Mausetot
Flora
Ihr Herz hämmerte aufregt wie ein junger Vogel in ihrer Brust, der unmittelbar vor seinem ersten Flugversuch stand.
Jaron stand vor ihr, die Hände in die Hüften gestemmt und nickte ihr energisch zu, um seine vorangegangenen Worte zu unterstreichen.
Schweißperlen begannen sich auf Floras bleicher Stirn zu bilden und sie spürte wie ihre Lippen feucht wurden.
Schnell wischte sie sich über den Mund, wandte den Blick von dem ehemaligen Küchenjungen ab und trat ans Fenster der Hütte, die ihr und ihren beiden Begleitern zugewiesen worden war.
Sie war nicht groß, doch besaß ausreichend Betten, die noch dazu bequemer waren als die, die dem Personal im Schloss zur Verfügung gestellt wurden.
Ein Feuer prasselte im Hintergrund, schenkte ihnen Wärme und wenn sie danach fragten, dann bekamen sie Fleisch und andere Köstlichkeiten, aus denen sie in ihrer eigenen minimalistisch angehauchten Küche etwas zubereiten konnten.
Alles was sie brauchten, das fanden sie hier. Flora sollte glücklich darüber sein, so war es doch das gewesen, was sie sich gewünscht hatte - ein neues Zuhause, in dem alle gleichgestellt waren und in dem man sie mit dem Respekt behandelte, der ihr zustand.
Und doch war sie es nicht.
Ein ungewohntes Gefühl machte sich in ihr breit, während sie Bone beobachtete, der einen blonden Mann geschultert über die Mitte der Siedlung trug.
Theon.
Der Plan war aufgegangen. Auch darüber hätte sie sich freuen sollen, aber sie tat es nicht.
Stattdessen spürte sie die Schuld, die schwer auf ihren Schultern lastete und sie nicht mehr aufrechtstehen ließ.
Ihre Finger krallten sich in den hölzernen Fenstersims.
„Wer hätte gedacht, dass der Prinz wirklich so naiv ist", hörte sie Jaron hinter sich witzeln. Er lachte. Flora fühlte nur wenig später seinen heißen Atem in ihrem Nacken, als er direkt hinter sie trat, um auch etwas sehen zu können.
Ich habe es gedacht. Die Worte formten sich in ihren Gedanken, doch sie sprach sie nicht laut aus. Denn ich kenne ihn. Ich weiß, um sein ehrliches, gutes Herz.
Mit Wehmut beobachtete sie Fiolets Vertrauten dabei, wie er mit dem Bewusstlosen in einer kleinen Hütte verschwand, von der man sich sagte, dass in ihr auch die Prinzessin gefangen gehalten wurde.
Es wäre durchaus klüger gewesen die beiden zu trennen, aber Fiolet wollte sie quälen. Sie wollte ihnen Hoffnung geben, nur um sie ihnen erneut zu entreißen.
Oh Theon, wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment, du hättest einmal nicht nach deinem Bauchgefühl gehandelt.
„Noch weniger zu glauben ist es allerdings, dass auch sein Bastardbruder gefasst worden ist. Er hat ihn begleitet", schwafelte Jaron weiter vor sich hin, auch wenn Flora ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht ein einziges Mal geantwortet hatte.
Jetzt aber wirbelte sie zu ihm herum.
„Hunter ist auch hier?"
Sie konnte das Entsetzen in ihrer Stimme nicht verbergen. Davon war nie die Rede gewesen. Von Anfang an hatte es geheißen, es ginge nur um Theon und dessen Eltern. Hunter war kein bemächtigter Thronerbe und somit keine Bedrohung für die Revolution.
Jarons dunkle Augenbrauen hoben sich und er legte den Kopf lauernd schief.
„Du wirkst nicht erfreut", stellte er fest. „Weshalb nicht? Ich meine, auch wenn er niemals König werden wird, so fließt dennoch blaues Blut durch seine Adern. Jeder, der dieser Sorte Mensch angehört, ist einer zu viel."
„Ja ... ja, natürlich", antwortete sie ihm. „Was werden sie mit ihm anstellen? Werden sie ihn auch ..."
„Ausbluten lassen?", unterbrach er sie und sorgte damit dafür, dass sie zusammenzuckte. Noch immer graute sie es vor dieser Vorstellung.
Fiolet hatte keinen angenehmen Tod für Theon auserkoren. Sie wollte, dass er litt, dass der Tod ihn quälend langsam ereilte.
Auf die Idee bezüglich der Hinrichtungsart, hatte Bone sie gebracht. Er stammte aus den Nordländern und dort handhabte man schwere Verbrechen wohl auf diese Art und Weise.
