6. Kapitel
Eva sah sie überrascht an, als Tia mit Tom wieder zurück ins Wohnzimmer kam.
Rosalie und Stan unterhielten sich aufgeregt über den Brief, den sie bestimmt schon auswendig gelernt hatten, aber als Tia wieder herein kam, sprang Rosalie begeistert auf und rannte zu ihr, um sie sofort mit Fragen zu bombardieren.
„Schau mal, Tia! Da steht, ich brauche einen Kessel! Ist das nicht ulkig? Und dann auch noch diese ganzen Zutaten! Und ich kann eine Eule, eine Katze oder eine Kröte mitnehmen? Katzen verstehe ich ja noch, aber Eulen und Kröten?"
„Eulen sind sehr intelligente Tiere, wir benutzen sie, um Nachrichten zu übermitteln", erklärte Tia, „Und Kröten... ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was Kröten können..."
„Ist bei dir wieder alles in Ordnung, Tom?", fragte Eva ihren ältesten Sohn besorgt und Tom warf Tia einen unsicheren Blick zu, bevor er nickte.
„Jaah... ich... ich bin nur etwas... enttäuscht, dass ich keine Zauberkräfte habe."
Einen Moment lang war Evas Blick verstört und verunsichert, aber dann wurde er weicher und sie lächelte traurig. „Das kann ich mir vorstellen... Du hast andere Fähigkeiten, die die anderen nicht haben."
„Unser kleiner Mathematiker", rief Thomas stolz und stand auf, um einen Arm um seine Schultern zu legen und seinen Sohn an sich zu drücken, „Du weißt doch, wie neidisch Rosalie und Stan immer waren, wenn du einen Pokal nach dem anderen nach Hause gebracht hast."
Tom schnaubte und versuchte seinen oberpeinlichen Vater von sich wegzuschieben. „Dad! Lass das!"
„Warum haben Tom und ich nie solche Briefe bekommen?", fragte Stan verwirrt, „Wir haben auch Kräfte, oder nicht, Tom?"
„Das sind doch keine Kräfte, wenn dir alle Mädchen in der Schule hinterherrennen!", scherzte Tom, „Ich bin mir immer noch sicher, dass du einfach nur so schlecht gesungen hast, dass sie dich lynchen wollten."
„Dir ist doch dasselbe passiert!", beschwerte sich Stan mit hochrotem Kopf.
„Oh, ihr habt Veela-Kräfte?", fragte Tia begeistert und Eva sah sie verstört an. In diesem Moment fiel Tia auch wieder ein, dass ihre abuelita und sie beschlossen hatten, Eva vorerst nicht zu verraten, dass sie zum Teil eine Veela war. „Oh... ähm... ich meine..."
„Nein, nein, nein – da kannst du dich jetzt nicht mehr herausreden!", bestimmte Tom streng, „Was ist das?"
„Oh, also...", Tia überlegte, wie sie das erklären sollte, „Veela sind Wesen, die durch Gesang und Tanz Männer verzaubern. Sie verlieren dann für diesen Zeitraum ihren Verstand und würden alles tun, um die Veela zu beeindrucken."
„Und was hat das mit uns zu tun?", fragte Stan begierig auf mehr Informationen.
Tias Blick flackerte unsicher zu Eva, bevor sie gestand: „Also... unsere bisabu–, ich meine Ur-Großmutter war eine Veela."
Kurz war es still.
„Wirklich?", fragte Eva und ihre Stimme schoss ungefähr eine Oktave in die Höhe.
„Oh ja, abuelita hat es bestätigt", versicherte Tia ihr lächelnd, „Bisabuela Peloma. Veela geben – wenn sie Kinder mit Nicht-Veela haben – nur einen Teil ihrer Kräfte weiter und über die Generationen hinweg schwächt die Kraft immer mehr ab, aber wenigstens habe ich so nie Pickel bekommen, oder?"
Tom grinste. „Und die anderen haben sich immer gefragt, welche Produkte ich benutze..."
„Warum hat mamá nie davon erzählt?", fragte Eva sich leise.
„Sie hat es erst herausgefunden, als ich in Hogwarts von Veela gelernt habe", antwortete Tia.
„Das ist wirklich krass", bemerkte Stan.
„Ihr habt also auch etwas Magisches in euch", munterte Tia die beiden auf, „Wenn man es richtig benutzt, kann es eine mächtige Waffe sein. Einmal habe ich jemanden dazu gebracht, seine Schwester anzu–", Tia stockte, „Wartet... das ist nicht kinderfreundlich und vermittelt die falschen Werte, oder nicht?"
„Jetzt kannst du nicht mehr zurück! Jetzt musst du es erzählen!", verlangte Tom amüsiert.
„Aber es klingt seltsam, wenn ihr den Hintergrund nicht kennt!", jammerte Tia, „Ihr denkt dann bestimmt, ich wäre wahnsinnig!"
