Kapitel 66. Alexandru

Das Silberpulver, das die Rebellen überall im Wald verteilt hatten, brannte in meiner Nase und machte es mir unmöglich, irgendeine Spur aufzunehmen. Ich blinzelte in den Himmel und die Sonne blendete mich, sodass ich ein knurrendes Fauchen ausstieß.
Mein Schwanz peitschte umher und ich legte die Ohren an.
Meine Frustration war allgegenwärtig. Meine Angst war allumfassend und die tief sitzende Panik alles verschlingend.
›Violett.‹
Seit einer Woche war sie schon weg. Das Handy blieb an und mir wurde mit jeder Sekunde bewusst, in welcher Gefahr sie sich befand. Eine Gefahr, die ich nicht mehr einschätzen konnte, seit Miha weg war. Miha ... Ich schob, die noch immer anhaltende Traurigkeit zurück, denn sie UND meine Ängste, würde mich wahnsinnig machen. ›Luna mea.‹
Ich hatte sie erst mehr als zwei Wochen verloren. Nun war sie bereits wieder 8 Tage nicht bei mir, und das, obwohl ich sie doch nur für wenige Tage bei mir gehabt hatte.
›Du hattest es versprochen.‹
Durch das Unterholz schleichend, setzte ich meinen Weg ohne Ziel fort. Was taten sie mit ihr? Wie ging es ihr? Wo war sie? Glaubten die Rebellen, Violett ihre Geschichte? Oder war sie eine Gefangene? Folterten sie sie, für Informationen? Ich würde es tun. Ich hatte es getan.
›Luna mea!‹
Wie oft versuchte, ich sie schon zu erreichen? Ich wusste es nicht mehr, aber es war oft und nie kam eine Antwort. Mein Inneres zog sich mit jedem unbeantworteten Ruf zusammen und die Angst schraubte sich weiter in die Höhe. Wie konnten sie das nur tun? Wie konnten sie mir das nur antun? WIE konnten sie LUNA MEA nur in so eine Gefahr bringen?
Ich fauchte, schlug mit der Pranke wahllos nach einem Baumstamm und vergrub meine Krallen darin.
Ich fauchte wieder knurrend und sprang dann auf einen tief hängenden Ast. Dann auf den nächsten, und weiter und weiter hoch, bis ich die Baumkrone erreichte und einen Überblick über das Land hatte. Den Wald. Ich suchte seit Tagen und die Rebellen waren irgendwo hier. Das Silberpulver erklärte es, doch egal wie und wo ich suchte, ich fand das Lager nicht. Und da mit Victor auch nach mehrmaligem Drohen mit seinem Tot nicht sagte, wo genau er Luna mea abgeladen und alleine gelassen hatte, konnte ich sowohl nahe dran, als auch meilenweit von ihr entfernt sein. Nein, es musste letzteres sein, denn sonst würde sie mich hören. Mir antworten. Es sei denn .... Es sei denn, sie war bereits ...
›Wo bist du?‹
›Geht es dir gut?‹
›WO BIST DU?!‹
›Sei nicht tot. Sei nicht tot! Wenn dir irgendetwas zugestoßen ist, kann ich nicht weitermachen. Ich ... Wo bist du?‹
Mein Gott, ich hatte noch nie solche Angst. Dieses Gefühl, zu ersticken, war verrückt. Ich liebte sie so sehr, dass sich jede Sekunde ohne sie anfühlte, wie eine Ewigkeit im Fegefeuer. Ich stieß einen katzenhaften Schrei aus und legte die Ohren an und starrte von der Baumkrone aus in den Himmel.
›Luna mea, ich ... bitte. Nur ein Zeichen, dass es dir gut geht.‹
Das war es, was ich bräuchte. Ein Zeichen, dass sie nicht tot war. Nur eines. Mein Herz, mein Kopf, selbst mein Körper BRAUCHTE das. Sonst ...
›Alex?!‹, hörte ich einen verwunderten Ausruf in meinem Kopf. ›kannst du mich hören?‹
›WO BIST DU?!‹ Mein Herz hämmerte mit einem Mal wild und unbändig. Es brach fast aus meiner Brust und unglaubliche Erleichterung packte mich. Es ging ihr gut. ›Sie lebt. Sie ist nicht tot. Luna mea lebt.‹
Ich hatte keine Kontrolle über meine Gedanken und Gefühl und wäre ich in der Form eines Vampirs und kein Panther auf einem Baum, wäre ich wegen des erlösenden Gefühls auf die Knie gefallen. Sie lebte. Lebte. Nicht tot.
