30│die Hand
Meine Finger krallten sich verkrampft in die Daunendecke. Ich versuchte mich auf den rauen Stoff des Lakens unter mir zu konzentrieren und mir in Erinnerung zu rufen, wo ich mich befand: In meinem Bett – nicht in der Küche unseres damaligen Hauses.
Schweissnasse Haarsträhnen klebten mir im Gesicht. Mein Herz hämmerte in der Brust und mein Atem so schnell ging, als hätte ich gerade einen Sprint hingelegt.
Oh, wie ich das gerne getan hätte! Wie gerne ich davongelaufen wäre – die Flucht ergriffen hätte!
Weg von der hasserfüllten Stimme meines Bruders. „Seht ihr jetzt, wozu ich fähig bin?!"
Weg von Vaters verzweifeltem Schrei und der schrecklichen Stille danach.
Weg von dem Anblick, der sich mir abermals geboten hatte. Ein Schlieren hatte Mutters Gesicht verzerrt – doch die Wunde, das Blut war gestochen scharf gewesen.
Doch stattdessen hatte ich mich keinen Millimeter von diesem verfluchten Geschirrspüler wegbewegen können. Meine Füsse waren so fest am Boden verankert gewesen, als hätte jemand die Schuhsohlen festgetackert. So hatte ich nur wie festgewachsen dastehen können, jede Faser meines Körpers verkrampft.
Bis sich etwas anderes durch den Schleier böser Erinnerungen in meine Wahrnehmung gekämpft hatte: leichte Wärme hatte sich auf meiner rechten Schulter ausgebreitet.
Ich hatte gar nicht gemerkt, wie meine Finger automatisch dorthin gewandert waren, um die Quelle der Wärme zu suchen. Und sie hatten sie auch gefunden: Ich hatte klar und deutlich eine Hand auf meiner Schulter ruhen gespürt. Jemand hatte hinter mir gestanden. Hatte mich aus dem Albtraum geholt.
Doch als ich nun die Stelle betastete, spürte ich dort nur den Stoff meines Pyjamaoberteils. Enttäuscht und beinah etwas beschämt über meine Erwartung, dort tatsächlich eine Hand vorzufinden, sank ich in mein zerknautschtes Kissen zurück und stiess einen Seufzer aus.
Sei nicht so dumm, Vanessa. Warum sollte da auch eine Hand sein?! Es war doch nur ein Traum! Da war niemand, der mich vor meinen Erinnerungen beschützte.
Meine Finger vergruben sich resigniert in den nassen Haarsträhnen und meine Kiefermuskulatur verkrampfte sich, als ich meine Zähne aufeinanderpresste.
„Ich bin mit dir", drang eine sanfte Stimme an mein Ohr.
Eigentlich hätte ich mich erschrecken müssen, dass mitten in der Nacht jemand in meinem Zimmer auftauchte und zu mir sprach. Noch dazu ein Fremder, denn dass es sich dabei nicht um meinen Vater handelte, konnte ich am regelmässigen Schnarchen im Nebenzimmer erkennen.
Eigentlich hätte ich mich fürchten müssen, als ich daraufhin den Raum nach dem Ursprung absuchte und niemanden entdecken konnte.
Doch der warme Klang dieser körperlosen Stimme hatte etwas so Beruhigendes an sich, dass sich meine Muskeln zu entspannen begannen, meine Glieder schwer wurden und ich schläfrig auf meine Bettstätte zurücksank. Das friedliche Gefühl von Ruhe legte sich wie eine wärmende Decke um mich und liess mich in einen tiefen, nun traumlosen Schlaf entschwinden.
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