~12~

»Das Rauben der natürlich bestehenden Energie unserer Welt ist als Sünde zu bezeichnen. Ein Vergehen gegen die Natur, welches bestraft gehört. So soll vom heutigen Tage an jeder dieser Räuber in Gewahrsam genommen werden [...], um das Gleichgewicht zu wahren.«

~König Tervin, I. seines Namens aus
»Die Schande der Götter«

Edan glaubte kurz, sein Herz hätte aufgehört zu schlagen. Wie in Zeitlupe griff er sein Schwert. Monate, nein jahrelang war dieses Vorhaben geplant worden. Er hatte das Gefühl sich sein Leben lang für diesen Moment vorbereitet zu haben, denn als einziger noch lebender Energiefreier in Steculia war sein Schicksal von Anfang an besiegelt gewesen.

Und nun lag sie da. Fast friedlich ruhte die Elfe vor ihm, ihre erschöpften Gliedmaßen zitterten sanft bei jedem Atemzug. Edan durfte nicht zulassen, dass sie jemals wieder ihre Augen öffnete. Niemals hätte sie als Angehörige der Tempelreligion und noch dazu als Elfe, von dem langen Gang, der sich hinter seinem Rücken in das Gemäuer des Schlosses erstreckte, erfahren sollen.

Und niemals sollte jemand anderes wie sie davon erfahren. Niemals.

Seine Finger umfassten den Schwertgriff fester. Edans Hand zitterte während er zaghaft ausholte und versuchte seine Bewegungen durch Wut auszuführen. Stattdessen drängten sich immer wieder Unsicherheit und Angst vor der Infizierung seiner Seele mit unmenschlicher Kälte in sein Bewusstsein.

Die Klinge blitzte im schwachen Licht auf, als er sie mit all seiner Kraft auf die Gestalt unter ihm niederschlug. Edan keuchte auf, als sie neben dem Kopf der Elfe auf dem Marmor aufkam und das feine Muster mit einem langen Riss zerstörte. Ein Makel inmitten von Perfektion. Genau wie sie.

Ein grelles, lautes Geräusch schallte durch die langen Gänge des Palastes. Er zog wütend die Augenbrauen zusammen, als es in seinen Ohren nachklang. Wie hatte er es geschafft so bei seinem Vorhaben zu versagen? Er hätte merken müssen, dass sie ihm gefolgt war, wie auch immer sie dies nach seinem Angriff zustande gebracht hatte. Doch er hatte sich von seinem steigenden Selbstbewusstsein und der immer näher rückenden Freude auf seinen Erfolg, benebeln lassen. Seinetwegen musste die Elfe sterben.

Es fühlte sich so an, als müssten seine Zähne unter dem Druck, mit dem er sie aufeinander presste, zerbrechen. Wutentbrannt hob er sein Schwert erneut. Die Elfe zuckte leicht zusammen, als würde sie in ihrem Schlaf erahnen was nun geschehen würde. Seine grünen Augen schweiften über ihre Gesichtszüge. Die vollen Lippen, mit dem geschwungenen Amorbogen, die feine Nase und die sanft geschlossenen Augen, deren silberne Iriden ihn zuvor beinahe aus der Fassung gebracht hatten.

Als Elfe war sie mit einer Schönheit gesegnet, die zusammen mit ihrer fast weißen Haut beinnahe unnatürlich wirkte. Zwar alterte ihr Volk langsam, doch er ahnte, dass sie kaum älter sein konnte als er. Und sie würde auch niemals älter werden, wenn sein nächster Hieb, statt dem Boden ihren Körper treffen würde. Verbissen schüttelte er den Kopf, schloss die Augen und ließ die Klinge erneut auf sie niedersausen.

Doch wieder ertönte der Aufprall einer Schwertklinge auf Marmor. Wieder standen seine Gefühle dem Glück seines Volkes im Wege. Wenigstens hatte er sein Ziel nicht völlig verfehlt, dachte er und betrachtete die kurzen, nun abgetrennten Haarspitzen des dunkelblonden Haares, welches um den Kopf der Elfe herum aufgefächert war.

Abermals drang ein Zittern durch ihren Körper. Diesmal schlug sie langsam die Augen auf. Sie musste im Tempel bei ihrer Ausbildung in solchen Extremsituationen geschult worden sein. Er blickte auf ihre silberne Kette, die bei ihrem Sturz sichtbar geworden war und nun über ihrem blauen Hemd lag. Ihr Körper schien sich schnell von seiner Erschöpfung zu erholen, zumindest schnell genug um sie in solchen Notsituationen bei Bewusstsein zu halten.

Langsam richtete das Mädchen sich auf. Oder versuchte es zumindest, denn Edan drückte ihren Oberkörper mit seinem schweren Stiefel zurück auf den Boden. Der raue Stoff des Tuches über seiner unteren Gesichtshälfte rieb leicht gegen seine Wangen, als er sprach: „Was denkst du was du hier tust?"

