Kapitel 8. Alexandru

»Wir müssen schnell etwas unternehmen!«
Ich blickte auf meinen Computer, doch statt Vic und den drei hochrangigen Militärvampiren Daniel, Mick und Sören, die an meinem Schreibtisch saßen, wirklich zuzuhören, las ich Akten. Akten über den ziemlich verarmten Distrikt M23.

Eigentlich interessierte mich die Menschenstadt weniger als die eine Person, die vor drei Tagen fast zusammengebrochen war, weil sie kaum mehr als einen Apfel und zwei Gläser Wasser am Tag zu sich nehmen konnte.

Violett Luna, las ich im Archivale. 18 Jahre alt. Grau-weißes Haar. Augenfarbe: golden. 1,65 m groß. Geboren am 27.11.2314 in M23 unter der Herrschaft von König Vlad Alexandru Draculea XI. Ihre Eltern hießen Carlotta und Eduard Luna und zeugten ihre Tochter ohne Hilfe, also offensichtlich aus Liebe und nicht wegen der Vorteile, die wir den Menschen boten, sobald sie Kinder zeugten, ergo neue Nahrung.

Interessant.
Selten.
Vor allem in einer der ärmeren Menschenstädte wurde Nachwuchs meist nur des Geldes und des Status wegen in die Welt gesetzt. Trotzdem unwichtig für mich. Es gab keine Informationen darüber, was Violett vor ihrem Angebot als Blutsklavin gemacht hatte, nur die, dass ihr Vater anscheinend der einzige Ernährer der Familie war. Er muss es schwer gehabt haben, aber damit war er nicht allein, und im Prinzip war mir das alles ziemlich egal. Was mir aber nicht egal war, war die Tatsache, dass es nach ihren Eltern keine weiteren Aufzeichnungen über die Familie Luna im Register gab. Kein Großvater, keine Großmutter, keine Urgroßeltern und so weiter. Wie konnte das sein, wo doch jeder Mensch bei seiner Geburt registriert werden musste? Mit Blutgruppe, Geschlecht und allem drumherum.
Ich kniff die Augen zusammen und nahm mir vor, Gerrit danach zu fragen.

»Die Rebellen haben C22 und HG9 ziemlich übel zugerichtet. Sie haben ein paar Leute mitgenommen und die Blutbanken unserer Partnerstädte angegriffen.«

»Was heißt das genau?«, fragte Victor und ich sah auf. Mein Freund starrte Mick an.

»Das heißt, die Menschenschweine haben Silberpulver in die Blutkonserven gemischt und sie so für uns ungenießbar gemacht.«

Ich verzog das Gesicht. Das Silberpulver tötete uns nicht, aber es wirkte, wenn wir es tranken oder mit Waffen damit verletzt wurden, wie ein Gift, das uns die Kräfte raubte. Es war lästig, aber je stärker der Vampir war, desto weniger wirkte es. Mir zum Beispiel nahm es höchstens die Fähigkeit, durch die Schatten zu gehen. Kraft und Sinnesfähigkeiten nahm es einem Vampir meines Kalibers nicht. Victor hingegen, so stark er auch sein mochte, wurde stärker beeinflusst. Und wenn das der Fall war, war es für die Menschen leichter, uns den Kopf abzuschlagen, uns mit silbernen Pflöcken zu pfählen oder uns das Herz herauszureißen. Es war ein lästiger kleiner Trick der Rebellen.

»Und wie viele Konserven hat es erwischt?«

»Alle.«

Victor fluchte, aber ich sagte nur: »Gebt den Städten die Erlaubnis, direkt von ihren Menschen zu trinken. Auch das Töten ist von jetzt an erlaubt.«

Die vier drehten sich zu mir um, und Victor fragte erstaunt: »Was?«

»Du hast mich verstanden. Sie sollen mit ihnen machen, was sie wollen.«

»Mein Herr«, begann Sören nun, doch ich brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.

