Manipulation
Clair
Blut klebte ihr im linken Mundwinkel, ihr Kopf pochte unablässig und ihre Handgelenke schmerzten an den Stellen, an denen die Fesseln ihr über die Haut rieben.
Es war stickig in dem kleinen Raum, in dem sie sich befand und düster war es auch. Aber das weiße Haar ihres Gegenübers leuchtete hell wie die Sterne am Nachthimmel.
Die junge Frau hockte vor ihr, starrte ihr nachdenklich ins Gesicht und sagte kein Wort.
Die Stille machte Clair beinahe wahnsinnig, aber sie wagte es nicht, sie zuerst zu durchbrechen.
Die Männer, die sie hierher gebracht hatten, hatten ihr bereits vor Augen geführt, dass man mit ihrer Truppe besser nicht scherzte, denn als sie sich gewehrt und anschließend fluchende Worte ausgestoßen hatte, hatte man sie mit einer deftigen Ohrfeige gestraft.
Seitdem hatte sie den Mund nicht mehr aufgemacht, alles schweigsam beobachtet und getan, was man von ihr verlangt hatte.
Nun kniete sie auf dem staubigen Boden einer kleinen Kammer, wartete auf das, was als Nächstes geschehen würde.
Sie hatte keine Ahnung wer die Frau vor ihr war und auch nicht, was sie von ihr wollte. Womöglich war der Grund ihrer Entführung Lösegeld.
„Ich verstehe es nicht." Nach einer gefühlten Ewigkeit waren das die ersten Worte, die den Mund der Weißhaarigen verließen.
Kopfschüttelnd richtete sie sich auf.
Clair fragte nicht nach, wartete ab, bis sie von alleine weitersprach: „Was findet er nur an dir? Ich sehe nichts Besonderes. Normales Haar, unauffällige Augen, schlanke Figur mit zu wenigen Kurven und ängstlicher als ein Rehkitz."
Ging es hier womöglich um Eifersucht? Zumindest klang es im ersten Moment ganz danach.
Die Prinzessin musterte ihr Gegenüber ganz genau, doch eine solch grässliche, das Gesicht zierende Narbe wäre ihr sofort aufgefallen.
Ebenso wie dieses auffallend helle Haar, die leuchtend blauen Augen und die porzellanfarbene Haut.
Mitnichten stammte sie aus dem Palast, dessen war sich Clair sicher.
„Am Ende spielt dein Aussehen aber ohnehin keine Rolle." Die Frau machte zwei Schritte auf Clair zu, wischte ihr mit dem Daumen grob das mittlerweile getrocknete Blut aus dem Mundwinkel. „Du sagst ja gar nichts. Hast du Angst, ich könnte dir bereits jetzt den Kopf abschlagen? Aber dann würdest du mir doch gar nichts mehr nützen." Ein verhöhnendes Grinsen umspielte ihre Lippen.
Also doch Lösegeld?
Trotz der indirekten Aufforderung zu sprechen, hielt Clair ihre Lippen weiterhin versiegelt.
Das schien die andere zur Weißglut zu bringen. Unsanft packte sie Clair an den Wangen und drückte diese schmerzhaft zusammen. Ihre scharfkantigen Fingernägel bohrten sich in ihre Haut und sorgten dafür, dass sie leise aufschrie.
„Nun gibt sie endlich einen Laut von sich." Die Weißhaarige begann zu lachen. Es klang durch und durch erheitert, erfüllte die gesamte Kammer. Dann stieß sie Clair mit Schwung nach hinten, sodass diese mit dem Hinterkopf gegen die hölzerne Wand schlug. Augenblicklich begann ihr Schädel nur noch heftiger zu pochen. Alles drehte sich, schwarze Punkte tanzten durch ihren Sichtfeld.
Sie bildete sich ein zu spüren, wie Blut ihr Haar nass werden ließ, doch prüfen konnte sie es wegen ihrer gefesselten Hände nicht.
Es klopfte an der Tür. Erst zaghaft, als die Weißhaarige nicht reagierte kräftiger.
