~11~
»Der Palast des Königs birgt so einige Überraschungen. Es sind die Diener, die die entlegensten Winkel und Geheimnisse kennen.«
~Wandar Missarus aus »Die Baukunst der Alten«
Schweigend begleiteten Ilayda und Roy die Prinzessin zu ihren Gemächern. Ilyda starrte zwar nur ihren Rücken an, doch bereits von dieser Position aus konnte sie mehr als deutlich erkennen, dass Sanenu angespannt war. Kerzengrade lief sie durch die Gänge, ihre Schultern unbeweglich in perfekter Haltung.
Sie war wütend. Und wie sie das war.
Ilayda schielte zu Roy herüber, der ihr ebenfalls einen kurzen Seitenblick zuwarf. Gleich würde ein regelrechter Sturm an wüsten Beschimpfungen auf die Diener herabregnen, der sich gut und gerne über mehrere Minuten strecken würde. Denn die ganzen Gefühle, die sich während des Treffens mit den pendronschen Königsleuten aufgestaut hatten, musste die Prinzessin nun irgendwie loswerden. Und ihre beiden engsten Diener waren das beste Ventil dafür.
Unmerklich atmete Ilayda tief ein und aus. Die Prinzessin musste sehr aufgebracht sein, denn ihre Hände zitterten, ja bebten gradezu, als würden sie unter Strom stehen. Innerlich wappnete die junge Fee sich bereits.
Sie erreichten die Gemächer und die Wachen, die vor den Flügeltüren standen, grüßten förmlich und ließen die Prinzessin und ihre Diener hinein.
Kaum waren sie dort angekommen, wandte die Prinzessin sich um. Auf ihrem schönen Gesicht zeichnete sich die blanke Wut ab und Ilayda zog unwillkürlich den Kopf ein.
„Dieser Schnösel!", keifet Sanenu sogleich und stolzierte durch ihre Gemächer. „Dieser Abschaum von Pendron! Denkt, er wäre etwas Besseres! Denkt, er könnte mich einfach so zu seiner Frau nehmen und machen, was er will!"
Sanenu packte eine der schönen, in detailreicher Handarbeit gefertigten Vasen von einem flachen Ziertisch und schleuderte sie durch den Raum. Sie zersprang in hunderte, tausende Einzelteile, verteilte sich über den ganzen Boden.
„Und mein Vater-!" Sanenus Gesicht war bleich vor Zorn. „Er wird schon sehen, was er davon hat! Ich lasse mich nicht herumkommandieren und benutzen, damit er seine verdammten, dunklen Wünsche durchsetzen kann! Es ist mein Land und mein Leben, alleine ich entscheide, was damit zu tun ist!"
Zitternd brach die Prinzessin auf dem Boden zusammen. Sofort eilten Roy und Ilayda herbei und sanken neben der Prinzessin auf die Knie.
„Prinzessin", murmelte Ilayda und nahm sanft die königliche Hand in ihre. Rotes, nach Metall riechendes Blut tropfte auf die teuren Teppiche, die die Gemächer schmückten. Blut, das aussah wie ihr eigenes, und doch tausend mal mehr wert war.
„Ihr habt Euch verletzt. Lasst mich eine Heilerin suchen, die Euch versorgt."
„Nein, nein! Ich will niemanden sehen! Schick sie fort Roy! Die Wachen, schick sie fort! Bitte."
Schweigend sah Roy zu Ilayda. Neben ihnen, wie eine Dienerin auf dem Boden kauernd, hockte die Prinzessin, vollkommen in sich zusammengesunken.
Während Ilayda ein frisches Taschentuch besorgte und damit sanft das Blut von der Hand der Prinzessin wischte, sprach Roy leise mit den Wachen, die vor den Türen der Gemächer standen. Ilayda hörte, wie die schweren Schritte der gerüsteten Soldaten sich entfernten. Roy kehrte zu den beiden jungen Frauen zurück und sank neben der Prinzessin zu Boden.