Aber so schnell, wie die Erleichterung mich packte, genauso schnell raste der Zorn in meine Adern und ich roch meine eigene Wut. Heiß und glühend.
›ich höre dich! Wie ist das möglich?; fragte Violett aufgewühlt und ich hörte die Erleichterung heraus. ›ich bin im Hauptlager der Rebellen. Mir geht es gut. Ich lebe, hörst du? Ich lebe.‹
Im Hauptlager der Rebellen. Heiße Wut begann zu kochen und so hörten sich meine Worte an. Emotionslos und doch so voller Gefühle, dass es abstrakt klang. ›Du hast versprochen, zu bleiben.‹ Ihr Verrat tat weh. Dass sie mich angelogen hatte, tat weh.
›ich weiß. Es tut mir leid. Aber die Wunden, die Vic mir zufügen musste, heilen schon ab. Und obwohl Ben immer noch misstrauisch ist, glauben mir die meisten. Es hat also funktioniert‹, erklärte sie entschuldigend.
›Es funktioniert?‹, fragte ich. ›Es funktioniert?!‹ Ich fauchte, trat durch die Schatten und tauchte in der Hütte auf. Ich wandelte mich, brüllte, sodass Vic ins Zimmer eilte, nur um mit einem Blick auf mich und einem geraunten »Nope«, wieder zu verschwinden. Ich zerschlug den Beistelltisch in seine Einzelteile und atmete gegen die Rage an. ›Sag mir, wo das Lager sich befindet. Sofort!‹
›Nein‹, sagte sie schlicht. ›ich werde es dir nicht sagen. Du musst mir jetzt vertrauen und mich die Informationen sammeln lassen. Ich bitte dich, Alex.‹
›SOFORT!‹, brüllte ich und ich glaubte, es sogar ausgesprochen zu haben. ›ich will wissen, wo du bist, damit ich dich zu mir holen kann. Hast du das verstanden? Du bist bei dieses Menschen nicht sicher!‹
Warum verstand sie das nicht? Weshalb war es für sie so schwer zu begreifen, dass sie sich in unglaubliche Gefahr begab? Sie war so leicht zu verletzten. So unglaublich leicht zu töten. Sie ...
›Sag mir‹, setzte ich an und der Kleiderschrank zerfiel zu Staub, ›wo das Lager ist, oder ich schwöre dir, ich werde den Wald in einem Umkreis von 100 Kilometern in meine Schatten hüllen und alles darin vernichten, bis ich dich gefunden habe. Und ich halte meine verdammten Versprechen!‹
Ich konnte sie nicht verlieren. Ich konnte nicht!
Luna mea seufzte gedanklich. ›Bitte beruhige dich. Wenn du mich jetzt zwingst dir mein Standort zu nennen, dann war alles umsonst. Dann war der Schmerz, den ich ertragen habe, umsonst. Dann war das Zusammenreißen gegenüber Ben und den anderen Rebellen umsonst. Willst du wirklich all meine Mühen wegen unbegründeten Sorgen kaputtmachen? Ich habe mich entschieden, diesen Weg zu gehen, weil ich das dir und Michael schulde. Und am meisten schulde ich es Victor. Ich bin nämlich schuld an ihren tot. Wenn ich dir nicht wichtig wäre, dann hättest du deine kleine Schwester beschützen können. Weißt du eigentlich, wie viele Vorwürfe ich mir mache? Nicht nur du, auch ich mache mir Schuldzuweisung. Deswegen bitte ich dich inständig, mich diese Aufgabe vollenden zu lassen.‹
Ich erstarrte und schloss die Augen. Sie war keineswegs an Mihas Tod schuld. Ich war es. Doch ich wusste, so wie ich diese Worte niemals akzeptieren und glauben würde, würde es nichts bringen, wenn ich sie Violett sagte. Gab man sich für etwas die Schuld, dann tat man das so lange, bis man selbst damit im Reinen war oder für immer. Niemand außer einem selbst konnte das ändern. Niemand.
