Verbündete

Tim bedeutete mir lautlos, hier zu warten, während er sich leise wie eine Raubkatze zwischen den Bäumen auf die Wiese quetschte. Ich lauschte den leisen Stimmen, die schwach und undeutlich zu hören waren, zwei Personen und mein Herz schlug bis zum Hals, wie jedes Mal, wenn Tim sich in Lebensgefahr begab, um ein fremdes Leben, einen fremden Spieler, einen fremden Gegner auszulöschen. Jetzt verstummten die Stimmen plötzlich, sie mussten meinen Freund bemerkt haben. So sehr ich mich auch anstrengte, konnte ich nun kein Geräusch mehr von außerhalb des Waldes vernehmen, keine Kampfgeräusche, keine Schreie, keine Stimmen. War das ein gutes oder schlechtes Zeichen? Auch wenn ich jetzt alles dafür gegeben hätte, zu erfahren, was dort gerade vor sich ging, konnte ich nichts anderes tun, als warten. Ich hatte Tim versprochen, hier zu bleiben und würde mich auch daran halten. Lange Zeit kam kein Lebenszeichen, weder von Tim noch von seinen fremden Gegnern und meine Panik begann stetig zu wachen, bis ich endlich Schritte hörte. Ich hörte die tiefe Stimme meines Freundes, der mich leise rief und rannte auf ihn zu, erleichtert, dass er wohlbehalten zu sein schien. Als ich bei ihm ankam fiel ich ihm sofort um den Hals, einfach nur glücklich, dass er lebte und er drückte mir einen sanften Kuss auf den Haaransatz. »Stegi?«, murmelte er irgendwann leise und ich sah in seine wunderschönen Augen, wofür ich bei unserem Größenunterschied, wenn auch widerwillig, einen Schritt zurücktreten musste. »Komm Mal mit, Stegi.«, forderte er mich auf und griff nach meiner Hand, um mich hinter sich her zum Waldrand zu ziehen, wo ich erschrocken stehen blieb. Vor uns auf der Wiese, kaum ein paar Meter entfernt, saßen zwei Jungs, der eine groß und mit dunkelblondem Haar, das an den Seiten kurz rasiert und oben zu einem Zopf gebunden war, muskulös und kräftig wie Tim, der andere kleiner, kaum ein paar Zentimeter größer als ich, mit dunklen Haaren und zierlich wie ich selbst. An den Gürteln beider Jungen hingen schwere Waffen und Klingen, neben dem Kleineren konnte ich eine Armbrust entdecken. Ich hatte nicht gedacht, dass überhaupt noch jemand am Leben war, der so wie ich war, klein und relativ schwach, ohne viele Muskeln. Alle die ich in den letzten Tagen gesehen hatte, waren groß und stark gewesen, Kämpfer, die ohne zu zögern töten würden. Und hätte ich nicht Tim an meiner Seite, der mich mit Nahrung versorgte und mich schon so manch einmal mit Schwert und Bogen verteidigt hatte, wäre ich wohl selbst längst nicht mehr am Leben. Als die beiden Jungen uns kommen hörten, blickten sie gleichzeitig auf, der Kleinere lächelte uns nett zu und auch der Andere schien zu versuchen, nicht allzu grimmig drein zu schauen. Er beugte sich zu seinem Gefährten runter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, der Dunkelhaarige nickte bloß und lächelte erneut. »Stegi, das sind Veni«, er deutete auf den Größeren, »und Tobi. Sie werden uns eine Weile begleiten. Wir waren der Meinung, es sei der richtige Zeitpunkt für ein Bündnis. Jungs, das ist Stegi.