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„Und ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, keine einzige Fee soll sich mit ihren sündigen Anbetungen des Mondgottes frei in meinem Land ein Heim suchen. "
~König Tervin, I. seines Namens aus
»Die Schande der Götter«
Schnell eilte Ilayda durch die Gänge des Palastes. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und ihr Herz klopfte laut.
Wachen gingen an ihr vorbei und zwischendurch die ein oder andere Dienerin, die ihr freundlich zunickte, doch all das nahm Ilayda kaum wahr. Wenn sie nicht schleunigst in ihre kleine Kammer kam, hatte sie bald viel größere Probleme als verletzte Kameraden.
Keuchend kam die junge Frau endlich an den Unterkünften für die Diener an und öffnete mit letzter Kraft die Tür. Sie quietschte laut und Ilayda stolperte ins Innere. Mit zitternden Finger öffnete sie den schönen, aber schweren Umhang und ließ ihn zu Boden fallen.
Es war wie eine Erlösung, als das Stück Stoff zu Boden ging und das offenbarte, das ihren Untergang bedeuten konnte.
Ihre Flügel schimmerten nur blass im schummrigen Licht der Kammer und hingen müde herab. Sachte strich Ilayda über die feine, durchsichtige Membran und unterdrückte einen Laut des Schmerzes. Es wurde von Tag zu Tag schwieriger, ihre Flügel zu verbergen, doch es blieb ihr nichts anderes übrig. Wenn sie in dieser Welt überleben wollte, war dies nunmal der Preis.
Erschöpft begab Ilayda sich auf ihr schmales Bett und schloss die Augen. Die Welt der Träume umgab sie beinahe sofort und ließ sie für diesen Augenblick alle Sorgen vergessen.
Doch zu ihrem Leidwesen hielt dieser nicht lange an, denn sie wurde von einer sanften Stimme geweckt.
„Ilayda? Ilayda, Liebes, geht es dir gut?"
Desorientiert blinzelte Ilayda und blickte geradewegs in das Gesicht der einzigen Person, der sie jemals vertraute. Vedas Augen lagen mit all ihrer mütterlichen Liebe auf dem Gesicht der jungen Dienerin. Diese starke Emotion konnte nicht einmal von der Sorge getrübt werden, die sich im Gesicht der alten Frau zeigte.
Ilayda setzte sich auf und seufzte erleichtert, als sie ihre Flügel spürte, die sich mittlerweile erholt hatten. Das sanfte, rosige Schimmern war zurückgekehrt und tauchte alles in ein weiches Licht.
„Es ist nichts, Veda", sagte Ilayda und nahm die Hand der alten Frau in ihre Hände. Sie wollte die Mutter aller Waisen nicht beunruhigen, zu viele Dinge lasteten schon auf ihr, da brauchte sie sich nicht auch noch um ihre Schwäche zu sorgen.
„Bist du sicher? Du siehst blass aus, mein Kind." Veda musterte sie prüfend, doch Ilayda lächelte beruhigend.
„Ja, ich bin mir sicher, es ist nichts weiter. Ich brauchte einfach ein wenig Schlaf. Du weißt doch, wie anspruchsvoll die Prinzessin sein kann."
Veda nickte gedankenvoll und strich abwesend über die Hände ihres Schützlings. „Es sind deine Flügel, nicht wahr, Ilayda? Sie machen dir Schwierigkeiten."
Die junge Frau biss sich auf die vollen Lippen. Kurz überlegte sie, ihre Ziehmutter anzulügen, doch dann gab sie mit einem Seufzen nach. Veda bemerkte sofort, wenn man nicht die Wahrheit sagte.
„Ja, es sind die Flügel. Sie wachsen in letzter Zeit enorm und können es kaum ertragen, die ganze Zeit von dem schweren Stoff erstickt zu werden. Manchmal fühlt es sich so an, als würde dann ich selbst keine Luft mehr bekommen." Ilaydas Stimme war immer leiser geworden, sodass sie kaum mehr als ein zartes Hauchen war.
„Ach mein Kind. Ich wünschte nur, dass der König nicht so unbarmherzig wäre. Er ist festgefahren und nicht bereit, das Schöne im Leben zu sehen."
„Veda!", flüsterte Ilayda scharf und blickte sofort ängstlich zur Tür, einen Soldaten erwartend, der sie und die alte Frau fortschleppen würde. Denn sie wusste, dass diese Worte Hochverrat waren.
„Hab keine Angst", sagte Veda sanft und drückte ihre Hand. „Hier ist niemand, der uns belauschen könnte."
Ilayda schluckte und versuchte, tief durchzuatmen.