Ich seufzte frustriert und schlug einmal und noch einmal auf die Wand ein, ehe ich mir über das Gesicht rieb und mich aufs Bett legte. Die UV-Schutzfenster sperrten die Strahlen aus und ich sah an die Decke. ›ich könnte euch umbringen. Dich und Victor. Ist dir das klar? Ich bin so verdammt wütend auf euch!‹
›Ich weiß. Es tut mir so unendlich leid. Wirklich. Es war so schwer für mich, das zu tun. Ich will dir immer alles erzählen, aber diesmal konnte ich es nicht. Ich kann dir nur eines anbieten, wenn es dich dann beruhigt.‹
›Schwer für dich? Verdammt, Luna mea! Du bist bei den Rebellen. Im Lager der Feinde. Der Leute, die mich tot sehen wollen und dazu dich nutzen. Es tut mir leid‹, wiederholte ich angefressen. ›Nein, nein, das reicht nicht. Nicht dafür, dass du und Vic mich so hintergangen haben. Ich bin der verdammte König!‹
Es dauerte eine endlose Weile, bis ich sie wieder hörte. ›Du bist mein Alex, mein Partner‹, sagte sie ruhig. ›und wenn ich in Gefahr sein sollte, dann sage ich dir sofort, wo ich bin. Versprochen. Beruhig dich das etwas? Ich meine es ist ein Wunder, dass wir uns überhaupt hören. Warte ... Wo bist du? Du müsstest ja dann in der Nähe sein, oder?‹
›Versprochen? Als könnte ich darauf jetzt noch etwas geben‹, ließ ich sie meine Enttäuschung hören. ›Sag das nie wieder, verstanden? Es bedeutet für mich gerade nichts weiter als ein leeres Zugeständnis.‹ Sie würde eine Menge Zeit verstreichen lassen müssen, ehe sie das wieder geradebiegen konnte. Und ich würde sie es jeden Tag spüren lassen, bis ich genug hatte, sie dafür zu bestrafen. ›Violett‹, setzte ich erneut an. Wenn du in akuter Gefahr bist, kann jede Sekunde zählen und auch wenn ich durch die Schatten gehen kann, könnte es zu spät sein. Ich ... kann das nicht. Du ... Ich kann dich nicht verlieren.‹
›Okay. Das verstehe ich. Und du wirst mich nicht verlieren. Bisher läuft alles gut. Obwohl es mir schwerfällt, mich traurig und gebrochen zu benehmen, wenn ich deinen wundervollen Akzent in meinem Kopf hören darf.‹
›Hör auf‹, zischte ich, doch mein Mundwinkel zuckte nach oben. ›Schmeicheleien helfen dir nicht. Und wenn überhaupt, war das lahm und nicht einfallsreich genug.‹
›es ist aber so. Seitdem ich deine Stimme höre, muss ich lächeln. Und ich darf nicht lächeln, also hör auf, mich glücklich zu machen‹, fuhr sie fort und lies mich ein Kichern hören. ›ich werde alles tun, um es wieder gut zu machen. Ich werde dich verwöhnen, mit meinem Körper, mit meinen Lippen, mit meinen Fingern, mit allem, was ich habe.‹
Nun grinste ich. ›Ist das so, Luna mea?‹ seufzend schloss ich die Augen und stellte sie mir vor. Wie sie zu mir lief, wie ich sie im Arm hielt, wie ich sie küsste, sie nahm, mit ihr lachte, sie neckte ... all das. ›was hast du bis jetzt herausgefunden?‹
›ein Moment, mein Großvater redet mit mir‹, erklärte sie, und kurz war es still. Ich verspannte mich und ließ die Bilder in meinem Kopf lebendig werden, die zeigte, wie ich ihren Großvater umbrachte. ›also morgen darf ich meinen Großvater begleiten. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann zu der Höhle, wo die Waffen hergestellt werden. Die befindet sich außerhalb vom Lager. Mein Großvater war zum Glück so geschockt von meinem misshandelten Körper, dass er mir sofort glaubte, nachdem ich vor seinen Augen zusammengebrochen bin. Zumindest macht er den Eindruck. Ich muss weiterhin wie eine Frau wirken, die misshandelt und dessen Herz gebrochen wurde. Es ist so schwer, diese Rolle zu spielen. Gerade Ben ist so penetrant und nervig. Aber ja, das ist, was ich bisher herausgefunden habe. Tut mir leid, es ist nicht viel, nicht wahr?‹
Nein, das war nicht viel, wenn man bedachte, in was für eine Gefahr sie sich begab. ›Ich habe Vic fast umgebracht, Violett‹, gestand ich stattdessen und ging damit auf die Wunden ein, die sie erwähnte. ›Und wenn er nicht so hartnäckig gegen mich gekämpft hätte, wäre ich dich holen gekommen.‹ Nun tauchten neue Bilder auf, doch ich schon diese beiseite. Denn Violetts verwundeten Körper auch nur in meiner Fantasie zu sehen, war zu viel.