«, erklärte er mir und stellte mich dann den beiden vor. Ich nickte bloß und versuchte ebenfalls ein Lächeln. »Freut mich«, erklärte der Braunhaarige, Tobi, und streckte mir im Sitzen eine Hand entgegen. Ich trat einen Schritt vor, um sie zu schütteln und dabei entging mir nicht, wie sein Nachbar jede seiner Bewegungen beobachtete. Als ich wieder an Tims Seite zurückgekehrt war, an der ich mich sicherer fühlte, und dieser mich besitzergreifend an sich zog, herrschte peinlich berührtes Schweigen, da keiner von uns etwas zu sagen vermochte. »Wie wäre es, wenn wir ein Feuer versuchen?«, schlug Tim irgendwann zaghaft vor und wir nickten alle zustimmend. »Wenn ihr Holz holt, bleiben wir hier bei den Sachen und versuchen schon einmal, eine Flamme zu bekommen.«, schlug der größere, Veni, wie Tim ihn vorgestellt hatte, vor, doch sofort schüttelte Tim den Kopf. »Geht lieber ihr suchen«, widersprach er und ich wusste, dass er Angst hatte, bei unserer Rückkehr weder die Jungs, noch unsere Sachen vorzufinden. Eine ausgiebige Diskussion begann, keiner der Parteien wollte die anderen mit dem eigenen Gepäck zurücklassen und weder wollte Tim, dass ich mit Veni alleine hier blieb, noch Veni Tobi mit Tim zurücklassen. Schließlich einigten wir uns darauf, dass Tobi und ich Holz sammeln gehen würden, während die anderen beiden ein Feuer in Gang bringen wollten. Ich merkte, dass Tim nicht ganz einverstanden war mit dieser Lösung, dennoch schien er weniger Angst davor zu haben, dass Tobi mir etwas antun würde als Veni und er selbst war Veni in jedem Maße ebenbürtig. Veni selbst schien es ähnlich zu gehen, dennoch war es der beste Vorschlag, den wir hatten, also machten der Kleinere unserer beiden fremden Verbündeten und ich uns auf, um trockene Zweige und Äste zu besorgen. Als Tobi sich gerade aufrappeln wollte, zog Veni ihn noch einmal zu ihm runter, flüsterte ihm etwas ins Ohr und drückte ihm dann einen schnellen Kuss auf den Mund. Ich blickte überrascht auf und Tim schien es genauso zu gehen. Erst dann ließ der Junge Tobis Hand los und den Kleineren mit mir gehen. Als wir zwischen den Bäumen verschwanden, konnte ich noch Tims sorgenvollen Blick auf mir spüren. »Ihr... ihr seid zusammen?«, fragte ich irgendwann meinen Begleiter und merkte, wie er sofort rot anlief und glücklich lächelnd zu Boden sah. »Rafi und ich? Ja.«, bestätigte er. »Rafi?«, wunderte ich mich. Sofort lachte der Junge neben mir leise auf. »Ja. Rafi ist Veni. Den Namen 'Veni' hat er hier in der Arena bekommen. 'Rafi' nenn nur ich ihn«, erklärte er freundlich. Ich verstand und nickte. »Wie lange schon? Wie lange seid ihr ein Paar?«, fragte ich weiter, da ich neugierig war und ihn das Thema nicht zu stören schien. »Seit fast drei Jahren«, hörte ich ihn stolz antworten und blieb apprupt stehen. Auch er stoppte und drehte sich zu mir um. »Schon vor dem Spiel?«, hakte ich nach und er nickte. »Du kannst dich an die Zeit davor erinnern?«, fragte ich erstaunt. »Nein. Nur an ihn. Als ich ihn hier wiedergetroffen habe, wusste ich einfach, dass er mein Freund ist. Ich kann mich an unsere erste Begegnung erinnern, unseren ersten Kuss, unser erstes Mal. An alles. Aber nur an ihn.«, stellte er richtig und ich nickte. »Aber Mal was anderes«, fragte er nun, »Was ist mit Tim und dir? Ich seh doch, dass da was läuft. Ist er dein Freund?« Mit so einer direkten Frage hatte ich nicht gerechnet, jedoch wunderte ich mich nicht, hatte ich ja genauso direkt nach ihm und Veni gefragt. Als ich an Tim dachte, wurde mir augenblicklich warm ums Herz und meine Brust begann zu kribbeln. »Ich... ich weiß nicht.