„Das denken wir sowieso", versprach Tom und Eva sah ihn warnend an.
„Tom!"
„Oh... okay", machte Tia nur und lächelte, „Also... ich habe versucht, ihn dazu zu bringen, seine Schwester umzubringen, damit sie abgelenkt genug sind, um mich nicht mehr umbringen zu können!" Tia lächelte zufrieden.
Ihre „Familie" sah sie verstört an.
„Ich habe das Gefühl, da fehlt uns tatsächlich eine Menge Hintergrundwissen", bemerkte Thomas, „Sollten wir uns Sorgen machen?"
Tia runzelte die Stirn, als sie über ihre Antwort nachdachte und je länger sie nachdachte, desto beunruhigter wurden die anderen.
„Vermutlich nicht?", antwortete sie schließlich.
Es wurde wieder still und Tia sah sich verwirrt um. Hatte sie schon wieder etwas Falsches gesagt? Vermutlich... das passierte ihr andauernd.
„Du hast Recht gehabt", bemerkte Tom, „Es klingt schräg, wenn man die Geschichte dahinter nicht kennt..."
„Vermutlich klingt es sowieso schräg", vermutete Tia nachdenklich, „Vermutlich klingt jede Geschichte schräg, wenn man die Geschichte dahinter nicht kennt..."
„Weise Worte", bestimmte Thomas, „Ich wollte dich noch fragen, Tia –" Als er ihren Namen aussprach, klang es noch so, als wäre es sehr ungewohnt für ihn, aber bis jetzt schien er Tia ganz gut zu akzeptieren, „– woher bekommen wir die ganzen Dinge auf Rosies Liste? Einen Zauberstab?"
„Oh, darüber wollte ich noch mit euch sprechen", erinnerte sich Tia und warf Tom einen kurzen Blick zu, „Es gibt eine Einkaufsstraße in London, in der man alles bekommt – die Winkelgasse. Ich wohne dort und könnte sie mitnehmen... also... ich könnte euch Stan und Tom mitnehmen, wenn sie das wollen."
„Ja!", rief Tom sofort und bestimmt.
Stan brauchte noch einen Moment länger, um ihre Worte zu verarbeiten. „Wirklich? Ja! Bitte, Mum!"
Eva sah Tia verunsichert an. „Oh... ich weiß nicht..."
„Können... können Stan und Tom überhaupt mitkommen?", fragte Thomas Tia leise, als wollte er nicht, dass seine Söhne ihn hörten.
„Das sollte eigentlich kein Problem sein...", überlegte Tia, „Man braucht nur einen Zauberstab, um hinein zu kommen und es ist magisch versteckt, damit man sie vom Flugzeug aus nicht sehen kann, aber eigentlich kommen jedes Jahr auch die Eltern von Muggelgeborenen mit und können ihren Kindern beim Einkaufen helfen, also sollte nichts dagegen sprechen."
Eva sah Thomas unsicher an, aber dieser zuckte mit den Schultern, als wäre es ihm gleich.
„Oh... na gut", seufzte Eva geschlagen, „Wann würdest du... das erledigen? Heute?"
„Nein, nicht heute... und auch nicht in den nächsten drei Wochen", gestand Tia und ihre Halbgeschwister sahen enttäuscht aus, „Ich heirate ja in zwei Wochen und dann fliegen wir für eine Woche nach Spanien – aber dann –"
„Wow, wow, wow", unterbrach Tom sie, „Du heiratest? Schon in zwei Wochen?"
„Das ist wunderschön!", freute Rosalie sich, „Ich wollte schon immer bei einer Hochzeit dabei sein! Ich stelle mir das so romantisch vor!"
„Oh... ihr könnt gerne kommen", schlug Tia vor und sah nun auch Thomas und Eva an, „Ihr seid eingeladen, wenn ihr das wollt."
„In zwei Wochen schon? Nein,, das geht nicht, wir wollen nicht deine Pläne durcheinander bringen, bestimmt ist schon alles geplant", lehnte Thomas – wie der höfliche Engländer, der er nun einmal war – ab.
„Eigentlich haben wir noch gar nichts geplant", gestand Tia, „Wir haben erst vor ein paar Tagen beschlossen, dass wir in zwei Wochen heiraten wollen – ursprünglich wollte ich ja schon nächste Woche, aber abuelita hat gesagt, dass das zu wenig Zeit ist, um ein Kleid zu organisieren – jetzt machen wir sie am 16. Juli – am Wochenende geht es nicht so gut, weil ja Vollmond ist und –" Tia verstummte. Das waren Informationen, die sie Evas Familie nicht unbedingt geben musste. „– jedenfalls heiraten wir in ungefähr zwei Wochen. Nur ganz klein und leger – wenn eine Hochzeit mit der Familie überhaupt klein sein kann, immerhin hat George sechs Geschwister und die meisten von ihnen haben selbst schon Kinder, also wird es wohl ein ziemlich großes Fest mit Familie und ein paar Freunden.