»Die Rebellen glauben, sie können spielen? Gut, dann spiele ich mit. Aber nach meinen Regeln. Alle verlorenen Leben - und wir wissen, dass es welche geben wird - gehen auf ihr Konto und zwei ihrer Städte werden ausgelöscht. Jeder Tote lastet auf den Schultern der Rebellen, und genau das werden wir der Presse mitteilen. Sie greifen an? Wollen uns vergiften? Sollen sie es versuchen! Dann lasse ich meine Leute auf die Wehrlosen los, die sie doch so dringend beschützen wollen.«

Victor sah ziemlich unglücklich aus, weil er wusste, dass Miha das nicht gefallen würde, aber das war mir egal. Dass meine Schwester einen Narren an den Menschen gefressen hatte, war nicht mein Problem.

»Jede Stadt«, fuhr ich fort, »soll dreizehn Dutzend Männer und Frauen, die zuletzt das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, auf die Reise in die Verliererstädte schicken, um das Defizit auszugleichen, das durch meinen Erlass entstanden ist.«

»Das wird den Leuten nicht gefallen.« Victor sah mich an, und ich nickte.

»Genau das ist der Punkt. Es soll ihnen nicht gefallen und sie sollen begreifen, dass die Rebellen dafür verantwortlich sind, dass sie sich von ihren Lieben verabschieden müssen.«

Mein Freund schnaubte und nickte dann. »Ich lasse alles vorbereiten.«

Er lief los, und ich sagte: »Ach, Victor, nur um noch ein Zeichen zu setzen.« Er sah mich an und wirkte unglücklich. Als ob er ahnte, was nun kommen würde. »Lass aus jeder Stadt drei Menschen in dem vergifteten Blut baden und schicke sie dann zu den Ungeheuern außerhalb der Maueren.«

Das war hart, denn so schickte ich 320 unschuldige Menschen in den Tod, aber ich wollte den Rebellen ein für alle Mal klarmachen, dass sie mit mir nicht spielen konnten. Ich war nicht manipulierbar und die Menschen waren mir nichts wert.

***

Ich betrat den Salon und sah zu Violett, die am Kamin saß. In eine Decke gehüllt, starrte sie ins Feuer.

»Wenn dir kalt ist, musst du es nur sagen.«

Sie zuckte zusammen und sah mich an. »Mir ist kalt«, sagte sie etwas barsch, hob die Tasse und deutete auf den Tee. »Aber ich tue etwas dagegen, und ich habe genug gegessen. Nicht die Menge, die Sie von mir verlangen, aber ich gebe mein Bestes.«

Sie wurde mit jedem Wort leiser und presste die Lippen zusammen. Ich sah sie nur an. Sie roch, als wäre ihr Bluthaushalt wieder in Ordnung. Mein Blick glitt zu ihrem Hals, der immer noch verletzt war. »Ich lasse das Haus heizen. Uns Vampiren ist es ohnehin egal, ob es heiß oder kalt ist. Meine letzte Blutsklavin hat sich nie beschwert.«

Ich lief zum Feuer und starrte in die rot-gelben Flammen. Wie es wohl war, die Hitze zu spüren? Zu schwitzen oder zu frieren? »Warst du beim Arzt?«

Sie stellte die Tasse auf den Boden und nickte. »Ja. Ich musste die Halskrause abnehmen, während die Wunde verbunden wurde.« Sie nahm die Gabel und spießte Gemüse mit einem rohen Fleischstück auf. »Mir geht es gut. Ich bin fit und bereit für Sie«, erklärte sie ernst und fragte dann: »Was ist mit ihrer letzten Blutsklavin passiert? Hat sie jetzt ein besseres Leben?«

»Sie ist tot«, sagte ich so emotionslos, wie ich es fühlte. Mein Blick auf Violett war genauso kalt. Ich hob meine Hand und forderte stumm ihr Handgelenk. Die Gnadenfrist war vorbei und ich hatte Durst.

Sie erstarrte. »Tod? Hast du sie getötet?«, fragte sie leise und starrte mich ängstlich an, als ich aufstand. Sie legte ihr Handgelenk in meine Hand und blieb vor mir stehen.