«, gab ich zu. »Natürlich weißt du. Was läuft denn da genau zwischen euch?«, erkundigte er sich und obwohl ich ihn kaum kannte, war ich froh um jemanden, mit dem ich reden konnte und der mir vielleicht helfen konnte, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen und sie vor allem nachvollziehen konnte, also begann ich zu erzählen: »Nunja. Ich meine, Tim ist echt süß und total lieb zu mir. Ihm verdanke ich mein Leben, alles. Und ich mein, wir küssen uns auch und... und er hält mich total oft im Arm, auch nachts und so, aber... ich weiß nicht, ob er wirklich mein Freund ist. Also mein fester Freund.«, gestand ich und blickte hilflos zu dem Jungen neben mir. Dieser grinste mich nur frech an. »Glaub mir, Stegi. Tim ist dein Freund. Dein fester Freund. Auch wenn ihr es noch nie ausgesprochen habt, ist er doch nach jeder Definition dein Freund. Aber wenn es dir lieber ist und ein besseres Gefühl gibt: Sprich ihn darauf an. Frag ihn, wie er das sieht. Und du wirst merken, er ist dein Freund.«, riet er mir mit immer noch breitem Grinsen auf dem Gesicht. »Hmmm... Ja, vielleicht. Mal sehen.«, überlegte ich und lächelte ihn an. »Danke«, fügte ich noch hinzu und gemeinsam machten wir uns wieder auf den Weg, hielten die Augen nach brennbarem Holz offen und redeten dabei ununterbrochen. Über Tim, Veni, unser Bündnis, dieses Spiel und alles was uns sonst noch in den Sinn kam. Ich hatte selten mit jemandem so frei reden können wie mit Tobi und genoss seine Anwesenheit. Ihm schien es genauso zu gehen, er lachte viel und hatte fast dauerhaft ein freches Grinsen auf den Lippen. Grundsätzlich schien er ein fröhlicher und aufgeweckter Junge zu sein und steckte mich langsam mit dieser seiner Art an. »Wie kam es vorhin eigentlich dazu, dass ihr nicht gekämpft, sondern euch verbündet habt?«, erkundigte ich mich neugierig bei dem Braunhaarigen, der mich nachdenklich musterte. »Rafi und ich haben Pause gemacht und etwas gegessen, uns ganz normal unterhalten. Im Nachhinein gesehen, waren wir vielleicht etwas laut und hätten vorsichtiger sein können. Auf einmal kamen hinter mir aus dem Wald komische Geräusche und bevor ich mich umdrehen konnte, hatte ich eine Klinge am Hals. Ich glaube, Tim hätte mir sofort die Kehle durchgeschnitten, aber Rafi hat superschnell reagiert. Vielleicht eine Sekunde lang hatte Tim gezögert und genau innerhalb dieser Sekunde hat Rafi ihn unterbrochen. Er hat Stop geschrien sein Schwert fallen lassen und Tim angefleht, mich gehen zu lassen. Er wollte für mich sterben. Und wir hatten Glück, Tim hat tatsächlich gezögert. Ich glaube, er hat in diesem Moment an dich gedacht, daran dass ihr in genau der gleichen Situation sein könntet wie wir es waren. Ich hatte wahnsinnige Angst in diesem Moment und als Tim mich dann tatsächlich losgelassen hat, konnte ich es erst gar nicht fassen. Ich bin sofort zu Rafi und eigentlich wollte er mich sofort wegziehen und abhauen, aber Tims Verhalten hatte mich verwundert. Mir war klar, dass wir uns mit jemanden zusammenschließen mussten, um bessere Chancen gegen die großen Clans zu haben, die inzwischen gezielt jagen und wer wäre eher in Frage gekommen als Tim. Also sind wir nicht weg, wir sind dort geblieben. Und irgendwann konnte Rafi Tim tatsächlich überreden, sich uns anzuschließen. Er meinte, er hätte eine Bedingung und als er gesagt hat, er müsse etwas holen, haben wir überhaupt nicht gewusst, was los ist, haben sogar überlegt, doch noch alleine abzuhauen aus Angst, er würde uns eine Falle stellen. Zurück kam er dann aber mit dir und ja... Den Rest der Geschichte kennst du ja.