Kapitel 62. Alexandru

Ich war schnell in die nächste Stadt verschwunden. Kitton, deren Menschenstadt Nm66 war. Eine kleine Stadt mit ärmlichem Menschenbezirk. Egal. Ich hatte die Pille vor Menschen natürlich bekommen und dem menschlichen Mann in der Apotheke deutlich klargemacht, dass, sollte er erwähnen, dass ich hier war, jemand aus seiner Familie verschwinden würde.
Ich legte die Packung auf den Tresen des Hauses und sah Sophia beim Spielen zu. Ich lehnte mich an das Holz, ehe ich mich herumdrehte, Blut in ein Glas füllte, es aufwärmte und dann zu ihr lief. Ich kniete mich vor das Kind und hielt ihr den Becher hin. »Trink. Du musst hungrig sein. Du isst mehr menschliche Nahrung, als dass du Blut zu dir nimmst.«
Verwundert nickte sie und nahm das Glas mit zwei Händen. Sie trank das Blut, als wäre es Milch und kleckerte etwas auf ihren Pullover. Sich die Lippen leckend sah sie an sich hinab und auch ihr Mund war blutbeschmiert.
»Ich habe mich schmutzig gemacht«, sagte Sophia leise und schämte sich offensichtlich. »Ich werde das sauber machen.«
Ich nickte, stand auf und sah ihr zu, wie sie nach oben ins Badezimmer eilte. Auf dem Weg kam ihr Victor entgegen und als dieser unten war, folgte kurz danach auch Violett. Vic ging an den Kühlschrank, nahm sich dann einen Blutbeutel, riss ihn mit den Zähnen auf, trank, warf den Beutel in die Spüle und nahm sich dann noch einen Apfel. Er biss hinein und lehnte sich an den Tresen.
Er sah schrecklich auf. Das hellbraune Haar war zerzaust, die sonst blauen Augen, jetzt rot durch das Blut, waren trübe und rot umrandet. Er weinte jede Nacht. Still und lautlos, aber ich hörte es. Hörte, wie er sich in die Kissen und Decken klammerte, die noch nach meiner kleinen Schwester rochen. Einem Geruch, der in der ganzen Hütte umherschwebte. Seit wir hier waren, kam er selten aus dem Zimmer. Und wenn er es tat, aß er, trank Blut und verschwand dann wortlos wieder.
Ich zog Violett, die neben mich trat, in meinen Arm. »Willst du nicht heute etwas mit uns hier sitzen? Lass uns reden, Victor.«
Er sah mich an und das Rot wurde wieder blau. »Reden? Über was?«
Ich biss die Zähne zusammen. »Alles.«
»Alles?« Er schnaubte abfällig. »Ich habe mein ALLES verloren, Arschloch. Für mich gibt es nichts mehr zu bereden.«
Eine Sekunde blieb ich still, dann sagte ich: »Miha würde-«
»Nein!«, zischte er und sah mich verletzt und auch etwas wütend an. »Nein, Alex.«
Mein Kiefer zuckte, doch ich nickte. »Wie du willst. Nur, Victor, du-«
»Ich weiß«, brummte er. »Aber ich kann nicht. Okay? Sie ... ich kann nicht.« Er lief hinauf und ich sah ihm nach.
»Wenn man so eine Verbindung hatte, erholt man sich davon je wieder?«, fragte Violett leise, während sie zu mir hochsah.
Ich nickte. »Ja. Aber ... Victor hat Miha vergöttert. Schon immer. Von dem Moment an, als er sie sah, hatte er ihr jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Hat sie auf Händen getragen und konnte zu nichts Nein sagen, was sie wollte. Was er für sie empfunden hat ... Ich kann und will mir nicht vorstellen, was in ihm zerbrochen ist. Aber was es auch sein mag, er wird es nicht reparieren können. Was sie hatten, findet man nur ein Mal im Leben.« Ich musste lange einatmen, um meinen eigenen Verlust zu verarbeiten. »Wir lieben stärker als ihr Menschen. Ich hatte dir ja schon erklärt, dass Vampire und ihre Partner mehr sind. Es steht über allem. Sogar der Familie.« Ich sah wieder zu der Treppe. »Victor leidet demnach mehr als wir alle zusammen.«
Sie nickte betrübt. »Es tut mir leid«, flüsterte sie nur und drückte sich von mir weg. Violett ging in die Küche, nahm sich ein Glas Wasser und packte die Pille aus. Sie nahm sie und trank das Wasser.
