Kapitel 59. Violett
Victor
Ich erwiderte seinen Kuss. Drückte mich an Alex heran und meine Hand betastete seine Schulter. »Alex«, hauchte ich und im selben Augenblick zog ich den Pflock aus seinem Fleisch. Bevor Alex wegen den Schmerzen fluchen konnte, küsste ich ihn wieder und ließ den Pflock zu Boden fallen. ›Das hättest du nicht tun dürfen. Doch ich bin froh, dass du es getan hast.‹
›Ich darf ziemlich viele Sachen, Luna mea. Und zuallererst, hätten sie dich mir niemals wegnehmen dürfen.‹ Seine Zunge forderte meine zum Kampf heraus und erst als Victor sich an der bereits verheilten Schulter zurückzog, ließ er von mir ab. Alex sah mich an. »Du gehörst mir. Niemand nimmt weg, was mein ist.«
»Super, dass ihr das geklärt habt, und jetzt sag mir«, zischte Vic, »was du dir zum Geier dabei gedacht hast!«
Miha rannte auf mich zu und trennte uns endgültig, indem sie mich in eine Umarmung zwang. »Dir geht es gut! Oh, dir gehts gut! Wir hatten solche Sorge!«
Mit einem Lächeln erwiderte ich die Umarmung. Meine Gedanken hingen noch bei meinem Großvater und den Rebellen. Es tat mir leid, dass es soweit gekommen war. Es tat mir leid, dass ich nicht mit vollem Herzen hinter meinem Großvater stehen konnte. Meine Eltern wären enttäuscht. Und mein Großvater war enttäuscht. Das war mir klar. Aber ich konnte und wollte nicht ohne Alex leben. Ich fühlte mich an seiner Seite am wohlsten. Genau deswegen lächelte ich auch und antwortete Miha. »Tut mir leid, dass ich euch Sorgen bereitet habe. Ich bin froh, dass es euch gut geht.«
»JA! IHR GEHTS SUPER! WIR SIND ALLE FROH, DASS VIOLETT WIEDER DA IST!«, brüllte Victor und sah Miha in dem leicht einsetzenden Nieselregen an. Dann wirbelte er nach einem genervten Blick zu Alex herum und fragte: »Was hast du dir nur dabei gedacht, Alex?«
Dieser sah Vic, an Miha auch und als diese anfing zu lachen, grinste auch er.
»Was?«, knurrte er und kreuzte die Arme.
Miha schob mich zu ihm. »Du sagtest, WIR sind froh, dass Violett wieder da ist. Das heißt«, Alex Schwester fummelte an uns herum und verknotete Victors und meine Arme in eine seltsam steife Umarmung, »du magst sie auch. Du bist froh, dass es ihr gut geht.«
Alex hob eine Braue, schmunzelte aber warm.
Ich sah hoch zu Victor und erwiderte seinen Blick. Dann lächelte ich verlegen. »Auch bei dir möchte ich mich entschuldigen. Ich weiß, dass du dir Gedanken gemacht hast wegen Miha. Bis auf einen kurzen Moment habe ich gut auf mich aufgepasst« erklärte ich und dann umarmte ich ihn. Mein Kopf auf seiner Brust, sah ich Alex an. ›Ich könnte dich die ganze Zeit ansehen.‹
Victor wurde stocksteif und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Dann tätschelte er meinen Kopf und löste sich von mir. Er drehte sich zu Alex. »Erklär dich.«
Der Vampirkönig seufzte und griff meine Hand. Als könne er nicht anders, zog er mich zurück zu sich und vergrub seine Nase in meinem Haar. »Was gibt es da zu sagen. Ich wusste, du würdest mich niemals alleine gehen lassen und ich sagte dem Rebellenführer nun einmal, dass ich ihn alleine treffen würde.«
»Dann hat er dir einen Pflock in die Schulter gejagt!«
»Nein, das waren die Rebellen, die er im Wald positioniert hatte.«
Vic fluchte und auch Miha sah unzufrieden aus. »Weißt du, Bruder, du bist sehr oft sehr nachlässig, wenn man bedenkt, dass wir alle von dir und deinem Überleben abhängig sind.«
Ich sah Alex böse an und nickte zustimmend. »Ich muss Victor und Miha zustimmen. Du solltest vorsichtiger sein« schimpfte ich und meine Augen zuckten immer wieder zu seinen Lippen.
Plötzlich hörte ich ein Räuspern und ich wandte mich ab. Da erblickte ich ein kleines Mädchen. Sie war noch im Grundschulalter und sofort sah ich Firell in ihr. »Ist das-« fragte ich, ließ den Satz aber unvollendet. Sie sah mich etwas böse an, als sie zu Miha ging und ihre Hand nahm oder bildetet ich mir das ein?