« Ich nickte und musste leicht lächeln. Tim hatte gezögert, weil er an mich hatte denken müssen? Der Gedanke machte mich glücklich, doch ich wollte gar nicht daran denken, in was für einer Gefahr er gewesen war. So hing ich meinen Gedanken nach und auch Tobi war wieder still geworden. Schweigend sammelten wir immer mehr trockene Zweige, bis wir schließlich meinten, genug zu haben und uns auf den Rückweg machten. Als wir schließlich gut gelaunt zu der Stelle zurückkehrten, an der wir die Anderen zurückgelassen hatten, schlugen die Mienen der beiden Zurückgebliebenen sofort von sorgenvoll zu erleichtert um und Tobi raunte mir noch zu, ich solle mit Tim darüber reden, was zwischen uns liefe, wenn ich mir sicher sein wollte, bevor er glücklich in Venis ausgebreitete Arme rannte. Auch Tim stand auf und kam mir entgegen, hauchte mir zur Begrüßung einen leichten Kuss auf die Stirn. Aus dem Augenwinkel sah ich Tobi, der uns lächelnd beobachtete und Veni, der nur Augen für den Jungen hatte, der nun quer auf seinem Schoß saß. Als ich zu Tim aufsah konnte ich gar nicht anders als zu lächeln. »Ich hatte schon Angst um dich«, gestand er mir flüsternd und ich grinste ihn frech an. »Ich weiß«, erwiderte ich und Tim lachte leise und dunkel auf. »Nicht übermütig werden, junger Mann«, ermahnte er mich leise und ehe ich etwas erwiedern konnte, verschloss er meine Lippen mit den seinen. Als wir uns wieder lösten, hörte ich Tobi klatschen und applaudieren und sah Veni, der seinen Freund nur irritiert mit liebevollem Blick musterte. Ich wurde augenblicklich rot und schaute zu Boden. »Ich seh schon, ihr habt euch gut verstanden«, fragte Tim und ich beeilte mich zu nicken. »Freut mich. Aber pass bitte auf«, erwiderte er und ich nickte brav. »Gut«, flüsterte er und drückte mir einen weiteren Kuss auf die Haare. Gerade wollte er zu den anderen beiden zurückgehen, als ich nach seiner Hand griff und ihn zurückhielt. Er blieb stehen und schaute mich fragend an. Ich atmete einmal tief durch und nahm meinen ganzen Mut zusammen, als ich zu meiner Frage ansetzte: »Ich weiß, die Frage ist doof, aber... sind«, ich stockte und atmete noch einmal durch, »bist du eigentlich mein Freund? Also mein fester Freund?«, fragte ich und zwang mich, in seine wunderschönen Augen zu schauen. Er lächelte leicht, dann spürte ich seine Hände um meiner Hüfte, die mich scheinbar mühelos ein paar Zentimeter in die Höhe stemmten, so dass ich jetzt auf ihn hinabblicken musste. »Wenn du das willst.