„Aber es stimmt. Der König ist verklemmt und kaltherzig, er weigert sich die Schönheit anderer Rassen anzuerkennen und schickt alles, was ihm nicht bekannt ist, in den Tod. Deine Flügel, du, Ilayda, bist eine wunderschöne junge Frau. Schätze dich für das, was du bist."
Ilayda nickte. Doch das, was Veda ihr da geraten hatte, war nicht allzu einfach in die Tat umzusetzen. Sie hatte schon immer das verstecken müssen, das sie am meisten ausmachte, und es war nicht einfach zu akzeptieren und wertzuschätzen, was sie war, wenn man sie dafür im Palast töten würde.
Die Flügel zeichneten die junge Dienerin unweigerlich als Fee aus und waren ihr sicheres Todesurteil. Wäre Veda nicht gewesen, würde Ilayda schon lange nicht mehr auf der Erde weilen. Doch mit der Hilfe der alten Frau hatte sie es geschafft, die Flügel zehn Jahre ihres jungen Lebens zu verbergen, und das würde sie nun nicht einfach wegwerfen.
Wie beinahe alle heimatlosen Kinder der Stadt war sie vor nun zehn Jahren Veda in die Arme gelaufen, als diese auf dem Gemüsemarkt ihren Korb mit frischen Blättern und Früchten füllen wollte. Wie oft hatte Veda schon zu Ilayda gesagt, dass sie ein hinreißendes kleines Mädchen gewesen war: große, unschuldig leuchtende Augen, ein dreckverschmiertes Gesicht und- winzige Flügel, verborgen unter einem schmutzigen Kittel.
Veda hatte nicht lange gezögert und Ilayda sofort mit in den Palast genommen. Alle Wachen kannten Veda bereits und hatten sie mit dem kleinen Mädchen an der Hand einfach passieren lassen.
Seitdem lebte Ilayda hier und hatte sich mittlerweile zu einer jungen Frau entwickelt. Veda sah sie voller Stolz an. Ja, hier hatte sie ihre Aufgabe wahrlich gut gemacht.
„Nun", sagte Veda, stand von dem schmalen Bett auf und strich sich das einfache, grüne Kleid glatt. „Wenn du fertig bist, Liebes, dann suche bitte die Prinzessin auf. Sie verlangt nach dir, und du weißt ja, dass man sie nicht warten lassen sollte."
Ilayda nickte und lächelte. „Ich weiß. Ich werde gleich da sein."
Veda zwinkerte ihr noch einmal gutmütig zu, bevor sie den kleinen Raum verließ. Ilayda saß auf ihrem schmalen Bett und atmete tief ein und aus. Sie wollte ihre armen Flügel nicht schon wieder unter dem schweren Stoff verbergen, doch was blieb ihr anderes übrig?
Widerstrebend hob sie den hellgelben Umhang auf und strich mit den Fingerspitzen über die goldenen Stickereien. Das Kleidungsstück war wunderschön, doch mittlerweile konnte sie sich nicht mehr daran erfreuen. Zu sehr erdrückte es sie und hinderte sie daran, frei zu sein, zu fliegen.
Natürlich nicht wirklich. Es war ein Mythos, dass Feen fliegen konnten, dafür waren ihre Flügel zu klein und zu fein. Doch wofür sie dann gut waren, konnte Ilayda nicht sagen.
Nachdem sie sich den Umhang ungelegt hatte, verließ sie ihre kleine Kammer und sah sich um. Niemand sonst war auf dem kleinen Flur zu sehen, die meisten Diener waren noch mitten in ihren Arbeitszeit oder schliefen, um sich vor der nächsten Schicht noch etwas auszuruhen.
Mit leichten Schritten verließ Ilayda die Gänge der Dienerschaft und trat auf den Hauptgang, der mit alten Kunstwerken bestückt war und dessen Fußboden sauber poliert war. Die nackten Füße der Fee machten keine Geräusche auf eben diesem, als sie zügig auf den Teil des Palastes zulief, der der Prinzessin gehörte.
Als sie durch die großen Torflügel trat, nickten die Wachen ihr zu und schenkten ihr ein kurzes, aber ehrlich gemeintes Lächeln. Oh ja, Ilayda wusste durchaus um ihr ansehnliches Äußeres und war froh darum, denn so hatte sie bereits die ein oder anderen Parteien auf ihre Seite ziehen können.
Das zufriedene Lächeln, das sich auf ihr Gesicht gelegt hatte, verschwand, als sie daran dachte, dass man nicht mehr zu ihr halten würde, wenn jemals herauskam, was sie wirklich war. Die Menschen im Palast fühlten sich nur zu einer Version ihrer Selbst hingezogen, nicht mehr und nicht weniger.
