Kapitel 18
Sina schrak hoch. Im Raum war es stockduster, dennoch nahm sie die Anwesenheit von wenigstens zehn Wesen wahr. Vampire, die friedlich zu schlafen schienen. Für einen Moment stockte ihr Atem und schlug ihr das Herz bis zum Hals. Wohin hatte man sie gebracht? Das war nicht die muffige Zelle tief unter der Erde. Sie blinzelte einige Male. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Dunkle Vorhänge schienen vor den Fenstern zu hängen, angeschienen vom Mondlicht, das sich an ihnen vorbeizwängte und kleine Fetzen silbernes Licht auf zwei Reihen mit Betten fallen ließ. Ein Schlafsaal. Die Erinnerung an etwas anderes kämpfte sich nach oben. Vampirblut, das ihr jemand einflößte. Hermanus, der ihr Leben rettete, das somit weiterhin in Gefahr war.
Sie krallte die Finger in die Decke, die jemand über ihr ausgebreitet hatte, um ihren nackten Körper zu bedecken. Der Umhang, den Romanu ihr gegeben hatte, war verschwunden. Und doch hatte sie das Gefühl, dass ihr sein Geruch in die Nase stieg. Er roch anders als die Spitzzähne, die sie bisher kennengelernt hatte. Geräuschlos sank sie zurück auf die Matratze, schnupperte am Kissen. Sein Bett. Doch wo war er? Nicht im Bett neben ihr. Dort schlief ein anderer Mann. Zu ihrer anderen Seite hörte sie ein Geräusch. Jemand, der sich auf einem Fußboden umdrehte. Das leise Knarzen von Holz. Rascheln von Kleidung. Sie spähte über den Bettrand in die Finsternis, tastete dann vorsichtig nach dem Vampir, bis sie seine Schulter berührte.
„Du bist wach." Ein sanftes Flüstern, das wie Musik in ihren Ohren klang.
„Warum liegst du auf dem Fußboden?", wisperte sie zurück.
„Du hast nichts an. Auch so gehört es sich nicht, dass ein Mann neben einem jungen Mädchen schläft."
Sie runzelte die Stirn. Romanu gab aus Anstand sein Bett auf? Das ehrte ihn. In ihrem Dorf hätte keiner der Erwachsenen für eine Heranwachsende auf seinen Schlafplatz verzichtet. Dennoch missfiel es ihr, dass er auf dem harten Boden lag. „Mir egal, dass es sich nicht gehört. Hier ist Platz für uns beide", beharrte sie.
„Nein, es ist zu schmal. Da kann ich nicht genügend Abstand halten."
„Das können wir ganz einfach regeln", hörte Sina von ihrer anderen Seite. Es knarzte. Dann kratzte etwas über das Holz. Taran schob sein Bett an das von Romanu. „Das sollte ausreichen. Jetzt können wir weiterschlafen. Problem gelöst."
„Sina wird ganz bestimmt nicht unbekleidet zwischen uns liegen", zischte Romanu. Seiner Stimme war anzuhören, wie unangenehm er die Situation empfand.
„Dann lass sie im Pferdestall schlafen", brummte Razvan von weiter vorne im Raum. „Da gehört die Sklavin eh hin." Vielfältiges Fauchen war die Antwort, das auf ihn niederging wie ein Gewitter.
„Du kannst auch gern bei deinem Pferd schlafen, Razvan. Vielleicht schaffst du es dann, mit dem Tier besser umzugehen", knurrte einer der anderen jungen Vampire.
„Stimmt, dann wäre dein Bett für Sina frei", fügte Fabiu hinzu. „Also, ab in den Stall mit dir."
„Ich gebe doch nicht für eine Sklavin mein Bett auf", antwortete Razvan pikiert.
„Nenn sie noch einmal Sklavin, dann schläfst du für den Rest deiner Ausbildung draußen", mischte Hermanus sich ein. „Der König hat sie mir überlassen und daher werdet ihr sie anständig behandeln. Und jetzt schlaft weiter."
Bettdecken raschelten. Jeder schien sich wieder hinzulegen. Nur Sina stieß erneut Romanu an. „Ich beiße nicht, also komm her."
„Nein, du bist unbekleidet. Ich bleib hier unten."
„Dickkopf", knurrte es auf der gegenüberliegenden Seite. Gleich darauf traf etwas Weiches Sina am Kopf. Sie tastete den Stoff ab. Ein Hemd. Eilig zog sie es über.
