Kapitel 47
Metall klirrte auf Metall, als die Krieger sich aufeinander stürzten. Unerschrocken preschte Romanus Hengst vorwärts. Er kannte die Geräusche unterschiedlicher Kampftechniken und gehorchte ohne zu zögern. Mit der breiten Brust voran rammte er eine feingliedrige Stute, die ein erschrockenes Wiehern ausstieß und stieg. Ihr Reiter stürzte zu Boden. Sie verpasste ihm bei ihrer überhasteten Flucht einen Tritt gegen den Oberkörper, sodass es knackte. Eine, vielleicht auch mehrere gebrochene Rippen. Der Vampir würde ihm nicht zur Last sein. Ächzend blieb der Junge, der kaum alter als sechzehn oder siebzehn war, liegen.
Erneut richtete Romanu den Blick auf Cyrus. Einige seiner Krieger hatten den jungen König in ihre Mitte genommen, um diesen zu schützen. Kurz überflog er ihre Gesichter und stellte erleichtert fest, dass keiner seiner Freunde aus der Ausbildungszeit unter ihnen war. Marek hatte erwähnt, dass Cyrus sie auf den Kriegszug mitgenommen hatte. Romanu hoffte inbrünstig, dass sie nicht gefallen, sondern vor den Feindseligkeiten an der Grenze entkommen waren. Er wollte sie nicht unter seinen Feinden oder den Toten sehen. Einzig, wenn sie ihm keine andere Wahl ließen, würde er gegen sie kämpfen. Für die Gerechtigkeit und den Frieden in den Königreichen. Die Zeit der Tyrannen war vorbei.
Er hieb auf den nächsten Krieger ein, der sich ihm in den Weg stellte. Er hasste den Kampf zu Pferd, fürchtete immer, dass sein treuer Begleiter dabei verletzt wurde. Doch das Tier schien die Angriffe des Gegners vorherzusehen, wich tänzelnd aus und brachte seinen Reiter wieder heran, damit dieser zum Schlag ausholen konnte. Dazu schnappte er nach dem Hengst des Anderen, fügte ihm eine Bissverletzung nach der nächsten am grazilen Hals zu. Blut floss, nicht nur beim gegnerischen Tier, sondern auch bei dessen Reiter, als Romanu ihm eine Verletzung am Arm zufügte. Die Luft war erfüllt vom Knurren der Vampire und dem metallischen Geruch ihrer Wunden. Doch so plötzlich, wie der Kampf losgebrochen war, kam er ins Stocken. Die Krieger, die Cyrus begleiteten, schienen sich ihrer Sache nicht sicher zu sein. Sie waren zu jung, zu unerfahren für eine blutige Schlacht. Dies war kein ebenbürtiger Kampf, sondern konnte schnell in ein einseitiges Massaker umschlagen.
„Gebt auf", donnerte Beroks Stimme über den Platz – in einer ungewohnten Lautstärke und mit einer Intensität, die Romanu am Freund fremd war. Er ließ seinen Schwertarm ein wenig sacken, um die vom Gewicht der Waffe angespannten Schultermuskeln zu entspannen. Misstrauisch behielt er die Feinde im Blick. Der Großteil von ihnen war zu jung. Das bedeutete zweierlei Dinge. Sie waren unerfahren und meist draufgängerisch. Es bestand die Möglichkeit, dass Einzelne sich trotz der aussichtslosen Lage widersetzen könnten.
„Hört nicht auf ihn. Das ist nur der jüngste Sohn. Ein Nichts, das niemals einen Thron besteigen wird", höhnte Cyrus. Romanu meinte, ein Zittern aus dessen Stimme herauszuhören.
„Die Worte eines Königsmörders. Des Mannes, der seinen eigenen Vater umgebracht hat, um die Macht zu ergreifen. Und wofür?" Berok wies in einem weiten Bogen über das Land. „Damit euer Blut die Erde, auf der wir hier stehen, tränkt? Welcher Herrscher fordert diesen Tribut von seinem Volk für eine Nichtigkeit? Weil er ein Mädchen nicht versklaven konnte?"
„Weil die Entführung eines anderen Mädchens fehlgeschlagen ist?", fügte Romanu kalt hinzu und wartete auf eine Reaktion von Cyrus. „Ein Mädchen, das knapp fünf Jahre alt ist." Er beobachtete, wie die Erkenntnis in einigen Gesichtern aufblitzte. Er wollte sich nicht einmal ausmalen, welche Lügen der unrechtmäßige König ihnen aufgetischt hatte, damit sie ihm folgten. „Welche eurer Kameraden, die langjährig unter dem vorherigen König gedient haben, sind mit euch aufgebrochen, um in euer Nachbarland einzudringen? Wer von den erfahrenen Männern hat sich auf diesen Krieg eingelassen?"
