferminze und Zitronenmelisse gesucht."
„Ein guter Mann, sagte ich doch." Bone sah sie zwar nicht an, konnte aber dennoch ausmachen, dass sie schmunzelte.
„Allerdings hat mir Dandelion gestern Nacht eine Nachricht zukommen lassen. Ich wollte dich nur nicht mehr stören, da ich nicht wusste, ob du bereits schläfst", meinte er dann und hob den Blick dabei zunächst nur ganz leicht. Erst als er festgestellt hatte, dass sie sich bis zum Schlüsselbein unter Wasser befand, wagte er es, ihr ins Gesicht zu sehen.
Ihre Augenbrauen hoben sich fragend. „Was spricht sie?"
„Der Prinz plant einen Ausflug nach Frostford."
„Frostford? Aber was will er denn in diesem Dorf? Das sieht ihm nicht ähnlich." Sie richtete sich wieder etwas in der Wanne auf, weshalb Bone den Blick sofort wieder von ihr nahm und sich lieber den Kerzen zuwandte, die auf der kleinen Kommode zu seiner rechten Seite brannten. Die Mittlere war schon so verbraucht, dass er innerlich beschloss, wieder Neue zu besorgen, sobald er wieder einmal ausreichend Zeit dafür fand, den Markt von Glaskerville aufzusuchen. Die kleine Flamme flackerte bereits, war kurz davor zu erlöschen.
„Man munkelt die Prinzessin würde Dörfer großen Städten vorziehen und er wolle ihr mit dem Besuch in Frostford zeigen, dass es ihm wichtig ist, dass sie sich während ihres Aufenthalts in Bardo wohlfühlt."
„Ist die von ihnen gewählte Route bereits bekannt?" Bone entging es nicht, wie ihre Stimme in heller Aufregung zu beben begann.
„Noch nicht, aber viele Möglichkeiten bleiben ihnen nicht. Entweder nehmen sie den kürzen Weg durch den Taliswald oder den längeren, der an der Drachenküste entlang führt." Mit einem leisen Zischen quittierte die mittlere Kerze nun ihren Dienst und ließ eine kleine rauchige Wolke im Raum empor steigen, die nach Honig und dem ausgebrannten Docht roch.
Nachdenklich brummte die Weißhaarige, ließ sich wieder tiefer ins Wasser sinken. „Wann können wir mit der nächsten Nachricht rechnen?"
„Vielleicht schon heute Nacht, vielleicht aber auch erst in ein oder zwei Tagen. Dandelion schrieb, sie müsse vorsichtiger werden, da es der Königin bereits seltsam vorkam, dass sie so viele Fragen über Dinge stellt, die sie früher nie sonderlich interessiert haben."
„Das bedeutet nun wohl geduldig zu sein, aber nur weil wir warten müssen bedeutet das nicht, dass wir nicht bereits Vorkehrungen treffen können. Hast du die Männer ausgewählt?" Er konnte spüren, wie ihr Blick sich förmlich in seine Wange einbrannte.
Sie besaß Iriden, deren Farbton so stehend war, wie die Klinge eines frisch geschmiedeten Schwertes. Dennoch liebte er ihre Seelenfenster, die ihn im richtigen Licht an flüssiges Eisen erinnerten.
„Gedanken habe ich mir gemacht, mich aber noch nicht gänzlich entschieden", antwortete er ihr wahrheitsgemäß, auch wenn er wusste, dass sie diese Worte nicht zufriedenstellen würden. Es war keine einfache Entscheidung, die er hier zu tätigen hatte, denn für manch einen der von ihm auserkorenen Männer, würde ihr geplantes Unterfangen mit Sicherheit den Tod bedeuten. Auch wenn er sich im Klaren darüber war, dass manche Dinge einfach ihre Opfer forderten, waren es dennoch seine Leute. Sein Vater hatte sie einst mitgebracht, sie zum Teil der Siedlung gemacht.
„Dann tu das. Entscheide dich und schick sie heute Abend zu mir. Achte darauf, dass die Pferde und auch Blut gestärkt sind und lass den Schmied die Waffen nachschärfen", wies ihn die Weißhaarige an und signalisierte ihm damit, dass er nun wieder gehen sollte.
Er nickte, erhob sich und verließ ohne ein weiteres Wort zu verlieren den Raum.
Margary kraulte dem schwarzen Wolf noch immer wohlwollend den Rücken und sah erst auf, als sich Bone mit einem Räuspern bemerkbar machte.
Schnell hob die ältere Frau den Zeigefinger als Zeichen, dass er kurz warten sollte.
Sie kramte in ihrer Hosentasche, zog zwei Streifen getrocknetes Hasenfleisch daraus hervor und reichte sie ihm. Mit einem Kopfnicken deutete sie auf Blut und gab Bone damit zu verstehen, dass er ihm die Leckereien später zukommen lassen sollte.
„Du verwöhnst ihn viel zu sehr. Er soll jagen und nicht aus der Hand fressen", brummte Bone, erntete dafür seitens Margary aber nur ein schelmisches Grinsen, das sie wie ein junges Mädchen und nicht wie die Greisin erscheinen ließ, die sie nun einmal war.
Kurz schüttelte der Mann den Kopf, ehe er einen Pfiff ertönen ließ, der Blut dazu veranlasste, an seine Seite zu springen.
Verspielt wie ein Welpe knabberte er ihm in der Hoffnung darauf bereits jetzt einen Streifen vom Trockenfleisch zu erhalten an der Hand.
„Lass das, Junge." Harsch klopfte Bone ihm auf die Schnauze, um das ungewünschte Verhalten zu unterbinden. Dann wandte er sich der Tür zu.
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