Eine bittersüße Note
Clair
Ihre Kehle fühlte sich staubtrocken an, ihre Haut war noch blasser als sonst und ihre grünen Augen hatten ihren schönen Schimmer verloren.
Sie kauerte in einer der hinteren Ecken der kleinen Kammer, starrte auf die Tür, die sich seit mindestens anderthalb Tagen keinen Deut mehr bewegt hatte.
Niemand hatte ihr etwas zum Essen gebracht, geschweige denn frisches Wasser. Den kleine Trinkbeutel hatte sie bereits geleert.
Zumindest hatte ihr der letzte Besucher, der nach ihr gesehen hatte, gnädiger Weise ihre Fessel gelöst.
Der junge Bursche, der vor dem Eingang Wache hielt, hatte irgendwann aufgehört mit ihr zu sprechen. Sie wusste nicht einmal ob er überhaupt noch da war, oder ob er mit einem anderen den Platz getauscht hatte.
Zunächst war sie noch auf und ab geschritten, hatte versucht, eine morsche Stelle in der Wand zu finden oder ein Werkzeug, das ihr dabei helfen konnte nach draußen zu gelangen.
Doch außer dem mittlerweile durch ihren Urin verdreckten Stroh, das einen Teil des Bodens bedeckte, war hier nichts zu finden gewesen und das Holz, das die Fassade verkleidete, war noch zu neu, als dass es Schwachstellen aufgewiesen hätte.
Irgendwann hatte sie den Gedanken einer Flucht verworfen, hatte sich in diese Ecke gesetzt und war seitdem nur noch aufgestanden, um ihr Geschäft zu verrichten. Schnell hatte sie begriffen, dass so bald niemand mehr diese Türe öffnen würde und das bedeutete, dass sie nun ihre Kräfte sparen musste.
Hin und wieder hatte sie Stimmen von Männern und Frauen gehört, manchmal Schritte, die sich von der Hütte entfernt hatten, oder ihr näher gekommen waren und ganz selten hatte sie den Klang eines wiehernden Pferdes vernehmen können. Ansonsten blieb es still um sie herum. So still, dass es sie beinahe schon in den Wahnsinn trieb.
Was bezweckten diese Leute damit sie hungern oder Durst leiden zu lassen? Sie wollten ja wohl kaum, dass sie auf diesem Wege abdankte. Oder etwa doch? Was wusste sie im Grunde schon darüber, was in deren Köpfen vorging?
Erschöpft lehnte sie ihr Hinterhaupt gegen die kratzige Wand, schloss die Augen und versuchte das trockene Gefühl in ihrer Kehle hinunterzuschlucken, bezweckte damit aber nur, dass ihr Gaumen am Ende brannte als würde er in Flammen stehen.
Verflucht. Lange hielt sie das nicht mehr durch. Sie brauchte etwas zum Trinken.
Leicht schwankend erhob sie sich auf die vom vielen Sitzen taub gewordenen Füße, die, sobald sie den Grund berührten, zu kribbeln begannen.
Sie musste sich an der Fassade abstützen, um nicht sofort wieder auf die Knie zu sinken. Sterne tanzten vor ihren Augen, mischten sich mit einem Schwarz, das noch dunkler war als die tiefste Nacht.
Alles drehte sich, ihre Welt geriet ins Wanken, doch sie kämpfte tapferer noch als jeder Ritter der Königsgarde gegen die Ohnmacht an, die sie überfallen wollte, wie ein grausamer Bandit.
Unsicheren Schrittes steuerte sie auf die Tür zu, klopfte mit der flachen Hand dagegen. „Wenn ihr nicht wollt, dass ich sterbe, dann müsst ihr Wasser bringen", krächzte sie heiser, erkannte ihre Stimme beinahe selbst nicht wieder. Auf ihre Worte folgte ein trockenes Husten. Sie fasste sich an die schmerzende Kehle.
Es folgte keine Reaktion, so brachte sie abermals Kraft auf und hämmerte noch fester gegen die Barriere, die sie von der Außenwelt abtrennte. „Ihr ... ihr wollt doch nicht ...", wieder hustete sie, „... dass ich hier, auf diesem Wege, zu Grunde ... zu Grunde gehe."
Abgekämpft lehnte sie die Stirn an das Holz, hoffte, betete, dass sie jemand hören und ihr ihre Bitte erfüllen würde.
Irgendwann versagten ihr die Beine doch wieder, sie sackte zusammen, verweilte kauernd hinter dem Eingang.
Minuten verstrichen, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit. Dann hörte sie Schritte. Schritte, die sich der Kammer näherten.
Sie brachte den letzten Rest ihrer Kraft auf, schleifte ihren geschundenen Körper hinter der Tür weg, um diese am Ende nicht noch abzubekommen.
Ein Schlüssel wurde in dem Schloss herumgedreht, dann drang plötzlich Licht in den kleinen Raum.
Sie blinzelte dagegen an. Die plötzliche Helligkeit brannte in ihren Augen, sorgte dafür, dass sie zu tränen begannen.
