Kapitel 71. Violett
Ich öffnete meine Augen.
›Wo bin ich?‹ fragte ich unkontrolliert in meinen Gedanken und meine Augen zuckten in verschiedene Richtungen.
›Bin ich im Himmel?‹
Das Rauschen in meinen Ohren ging langsam zurück, als ich mehrere Herzschläge hörte.
Eins.
Zwei....
Drei...
Oh... ein Herzschlag gehörte mir.
»Alex....« bewegte ich kaum meine Lippen, als ich seinen Namen aussprach.
Wo war er?
Was war nochmal passiert?
Es fühlte sich an, als wäre ich aus einem sehr sehr langen Albtraum erwacht.
Ich fühlte mich irgendwie anders.
»Luna mea«, raunte jemand leise und griff meine Hand. Sacht drückte derjenige sie und verflocht unsere Finger.
Seine Stimme. Ich hörte sie auf einmal viel intensiver. Sofort fanden meine Augen ihn und sofort breitete sich Erleichterung aus.
Ihm ging es gut.
Ein Glück.
»Du bist da.« Ich lächelte ihn an und fühlte mich noch etwas benommen. War das hier alles echt? Es fühlte sich merkwürdig an.
Alex versuchte sich an einem Lächeln. »Ja, ich bin da. Und du, du lebst.«
Ich blinzelte nicht, zog aber meine Brauen zusammen.
Stimmt. Plötzlich kehrten die Erinnerungen zurück. Stella...sie hatte ein Messer geworfen und dieses landete in meinem Hals.
Dann war da Alex Gesicht. Er war zu Eis erstarrt und ich hatte noch nie so eine Panik in seinen Augen gesehen. Und dann....
Nein. Dann ist alles schwarz. Ich fühlte mich, als ich hätte einen langen Kampf gekämpft und gerade so gewonnen.
Wieder im hier und jetzt, fragte ich: »Wie hast du mich gerettet?« denn soweit ich wusste, konnte doch nur Mihaela mit ihrem Blut heilen. Aber sie war .....tot. Sowie alle Rebellen.
Großvater.
Ben.
Ich verzog das Gesicht, weil immer mehr erinnerungsfetzen zurückkamen. Langsam versuche ich mich aufzusetzen.
Alex half mich hoch und sah mich dabei genauesten an. Es dauerte, bis er sagte: »Du wärst gestorben. Egal, was ich getan hätte, du wärst gestorben. Also habe ich dich verwandelt, in der Hoffnung, dass du es irgendwie durch ein Wunder überlebst. Du«, er schluckte und verzog das Gesicht, »bist jetzt einer von uns. Ein Vampir.«
Mir fiel alles aus dem Gesicht.
»Was?« fragte ich überfordert, weil ich es nicht glauben konnte. Ich meine, ich hatte so viele Bücher gelesen. Ich hatte nach so vielen Lösungen gesucht, damit ich zu einem Vampir werden kann. Doch Alex hatte sich bis zum Schluss geweigert. Genau deswegen hatte ich es versucht zu akzeptieren und nun war ich einer von ihnen. Ein Vampir.
Meine Lippen waren mit einem Mal trocken. »Ich wäre gestorben.« wiederholte ich und hob meine Hand. Irgendwie fühlte sich alles so leicht an. Ich sah an mir hinab. Ich trug diesmal Frauen Sachen. Das mussten
meine Sachen sein. Dann hieß das, wir waren wieder zuhause. »Wie lange war ich weg?«
Er beobachtete ihre Reaktion. »Fast zwei Wochen.«
»Zwei Wochen« wiederholte ich und sah mich um. Ich lag in Alex Zimmer. Als ich einen Spiegel fand, stand ich von dem Bett auf und lief an Alex vorbei. Vor dem Spiegel blieb ich stehen und sah mich an. Meine Augen beobachteten meine Gestalt und ich war überrascht, dass ich immer noch aussah wie Violett. Meine goldenen Augen. Meine weiß-grauen Haare. Meine helle Haut war komplett verheilt. Kein Biss, keine Schramme, kein blauer Fleck. Meine Finger legte ich um meinen Hals. Auch diese schreckliche Wunde war verheilt.