Mich auf das Sofa setzend, starrte ich eine Weile in das Feuer. »Miha war gerne hier. Sie sagte immer, hier könnten wir sein, wie wir sind, und müssten nicht diese Masken tragen.« Ich lachte leise. »Als ob ich eine trüge. Und sie«, wieder lachte ich. »Miha war die unprinzessinnenhafteste Prinzessin, die es gibt.« Ich räusperte mich. »Gab.«
Vorsichtig ging sie zu mir und blieb vor mir stehen. »Es tut mir wirklich von Herzen leid. Ich wünschte, ich könnte etwas ändern. Ich würde wirklich alles tun, wenn Miha damit zurückkommen würde.«
Ich sah sie an und zog sie zwischen meine Beine. »Der Tod ist Teil des Lebens, Kleines. Auch das eines Vampirs. Wer, wann geht, das können wir in vielen Fällen nicht beeinflussen.« Ich seufzte und zupfte an dem Schwarzen Hemd, das sie trug. Es roch nach mir und nun auch dezent nach ihr.
Ich wandte den Kopf ab, als Victor wiederkam, und blieb still, als er sich zu uns setzte. Es dauerte Minuten, bis er leise raunte: »Wenn das hier vorbei ist. Die Sache mit den Rebellen, dann ...« Vic sah mich an und ich erstarrte, denn er musste nicht weiter sprechen. Ich las die Worte in seinen Augen und spürte sie in meiner Seele.
Ich sah zurück in das Feuer. Es würde noch einen Abschied für mich bedeuten, aber ... ich verstand ihn. Mein Blick huschte zu Violett. ›Sei froh, dass du nicht so intensiv fühlst, Luna mea. Es ist ein Segen.‹
›ich fühle sehr viel. Du kannst doch gar nicht wissen, wie es mir geht. Wie ich fühle‹, erwiderte violett etwas aufgewühlt. Sie sagte nichts, bis Sophia die Treppe runterkam und sofort zu ihr lief. »Violett, ich habe dir Gummibären übrig gelassen«, quasselte sie und hielt inne, als sie Victor erblickte. Sofort wurde ihr Gesicht traurig und Sophia sah zu Boden. Violett zögerte kurz, bevor sie sich von mir weg drückte und Sophia an die Hand nahm. »Möchtest du mir zeigen, wo die Gummibären sind?«, fragte sie und versuchte, sich an einem ehrlichen Lächeln. Sophia sah überrascht auf und nickte dann. Sie liefen gemeinsam in die Küche.
Ich sah ihnen nach und wandte mich dann an meinen Freund. »Wir werden sie rächen.«
Er nickte nur. »Ich will keine Rache, ich will in dem Blut des Mannes baden, der sie mir genommen hat.« Nun hob er den Blick und sah mich ernst an. »Ich werde Benjamin töten, Alex.«
Ich verspannte mich, denn alles in mir schrie, dass es mein Anrecht sei, ihn zu zerreißen. Aber war es das? Ja, Miha war meine Schwester, doch sie und Victor, sie waren mehr, als ich es bei irgendwem sonst gesehen hatte. Sie waren füreinander bestimmt. Ich sah zu Violett und obwohl ich die Welt für sie vernichten würde, wenn es darauf ankam, wusste ich doch, dass Victor wahrscheinlich noch mehr für meine Schwester empfunden haben könnte.
Liebe. Ich schluckte. Sie konnte das Schönste und das Schmerzhafteste sein, was einem widerfahren konnte und ich ... Ich würde bald auch ihre zerstörerische Macht erleben. Denn Violett war ein Mensch und würde sterben.
