9│Zerbrochenes Herz

Es geschah an einem schlichten, stinknormalen Tag. Niemand hatte es kommen sehen.

Papa sass im Wohnzimmer in seinem Lieblingssessel und las die Zeitung. Mama hantierte an einem Küchengerät, während ich am Küchentisch über einem aufgeschlagenen Schulbuch hockte. Die Haustüre fiel ins Schloss und kurz darauf schlurfte Samuel in die Küche, um sich ein Stück Brot zu holen und wie gewohnt in seinem Zimmer zu verschwinden.

„Wie war dein Tag?", erkundigte sich unsere Mutter, worauf er etwas Unverständliches grummelte. Sie ging nicht darauf ein und fragte stattdessen: „Ach Samuel, könntest du noch den Geschirrspüler ausräumen?"
„Vanessa ist an der Reihe", erwiderte er trocken und war schon wieder auf der Türschwelle.
„Sie schreibt morgen eine Prüfung und muss lernen. Könntest du nicht für sie übernehmen?"
„Ich schreib Ende Woche auch eine Prüfung. Sie soll ihre Aufgaben selbst erledigen", empörte sich mein Bruder.
„Schon gut, ich machs", murmelte ich, mich schon halb erhebend, während ich den Satz noch fertiglas.

„Samuel", erklang Mutters warnende Stimme, als dieser erneut Anstalten machte, die Küche zu verlassen. „Hm?", grummelte er angriffig, „Sie hat doch gesagt, sie macht's."

Inzwischen stand ich bereits vor dem Geschirrspüler, die Hand am Griff. Als ich ihn öffnen wollte, hielt mich meine Mutter zurück und schüttelte den Kopf, worauf ich ihr versicherte: „Wirklich, mir machts nichts aus. Ich bin sowieso schon fast durch."
„Nein", erwiderte Mama energisch, „Ich bin seine Mutter und er soll gefälligst tun, was ich ihm sage." Und dann sprach sie aus, was sie niemals hätte aussprechen sollen: „Er soll endlich mal der Sohn sein, den dein Vater und ich hätten haben sollen."

Dies waren die Worte, die das Herz meines Bruders endgültig zum Zerbrechen brachten.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top