Alex trat hinter mich und fragte angespannt und zum hundertsten Mal in den letzten Wochen: »Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?«
Ich sah ihn durch den Spiegel an. Er sah müde und erschöpft aus. Leichte Augenringe waren zu erkennen und auch so sah er nicht gesund aus. »Ich fühl mich normal. Ich habe keine Schmerzen. Es fühlt sich nur an, als hätte ich ewig geschlafen« antwortete ich und drehte mich zu ihm herum. War er unglücklich? Er hat mich von den Toten wiedergeholt. Aber sein Wunsch war es, mich als Mensch neben sich zu haben und nicht als einen von ihnen.
Alex betrachtete mich. »Geht es dir wirklich gut?«
»Nicht wirklich. Ich habe so viel tot gesehen und bin selbst gestorben. Es war kalt und dunkel.« Ich erschauderte und legte die Arme um meinem Körper. »Wahrscheinlich meinst du das mit deiner Frage, habe ich recht? Du meinst meine Psyche« und verdammt die war angeknackst. Ich habe meinen Großvater gesehen, wie sein Kopf vor mir lag und seine kalten Augen mich ansahen. Dann war ich gestorben ohne das Wissen, ob ich wieder erwache. Es war zu viel. Und auch, wenn ich mich körperlich gut fühlte, hieß das nicht, dass seelisch auch so war.
Mein Alex nahm mein Kinn und hob es an. Sein Atem ging schneller und unregelmäßig. Seine Pupillen weiteten sich und ich merkte, wie sehr es ihn anstrengte, stillzubleiben. Aber er gab nach und küsste mich. Küsste mich voller Verzweiflung, ehe ihm ein dunkles Schluchzen entkam und er vor mir auf die Knie fiel. Alex krallte sich in das Kleid und drückte den Kopf an meinen Bauch. »Du lebst. Du lebst. Du lebst.« Wieder schluchzte er. »Zwei Wochen, wusste ich nicht, ob du je wieder aufwachst. Aber ... du bist hier. Bei mir. Ich ... ich liebe dich. Mein Mond. Mein-«, ein erneuter, tiefer Klagelaut entkam ihm und er blieb still. Seine Schultern bebten und er krallte sich fester in den Stoff.
Obwohl ich nicht blinzeln müsste, tat ich es noch aus menschlichen Angewohnheiten. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, als Alex vor mir auf die Knie fiel. Und als ich dann ein schluchzen hörte, weiteten sich meine Augen. Mein Herz stockte und plötzlich begriff ich, wie sehr er die letzten Wochen gelitten hatte. Wie sehr er sich mit der Tatsache anfreunden musste, dass ich doch nicht mehr wach wurde. Er hatte sich so stark unter Kontrolle gehabt, dass ich es nicht sofort bemerkt hatte. Immerhin war ich mit den Gedanken noch ganz wo anders. Und als er dann auch noch die drei verbotenen Worte sagte, die wir doch erst nutzen wollten, wenn ich......
Oh.
Stimmt. Ich bin gestorben.
Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Kopf und strich durch seine zerzausten Haare. Normalerweise lagen sie immer perfekt. Wieso hatte ich das nicht sofort gesehen? Sanft drückte ich Alex weg und ging ebenso auf die Knie. Nun knieten wir beide auf dem Boden und ich hob sein Gesicht. Ich sah von einem Auge zum anderen und legte meine Hand auf seine Wange. Mein Daumen strich über seine Haut und endlich hatten wir dieselbe Körpertemperatur.
Mein Kopf zu ihm hochgestreckt und seinen Kopf zu mir runtergezogen, legte ich meine Lippen auf seine.
Ich küsste ihn zärtlich und vorsichtig. Und als ich von seinen Lippen abließ, sah ich ihm tief in die Augen.