„Was ist?!", donnerte ihre Stimme durch den Raum. Den Blick nahm sie dabei nicht von der geschundenen Clair.
Nur ganz langsam öffnete sich der Eingang und ein junger Knabe streckte den Kopf herein. Das Braun seiner Augen funkelte vor Ehrfurcht, vielleicht aber auch vor Angst.
Zögerlich begann er zu reden begann: „Min Dronningen av Fiolet, verzeiht die Störung, doch ich soll Euch darin unterrichten, dass der alte Elrik und seine Gefolgschaft die Siedlung erreicht haben."
Clair hatte diese Sprache schon einmal gehört.
Ein Händler war ihrer mächtig gewesen. Er hatte aus dem Norden gestammt, war über das Meer gesegelt, so hatte er es zumindest erzählt.
Dann hatte er versucht, ihrem Vater gestohlenen Silberschmuck zu verkaufen.
Was die Worte bedeuteten, verstand Clair jedoch nicht.
„Bone soll sich ihrer annehmen, bis ich hier fertig bin", antwortete ihm die Frau, wollte sich erneut zu Clair hinunterbeugen.
Doch der Junge sprach weiter: „Das hat er bereits. Aber der alte Elrik wird langsam ungeduldig, sagt Bone. Ihr hättet versprochen, sie selbst in Empfang zu nehmen, das ist es, was der Mann aus der Bibliothek des Palastes sagt."
Ein gereizt klingendes Schnauben verließ die Kehle der Weißhaarigen, das sich in ein unzufriedenes Seufzen wandelte. Sie ließ ihre Hände sinken und zischte Clair ein vor Sarkasmus triefendes „Nicht weglaufen" zu, ehe sie die Kammer verließ.
Die Tür fiel hinter ihr in die Angeln und nur eine Sekunde später hörte die Prinzessin das Klicken eines sich verriegelnden Schloss'.
Es war nicht einfach für sie, sich ohne die Hilfe ihrer Hände auf die Füße zu ziehen, doch nach ein paar Anläufen gelang es ihr.
Sie wusste nicht was diese Menschen mit ihr vorhatten, aber eine Sache war so sicher, wie der Winter, der jedes Jahr wiederkehrte - sie musste von diesem Ort verschwinden.
Mit dem Rücken zur Tür versuchte sie den Griff mit ihren durchgefrorenen Fingern zu greifen, doch auch als sie es schaffte, änderte das nichts an ihrer Lage. Weder Ziehen noch Rütteln öffneten ihr den Eingang.
Tränen schossen ihr in die Augen und blanke Panik machte sich abermals in ihr breit. Ein Kloß der Angst setzte sich in ihrem Hals fest und raubte ihr für die Dauer einiger Sekunden die Fähigkeit zu atmen.
Sie werden mich töten. Früher oder später. Davon war sie überzeugt.
„Hör auf zu schluchzen. Das ist ja nicht auszuhalten."
Erschrocken zuckte sie zusammen, als plötzlich eine männliche, dennoch kindliche Stimme, dumpf von der anderen Seite der Tür zu ihr in die düstere Kammer drang.
Sie war nicht alleine. Natürlich war sie das nicht. Kein geübter Bandit ließ seine Gefangene ohne eine Wache zurück, vor allem dann nicht, wenn die Eingesperrte so wertvoll war wie Clair.
„Mit wem spreche ich da?", fragte sie den Jungen hinter der Holzwand, konnte dabei das Beben ihrer Stimme nicht unterdrücken.
„Das geht dich nichts an", kam es sofort zurück. Das hohe Fiepen, als das Wort nichts die Lippen des Burschen überkam, ließ sich Clair sicher werden, dass sie es hier mit einem vielleicht gerade einmal Vierzehn- oder Fünfzehnjährigen zu tun hatte, der sich unmittelbar auf der Schwelle zum Mann-Werden befand.
Eine Chance, die sie unbedingt ausnutzen wollte, denn in solch jungem Alter waren Menschen meist einfacher zu beeinflussen.