Wieder flammte das Gefühl der Schuld in Floras Brust auf.
Sie war mitverantwortlich für das, was den Prinzen erwartete. Einen Mann, den sie nie wirklich gehasst hatte und der es in ihren Augen nicht verdient hatte, auf einem solch schrecklichen Weg zu sterben.
Doch laut aussprechen konnte sie das nicht. Nicht hier.
„Angst?", fragte Jaron, woraufhin sie den Kopf schüttelte und die Hände in die Hüften stemmte. Sie legte einen tadelnden Blick auf.
„Ich bin noch immer eine Lady und als solche erfreue ich mich nicht an derartig grauenhaften und barbarischen Vorgehensweisen."
„Das ist nur, was er verdient hat." Jaron zuckte mit den Schultern. Sich vorzustellen, wie das Blut des Prinzen langsam aus dessen Körper entwich und den Boden des Waldes besudelte, schien ihn völlig kalt zu lassen.
„Außerdem ..." Er entfernte sich wieder von ihr, da es draußen nun nichts mehr zu beobachten gab. Stattdessen setzte er sich auf die Platte des kleinen Rundtischs, der im Küchenbereich stand. „Außerdem bist du nun keine Lady mehr. Oder hältst du dich für etwas Besseres?" Seine dunklen Augen schienen sie in diesem Moment zu durchbohren.
„Nein." Knapper hätte ihre Erwiderung wohl nicht ausfallen können. Jede andere Antwort, wäre eine falsche gewesen.
„Wenn der Krieg kommt, dann werden wir alle kämpfen. Du solltest also besser lernen wie man ein Schwert schwingt oder mit Pfeil und Bogen umgeht."
Flora hätte am liebsten auch das verneint, aber sie wusste, dass Jaron recht hatte.
Er stieß sich von der Tischplatte ab und schob den gierigen Flammen, die den Kamin nach oben züngelten, einen neuen Holzscheit zu.
Sie würde lernen müssen, wie man sich im
Kampf verhielt. Wie man sich wehrte, wie man selbst zuschlug. Fiolet erwartete von ihnen allen, sie auf dem Schlachtfeld zu unterstützen. Die Rebellion zu unterstützen.
„Ich kann dir zeigen, wie du ein Schwert richtig handhabst", meinte Jaron als sie ihm nicht antwortete, hielt den Blick aber ins Feuer gerichtet und beobachtete es dabei, wie es das neue Brennmaterial langsam aber sicher vertilgte.
Blieb ihr denn überhaupt eine andere Wahl? Außer ihn, den ehemaligen Bibliotheksmeister, den seltsamen Bone und der stummen Margary kannte sie hier niemanden.
Elrik war ihr zutiefst unsympathisch. Er erinnerte sie an eine neugierige Ratte, der man niemals über den Weg trauen sollte.
Vor dem Mann mit seinem Wolf hatte sie zugegeben mehr Angst als sie vermutlich zu haben brauchte, doch er wirkte einfach viel zu unberechenbar, barbarisch und skrupellos, als dass sie sich mit ihm in ein Training hätte stürzen wollen. Am Ende hätte er sie nur als schwach und unnütz abgestempelt und ihr vielleicht selbst den Kopf von den Schultern geschlagen.
Und was Margary anging, so war die ältere Frau durchaus freundlich und höflich. Was aber brachte ihr ein Lehrer, der nicht mit ihr sprechen konnte, um ihr ihre Fehler zu erklären?
So blieb nur Jaron.
„Morgen bei Sonnenaufgang? Auf der Wiese hinter der Siedlung?", fragte sie ihn also, knirschte danach wenig begeistert mit den Zähnen.
Hoffentlich würde sich zu dieser Tageszeit niemand anderes dort aufhalten. Es würde ihr genügen sich vor dem Burschen zu blamieren, da brauchte sie nicht noch mehr Zuschauer, die sich am Ende nur über sie und ihre mangelnden Künste lustig machten.
Jaron wandte sich ihr wieder zu. Ein Grinsen umspielte seine schmalen Lippen. Er nickte. „Abgemacht. Nun geh und besorg uns etwas, aus dem ich uns etwas Leckeres zaubern kann. Wenn ich dich morgen trainieren soll, dann sollten wir beide genügend Kraftreserven besitzen."
Flora ließ sich das nicht zweimal sagen und verschwand nach draußen. Sie brauchte nun dringend etwas frische Luft.
Nur mit langsamen Schritten schlenderte sie zwischen den Hütten hindurch, genoss es unter freiem Himmel zu sein.