Mein Blick huschte wieder zu Victor. »Er gehört dir.«
Auch er sah in die Flammen. »Wie geht es jetzt weiter, Alex? Wenn wir einen Krieg anfangen und es heißt, Vampire gegen Rebellen und Verstoßene, wem können wir noch trauen? Wir können nie wissen, wer in Wirklichkeit von ihnen gesteuert wird. Wenn selbst Malekai ...« Vic rieb sich die Haare und seufzte. »Wir brauchen einen Plan.«
Ich nickte. »Ich habe einen Plan. Aber er ist riskant.«
Sein Block bohrte sich in meinen. »An was denkst du.«
»Daran«, setzte ich an, »dass wir zwei sie alleine besiegen.«
Vic blinzelte und sah kurz zu Violett, die mit Gummibärchen und dem Kind wieder zu uns ans Sofa kam. Sie setzte sich auf die andere Seite der L-förmigen Landschaft. »Alex, wir können niemals gegen Hunderte, vielleicht Tausende Rebellen ankommen. Selbst in Höchstform ist es zu viel. Sie haben Waffen und Mittel, die es uns unmöglich machen, sie zu besiegen. Alleine die Verstoßenen an ihrer Seite sind ein verdammtes Problem«, knurrte er. »Von dem Silber und dieser Nanotechnologie, die sie sonst woher hatten, möchte ich gar nicht erst anfangen.«
»Ich weiß. Und deshalb beginnt mein Plan damit, das Silberlager, das sie haben müssen, zu zerstören. Wir schalten die Quelle ihrer Macht und ihrer Waffenherstellung aus.«
Vic blinzelte. »Und die, die sie schon haben?«
»Gegen die müssen wir geschickt vorgehen.«
Victor lachte leise. »Das ist Selbstmord, Alex. Aber-« wieder lachte er lustlos. »Was habe ich noch zu verlieren.«
Ich schluckte, denn wo er dachte, er habe nicht mehr zu verlieren, stand für mich einiges auf dem Spiel. Mein Blick huschte zu Luna mea. Ja, ich hatte etwas, um das ich kämpfen und das ich schützen musste.
»Ich werde helfen«, sagte Violett nun ernst und sah uns beide abwechselnd an. »Egal, was ich tun kann, ich werde es tun.«
›ich werde nicht nur rumsitzen und dabei zu sehen.‹
Sie sah mich an und ehe ich etwas sagen konnte, meinte Victor: »Geh zu den Rebellen zurück und finde heraus, wo sie ihre Waffen herstellen und wo das Hauptlager ist.«
Ich wirbelte herum und knurrte: »Nein.«
Hatte er denn den Verstand verloren?
›Du gehst nirgendwo hin, Violett!‹
Das sture Ding blickte Victor an. »Gut, mach ich.«
›ich werde dich das alles nicht alleine machen lassen. Verstehe es endlich! Ich gehöre zu dir und du zu mir. Ich muss das tun. Für uns. Wir gegen die Welt. Wir!‹
Ich knurrte und Schatten wirbelten um meine Beine. »Nein.«
Vic starrte mich an. Teilnahmslos. »Alex, sie-«
»Ich sagte-«, platze ich laut aus und meine Macht pulsierte gefährlich. Allein der Gedanke, dass sie zurück zu den Rebellen ging, löse eine Panik in mir aus, die ich nicht verdrängen konnte. Sophia wimmerte und Vic, fluchte leise. »-NEIN!«
›Wir gegen die Welt heißt nicht, dass ich dich in die Höhle des Löwen werfe und zusehe, wie sie dich zerreißen!‹
Unbeeindruckt von meiner Macht, weil sie es wohl langsam gewohnt war, sah Violett mir entgegen. ›beruhige dich‹, dachte sie besonnen. ›ich verlasse dich nicht wieder. Wir finden eine andere Lösung.‹
Ich atmete gegen das Rasen meines Herzens an und gegen die Wut. Dann wandte ich mich an Victor. »Nein. Sie geht nicht.«
Er sah mir entgegen und verzog das Gesicht. »Gut, dann lass uns die beste Chance, die wir haben, um alles über die Rebellen herauszufinden, einfach nicht nutzen. Super.«
Knurrend fletschte ich die Zähne. »Ben hat gesehen, wie sie auf der Lichtung reagiert hat. Er WEIß, dass sie und ich uns ... Er weiß, dass sie mich nicht verraten würde.«
»Das du sie was? Dass ihr euch was? Liebt?« Er schnaubte und stand dann auf. »Ich gebe dir einen guten Rat, mein Freund.« Victor nickte zu Violett. »Sag es ihr. Sprich es aus. Denn deine Zeit mit ihr endet früh genug und wenn es vorbei ist, wirst du bereuen, es nie ausgesprochen zu haben.« Vic sah Sophia an, die noch immer ängstlich zu mir sah. »Komm, wir gehen hoch. Ich hab' ein Brettspiel entdeckt, das ...« Er schluckte. »... ich immer mit der Prinzessin gespielt habe.«
Sophia wandte sich zu Violett und sie versuchte zu lächeln, als sie ihr zu nickte und sie mit den restlichen Gummibärchen Victor folgte. Als beide weg waren, blieb meine Kleine sitzen und sah mich nicht an. Sie sagte nichts und ich hörte sie nichts denken.