Sie hielt sich die Hand vor, um erkennen zu können wer da eintrat.
Unsanft wurde eine Gestalt zu ihr in die Kammer gestoßen, knallte zuerst mit den Knien auf dem harten Untergrund auf, ehe der restliche Körper folgte und wie ein plumper Sack Kartoffeln zu Boden fiel.
Unachtsam warf der Bandit anschließend ein paar Scheiben Brot, sowie einen neuen Trinkbeutel hinterher, ehe die Tür wieder zuflog.
Clair war es in diesem Moment gleich wer der offenbar bewusstlose Mensch war, der sich nun mit ihr den Platz in dieser Hölle teilte. Alles was sie jetzt sah, war das rettende Gefäß aus Leder, das unweit von ihr auf dem dreckigen Stroh aufgekommen war.
Sie robbte zu diesem hinüber, wobei der Stoff ihres Kleides sich in einer Ritze am Boden verfing und riss. Doch auch das interessierte sie nicht, war das Gewand ja ohnehin so verschmutzt, dass es nicht mehr zu retten war.
Gierig griff sie nach dem Schatz, der in diesem Augenblick noch wertvoller war als jedes Gold und jeder Diamant der Welt.
Sie schraubte den Verschluss auf und goss sich das frische, kühle Wasser in den Mund. Wohltuend wie Honig rann es ihre brennende Kehle hinab und linderte den Schmerz.
Aber auch wenn sie das Bedürfnis verspürte es in einem einzigen Zug zu leeren, war sie doch klüger. Immerhin war es unklar wann sie das nächste Mal in den Genuss von etwas Trinkbarem kommen würde. Sie musste es sich einteilen.
Das Brot war knapp neben der Flasche gelandet. Zwar knurrte Clairs Magen vor Hunger, aber der Ekel siegte dennoch. Ganz bestimmt würde sie sich die Scheiben nicht einverleiben, die dort auf dem Stroh lagen, das von ihren eigenen Exkrementen besudelt worden war.
Ihr Augenmerk wanderte weiter durch die dunkleKammer, blieb dann an der Person hängen, die langsam aber sicher wieder zur Besinnung zu kommen schien. Zumindest deuteten die grunzenden Laute darauf hin, welche sie von sich gab. Und schließlich bewegte sie sich auch, setzte sich vorsichtig auf und rieb sich über das Gesicht.
Es war nicht besonders hell in der Kammer und doch erkannte Clair das getrocknete Blut, dass unterhalb der Nase des Mannes klebte und auch einen Teil der Lippen und des Kinns befleckte.
Sein Haar sah struppig aus, stand ihm in sämtliche Richtungen davon.
Was sie stutzig machte, war die Kleidung, die er trug. Es war nicht mehr als ein Leinenhemd und eine dünne Hose aus dunklem Stoff. Wieso sollten die Gauner, die hier lebten, einen Bauern zu ihr sperren? Sollte er ihr etwa Gesellschaft leisten, damit sie am Ende nicht doch noch den Verstand verlor?
Blinzelnd blickte sich der Mann um, sah sie plötzlich direkt an. Da erst erkannte sie, wen sie da wirklich vor sich hatte.
„Theon?" Sie konnte es nicht glauben. War er tatsächlich hier, oder spielte ihr müder Kopf ihr Streiche und ließ sie halluzinieren?
„Clair ...", kam es leise zurück und ließ sie sich sicher werden, dass sie es sich nicht einbildete. Er war es. Nur kurz verspürte sie Erleichterung, dann holte sie die Wut ein. Wie nur konnte er so leichtsinnig sein?
Er stand auf, schwankte dabei, fing sich aber schnell wieder. Anders als ihr, fehlten ihm die Kräfte noch nicht. Vor ihr fiel er gewollt auf die Knie und zog sie dann in seine Arme.
Zuerst wollte sie sich darin fallen lassen, sich an seine starke Schulter schmiegen und den Tränen freien Lauf lassen, doch sie riss sich zusammen und auch wenn es undamenhaft war, boxte sie ihm anschließend so fest sie konnte gegen die Schulter.
Er lockerte seinen Griff, hielt sich die Stelle, in der ihre Hand eingeschlagen war. Seine Augen funkelten voller Verwirrung, denn offenbar hatte er die Reaktion erwartet nach der ihr der Sinn zu Anfang gestanden war.
„Wie konntet Ihr einfach den Forderungen dieser Gauner Folge leisten?!" Ihre Stimme bebte, war trotz des Wasser noch immer leicht krächzend. Nun würden sie beide hier sterben, das wurde ihr bitterlich klar.
„Ich konnte Euch doch nicht ...", setzte er an, doch sie fiel ihm ins Wort. An gute Manieren war in diesem Augenblick einfach nicht mehr zu denken. „Oh doch! Genau das hättet Ihr tun sollen! Mich hier in den Händen dieser Barbaren lassen!"
„Clair ..."