„Eine große Aufgabe hat man dir zuteil werden lassen", versuchte sie ihm Honig um das Maul zu schmieren. „Eine Prinzessin zu bewachen und das auch noch ganz alleine."
Es dauerte einen Moment, bis eine Antwort kam. „Ich werde nicht mit dir sprechen."
„Aber tust du das nicht schon?" Clair wandte ihr Gesicht der Tür zu, legte ihr Ohr an das kalte Holz, um ihn noch etwas besser verstehen zu können. „Hör mal, willst du mir nicht wenigstens ein guter Gesprächspartner sein? Mir ist so schrecklich langweilig hier drinnen. Wäre dir denn nicht auch furchtbar öde an meiner Stelle?"
Wieder brauchte es ein paar Augenblicke. „Selbst schuld. Euer Geschlecht hat es nicht anders verdient. Ihr gehört eingesperrt, gefoltert und getötet."
Die Kraft, die er in diese Worte legte, jagte ihr eine Gänsehaut über den gesamten Körper. Sie spürte, wie sich jedes ihrer Härchen aufstellte und es ihr kalt den Rücken hinunterlief.
Was hatte man dem Burschen erzählt, dass er in seinem jungen Alter schon von solchen Hass geprägt wurde?
„Ich glaube nicht, dass ich das verdiene. Habe ich dir etwas getan, dass du so denkst? Du musst wissen, noch nicht einer einzigen Blume habe ich in meinem bisherigen Leben ein Blatt ausgerissen, keine Ameise habe ich willentlich mit meinen Füßen plattgetreten und erst recht habe ich noch nie einen Menschen gestraft."
„Aber du wirst es. Das ist ein unabdingbarer Kreislauf."
Ihr Herz zog sich zusammen, wissentlich, dass er nicht ganz unrecht mit seinen Worten hatte. Irgendwann würde sie zur Königin werden und dann war es ihre Pflicht, so wie es im Moment die ihrer Eltern war, über Verbrechen begehende Menschen zu richten.
Da sie keine gute Lügnerin war, versuchte sie erst gar nicht dem Jungen zu widersprechen. „Verdienen es Ganoven denn nicht bestraft zu werden?"
„Mörder und Vergewaltiger vielleicht, aber es ist nicht gerecht wenn ein Mann seine Hand verliert, weil er aus Hunger einen Laib Brot stiehlt", schoss ihr die Antwort schnell wie ein Pfeil entgegen. Sie konnte das Zittern in seiner Stimme hören.
„Hast du denn deine Hand verloren?", fragte Clair vorsichtig nach.
„Mein ... Bruder." Es folgte eine kurze Pause, in der weder der Bursche, noch Clair wussten, was sie sagen sollten, ehe er ein - „Und jetzt halt deinen Mund!", von sich gab.
Er wollte nicht weiter darüber reden, das konnte sie ihm nicht verübeln. Wer sprach schon gerne über solch grauenhafte Erinnerungen? Hätte sie von dem Ereignis am Strand berichten sollen, dann wäre auch ihr unwohl dabei gewesen.
Doch still blieb sie nicht, wechselte lediglich das Thema. Er war immerhin der Einzige von dem sie erfahren konnte, was man hier von ihr wollte. „Mein Name ist Clair, aber das weißt du sicherlich. Ich stamme aus Terosa."
„Nichts, was mir neu wäre", raunte er und sie konnte hören, wie er sich gegen die Tür lehnte.
„Natürlich nicht. Du bist doch ein kluger Bursche, der sich sicherlich auf vielen Gebieten auskennt. Weißt du denn auch, weshalb ich hier bin? Ich bin mir da nämlich nicht sicher. Ist es vielleicht wegen Lösegeld?"
Oder wollt ihr mich einfach nur töten?
Die zweite Frage sprach sie nicht laut aus, da sie die Antwort zu sehr fürchtete. Denn sollte dem wirklich so sein, dann wollte sie es nicht wissen. Sie hing zu sehr an ihrem Leben, als dass sie sich mit Gedanken um ihren möglichen Tod beschäftigen wollte.