Mein Blick huschte über sie. Ihr Gesicht, ihren Hals, ihre Schultern und ihre gesamte, schlanke Gestalt in meinem viel zu großen Hemd.
Dann sah ich zurück in die Flammen.
»Versprich mir, dass du nicht gehst.«
»Ich verspreche es«, murmelte sie nur.
Ich lehnte mich zurück in die Kissen und rieb mir über den Bartschatten. »Ich werde einen anderen weg finden, diese Dinge rauszufinden. Ich kann dich nicht in Gefahr bringen. Ich KANN nicht.«
»Ich weiß. Ich dich auch nicht. Und dennoch tust du, was du willst«, meinte sie und klang erschöpft.
»Ich bin nahezu unsterblich. Wie viele kugeln und Pflöcke kannst du überleben, wenn sie dich treffen?« Mein besorgter, jedoch ernster Blick brannte sich in sie. »Es ist, als würdest du ein kleines Kätzchen mit einem Panther vergleichen. Was du«, sagte ich trocken, »im Übrigen ohnehin getan hast.« Mein Ego hatte das noch nicht ganz verkraftet, aber was solls. »Der Punkt ist, wenn ich Kämpfe, was du nebenbeigesagt auch nicht kannst, ist meine Chance signifikant höher, zu überleben als deine.«
Nun stand sie abrupt von dem Sofa auf. »Ich wollte dich in keinerlei Hinsicht mit mir vergleichen. Aber ich ... du bist das Wichtigste in meinem ganzen Leben. Ich würde für dich sterben. So sehr lie ... Gott, das ist einfach so bescheuert«, wurde sie wütend und wollte in unser Zimmer laufen.
Ich packte sie im Vorbeigehen am Arm und sah zu ihr hoch. »WAS ist bescheuert? Das ich dich am Leben halten will?«
»Nein, dass wir es immer noch nicht sagen!«, fuhr sie mich an.
»Hat sich denn etwas geändert? An unsere Lage?«, fragte ich gegen und starrte sie an.
»Ja, hat es. Denn was Victor gesagt hat, stimmt. Was, wenn ich dich nie wiedersehe? Was, wenn etwas passiert?«
Mein Blick wurde hart. »Dann wissen wir es dennoch.«
Ich konnte nicht. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich sie liebte. Gerade jetzt, nach Miha, würde es das Ende unserer ohnehin an die Zeit gebundenen Beziehung nur lebendig machen. Es war, was würde man einen Drachen wecken, von dem man wusste, dass sein tödlicher Biss dann noch schlimmer werden würde.
Violett befreite sich aus seinem Griff. »Gut, du willst es nicht. Dann versprich, dass du es mir an meinem Sterbebett sagst. Ich will es nur-«, schluchzte sie und atmete tief ein. Die aufkommenden Tränen wischte sie weg. »Ich will es nur ein einziges Mal aus deinem Mund hören. Bitte.«
Ich packte sie erneut und zog sie auf meinen Schoß. Meine Lippen auf ihre legend, flüsterte ich. »Ich verspreche es, Luna mea.«

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