›ich bin froh, dass er durchgehalten hat und du ihn nicht umgebracht hast. Mir geht es schon besser. Ich wurde ärztlich behandelt. Ich mach mir gerade mehr um dich sorgen.‹
›Um mich?‹, fragte ich und entspannte wieder.
›natürlich. Du hast erzählt, dass Vampire viel intensiver fühlen als Menschen. Deswegen kann ich mir bestimmt gar nicht vorstellen, wie schlimm es gerade für dich ist. Aber ich habe es gesehen, als wir in der Hütte waren.‹
Ich schüttelte den Kopf. ›Der kleine Mensch sorgt sich um den mächtigsten Vampir der Neuzeit. Wenn das nicht mal ein Plot-Twist ist.‹ Ich lachte leise und legte meine Arme hinter den Kopf. ›denkst du, dein Großvater traut dir wirklich, oder tut er nur so?‹
Sie kicherte und überlegte. ›Mhm, ich denke schon. Ich habe ihnen erzählt, dass du mir das alles angetan hast und dich seit dem Tod deiner Schwester verändert hast. Bisher scheinen mir die meisten zu glauben. Zumindest sehen mich die meisten mitleidig an. Mein Großvater fühlt sich etwas schuldig, weil ich ihm vorgehalten habe, warum er mich nicht schon früher geholt hat. Aber ob das alles ehrlich von ihm ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass Ben immer noch behauptet, dass du mich liebst und mich holen kommst. Obwohl selbst das etwas weniger geworden ist. Immerhin ist heute schon der 8 Tag und ich find das Essen hier schrecklich. Ich vermisse das Essen im Palast.‹
›Palast‹, wiederholte ich. ›Dir ist aber klar, dass das nur ein großes Anwesen ist und kein Palast?‹
Ben. Dieser Wichser würde bitter bezahlen. Er würde mehr leiden als alle anderen und wenn ich Victor richtig einschätze, würde er seinen Tod tagelang, wenn nicht sogar wochenlang herauszögern. Ich würde daneben stehen und jede Minute genießen. Machte uns das zu Monstern? Wahrscheinlich, aber es war mir egal. Er hatte den Befehl gegeben, meine kleine Schwester zu töten, und damit hatte ich jedes Recht, ihn so streben zu lassen, wie es mir, oder in dem Fall Vic, beliebte.
›ich vermisse dich, Luna mea. Jeden Tag etwas mehr.‹
›Na ja du bist der König und in Märchen leben Könige immer in Paläste, also habe ich recht und du nicht‹, erwiderte sie belustigt. Doch der Frohsinn verschwand, als sie weiter dachte. ›ich vermisse dich auch, Alex.‹
Ich strich mir über die Brust und legte meine Hand dorthin, wo mein Herz lag, und fühlte ihre Präsenz in meinem Kopf nach. Als ich bemerkte, dass ich wegdämmerte und die Erschöpfung und der ewige Schlafmangel mich mitrissen, ließ ich Luna mea, Bilder zukommen. Wie wir es schafften und zu hören, war mir ein Rätsel. Vielleicht lag es an den in unendliche Dimensionen geschraubten Gefühle und Ängsten. Vielleicht waren wir auch einfach nur besonders. Egal, wie, ich war froh darüber, nicht den Verstand vor Sorge verlieren zu müssen.
Ich schlief ein und obwohl ich das tat, wusste ich, dass meine Kleine sah, wie ich sie auf der Blumenwiese, die ich so oft in ihren Träumen geschaffen hatte, in den Armen hielt und küsste.

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