Ilayda ahnte, was jetzt folgen würde. Roy würde der Prinzessin schmeicheln und sie mit seiner schönen Stimme trösten, bis Sanenu ihrer Dienerin mit einer Handbewegung befehlen würde, die Gemächer zu verlassen. Roy würde nur noch halb bekleidet sein, ehe sie auch nur die Türen erreichte.
Doch die Prinzessin überraschte sie mit einer Abwehrreaktion, die auch Roy unerwartet traf.
„Nein!", rief die Prinzessin, als Roy die Hand nach ihrem glänzenden blonden Haar ausstreckte, um es ihr sanft aus dem verweinten Gesicht zu streifen. Sanenu wich vor ihrem geliebten Diener zurück und stand dann auf, ohne Ilayda und Roy noch einmal anzusehen.
„Geht", sagte sie dann, ihre Stimme klang etwas gefasster als zuvor. „Ich muss nun alleine sein."
Wieder wechselten Roy und Ilayda einen Blick. Noch niemals hatten die beiden Diener ihre Herrin so verletzlich gesehen, wie in diesem Augenblick. Und auch wenn Sanenu die meiste Zeit lang keine angenehme Gesellschaft war, machten sich sorgenvolle Gedanken in der jungen Fee breit. Diese Zeremonie musste Sanenu mehr aufgewühlt haben, als sie gedacht hatte. Sogar Roy und seine überaus ablenkenden Künste der körperlichen Liebe, wie Sanenu es einmal ausgedrückt hatte, wurden abgewiesen.
Roy und Ilayda senkten ihre Köpfe und verließen dann schnellen Schrittes die Gemächer der Prinzessin. Der Diener wechselten kurz einige Worte mit den Wachen, die sich einige Meter von den Türen entfernt hatten, woraufhin diese sich wieder zu ihrem ursprünglichen Platz bewegten. Die Prinzessin durfte unter keinen Umständen alleine gelassen werden, vor allem wenn der Palast viele Gäste beherbergte.
Roy schloss wieder zu Ilayda auf und gemeinsam begaben sie sich in den Trakt der Diener.
„Sie ist wirklich sehr erzürnt über die Heirat. Ich sorge mich ehrlicherweise um sie", sagte Roy und brach damit das Schweigen, das die Beiden auf ihrem Weg begleitet hatte.
„Ja", stimmte Ilyada ihm zu und unterdrückte einen gepeinigten Laut, als Roy beim Laufen ihren schweren Umhang streifte und somit unwissentlich ihre empfindlichen Flügel in Bewegung brachte. Ein Pochen breitete sich in ihrem Rücken aus und die junge Fee biss so fest ihre Zähne aufeinander, dass ihr Kiefer knackte.
Doch Roy bekam davon nichts mit. Sein makelloses Gesicht zierte ein Ausdruck aufrichtiger Besorgnis.
„Sie lässt sich von den Heilern starke Flüssigkeiten verabreichen, damit sie nachts überhaupt schlafen kann. Zwar bekommt sie dadurch ein paar Stunden Ruhe, aber in der Zeit wird sie geplagt von seltsamen Träumen und wenn sie aufwacht, erkennt sie ihre Umgebung für kurze Zeit nicht wieder."
Während er dies sagte, war seine Stimme leiser geworden und Ilayda musste sich anstrengen, um all seine Worte zu verstehen. Doch das, was sie vernehmen konnte, erschütterte sie zutiefst. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie es um die Prinzessin wirklich stand. Dabei war sie doch die vertrauteste Dienerin der jungen Adeligen.
Sie wollte grade etwas erwidern, als Roy plötzlich einen Finger auf seine Lippen legte und sie am Arm zurückhielt. Sie befanden sich kurz vor der Abbiegung, die sie zum Trakt der Diener führte. Roy sah die Fee eindringlich an und zog sie zu sich hinter die Ecke.
„Hörst du das auch?", hauchte er mit seinen wohlgeformten Lippen und machte eine Kopfbewegung in Richtung des langen Ganges.
Zuerst konnte Ilayda nichts vernehmen, doch nur wenige Augenblicke später hörte sie Geräusche. Nein, es waren nicht nur Geräusche, es waren leise Stimmen, die bemüht waren, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Es war dumm von dir, mir zu folgen", raunte eine dunkle, männliche Stimme, bei der Ilaydas Nackenhaare sich aufstellten. Unwillkürlich krallte sie ihre Finger in den Ärmel von Roys einfachem Oberteil.