„Wir können wirklich kommen? Einfach so?", fragte Stan, „Ist das nicht... eine Zaubererhochzeit oder so?"
„Klar. Ich kann einladen, wen ich will", Tia lächelte zufrieden.
„Bitte, Mum!", bettelte Rosalie ihre Mutter an, „Bitte! Bitte! Bitte! Ich war noch nie auf einer Hochzeit!"
„Ich... äh...", stammelte Eva etwas überfordert, „Tia... können wir kurz –"
Sie deutete mit einem Kopfnicken zur Tür und Tia folgte ihr aus dem Wohnzimmer.
„Ich hoffe, ich habe jetzt nicht irgendwie deine Autorität infrage gestellt", entschuldigte sich Tia, „Das passiert mir andauernd, obwohl es nur selten meine Absicht ist..."
„Nein, nein, ich bin nur... etwas überwältigt", gestand Eva, „Ich habe nur nicht erwartet, dass sie dich so schnell aufnehmen würden und... du sie... und ich– ich weiß auch nicht... es ist ziemlich viel auf einmal."
„Ihr müsst nicht zur Hochzeit kommen", versprach Tia lächelnd, „Ich habe mir nur gedacht, dass es für dich und Thomas eine gute Möglichkeit wäre, andere Hexen und Zauberer kennenzulernen. Zugegeben, meine Familie ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber sie nehmen jeden einfach auf, der dazugehören will."
„Wird das nicht seltsam werden?", fragte Eva unsicher, „Remus... ist sicher auch dort... wenn ich dann mit meiner Familie komme..."
„Hängt davon ab...", überlegte Tia nachdenklich, „Findest du es seltsam, wenn Remus mit seiner Familie kommt? Tonks wird auch da sein und Teddy!"
„Tonks und... Teddy?", wiederholte Eva.
„Seine Frau und sein Sohn", erzählte Tia lächelnd, „Er hat vor ein paar Jahren geheiratet und hat jetzt selbst eine Familie."
„Wow...", hauchte Eva und schien tatsächlich überrascht von dieser Nachricht, als könnte sie nicht glauben, dass jemand jemals über sie hinwegkam und sein Leben weiterlebte.
„Aber papá hat dir verziehen", beruhigte Tia sie, „Nur George mag dich nicht."
„George mag mich– ist das dein Verlobter?", fragte Eva erschrocken.
Tia lächelte. „Ich habe ihm erzählt, dass du gegangen bist – als ich ein Baby gewesen bin. Er hat schon immer gesagt, dass ich wütender auf dich sein sollte."
„Das solltest du wirklich", bestätigte Eva und klang dabei einfach nur elend, „Ich habe dich allein gelassen."
„Du hast mich bei abuelita gelassen", verbesserte Tia sie, „nicht direkt alleine... aber vermutlich sollte ich trotzdem wütend sein... ich verstehe nur nicht, was mir das bringen sollte. Deswegen bekomme ich trotzdem keine Mutter zurück und ich würde mich nur schlecht fühlen."
„Tia, ich –", begann Eva, aber Tia unterbrach sie.
„Ich habe mir eine eigene Familie ausgesucht und ich mag sie", gestand Tia lächelnd, „Ich habe Remus und seine Familie, ich habe Agnes und natürlich George und seine Familie. Außerdem mag ich Tom, Stan und Rosalie – ich glaube, ich nehme sie auch in meine Familie auf. Aber du... ich glaube nicht, dass wir jemals Familie sein könnten..."
Eva schluckte schwer und Tränen standen in ihren Augen. „Tia. Bitte – sag das nicht."
„Warum nicht?", fragte Tia und runzelte verwirrt die Stirn, „Ich will dich nicht anlügen. Das ist einfach nur meine Meinung zu dir – ich glaube, ich will dich nicht in meiner Familie haben. Ich finde, das solltest du akzeptieren. Ich lade dich gerne zu meiner Hochzeit ein – aber als Aufsichtsperson für deine Kinder und um zu sehen, wie es ist, eine Hexe zu sein."
„Aber... ich wollte doch wieder ein Teil von deinem Leben werden", eine Träne rann über Evas Wange, als sie Tia ansah.
Tia war etwas überfordert mit der ganzen Situation. Sie verstand nicht genau, warum Eva weinte, immerhin hatte sie schon vor Jahrzehnten beschlossen, dass sie Tia nicht haben wollte. Vielleicht hatte Tia sie beleidigt, indem sie gesagt hatte, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.
„Ich glaube, ich sollte gehen", schlug Tia vorsichtig vor, „Ich... verabschiede mich noch von deinen Kindern... wenn ihr zur Hochzeit kommt, könntest du bitte abuelita anrufen? Ich habe kein Telefon."
Tia sah Eva noch einen Moment lang unsicher an, bevor sie ging und Eva allein im Gang stehen ließ.
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