»Ich liebe dich, Alex und mein Herz explodiert gleich, so sehr habe ich mir die ganze Zeit gewünscht dir diese Worte sagen zu können.« Ich lächelte sanft. »Ich liebe dich so sehr und ab jetzt werde ich dich nie wieder verlassen. Versprochen.« fuhr ich fort und legte mein Zeigefinger auf seine Lippen, als er etwas sagen wollte. »Und bevor du mir wieder vorhältst, dass du meinem Versprechen erst einmal kein Glauben schenken wirst, sei lieber ruhig und akzeptiere meine Worte. Mein Herz.«
Er sah mich an und holte tief Luft. Ruhe kehrte ein und nach diesem kleinen Ausbruch an Gefühlen und Emotionen, die ihn wohl so lange im Griff hatten, fand er sich wieder und strahlte einen Teil der alten Präsenz aus. Alex küsste den Finger, der ihn zum Schweigen brachte. Die Hand hebend, packte er mein Gelenk und küsste auch das. Immer und immer wieder, während er mich ansah. »Eigentlich«, setzte er an und schloss kurz die Augen, als er mich witterte, »wollte ich dir nur sagen, dass ich dich auch liebe. Aber da du mich so frech unterbrochen hast, habe ich beschlossen, es einfach nicht mehr zu tun. Für .... Sagen wir 300 Jahre. Das sollte als Strafe für dein voreiliges Mundwerk reichen.«
Empört sah ich ihn an. »Was? 300 Jahre? Da bin ich doch schon längst tot! Das kannst du nicht tun!«, fuhr ich ihn fassungslos an. Und während wir uns gegenseitig ansahen, fiel es mir wieder ein. »Oh.« Ich wisch seinem Blick aus und lachte leise und verlegen. »Stimmt, ich bin ja kein Mensch mehr. Trotzdem-« setzte ich wieder an und sah ihn böse an. »Das ist eindeutig zu lange. Das geht nicht.«
Alex sah mich lachend an, doch dann wurden seine Züge sanft. »Komm mit. Du musst etwas Essen und du musst Blut trinken.«
»Jetzt, wo du es sagst. Ich hab echt Hunger.« stimmte ich zu und wir erhoben uns. Dann legte ich meine Arme um seinen Körper und sah zu ihm hoch. »Du musst aber auch etwas essen und dann musst du mir erzählen, was die letzten zwei Wochen passiert ist.«
Alex sah auf mich hinab und nickte. »Das sollte ich, denn es ist einiges.« Ich nickte zur Tür und lief dann los. »Aber eins nach dem anderen.«
Ich folgte Alex und war überrascht, dass er seine Schatten nicht nutzte. Dabei fiel mir auch auf, wie leicht es mir fiel, mich zu bewegen. Im selben Augenblick wurde ich traurig und dachte an Mihaela. Wenn sie hier wäre, dann wäre alles anders. Sie würde mir bestimmt alles zeigen wollen und würde sich vor Freude gar nicht mehr einkriegen.
»Es fühlte sich alles so komisch an.«
Alex betrachtete mich. »Das kann ich mir vorstellen. Und ich sehe es«, meinte er amüsiert. »Du bewegst dich etwas steif, Luna mea. Aber ich denke, du brauchst Zeit, dich an das Vampir-Sein zu gewöhnen. Das ist auch der Grund, warum kein Mensch hier ist und die nächsten Jahre auch keinen in deiner Nähe haben wirst.«
Wir betraten den Speisesaal, in dem Victor am Tisch saß und den Kopf auf seine Hände stützte. Als er uns sah, hob er den Blick und sah mich an. Seine Augen weiteten sich, er stand auf, lief zu uns und zog mich in seine Arme. »Du bist wach? Du lebst!«
Ich war kurz total überrascht, weil ich so eine Reaktion von Victor niemals erwartet hätte. Aber....es freut mich. Also erwiderte ich die Umarmung und lächelte. »Ja, irgendwie habe ich es geschafft. Ich habe echt keine Ahnung wie, aber hier bin ich.«
Er drückte mich fester an sich und ließ mich dann los. Er sah zu Alex und nickte. »Wir haben uns Sorgen gemacht. Alex ist fast durchgedreht.«
Alex verdrehte die Augen, stritt es aber nicht ab. Die Situation war zu ernst. Zu emotional, um den König der Vampire raushängen zu lassen.