„Hast du mich nicht verstanden und bist wirklich so dumm, oder willst du es nicht begreifen, dass du endlich den Mund halten sollst?!"
Langsam wurde der Junge wütend. Seine Stimme wurde zunehmend lauter, aber Clair wollte nicht aufgeben. „Man hat es dir verboten mit mir zu reden, habe ich recht? Aber erkennst du den Vorteil denn nicht, mit mir zu sprechen?"
„Welcher Vorteil sollte das sein?" Er war bemüht nicht allzu neugierig zu klingen, aber er war eben doch nur ein junger Bursche. In seinem Inneren glomm noch der Funke kindlicher Wissbegierde.
„Du kannst deinen Freunden davon erzählen. Sicherlich sind sie ohnehin neidisch, dass du anstelle ihrer diese wichtige Aufgabe zugeteilt bekommen hast. Bestimmt wären sie gerne an deiner Stelle. Lass sie uns ärgern und sie eifersüchtig machen, ja?"
Einige Sekunden Stille folgten, dann: „Wie?"
Clair schmunzelte. Das war wirklich zu einfach. „Sicher sind sie beeindruckt, wenn du ihnen erzählen kannst, dass du die Prinzessin bis ins Mark geängstigt hast. Sag mir, was wird mit mir geschehen?"
Erneut herrschte Ruhe auf der anderen Seite der Tür.
Dieses Mal so lange, dass Clair bereits zu fürchten begann, keine weitere Antwort zu erhalten.
Sie drückte ihr Ohr noch fester gegen das Holz, konnte hören, dass der Bursche etwas vor sich hin murmelte. Keines der Worte verstand sie deutlich genug.
Den Mund geöffnet, um noch etwas an ihr Gesagtes anzufügen, erhob er seine Stimme deutlicher: „Du wirst sterben. Aber erst nachdem der Prinz und der König ihre Leben gelassen haben."
Sofort setzte Clairs Herzschlag aus. Das Blut in ihren Adern schien nicht mehr weiter fließen zu wollen und ihre Lungen hörten auf zu arbeiten.
Diese Menschen hier hatten es also darauf abgesehen, die herrschende Familie Bardos aus dem Weg zu räumen und sie war nur ein Mittel zum Zweck. Es war nicht schwer zu begreifen, dass sie den Lockvogel für Theon spielen sollte.
Das durfte sie nicht zulassen. Doch wie sollte sie das verhindern?
Sie war hier eingesperrt und der Bursche war zwar so weit zu manipulieren, dass er ihr von den Plänen verriet, aber sie würde ihn sicherlich nicht dazu bringen können, sie aus dieser Kammer zu befreien. Das konnte ihn am Ende immerhin seinen eigenen Kopf kosten und wer verlor diesen schon gerne?
„Nun scheint es dir wirklich die Sprache verschlagen zu haben, was?", ertönte es lachend von der anderen Seite und holte Clair wieder ins Hier und Jetzt zurück. „Ha! Das wenn ich meinen Freunden erzähle!"
„In der Tat", keuchte sie und zwang sich weiter zu atmen.
Dann setzte sie sich in Bewegung und begann sich mit zusammengekniffenen Augen in dem düsteren, stickigen Raum umzusehen.
Sie hatte die Hoffnung etwas zu finden, das sie als Waffe benutzen konnte sobald sich die Tür das nächste Mal öffnete, oder einen Gegenstand zu erblicken, mit dessen Hilfe sie die engen Fesseln um ihre Handgelenke lösen konnte.
Doch die Kammer bot nicht viel zu sehen. Stroh lag verteilt zwischen einem ausgeblichenen Stück Stoff auf dem Boden und zwei weitere gefüllte Säcke mit dem goldenen, getrockneten Feldgut standen in der hinteren rechten Ecke.
So krampfhaft sie auch nach einer Lösung suchte, sie fand keine.
Ihr blieb nichts anderes übrig als hier auszuharren und dafür zu beten, dass sich eine Möglichkeit zur Flucht auftun würde.
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