«, erwiderte er glücklich lächelnd und ich beeilte mich, zu nicken, bevor ich unsere Lippen erneut miteinander vereinte. Irgendwann lösten wir uns wieder voneinander, nur seine Hand blieb in der meinen und gingen zu den anderen beiden, wo inzwischen ein kleines Feuer brannte. Als ich Tobis fragenden Blick sah, zeigte ich ihm kurz den Daumen hoch und sein Lächeln wurde triumphiend. Alles an ihm schrie quasi 'wusste ich es doch' und ich konnte mir ein grinsen nicht verkneifen, als ich mich neben Tim, meinem nun-ganz-offiziell-festen-Freund niederließ und mich an ihn lehnte. Lächelnd legte er einen Arm um meine Schulter und zog mich noch näher an sich. Wir unterhielten uns noch alle vier lange, auch Veni und Tim schienen sich halbwegs veestanden zu haben, während wir weg gewesen waren und ich war selten so glücklich gewesen. Immer wieder trafen sich Tobis und meine glücklichen Blicke und wir lächelten wieder. Mit der Zeit waren wir beide immer stiller geworden und hatten uns an unsere Freunde gekuschelt, die sich noch leise weiter unterhielten. Ich lag inzwischen auf dem Boden, den Kopf auf Tims Schoß, der mir unaufhörlich über die Stirn streichelte und unsere Decke über mir ausgebreitet und Tobi hatte sich erneut quer auf Venis Oberschenkel gesetzt und lehnte sich an dessen Oberkörper, die Arme locker um dessen Hals geschlungen und den Kopf in seiner Schulter vergraben. Mit jeder Minute wurde ich schläfriger und schlief schließlich ein in dem Wissen, dass Tim mich beschützen würde. Mein Schlaf war leicht und unruhig, mehrmals schreckte ich von kleinen Geräuschen meiner Umgebung auf und hatte Mühe, wieder einzuschlafen. Wieder einmal wachte ich auf, das Klappern eines Skelettes in der Ferne schien mich geweckt zu haben und sah mich verschlafen im dunklen Schein des Feuers um. Als ich mich etwas aufrichtete sah ich Veni an der Feuerstelle sitzen und mit einem verkohlten Stock in der Glut herumstochern. Er schien bemerkt zu haben, dass ich wach war und lächelte mich müde an. »Schlaf weiter. Ich halte Wache«, erklärte er und ich gähnte. »Soll ich dich ablösen?«, bot ich an, doch er lehnte sofort vehement ab: »Nein. Tim hat darauf bestanden, dass du schlafen sollst, wir teilen uns die Schichten. Ich habe ihn vor nicht langer Zeit abgelöst. Vielleicht eine Stunde oder so. Aber danke.« Ich nickte. »Wenn du müde wirst, weck mich trotzdem«, bot ich an und er nickte. Im selben Moment wusste ich, dass er es nicht tun würde. Sein Blick wurde verträumt, als er Tobi streifte, der neben ihm lag, eine Hand quer über die Beine seines Freundes gelegt und die Hand in dessen Shirt gekrallt als wolle er sichergegen, dass er nicht einfach über Nacht verschwand. Ich konnte nicht anders als zu lächeln, als ich Venis Gesichtsausdruck sah, eine Mischung aus Stolz, Sorge und unvorstellbarer Zuneigung. »Du liebst ihn wirklich, oder?«, flüsterte ich und Veni sah mich kurz verwirrt an, dann nickte er. »Tobi ist einfach der perfekteste Junge, den es gibt auf dieser Welt« schwärmte er, »Er ist hübsch, klug, unglaublich süß, immer gut gelaunt, immer für andere da, der beste Freund den man sich wünschen kann.« Bei diesen Worten legte sich ein leichtes Lächeln auf Venis Lippen und er strich dem Schlafenden vorsichtig über die Wange. »Er ist alles, was ich habe und alles, was mir etwas wert ist.«, fuhr er leiser fort, dann schaute er mich nachdenklich an. »Er mag dich. Er mag dich gerne also tu ihm bitte nicht weh.