Sie suchte die Jäger des Dorfes auf, die sich drei der Unterkünfte teilten, die mit kleinen Holzbrücken verbunden waren.
Zaghaft klopfte sie an eine der Türen. Es dauerte nicht lange, da wurde ihr auch schon geöffnet.
„Was darf's sein?", bellte ihr ein großer, glatzköpfige Kerl entgegen.
Flora schluckte bei seinem Anblick. Seine Oberarme waren so breit wie manche Baumstämme, die Brust noch muskulöser als die eines jeden Ritters.
So musste ein Krieger aussehen. Das war ein Mann, vor dem die Soldaten auf dem Schlachtfeld sicherlich erzittern würden. Ganz so, wie sie in dieser Sekunde.
„Hase vielleicht ... oder Fasan ... oder Rebhuhn", stammelte sie nervös vor sich hin, versuchte seinen stechend grünen Augen auszuweichen, die sie spitzer noch durchbohrten, als es einer seiner Pfeile hätte tun können.
„Rebhuhn!", rief er nach hinten, blieb aber im Türrahmen stehen.
Er musterte sie als könnte er ihre Angst riechen. Sicherlich fragte er sich, was jemand wie sie in dieser Siedlung wollte, wenn sie sogar bei seinem Anblick schon Furcht empfand.
Ehrlich gesagt fragte sie sich das selbst. Was würde geschehen, wenn sie sich am Ende zwischen den kämpfenden Männern und Frauen wiederfand? Wenn das Blut ihr auf die Wangen spritzte? Ihr eigenes und das von Fremden. Wenn der Geruch von Tod sich um sie herum ausbreiten würde, sich über sie legte, wie der Schleier einer Braut, über ihr Gesicht ...
Sie war so tief in die Spirale ihrer Gedanken gerutscht, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass eine weitere Person dem hünenhaften Mann das gefiederte Tier übergeben hatte, das er ihr nun ins Gesicht hielt.
„Könnten ... nun ... könnten wir vielleicht noch ein weiteres haben?", stotterte sie, versuchte dabei noch immer seinem Blick zu entkommen.
Immerhin hatte sie überhaupt genügend Mut aufgebracht, ihn nach noch einem Rebhuhn zu fragen. Das war schon ein kleines Erfolgserlebnis für sich. Für dieses klopfte sie innerlich selbst auf die Schulter.
Der Kerl schnaubte kurz, wandte sich erneut nach hinten um. „Und einen Fasan!", brüllte er, sah Flora dann wieder an.
„War das einzige Rebhuhn, das wir heute erlegt haben. Aber geschrien hat es, das kannst du mir glauben. Normalerweise treffe ich immer perfekt mittig das Auge. Dann bohrt sich der Pfeil direkt in das Gehirn, musst du wissen. Heute aber, da traf ich die Brust und das auch noch seitlich, sodass die Spitze nicht direkt das Herz durchlöchert hat. Musste nachhelfen. Bin zu ihm gelaufen. Wie es sich flatternd auf dem Boden gewunden hat, wie ein ausblutendes Schwein, das war schon lustig anzusehen. Hab mich dann daneben gekniet und ihm, zack, ...",
er vollführte die dazugehörige Handbewegung, „ ... einfach das Genick gebrochen. Knack hat es gemacht." Kurz ließ er seine Zähne aufeinander klacken. „Dann war es tot. Mausetot."
Flora wurde schlecht und sie war sich sicher, dass ihr in diesem Moment sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich.
Der Hüne begann zu lachen als er ihre vor Schreck geweiteten Augen erblickte. „Musst das Mädel aus dem Palast sein, das der Königin gedient hat", stellte er dann fest. „Magst nicht kämpfen können, aber Mumm hast du trotzdem, die Adligen so zu hintergehen." Seine glänzende Stirn runzelte sich. „Aber der Mumm wird dir wohl bedauerlicherweise nichts bringen. Bin mir sicher dich am Ende tot auf dem Schlachtfeld wiederzufinden. Mausetot. So wie das Rebhuhn."
Wieder hatte sie nicht mitbekommen, dass ihm jemand das zweite gefiederte Tier übergeben hatte, so sehr war sie ihm an den spröden Lippen gehangen.
Sie schluckte, nahm ihm den großen Vogel aus der Hand. Er hatte recht. Sobald sie auf dem Kriegsfeld stehen würde, würde ihr Schicksal besiegelt sein und sie würde Gott gegenübertreten.
„Da..danke", stotterte sie noch, wandte sich anschließend mit ihrem Abendessen von ihm ab und beeilte sich zu verschwinden.
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