Ihre Augen flackerten suchend in seine Richtung. Ein matter Schimmer lag über ihnen und er schlussfolgerte, dass sie Schwierigkeiten haben musste zu sehen. Nochmals zitterte sie und die silberne Farbe ihrer Augen schien sich zu verdunkeln. Feine schwarze Adern erschienen in ihren Augenwinkeln, als sie begann, hektisch ihre Taille abzutasten.

Erneut griff Edan ein. Er wusste nicht, was für ein Spiel diese Elfe spielte, doch er würde nicht zu einem Teil davon werden. Ohne zu zögern, richtete er die Spitze seines Schwertes auf ihren Hals. Sofort fielen ihre Arme zu ihren Seiten. Langsam beugte er sich zu ihr hinunter, darauf achtend nicht aus Versehen in ihre Kehle einzuschneiden, auch wenn dies sein Vorhaben streng genommen nur erleichtern würde.

„Bitte", flüsterte sie. Ihre Stimme war schwach und ihre Worte gepresst. Wenn er sie jetzt ausschaltete würde er sie von ihren Schmerzen erlösen, richtig?

„Es war dumm von dir mir zu folgen", raunte er und betrachtete, wie ein erster Blutstropfen ihre helle Haut färbte. Edan spürte wie ihm bei diesem Anblick schwindelig wurde. Verzweiflung breitete sich in ihm aus. „Verdammt, ich bin kein Mörder!" Sie reagierte nicht. Die schwarzen Adern verblassten langsam und ihr Atem verlangsamte sich. Was war los mit dieser Elfe?

„Wieso konntest du nicht, im Namen von Steculia, ohnmächtig bleiben?", fragte er, nicht sicher welchen Sinnesverlust er meinte. Zwar bewunderte er ihr Durchhaltevermögen, doch dessen Konsequenzen würden ihn für immer verfolgen.

Bei seinen Worten regte sich etwas bei ihr. „Wie kannst du nur an diese Gestalten glauben?", wollte sie wissen, ohne sich mit dem Rest seiner Worte zu befassen und ihre Gesichtszüge verhärteten sich. Sein Glaube an die Sterngöttin schien für sie das einzig wichtige zu ein und Edan wusste, wie sehr sie ihn dafür verachten musste. Mehr Blut quoll hervor.

„Denkst du nicht, dass du dich gerade in einer sehr schlechten Situation befindest, um meinen Glauben zu beschimpfen?", schoss es aus ihm heraus, als er seine Waffe zurückzog. Er konnte sich einfach nicht dazu überwinden es zu tun, auch wenn er wusste, dass es mit jeder Sekunde schwieriger werden würde. Sie spürte seine Unsicherheit, dachte er, als das Silber ihrer Augen blitzte und sich beinahe unmerklich ihr Kinn hob.

Sie schnaubte nur und nutzte die Chance sich aufzusetzen. Schnell trat der junge Mann ihr Schwert in Richtung des Ganges, was sie dazu veranlasste zu seufzen und ihren Blick stattdessen auf den anderen, von ihm geöffneten Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite zu richten.

„Wie?", murmelte sie nachdenklich und sah ihn eindringlich an. War sie wirklich so furchtlos vor ihrem Tod oder versuchte sie ihn hinzuhalten? Seine Nackenhaare stellten sich auf und er glaubte leise Schritte zu hören. War Verstärkung auf dem Weg? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte alle Wachen gefesselt, versteckt und bis zum Schichtwechsel gab es noch mehr als genug Zeit.

„Ich dachte alle Energiefreier wären in Gewahrsam genommen worden." Ihre Stimme war rau und trotz des alarmierten Untertons kraftvoll. In Gewahrsam. Er musste ein bitteres Lachen unterdrücken.

„Und das werden auch weiterhin alle denken, denn du wirst niemals dazu kommen, es ihnen zu verraten", Edan schaffte es nicht die subtile Zufriedenheit in seiner Stimme zu verbergen. „Wie gesagt, du hättest mir nicht folgen dürfen."

„Und du hättest diesen Ort nicht betreten dürfen", zischte die Elfe. Immer noch schien sie Schwierigkeiten zu haben, bei Bewusstsein zu bleiben und kämpfte vehement gegen die Ohnmacht. Der Energiefreier holte aus. Er musste handeln, bevor jemand anderes die beiden fand. „Genau deswegen habe ich keine Chance hier jemals wieder herauszukommen, wenn ich dich nicht ausschalte".

„Mein Tod wird dein Schicksal nur hinauszögern, du kannst dem Schatten deiner Taten nicht entkommen". Grüne Augen starrten in silberne, als Edan sich bereit machte das Mädchen vor ihm zu töten. Ihre Entschlossenheit sowie das fortwährende Ausbleiben von Angst sorgten nur für mehr Brennmaterial, das das Feuer seiner Wut zu ungeahnten Höhen trieb.

Edan fürchtete sich nicht vor diesem Feuer. Er formte es, lenkte es mit seinem Körper. Und wären nicht im selben Moment zwei Gestalten auf die beiden zu gerannt, dann wäre dieser Schlag sein letzter gewesen.

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By Poldi0710

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