« Von einem auf den anderen Moment wirkte er unglaublich verletzlich und ich konnte nicht anders, als zu nicken. »Ich mag ihn auch. Er ist ein lieber Mensch«, antwortete ich und wieder lächelte Veni stolz. Ich sah zu Tim, auf dessen Brust ich immer noch meinen Kopf gelegt hatte und sein entspanntes Gesicht. Im Schlaf sah er so friedlich und sorglos aus. Ohne meinen Blick abzuwenden, drehte ich mich um und kroch näher zu ihm, so dass nun unsere ganzen Körper sich fast berührten. Er brummte im Schlaf, drehte sich leicht zu mir, so dass er nun halb über mir lag, als wolle er meinen Körper abschirmen, sein Arm legte sich wie von selbst um meinen Oberkörper. Ich lächelte und zog vorsichtig meine Decke über uns beide. Als ich ein letztes Mal aufsah, konnte ich Veni mit seinen Lippen 'Schlaf gut' formen sehen und lächelte ihm dankbar zu, bevor ich meine Augen wieder schloss. Die beiden waren echt in Ordnung. Konzentriert widmete ich mich dem Pfeil, den ich gerade in der Hand hielt und legte sorgfältig die Federn wieder gerade. Tobi und ich saßen auf einem der vielen Bäume, ein paar Meter über dem Boden und ließen die Beine baumeln. Während Tobi nur unsere Umgebung beobachtete, hatte ich einen Köcher mit Tims Pfeilen auf dem Rücken und reparierte die geschundenen Federn, Schäfte und Spitzen so gut es ging. Tim und Veni waren vor einiger Zeit aufgebrochen, um uns allen etwas zu Essen zu besorgen und wir warteten nun auf ihre Rückkunft jeden Moment. »Wie haben du und Veni euch eigentlich kennengelernt?«, fragte ich in die Stille hinein und sofort lächelte Tobi. »Auf einer Party. Ich war eigentlich nie so der Partygänger, nicht viel Alkohol und eher der stille Zuschauer. Rafi wollte das ändern und hat mich angequatscht. Irgendwie hab ich dann doch mehr Alkohol getrunken im Laufe des Abends als sonst und mich verquatscht, dass ich schwul bin. Zwei Stunden später hat Rafi mich geküsst. Am nächsten Morgen war mir alles total peinloch ubd ich wollte ihn eigentlich nie wieder sehen aber er hat nicht locker gelassen. Also haben wir uns wieder getroffen und aind so zusammen gekommen.« Ganz kurz machte er Pause, bis er hinzufügte: »Es ist total komisch über früher zu reden. Wie eine ganz andere Welt.« Ich nickte zustimmend und bevor betretenes schweigen ausbrechen konnte, fuhr Tobi fort. »Wie war es bei euch? Warum hat Tim dich nicht getötet? Nichts gegen dich und so, ich bin selbst ja auch nicht besser, aber ich an seiner stelle hätte mir wohl einen anderen Bündnispartner gesucht. Oder warst du bei den Nisten und hattest gute Ausrüstung?« »Ich bei den Waffen?«, kurz lachte ich auf, »Nee, wirklich nicht. Tim hat moch damals vollkommen wehrlos gefunden. Keine Ahnung, warum er mich nicht getötet hat. Er weiß es glaub ich selbst nicht. Vielleicht, weil er mich nicht als für ihn gefährlich eingestuft hat. Ich glaube auch, er hatte Mitleid. Konnte mich deswegen nicht töten. Er will das nie zugeben, aber er ist so viel liebevoller und lang nicht so hart und kalt, wie er gerne tut. Er hat sich selbst dafür gehasst, mich nicht töten zu können, das hat man gemerkt. Ich war nicht von Anfang an sein Verbündeter und Freund, erst war ich lange Zeit sein Gefangener. Und seine Wut, weil er mich nicht töten konnte, hat er oft, wenn auch nie direkt, an mir ausgelassen. Er hat mich nie wirklich angegriffen deswegen, aber er hat sich total merkwürdig verhalten. Ein paar Tage lang hat er mich total runtergemacht, wie