„Lasst euch nicht von ihnen verwirren. Sie werden euch alle töten, wenn ihr euch ergebt." Cyrus' Stimme überschlug sich. Mit weit aufgerissenen Augen sah er sich nach allen Seiten um, nach einem Fluchtweg oder Verbündeten, die ihm blieben. Doch einer nach dem anderen stieg vom Pferd und legte seine Waffen ab, bevor sie einige Schritte zurücktraten und sich am Rand sammelten, wo Taran mit seinen Kriegern eingetroffen war. Diese zielten mit Pfeilen auf die Männer, damit niemand auf die törichte Idee kam, dem hinterlistigen Herrscher doch noch zu helfen.
„Cyrus, im Namen von König Kirill – unserem Oberhaupt – enthebe ich dich deiner Ämter und stelle dich unter Arrest. Du wirst in Eisen gelegt und in die Hauptstadt überführt. Dort wird mein Vater über dich richten. Für den von dir angezettelten Krieg genauso wie für deine Vergehen an deinen Untergebenen und deiner Familie." In Beroks Augen blitzte es wütend auf. Romanu ahnte, dass der Freund den gemeinsamen Feind lieber hier auf dem Feld gerichtet hätte, doch die alten Regeln forderten einen Prozess und die dazugehörige öffentliche Hinrichtung. Denn dass man den Verräter leben ließ, grenzte an ein Ding der Unmöglichkeit.
„Niemand wird über mich richten", schrie Cyrus erbost. Er richtete seinen Blick auf Romanu. „Nach alter Sitte fordere ich ein Duell bis auf den Tod, bei dem der Sieger seine Taten mit dem Blut seines Gegners reinwäscht. Oder bist du zu feige, dich mir entgegenzustellen, Romanu?", höhnte er wieder mit fester Stimme. In seinen Augen loderte ein blutrotes Feuer. Unbändiger Hass. Wut darüber, dass er weder Sina noch Malia in seine Hände bringen konnte.
„Ich nehme die Herausforderung an." Romanu sprang aus dem Sattel, landete weich auf dem Gras. „Du wirst deiner Strafe nicht entgehen, Cyrus." In einer geschmeidigen Bewegung brachte er sein Schwert in Verteidigungsposition. Der damalige Prinz hatte nie am Training der Auszubildenden teilgenommen, war nie in den Genuss von Hermanus strengem Regime gekommen. Wenn er glaubte, er könnte sich mit dem Duell seine Freiheit erkaufen, dann täuschte er sich.
„So sei es." Berok wandte sich an die Umstehenden. „Macht ihnen Platz. Es ist niemandem erlaubt, in den Kampf einzugreifen. Sollte es dennoch jemand wagen, den Zweikampf zu stören, wird er dafür bestraft werden. Ich dulde es nicht, dass jemand die Regeln bricht."
Die Krieger bildeten einen Kreis und führten die zwei Pferde der Kontrahenten hinaus. Romanus Hengst schnaubte unwillig und biss nach dem Vampir, der es gewagt hatte, seine Zügel zu ergreifen. Hermanus übernahm das Tier und nickte Romanu zuversichtlich zu. Der Zweikampf stand unter einem guten Stern. Hatte Eleon das mit seinen Worten gemeint, dass Romanu dem Krieg ein Ende bereiten würde und nicht die anderen Männer? So sollte es bestimmt sein. Er straffte sich, verlagerte den Blick auf den Gegner, der mit überheblicher Miene vor ihm stand und es dennoch nicht zu verhüllen schaffte, dass er sich fürchtete.
Das Zucken eines Augenlids, das leichte Zittern seiner Unterlippe, bevor er die Lippen fest aufeinanderpresste, reichten als Zeichen, dass der junge König weitaus weniger von sich selbst überzeugt war, als er allen Glauben machen wollte. „Warum greifst du nicht an? Zu feige? Oder hat Hermanus dir nichts beigebracht?", höhnte er abermals.
„Mir wäre es lieber, wenn du endlich zeigtest, was du gelernt hast, statt leere Worte von dir zu geben." Romanu nahm einen festen Stand ein, beobachtete weiter sein Gegenüber. „Ich habe mich selbst am Hofe deines Vaters schon unzählige Male bewiesen. Was ist mit dir? Oder kannst du nur alte Männer hinterrücks umbringen?"
Mit einem Wutschrei warf Cyrus sich auf ihn. Die Schwerter krachten mit einer Gewalt aufeinander, dass Romanu den Nachhall durch seinen Körper ebben fühlte. Seinem Gegner, durch die Wucht aus dem Gleichgewicht gebracht, erging es nicht anders. Cyrus taumelte ein Stück zur Seite, bevor er sich fing und wieder Kampfeshaltung annahm. Mit blutroten Augen starrte dieser ihn an. „Die Vedma gehört rechtmäßig mir. Du hast sie gestohlen."
„Sina hat dir nie gehört. Sie und ich sind wie die zwei Seiten einer Münze. Untrennbar gehören wir zusammen und keine ist wichtiger als die andere", erwiderte er gelassen. „Und Malia gehört ebenfalls an meinen Hof. Du hast das Kind entführen lassen wollen, um ihre Fähigkeiten für dich zu nutzen", beschuldigte er den Vampir, der zuvor mit keiner Wimper gezuckt hatte, als er das Mädchen erwähnte. Doch jetzt flackerte etwas in seinen Augen auf.