Die nächsten Worte, die der Mann ausstieß, verstand sie nicht, doch sie hörte sehr wohl eine zweite Stimme, die ihm antwortete. Sie gehörte zu einer Frau, doch sie klang eigenartig kraftlos. „Wie kannst du nur an diese Gestalten glauben?"
„Denkst du nicht, dass du dich gerade in einer sehr schlechten Situation befindest, um meinen Glauben zu beschimpfen?" Die Worte des Mannes waren herablassend, doch in seiner Stimme schwang ein Hauch von Verzweiflung mit.
„Roy, hier stimmt etwas nicht", flüsterte Ilayda und sah den Diener mit angstvoll geweiteten Augen an. „Wir müssen irgendetwas tun!"
„Ich weiß", sagte Roy leise. „Aber wir dürfen uns nicht selbst in Gefahr bringen. Ich will zuerst abschätzen können, wer diese Leute sind. Eines ist sicher, sie gehören nicht zum Palast."
„Wir müssen auch nicht eingreifen, Roy, lieber holen wir die Wachen", wisperte Ilayda hektisch und versuchte, ihn von der Ecke wegzuzerren. Doch der junge Diener ließ sich nicht bewegen.
Plötzlich ertönte ein schleifendes Geräusch, als würde Metall über Stein kratzen. Beinahe hätte Ilayda einen Schrei ausgestoßen, als ein Schwert über den glatt polierten Boden schlitterte und genau vor Roys Füßen liegenblieb.
„Jemand ist in Gefahr, Ilayda. Wir dürfen nicht untätig hier herumstehen." Roy sprach immer noch leise, doch eindringlich und seine grauen Augen bohrten sich in ihre.
„Wir können die Wachen rufen", sagte Ilayda und sah ihn flehend an.
Roy hob langsam das Schwert auf, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. „Wir würden die Wachen nicht schnell genug erreichen. Außerdem wären sie viel zu laut und würden die Fremden sofort in die Flucht schlagen."
Ilayda realisierte, dass sie machtlos war gegen die Entschlossenheit des jungen Mannes, also nickte sie ergeben. Vorsichtig sahen sie um die Ecke.
Der Gang wurde nur schwach durch ein paar wenige einfache Laternen beleuchtet und untermalte damit auf grauenvolle Weise das Szenario, das sich den beiden darbot.
Auf dem Boden lag eine kraftlose Gestalt, und anhand der spitzen Ohren konnte Ilayda deutlich erkennen, dass es sich hierbei um eine Elfe handelte.
Und über ihr stand ein Mann, sein Gesicht war verhüllt.
„Mein Tod wird dein Schicksal nur hinauszögern", sagte die am Boden liegende Elfe, „du kannst dem Schatten deiner Taten nicht entkommen."
Der Mann antwortete nicht, stattdessen hob er sein Schwert, dessen Klinge im schwachen Licht unheilverkündend glänzte.
In diesem Moment schaltete Ilayda jegliche Gedanken ab. Sie spürte, wie Roy losstürmte und sich somit aus ihrem Klammergriff befreite. Und sie lief einfach mit. Sie musste handeln, sie konnte nicht untätig herumstehen.
Roy stieß ein Brüllen aus und schwang das Schwert, das vermutlich der Elfe gehörte, durch die Luft. Der verhüllte Fremde fuhr herum und konnte gerade noch die herabsausende Klinge abwehren, bevor sie durch seinen Schädel gefahren wäre.
Hart trafen die Klingen aufeinander und der Klang ließ das Blut in Ilaydas Adern vibrieren. Doch sie verschwendete ihre Zeit nicht, um dem Kampf zuzusehen, sondern stürmte zu der Elfe, um sie von hier fortzubringen.
Keuchend sank sie neben ihr nieder - und erstarrte.
Ilayda hatte sie wenige Stunden zuvor bei den Festlichkeiten gesehen. Es war die junge Elfe des Silva Tempels.
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By LLNQueenOfFantasy
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