„Nein! Nun werden wir beide unseren Tod finden! Wärt Ihr nicht gekommen, dann hätte zumindest ein Leben ..." Dieses Mal war er es, der sie unterbrach. Doch er tat es nicht mithilfe eines Einspruchs, sondern indem er seine Lippen auf ihre legte.
Sie riss sie Augen auf, wollte ihm dafür eine Ohrfeige verpassen. Der metallische Geschmack des getrocknetes Blutes, das an seinem Mund gehaftet hatte, breitete sich auf ihrer Zunge aus.
Da erst begriff sie es. Er küsste sie. Er tat das, was am Meer nicht geschehen war, wonach sie sich aber so sehr gesehnt hatte.
Langsam wanderte ihre Hand, die sie bereits erhoben hatte, wieder nach unten. Sie schloss ihre Lider und ließ sich in den Kuss sinken.
Ihr Herz raste in diesem Augenblick, galoppierte in ihrer Brust schneller als jedes Rennpferd und ihre Atmung beschleunigte sich ebenfalls vor Nervosität.
Hitze schoss ihr in die Wangen.
Ehe er sich von ihr lösen konnte erwiderte sie die zärtliche Berührung ihrer beider Lippen. Seine Finger streichelten ihr verknotetes Haar, das schon lange nicht mehr in der perfekten Frisur saß, strichen dann über ihr Hinterhaupt und legten sich in ihren Nacken, um sie noch enger an sich zu ziehen.
Wie grauenvoll schön dieser Moment doch war. Begleitet von einer bittersüßen Note und der Melodie des Todes. Und trotzdem wollte Clair nicht, dass er jemals endete.
Ihr Mund brannte von dem Feuer der Liebe, das in ihr aufloderte und von dem sie wollte, dass es niemals wieder erlosch.
Fühlten sich so die Verliebten in ihren Büchern? So elektrisiert? So unbesiegbar? So stark als könnte man einen gesamten Palast auf den Schultern tragen?
Doch auch wenn sie sich in diesem Augenblick unantastbar vorkam, so wusste sie doch, dass sie es nicht war. Das wurde ihr im nächsten Moment wieder schmerzlich bewusst als die Tür aufflog und die Weißhaarige eintrat, die sie seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte.
Aufgeschreckt wie zwei Tauben, lösten sich Clair und Theon wieder voneinander. Der Prinz dachte keine Sekunde nach, platzierte sich sofort schützend vor Clair und blickte dann mit verwirrtem Ausdruck ihrem Feind entgegen.
Anders als Clair wusste er noch nicht, dass sie diejenige war, die hier alle Fäden zog. Sie war es, der das Kommando unterlag.
Clair fasste Theon an den Arm, wollte ihm noch sagen, dass er sich vor der jungen Frau in Acht nehmen sollte, da schlug deren Faust auch schon in seinem Gesicht ein. Über das getrocknete Blut ergoss sich frisches, tropfte auf den Boden und färbte das dreckige Stroh in ein helles Rot. Er stöhnte auf, vor Schmerz und vor Überraschung gleichermaßen.
Nun war es Clair die sich auf die Beine zwang und sich abschirmend vor ihn stellte. Mit eiserner Miene musterte sie die Weißhaarige. „Lasst von ihm ab! Oder wollt Ihr, dass sein Gesicht am Ende bis zur Unkenntlichkeit verschandelt ist?", versuchte sie mit Worten zu überzeugen, denn auch wenn ihr Körper nun wie ein Schild vor dem am Grund kauernden Prinzen aufragte, so würde es nicht an viel Kraft bedürfen, um sich den Weg wieder freizuräumen.
Ihr Gegenüber lachte boshaft auf, schüttelte sich die Hand, die Theon eine weitere Platzwunde an der Oberlippe beschert hatte. „Das war nur mein kleines Wiedersehensgeschenk."
Wiedersehen? War es also das, worum es hier in Wahrheit ging? Nicht die Auslöschung der Familie Chaworth an sich, sondern um Rache? Was hatten die Adligen Bardos dieser jungen Frau angetan, dass sie so viel Hass in sich trug?
Clair hörte wie sich Theon hinter ihr schwer atmend und naseschniefend wieder auf die Beine zog. Er trat auf ihre rechte Seite und mit einem Mal wurde es in der Kammer völlig still..
Die Prinzessin wandte Theon ihr Gesicht zu, beobachtete, wie sich seine Stirn in dem fahlen Licht grüblerisch in Falten legte, bis sein Gesichtsausdruck schließlich die Züge von blanker Überraschung anzunehmen begann. Seine Haut verlor zunehmend an Farbe, seine Augen schimmerten glasig vor Schreck, so als würde er einen Geist sehen. „Das kann nicht sein ...", stammelte er kaum hörbar vor sich hin, ließ die Weißhaarige dabei nicht aus den Augen.
Diese schien sich ertappt zu fühlen, wurde unerwartet unruhig und machte zwei Schritte zurück.
Etwas ging hier vor sich. Clair konnte sich nur noch nicht erklären, was es war.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top