„Ich hab ihr etwas von mir zum Anziehen gegeben, also gebt jetzt Ruhe." Fabiu gähnte auffallend laut.
Der Holzfußboden knarzte, dann senkte sich neben ihr die Matratze. Sie rutschte weiter, bis sie etwa in der Mitte der zwei aneinandergeschobenen Betten lag. Etwas näher an Romanu, der sich an der Kante mit dem Rücken zu ihr hinlegte, als ob er fürchtete, sie sonst in der Nacht zu berühren. Sie lächelte zufrieden. Es war die richtige Entscheidung gewesen, sich an ihn zu binden. Denn obwohl sie das Band wieder gelöst hatte, war er immer darauf bedacht, sie gerecht und ehrenhaft zu behandeln. Beruhigt schloss sie die Augen – davon überzeugt, dass ihr Leben auf der Burg sich zukünftig angenehmer gestaltete.
Am nächsten Morgen wurde sie von den Strahlen der Sonne geweckt, die vorwitzig ihre Nase kitzelten. Sinas Niesen hallte durch den Raum, gefolgt von einem mehrstimmigen gutmütigen Gelächter der Spitzzähne.
„Da unsere Prinzessin endlich aufgewacht ist, kann sie nun ihren Prinzen freigeben, damit er uns auf die Patrouille begleitet", frotzelte Taran.
Das harte Kissen unter ihr regte sich. Das kalte harte Kissen, an das sie sich in der Nacht geklammert hatte. Sie riss die Augen auf und starrte in das vertraute Gesicht, von dem sie geglaubt hatte, es nie wieder zu sehen. Der Vampir musterte sie mit einer undurchdringlichen Miene, machte aber keine Anstalten, aufzustehen. Grinsend kuschelte Sina sich erneut an ihn. Solange ihr niemand befahl, ihn loszulassen, hatte er nach den Schrecken der vergangenen Tage bei ihr zu bleiben. Er trug zumindest eine Teilschuld, weil er ihr gefolgt war und sie zurück zur Burg gebracht hatte.
„Fabiu, gehe bitte Kleidung für Sina organisieren. Romanu, du passt in der Zwischenzeit auf sie auf", ordnete Hermanus in einem entspannten Tonfall an. „Der Rest begibt sich zum Frühstück."
Sie hob den Kopf und schaute den Männern nachdenklich hinterher. Hermanus schien ihr weitaus gelassener als bei den bisherigen Zusammentreffen. Hing es damit zusammen, dass sie jetzt ihm unterstand? Sorgte er sich so sehr um sie, eine Vedma? Sie runzelte die Stirn. Ein anderer Grund fiel ihr beim besten Willen nicht für seine gelöste Haltung ein.
„Sina? Gehst du bitte von mir runter?" Romanu hob die Hände wie zur Abwehr, doch wagte es nicht, sie zu berühren.
„Hast du etwas Angst vor einem Mädchen?", neckte sie ihn. Jetzt, wo niemand außer ihm etwas zu ihrem Verhalten sagen konnte, fühlte sie sich wie befreit.
„Sehr witzig. Du bist erst dreizehn. Was meinst du, wenn uns jemand so sieht, der nicht zur Wachtruppe gehört? Oder wenn Razvan es jemandem erzählt? Dann wirft der König mich raus."
Sina zog sich ruckartig von ihm zurück. Das Grinsen auf ihrem Gesicht erstarb. Sie durfte es unter keinen Umständen riskieren, dass Romanu weggeschickt wurde. Außerdem hatte er recht. Wäre sie erst dreizehn, würde ihn ihr Verhalten den Kopf kosten. Sie brachte ihn nur unnötig in Gefahr. Beschämt senkte sie den Blick. „Es tut mir leid", murmelte sie.
„Ist ja gut, Kleines." Er stand auf und schlüpfte in seine Kleidung. „Es ist nicht deine Schuld. Du suchst einfach nur jemanden, der dich beschützt. Das verstehe ich." Er fuhr sich mit den Händen durch seine verwuschelten Haare und kämmte sie mit den Fingern durch. Dann band er die Strähnen im Nacken zusammen. Sina beobachtete ihn dabei und knabberte an ihrer Lippe. Romanu beugte sich zu ihr und hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht", flüsterte er. „Jage mir nie wieder solch einen Schrecken ein, hörst du?", fügte er mahnend hinzu. Sie nickte ergeben.