„Der Krieger, den ich geschickt habe, war ein Narr", knurrte Cyrus. „Ich hätte die Sache selbst in die Hand nehmen sollen. Dann gehörte sie jetzt mir. Ihr Blut würde mich stärken und in ein paar Jahren würde sie mir Kinder gebären. Stärker als das Balg, das deine Gemahlin in ihrem Bauch trägt. Ich verstehe nicht, dass sie dich mir vorzieht."
Also steckte er tatsächlich hinter dem erbärmlichen Vorhaben, ein Kind seiner Familie zu entreißen. Romanu knurrte leise. „Dafür bist du viel zu feige. Du versteckst dich hinter jungen Männern, die noch nicht einmal zum Kämpfen ausgebildet wurden. Du schickst sie sinnlos in den Tod", reizte Romanu ihn erneut. Er war sich sicher, dass er den Gegner auch ohne Tricks besiegen konnte, doch wollte er, dass Cyrus durch die Reaktionen und hasserfüllten Worte weiteres Ansehen bei seinem Gefolge verlor.
„Warum auch? Sie sind nur gut genug zum Sterben." Der junge König spie auf das Gras aus. Ein Gemurmel erklang unter den Kriegern, die ihm in den Kampf gefolgt waren, und nun unbewaffnet am Rand standen. Cyrus schien seinen Fehler zu erkennen, denn seine Augen weiteten sich leicht. Erneut griff er an. Dieses Mal mit weniger Schwung als zuvor. Romanu parierte den Schlag, versuchte nun seinerseits, den Gegner zu treffen. Dieser wich aus, trat einen Schritt zur Seite. Mit erhobenen Schwertern umrundeten sie einander, taxierten ihr Gegenüber und warteten auf den nächsten Angriff.
„Bist du schon müde?", spottete Cyrus erneut, um Romanu zu einer unüberlegten Handlung zu verleiten.
„Ich wundere mich gerade darüber, weshalb dein Vater nicht einen unfähigen Sohn wie dich getötet hat. Er hätte doch wissen müssen, dass du zu nichts taugst, wenn du bei einem Schwertkampf nur redest, statt die Waffen sprechen zu lassen."
„Wie kannst du es wagen!" Cyrus warf sich vorwärts, ließ seine Deckung außer acht. Romanu sprang mit einem beherzten Schritt zur Seite und stieß zu. Metall schrammte an Knochen vorbei, zwischen den Rippen hindurch und mitten hinein in das verdorbene Herz der Kreatur, die so viel Leid über die Menschen dieses Landes gebracht hatte. Die Waffe hielt den Körper des Mannes auf, der Sina in Angst und Schrecken versetzt hatte. Nie wieder würde er ihr zu nahe kommen oder eine Gefahr für die Kinder darstellen.
Blut trat aus einem Mundwinkel des Gegners, lief klebrig langsam an seinem Kinn herab und troff auf dessen Brust. Mühsam hob er den Kopf. Unverständnis über die Niederlage lag in seinem Blick. Bis zum Schluss schien er geglaubt zu haben, dass ihm der Sieg zustand. Ein Zittern lief durch seinen Körper, die Knie gaben unter ihm nach. Sie knickten ein. Cyrus zackte in sich zusammen. Seine Lippe formten Worte, doch seine Stimme vermochte es nicht mehr, ihnen einen Ton zu geben. Seine Augen verloren ihren Glanz und er kippte um. Regungslos blieb er im Gras liegen, das sein Blut rot färbte.
Romanu trat einen Schritt zurück. Der Kampf war unspektakulär verlaufen. Dennoch hatte er den gewünschten Ausgang erzielt. Den Tod des Tyrannen und die Wahrheit über die versuchte Entführung Malias.
Berok räusperte sich. „Den Regeln unserer Vorfahren entsprechend ist Romanu der neue Herrscher über dieses Reich. Lasst uns zur Burg kehren und alles dort besprechen." Er saß auf und lenkte sein Pferd langsam vom Platz weg.
Ein Raunen ging durch die Menge. Einige Sklaven, die Romanu von der Zeit seiner Ausbildung kannten, hoben hoffnungsvoll den Blick. Andere schwankten zwischen Furcht und dem Drang, sich vor ihm auf den Boden zu werfen, als er an ihnen vorbei zu seinem Hengst schritt. Er selbst fragte sich, weshalb er sich auf den Zweikampf eingelassen hatte. Wäre Cyrus in einem normalen Kampf gefallen, wäre der Anspruch auf den Thron nicht an denjenigen übergegangen, der ihn tötete. Dieses Reich dem seinigen hinzuzufügen, würde bedeuten, dass sie ihren Wohnort in die Mitte des neu entstandenen Landes verlegen mussten. Weg von der Küste, die seine Familie so liebte. Wo er seine Kinder hatte aufwachsen sehen wollen. Er presste die Zähne aufeinander. Es musste einen anderen Weg geben!
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Ups, da hat sich wohl jemand ein Königreich eingehandelt, das er gar nicht haben will. Was meint Ihr, wie löst er das Problem?
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