Ich zog sie ein wenig an mich und löste langsam und sinnlich die Blutschelle an ihrem Handgelenk. »Nein. Danielle ist vom Balkon ihres Zimmers gesprungen.«

»Warum?«, fragte Violett mit stockendem Atem.

Ich sah sie an, während ich ihre Haut dort küsste, wo ich sie beißen würde. »Sie hat sich in mich verliebt und ich«, meine Lippen blieben lange auf ihrem Handgelenk liegen, »habe es nicht erwidert.«

Mit schnell schlagendem Herzen beobachtete sie mich aufmerksam. »Aber das ist verboten.«

Meine Fänge kratzten über ihre Haut. »Ist es das?«

Das erotische Hin und Her meiner Jagd musste gut abgestimmt sein. Der schmale Grat zwischen Angst und Lust musste passierbar sein, und doch musste ein Absturz berücksichtigt werden. Ich war gut in diesem Spiel. Hatte es schon mit einigen Leuten gespielt.

»Es ist dir egal«, sagte sie plötzlich. Ein Hauch von Traurigkeit lag in ihren Augen. Doch der verwandelte sich schnell in Wut. »Keine Sorge, das wird mir nie passieren. Ich hasse Euch.«

Ich grinste und biss zu. Ihr Blut flutete mich und weil ich Lust dazu hatte und ihre Worte ein wenig zu ehrlich klangen, wandte ich einen ziemlich amüsanten Trick an, den jeder Vampir mehr oder weniger gut beherrschte. Ich nahm ihr mit einem Gift, das ich durch meine Fänge absondern konnte, den Schmerz und ersetzte ihn durch ... nun, sagen wir Hitze. Erregung. Lust.

Violett zuckte und keuchte. Ihre Wangen röteten sich wie immer, ebenso wie ihr wunderschönes Dekolleté. Ihre Lider fielen halb zu, und sie sah mich mit glasigen Augen an.

»Was machst du da?«, fragte sie mit sinnlicher Stimme.

Nach vier großen Schlucken Blut, das nach reinem Mondschein schmeckte, versiegelte ich die Einstiche, hob den Kopf und sah sie an, während ich Violett, deren Herz wild hämmerte, enger an mich zog und meine Lippen über ihren schweben ließ. »Ich trinke, Luna mea. Oder meinst du etwas anderes?«

Sie blickte auf meine Lippen und hob den Kopf zu mir, als wollte sie mich küssen. Doch statt es zu tun, blinzelte sie und zog die Augenbrauen zusammen. Der Mensch zuckte mit dem Kopf zurück. »Warum nennst du mich immer Luna mea? Was soll das bedeuten?«

Ich beobachtete jede ihrer Bewegungen. Das kleinste Zucken blieb nicht unbemerkt und ich machte einen weiteren Zug in meinem Verführungsspiel. Meine Hand wanderte zu ihrem Hals, strich über ihre Schulter, an ihrer Seite entlang und ruhte schließlich auf ihrer schlanken Hüfte. Den Kopf geneigt, streiften meine Lippen die ihren. Federleicht. Ein Hauch von einer Berührung und sinnlich genug, um etwas zu bedeuten. »Luna, das ist dein Name. Und was das andere angeht ...«, flüsterte ich leise in ihren Mund und drückte sie an mich und meine sich langsam entwickelnde Erektion. Auch an mir ging dieses Erlebnis nicht spurlos vorbei. Auch mich erregte dieses Spiel. »Du wirst herausfinden müssen, was du wissen willst, kleiner Mensch.«

Als sie mich spürte, starrte sie mich an. Sehr lange.

»Nein.« Das war das erste Wort, das sie herausbrachte. Sie hob ihre Hände und legte sie auf meine Brust. Als wäre ihr gerade erst bewusst geworden, was für ein Körper sich unter meinen teuren Kleidern verbarg, blickte sie auf diesen Punkt. Ihre Finger hoben und senkten sich, aber gleichzeitig schüttelte sie ungläubig den Kopf. »Du hast getrunken und ich habe meine Pflicht getan. Lass mich los«, wurde sie lauter und die Erregung ließ langsam nach.