Er nickte. ›Sie heißt Sophia. Und sie hat dich und mich wohl so gerne, ein Vogel die Katze gerne hat.‹ Alex zog mich näher. ›Ich habe Firell getötet. Weil sie dich verraten hat. Ich denke, wir werden keine Freunde werden.‹
Ich sah das süße Mädchen an und mir wurde gerade klar, dass auch die Vampire viele Kinder haben, genauso wie Menschen. Auch bei den Vampiren gab es Familien.
Den Kopf zu Alex drehend, sah ich traurig an. ›Du hättest sie nicht töten dürfen. Ich hätte dasselbe getan. Also erfüll der Kleinen jeden Wunsch.‹
»Prinzessin? Können wir nach Hause?« fragte Sophia und sah hoch zu Miha.
›Ich hätte und ich habe, Luna mea. Firell hat mich verraten. Es gibt keine Gnade für etwas wie das. Und das Kind ist mir gleich. Sie darf bleiben, doch ihre Wünsche wirst du ihr erfüllen. Ich denke nicht, dass sie auch nur ein nettes Wort von mir annehmen würde.‹
»Wir können, es dauert nur noch einen kleinen Moment, ja?« Miha strich der Kleinen über das Haar, das von dem stärker werdenden Regen durchnässt wurde.
Ich strich die Tropfen aus Alex Gesicht und sah ihn an. »Ich werde es versuchen« flüsterte ich und bemerkte, dass der Regen mein Haar immer mehr durchnässte. Es klebte bereits an meinen Körper, aber ich hatte nur Augen für ihn.
Alex. Alex. Alex. Nur er.
Ich brauchte etwas, um mich von seinem Gesicht zu lösen, und sah zu Sophia. »Deine Schwester war eine Freundin von mir und ....«
»Du bist ein Mensch. Nur ein Mensch. Ich hatte nie etwas gegen euch, obwohl ihr nur unsere Nahrung seid. Ihr habt mir sogar leidgetan. Aber das ich von den Rebellen entführt wurde, gequält wurde und meine Schwester gestorben ist, ist allein deine Schuld. Ich hasse dich« sagte sie mir eiskalt mit ihrer kindlichen niedlichen Stimme ins Gesicht.
Oh.
Alex knurrte leise und auch Vic richtete sich auf. Seine Männer im Hintergrund standen reglos am Waldrand und warteten ab.
»Vorsicht Sophia. Meine Geduld mit dir hat Grenzen. Ich bin derjenige, der die Konsequenzen für die Entscheidungen deiner Schwester gebracht hat, nicht der Mensch.«
Miha strich ihr weiter über die Haare. Sie beugte sich erneut herab. »Hör zu, wir-«
Ein Geschoss zischte durch die Dunkelheit und als große Scheinwerfer die Nacht und die Lichtung erhellten, zog auch Alex mich an sich.
»Rebellen! Mein König, sie sind üb-« Seine Stimme erstarb und wir sahen zu, wie alle fünf Männer von Alex gliechzeitig fielen. Mit dem Holz in der Brust zerfielen sie zu Staub.
»Wie«, setzte Victor bitterböse an, verstummte jedoch, als Miha einen Laut ausstieß und ein Mann hinter ihr auftauchte.
Kein Mann.
Ein Vampir.
Malekai.
»Nun, das dürften die Menschen dann mir zu verdanken haben.«
Alex verspannte sich und sah den schönen Vampir an. »Malekai.«
Er verneigte sich spöttisch und behielt Miha in festem Griff. »Mein König. Es tut mir leid, aber ... es muss sein.«
›Wie viele Verräter unter meinen gibt es noch?!‹, zischte er in Gedanken, ohne es zu steuern.
Mein Herz stockte und ich starrte Miha an. »Bist du wegen mir hier? Dann nimm mich, aber lass bitte Miha los. Ich bitte dich!« flehte ich unkontrolliert und meine Atmung beschleunigte sich.
›Still!‹, knurrte Alex.
»Wieso kann ich dich nicht wittern?«, fragte er möglichst neutral. Er war ein Freund gewesen. »Wieso kann ich die Menschen nicht riechen?«
Malekai lachte leise und als Victor Anstalten machte, zu Mihaela zu stützen, bohrte er von hinten seine Hand in ihre Brust. »Na ah«, schnurrte er erheitert. Miha schrie auf und sah zu Sophia, die Malekai einfach mit einem Tritt nach vorn beförderte.
Victor erstarrte und fing das Mädchen auf, das in seine Arme stolperte.