nutzlos ich wäre und nur Last, aber das hat er sehr bald aufgehört. Es waren dann immer nur so kleine Andeutungen. Eine leichter Schlag auf die Wange, ein Klapps auf den Hintern, seine Hand in meinen Haaren, die da ein bisschen gezogen hat, eine Hand, die einfach locker auf meinem Nacken oder um meinen Hals lag, ein bisschen Gezupfe an meinen Fesseln, so dass ich ein bisschen gestolpert bin. Alles so Gesten, die nicht schlimm sind, aber mir verdeutlichen sollten, dass er alle Macht über mich hat und das ich sein Eigentum bin.« »Krass. Und dann hat er sich so krass verändert?« »Ja, von einem Moment auf den anderen. Er hat meine Fesseln abgemacht und gemeint, er würde mir vertrauen. Er hat mir sogar ein Messer gegeben.« Tobi seufzte leise. »Krass. Die Geschichte ist richtig merkwürdig irgendwie.« Leise lachte ich, bevor ich bestätigend nickte. »Oh ja, das ist sie.« Tobi und ich saßen etwas abseits von unseren Freunden, dicht beieinander unter einer Decke, während Tim und Veni die Nachtwachen unter sich aufteilten. Beide weigerten sich immer noch, Teile dieser Arbeit an Tobi und mich abzugeben, was einerseits zwar total ein schlechtes Gewissen machte, andererseits aber auch super süß von ihnen war. Ich spürte, wie Tobi sich immer weiter nach hinten lehnte und verstand die stumme Aufforderung. Wir legten uns beide nebeneinander hin, so dass die Decke uns beide bedeckte und kuschelten uns aneinander, um wärmer zu werden. Trotz der Kälte konnten wir kein Feuer anzünden, wenn wir die wenigen verbleibenden Teams nicht gerade zu uns locken wollten. Es dauerte nicht lange, bis Veni auf uns zukam und sofort hob Robi die Decke ein Stück an, sodass sein freund mit darunter schlüpfen konnte. Wie selbstverständlich legte er seine Arme nicht nur um Tobi, sondern um uns beide, während Tobi und ich immer noch kuschelten. Sofort fühlte ich mich sicher und geborgen, wenn dieses Gefühl in Tims Armen auch stärker war. »Stegi?«, murmelte Veni irgendwann leise und ich brummte fragend. »Ihr solltet euch so bald wie möglich von uns trennen wieder. Wir sind zusammen weit gekommen aber es sind nur noch so wenig Spieler übrig, unsere gemeinsaeme Zeit ist vorbei. Ich will keinen von euch hinterrücks töten müssen und ich weiß, dass auch Tim bewusst ist, wie wertvoll jeder Tote inzwischen ist. Jeder Kill bring einen selbst dem Überleben ein Stück näher.« Auch wenn ich mit unserer Trennung schon gerechnet hatte, verkrampfte ich mich augenblicklich und selbst Tobis beruhigende Umarmung konnte daran nichts ändern. »Du brauchst jetzt keine Angst haben, ich werde dich nicht mitten in der Nacht erwürgen oder abstechen. Und auch morgen beim Aufwachen musst du nicht um dein Leben kämpfen. Ich glaube bloß, es ist besser, euch nicht mehr in der Nähe zu haben, damit werder Tim noch ich in Versuchung geraten.« Vorsichtig nickte ich und ließ dann zu, dass mein Körper sich langsam wieder entspannte und an Tobi kuschelte. Veni hatte recht. Unsere Zeit zu viert war gut gewesen, aber sie misste nun ein Ende finden. Und so sehr ich mich dafür hasste, hoffte ich, dass jemand anderes die beiden vor uns finden und töten würde. Denn ich würde es nicht übers Herz bringen, einem von beiden Schaden zuzufügen.

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