Sie hob den Kopf und begegnete meinem Blick wieder. »Nenn mich, wie du willst, es ist mir egal.«

Ich lächelte. »Aber ich halte dich doch gar nicht fest. Geh, wenn du wirklich Abstand willst.«

»Was?« Verwundert schaute sie an uns herunter und bemerkte, dass ich sie wirklich nicht griff. Wütend blickte sie wieder auf. »Aber du hast mich doch gerade festgehalten und ... etwas mit mir gemacht. Warum fühle ich mich plötzlich so? Was hast du mit mir getan?«

Ich lachte leise und trat einen Schritt zurück. »Ich habe nichts getan, Mensch. Nichts Verbotenes und nichts, was du nicht willst. Du weißt es nur noch nicht.« Seufzend wandte ich mich wieder dem Feuer zu und strich mir über das Hemd, das Violett gerade berührt hatte. Wieder kühl und königlich verkündete ich: »Morgen Abend bin ich zu einer kleinen Feier eingeladen. Du kommst mit. Es sind noch andere Blutsklaven da, mit denen du dir die Zeit vertreiben kannst, wenn ihre Besitzer es erlauben.«

Misstrauisch schaute sie mich an und schlang die Arme um ihren Körper. Man konnte deutlich sehen, dass sie viele schlimme Dinge dachte, aber nichts aussprach.

»Sie wollen wohl, dass ich wie immer Weiß und Gold trage«, sagte sie und trat ein paar Schritte zurück.

Nickend drehte ich mich zu ihr um und öffnete gerade den Mund, als meine Schwester hereingestürmt kam.

»Vlad Alexandru Draculea! Bist du von allen guten Geistern verlassen, du verdammter Mistkerl! Wie kannst du so eine Entscheidung treffen?!«

Sie stand vor mir und ohrfeigte mich. Einmal, zweimal, ein drittes Mal.

Du liebst sie, Alex. Sie ist deine kleine verrückte Schwester und du liebst sie, sagte ich mir in Gedanken. Und weil das so ist, wirst du sie nicht enthaupten.

»Ich...«, bevor sie noch einmal ausholen konnte, verschwand ich und tauchte hinter Violett auf. Ich legte meinen Arm um sie und küsste sie rasch auf den Hals, bevor ich zurücktrat.

Mihaela fauchte, zeigte mir ihre Fänge und fluchte unflätig. »Blöder Mistkerl!«

Etwas überfordert drehte sich Violett zuerst zu mir um und strafte mich mit einem bösen Blick, der mir deutlich sagte, dass ich sie nicht mehr so anfassen sollte. Dann schaute sie meine Schwester an. »Was ist passiert?«

Mihaela öffnete schon den Mund, aber ich befahl streng: »Kein Wort, Asistentă medicală.«

Ihre Lippen schlossen sich, aber ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie begann zu weinen. Sie stampfte einmal auf den Boden und fauchte schluchzend: »Du bist ein Monster, Alex! Ein verdammtes Monster! Genau so, wie sie es alle sagen!«

Miha rannte davon, an Victor vorbei, der nun ebenfalls den Salon betrat und ihr seufzend nachsah. »Weißt du, wie lange ich versucht habe, sie zu beruhigen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Das interessiert mich nicht. Sie ist dein Problem.«

»Das ist mir klar, Alex.« Victor sah zu Violett, die immer noch vor mir stand. »Geht es deinem Nacken besser, Mensch?«

»Ja, mir geht's gut«, antwortete sie Victor und drehte sich zu mir um. »Was ist passiert, dass ich das nicht wissen darf?«

Ich sah sie an und bemerkte die Angst, die plötzlich in ihr aufstieg.

»Nichts, was einen Menschen beunruhigen sollte, und jetzt verschwinde und lass mich allein mit Victor sprechen.«

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