Als sie vor dem Schlafgemach der Prinzessin ankam, atmete sie tief durch, strich ihr einfaches Kleid glatt und öffnete die schwere Flügeltür.
Die Prinzessin eilte wie ein aufgescheuchter Vogel durch ihr Gemach und kommandierte den Schneider und ihre Zofen durch die Gegend, die ihr eine neueste Auswahl feinster Kleider vorführten.
Ilayda blieb in gebührendem Abstand stehen und machte einen tiefen Knicks. „Prinzessin."
Prinzessin Sanenu wandte ihren stechenden Blick von dem Schneider ab und fixierte damit ihre junge Dienerin. „Du bist spät. Was gab es so Wichtiges zu tun, dass du so lange auf dich warten ließest?"
Ilayda hörte deutlich den spöttischen Unterton heraus, doch das berührte sie mittlerweile nicht mehr. „Es tut mir leid, Prinzessin. Ich musste den Umhang wechseln", log Ilayda mühelos und hielt den Blick gen Boden gerichtet.
„Diese Dinger sind ohnehin hässlich. Sie verbergen so viel."
Das ist gar nicht so schlecht, dass sie so viel verbergen, dachte Ilayda insgeheim, ließ sich jedoch nichts anmerken.
„Aber nun ja, viel wirst du nicht zu verbergen haben. Hilf mir jetzt, ein Gewand auszuwählen. Bald werden neue Bewerber aus fernen Ländern kommen, ich will dann nicht auftreten, wie ihr Dienstmädchen."
Die nadelscharfe Spitze prallte wirkungslos an Ilayda ab. Die Prinzessin ließ ständig solche Worte verlauten, aber mittlerweile hatte die hübsche Fee gelernt, dass Sanenu einfach so eine Umgangsweise pflegte.
„Schau sie dir an, Ilayda. Welches würdest du tragen? Wie taktlos von mir, du würdest wahrscheinlich für ein Nachtkleid schwärmen, bei den unansehnlichen Dingen, die du immer trägst. Aber sag mir, welches schmeichelt mir am meisten?"
Die Prinzessin schritt gleichzeitig elegant und energisch um die ängstlich dreinschauenden Zofen, die die kostbaren Kleidungsstücke präsentierten und blieb dann hinter ihnen stehen.
„Alles, was Ihr tragt, würde an Euch wunderschön aussehen", sagte Ilayda, ohne sich einmal die vermutlich prächtig gearbeitete Kleidung anzusehen. Und ihre Aussage war nicht einmal gelogen. Wie auch die Feen, waren Elfen von einer ätherischen Schönheit gesegnet und Sanenu hatte das Beste ihrer Eltern geerbt.
Volles Haar in der Farbe von wässrigem Sonnenlicht, stechend blaue Augen und kräftige, markante Gesichtszüge verliehen der Prinzessin etwas Kriegerisches und Anmutiges.
„Ich habe dich nicht hierher bestellt, um mir leere Worte ins Ohr säuseln zu lassen!", herrschte Sanenu die junge Dienerin an und schubste eine der Zofen grob ein Stück nach vorne. Diese gab ein kleines, erschrockenes Quieken von sich und zog den Kopf ein.
Ilayda hob langsam den Kopf und sah die Prinzessin an. Die Augen Sanenus funkelten verärgert und Ilayda erkannte schnell, dass die Folge dieser Verärgerung alles andere als schön sein würden. Deshalb sah sie sich die teueren Stoffe genauer an.
Jedes einzelne Kleidungsstück war fein gearbeitet und wahrscheinlich passgenau für die Prinzessin geschneidert worden. Sanenu bevorzugte knappe Kleidung, die ihre Weiblichkeit betonte und diese Auswahl übertraf alles, was die Freizügigkeit betraf.
Ilaydas Augen glitten über die Kleidungsstücke in den verschiedensten Farben, bis sie an weißem Stoff hängenblieben. Es war ein langer, fließend fallender Rock und ein Tuch, das über der Brust gekreuzt wurde. Es war mit goldenen Stickereien verziert und würde zweifelsohne an der Prinzessin eine Augenweide sein.
„Wie wäre es, wenn Ihr dieses hier probiert, Prinzessin? Es wird sicher ganz ausgezeichnet aussehen."
„Na also", rief die Prinzessin aus und klatsche in die Hände. Dann winkte sie energisch eine der Zofen zu sich. „Hilf mir, mich einzukleiden. Wollen wir nachsehen, ob Ilayda recht hat."
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by LLNQueenOfFantasy
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