Ich sah zu Alex. »Ja, das kann ich mir vorstellen.« meinte ich und musterte meinen Partner.
›Ich liebe dich.‹ kicherte ich gedanklich. Auch, um ihn zu ärgern. Ich würde das jetzt immer sagen, wann und wo ich will. Zurück zu Vic schauend, fragte ich: »Das ist nett, dass du dir Sorgen gemacht hast. Aber wie geht es dir und was ist mit....« Ich konnte die Frage nicht beenden, aber ich wollte wissen, was mit Ben passiert ist.
Victors Miene wurde ernst und traurig. »Ben hat vor drei Tagen das Zeitliche gesegnet. Er war schwächer, als mir lieb war. Mehr Detail möchte ich dir ersparen«, knurrte er, dann sagte er fast schon erschöpft: »Mir geht es, wie es mir eben geht. Mach dir keine Sorgen.«
Alex verspannte augenblicklich und sah Victor an.
Trotz, dass ich Ben nicht mehr leiden konnte, stach doch mein Herz. Es war komisch zu wissen, dass er und mein Großvater tot waren. Es war vorbei, oder? Obwohl wir wohl nicht wissen konnten, ob nicht in den nächsten Jahrhunderten wieder Rebellen auftauchen würden.
Ich schluckte schwer und nickte nur, bevor ich wieder Victor ernst ansah. »Du bleibst bei uns, oder?«
Victor sah mich an. Sagte nichts, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich kann nicht. Ich ... kann hier nicht bleiben. Alles ... alles hier, schreit ihren Namen. Dir geht es gut, du hast überlebt und ich, ich kann morgen Nacht gehen.«
»Vic, du-«
»Nein«, unterbrach er Alex. »Ich hab' meine Entscheidung getroffen, als der Malekai ihr das Herz rausgerissen hat, Alex.«
Mein Blick wurde traurig. »Du kommst wieder, oder?« fragte ich nun, um einfach sicherzugehen, dass er sich nicht selbst das Leben nahm. Das würde ich nicht ertragen. Nicht schon wieder jemand, der geht.
Auch Alex sah Victor an, als er mich betrachtete.
»Ich weiß es nicht, Mensch«, er lachte leise und verbesserte sich: »Vampire. Ich weiß es nicht.«
»Okay« sagte ich schlussendlich und umarmte Victor noch einmal. »Ich danke dir für alles. Auch, wenn du am Anfang echt ein Arschloch warst ... hab ich dich lieb« flüsterte ich und das war eine Sache, die ich einfach sagen musste. Es war meine Art, mich zu verabschieden. Mein Kopf drehte ich zu Alex. Ich wusste, dass es ihm ebenso verletzte, dass sein Freund ging. Gleichzeitig spürte, wie intensiv die Gefühle bei Vampiren war. Ich sah nur noch Alex.
Er nickte mich zu. »Iss etwas, trinke etwas und dann sei sauer auf mich.«
Victor setzte sich wieder mit zu uns und sah angespannt zu den Dienern, die uns Essen und Blut in einem Krug brachten.
Ich setzte mich und sah begierig auf das Essen. Doch als ich das Blut roch ging meine ganze Aufmerksamkeit dorthin.
Ich merkte nur nebenbei, dass sich Victor anspannte. Zu stark war der Geruch von der roten Flüssigkeit. Ich musste mich richtig zwingen aufzusehen und mich umzusehen.
Ich war ein Vampir. Aber....
Wusste überhaupt irgendjemand über mich Bescheid?
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