2│Teufelskreis

Der kleine Sam verstand nicht, warum er seine Eltern plötzlich teilen musste, warum dieses winzige Ding mehr Aufmerksamkeit erhielt als er. Es ging so weit, dass er sich unwichtig, ja beinahe verstossen fühlte. Er konnte damit nicht umgehen. Deswegen versuchte er, sich durch auffälliges Verhalten wieder ins Rampenlicht zu rücken. Doch dies brachte ihm mehr Rügen als Zuneigung ein, womit sich Samuel noch verlassener fühlte. Und so fand der Teufelskreis seinen Anfang.

Der Tag seiner Einschulung war auch der Tag, an dem Samuel zum ersten Mal Angst hatte, seine Eltern zu verlieren. Unsere Eltern begleiteten ihn stolz zur Schule, während Oma auf mich aufpasste. Seit langem hatte er wieder einmal die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Eltern. Er stand im Mittelpunkt. Wie er das genoss! Doch sein Glück währte nicht lange.

Als Papa einen Anruf erhielt, verfinsterte sich sein Gesicht schlagartig. Aufgewühlt ergriff er die Hand seiner Frau, zog sie beiseite und sprach eindringlich auf sie ein. Bestürzt traten die beiden auf ihren Sohn zu. Mama kniete sich vor Samuel hin und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Entschuldige, mein Schatz. Wir müssen gehen, deine Schwester ist krank", flüsterte sie betrübt und küsste ihn auf die Stirn. Papa verwuschelte seine Haare. Und dann gingen sie. Sie verliessen ihn an diesem wichtigen Ereignis. Er war allein.

Wie hätte er auch wissen sollen, dass Oma mit Schrecken festgestellt hatte, dass ihr Schützling sich kaum mehr bewegte und mit glühend heisser Stirn im Bettchen lag? Wie hätte er verstehen sollen, dass sich unsere Eltern unheimliche Sorgen um ihre Tochter machten und sie umgehend ins Spital fahren mussten?

Natürlich hatte dieser keinesfalls unbeschwerte Einstieg in den Schulalltag auch Auswirkungen auf seine gesamte Schulkarriere. Die Angst liess Samuel nie ganz los und er konnte sich nie voll auf das Lernen konzentrieren. Nein, Samuel kam niemals darüber hinweg, dass ihn seine Eltern alleingelassen hatten.

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