„Wolltest du schon wieder flüchten und musste Romanu dich aufhalten oder warum schaust du so schuldbewusst drein?" Fabiu reichte ihr ein Kleid und stellte die dazugehörigen Schuhe vor das Bett. „Keine Sorge, wenn Reza und die anderen Frauen es einrichten können, bekommst du bald Hemden und Hosen."
Verwundert hob sie den Blick. Sie sollte Männerkleidung erhalten? Verwirrt schaute sie zwischen den beiden jungen Vampiren hin und her. Romanu runzelte die Stirn, schien den Grund selbst nicht zu kennen, doch Fabiu schmunzelte nur.
„Du wirst uns auf unseren Patrouillen begleiten, sowie du zu Kräften gekommen bist. Und ihr zwei geht jetzt frühstücken." Hermanus scheuchte die zwei Männer mit einer Handbewegung aus dem Raum. „Keine Widerworte. Nachdem du fast verdurstet bist, benötigst du wenigstens eine Woche Ruhe." Sein mahnender Blick sorgte dazu, dass sie ihm nicht widersprach.
Sie verstand den stillen Hinweis, dass sie im Gegensatz zu Menschen zu schnell heilte. Doch ohne das Vampirblut würde es selbst einer Vedma eine Weile schlecht gehen. Sein Blut hatte ihre Genesung enorm beschleunigt. „Das bedeutet aber, dass ich allein auf der Burg bleiben muss", warf sie ein. „Das will ich nicht. Dann findet er mich", fügte sie leiser hinzu.
„Romanu wird zu deinem Schutz hierbleiben. Weder der Prinz noch die Prinzessin oder irgendjemand anders wird sich dir nähern können oder dir gar Böses wollen. Das wird dein Beschützer schon verhindern." Seine Miene entspannte sich. „Ich wüsste zu gern, weshalb er bei dir solch einen ausgeprägten Beschützerinstinkt hat. Hast du dafür eine Erklärung?"
Sina schüttelte den Kopf. „Ich weiß nur, dass ich mich bei ihm in Sicherheit fühle", gab sie zu und senkte errötend den Blick.
„Das habe ich bemerkt." Der Mann schmunzelte, wurde gleich darauf wieder ernst. „Du bist allerdings erst dreizehn, also solltest du dich dementsprechend verhalten."
„Ich weiß", murmelte sie. „Sonst bringe ich ihn in Schwierigkeiten." Das Gespräch mit Romanu noch frisch im Gedächtnis, schämte sie sich noch mehr dafür, wie sie sich an ihn geschmiegt hatte. Nicht genug, dass es sich wegen des angeblichen Altersunterschieds nicht gehörte, so kam erschwerend hinzu, dass er ein Feind ihres Volkes war. Eine Verbindung durfte nicht zustande kommen. Sie hob den Kopf und schaute Hermanus an. „Danke, dass du mich gerettet hast. Ich hätte es nicht tun sollen, aber ich hatte Angst."
„Das weiß ich doch, Sina." Er strich ihr sanft über die Haare. „Dafür erwarte ich allerdings eine Gegenleistung." Er wartete einen Moment, bevor er weitersprach, und schmunzelte über ihre entsetzte Miene. „Ich kann meine Augen und Ohren nicht überall haben. Daher bin ich auf deine Gabe angewiesen. Etwas liegt im Argen, doch ich habe bisher nicht herausfinden können, was es ist. Dafür brauche ich deine Unterstützung. Bist du bereit, mir zu helfen?"
Sina atmete erleichtert aus. Hermanus benötigte ihre Hilfe, erwartete von ihr, dass sie ihre besondere Fähigkeit einsetzte. Das erste Mal in ihrem Leben, dass jemand sie darum bat, statt sie dafür zu verspotten. Stolz erfüllte sie und sie nickte so heftig, dass ihr der Nacken wehtat.
„Sehr schön. Dann schicke ich gleich Romanu mit dem Frühstück zu dir. Wir müssen ja dafür sorgen, dass du bald wieder völlig gesund bist." Er zwinkerte ihr zu und verließ dann den Raum, sie mit ihren wild durcheinanderwirbelnden Gedanken alleine lassend.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top