›Wir sitzen in einer Falle. Ich muss Zeit gewinnen, um euch so in meine Nähe zu bekommen, dass ich mit euch durch die Schatten treten kann.‹
»Komm schon, spuck es aus.«
Malekai seufzte und Miha zuckte zusammen. »Um ehrlich zu sein, ist es ziemlich simpel. Sie spritzen sich Silber ins Blut. Nur so viel, dass sie sich nicht vergiften. Genug jedoch, um unsere Nasen zu täuschen.«
Alex biss sie Zähne zusammen, als Ben auf der Lichtung auftauchte. »Dasselbe gilt für die Vergessenen. Wir kontrollieren sie mit schmerzhaften Nanopartikeln Silber im Kreislauf. Diese Nanopartikel sind auf die Stimmen der Menschen eingestellt, die den Schmerzimpuls leiten.« Ben stellte sich zu Malekai und sah mich abwertend an. »Das war es doch, was du als Nächstes fragen wolltest? Hm, Alex?«
Er schluckte offensichtlich ein Knurren herunter. »Eigentlich, wollte ich meinen Freund fragen, wieso er sich auf eure Seite geschlagen hat. Aber danke für die Info.«
Malekai, der eben noch gegrinst hatte, tat es nun nicht mehr. Dafür machte es Ben. »Selbe Antwort, König Vlad. Nun, was mit den Verstoßenen funktioniert, klappt auch hervorragend mit Vampiren, wie wir herausgefunden haben. Besser noch, wir können euch völlig neu programmieren.«
Victor schob sich ein Stück vor. »Unsinn! Warum hättet ihr so etwas Mächtiges gegen und erst jetzt verwenden sollen?«
Ben sah ihn an. »Weil, du Arschloch, wir es jetzt erst herausgefunden haben.«
Was?!
Ich erstarrte.
Hatten sie mir diese ganzen Infos mit Absicht nicht gesagt? Ich hatte einfach keine Ahnung davon gehabt. Immer wenn ich sie fragte, wie sie die Verstoßenen kontrollierten, bekam ich keine Antworten. Und jetzt machte es auch Sinn, weil sie selbst damit richtige Vampire kontrollieren konnten. Ich verstand zwar kein Wort seiner Erklärungen, aber ich war dennoch geschockt. Mein Augenmerk ging zu Miha.
›Was kann ich tun? Bitte sag mir, was ich tun kann, um zu helfen.‹ flehte ich Alex gedanklich an.
›Nichts‹, sagte er leise. ›Du kannst nichts tun, Luna mea.‹
Ben sah mich an und nickte. »Dein Freund hier ist nicht mehr so ganz da. Ich kontrolliere ihn schon seit einer Weile, weshalb er auch wusste, und somit ich, dass du diesen Ort hier angegeben hast. Victor war dieser Information bezüglich tatsächlich sehr geschwätzig gegenüber Malekai. Mir war klar, dass du Violett nie zurücklassen würdest. Also habe ich Vorkehrungen getroffen und meine Männer hier hergebracht, während du dachtest, uns hinters Licht führen zu können.«
»Lass sie gehen. Lass Miha gehen!«
Alex sah Victor nicht an, man spürte aber die Verzweiflung in seiner Stimme. Als Ben sich herumdrehte und schlicht sagte: »Nein«, hörte Alex auf zu atmen.
»Was willst du?«
Ben lachte. »Deinen Tod. Aber ich gehe davon aus, dass ich das heute nicht bekomme. Du bist egoistisch genug, dich und Violett wegzuschaffen und deinen Kumpel und deine Schwester sich selbst zu überlassen, nicht wahr?«
Als Ben das sagte, schüttelte ich den Kopf.
Nein.
So etwas würde Alex nie tun.
Ich war mir da sicher. Er würde Miha und Victor niemals opfern.
Er....
Ich sah Alex an und meine Augen weiteten sich. Er hatte mich immer noch fest an sich gedrückt und plötzlich fühlte ich einen Kloß in meinem Hals.
Das....darf....nicht sein.
›Alex?‹ fragte ich gedanklich und die Angst war hörbar.
›Ja?‹
Ich zögerte und sah ihn an. Ich sah von einem Auge zum anderen. Seine türkisen Augen, die mich neutral musterten.
›wir ... retten Miha, oder?‹ fragte ich vorsichtig nach und hatte Angst. Ich hatte noch nie in meinem Leben so Angst vor einer Antwort wie jetzt gerade.
Alex sah mich an und Schmerz blitzte in seinen Augen auf. Unendlicher Schmerz. ›Ich denke, es ist zu spät.‹
Er sendete eine Schattenpeitsche los, doch sie kam nicht rechtzeitig an.
Alles passierte rasend schnell.
»Reiß der Prinzessin das Herz raus.«
»NEIN!«
Und als Alex weiter mich ansah, Bens Befehl nachhallte und Victors Schrei, der über die Lichtung fegte, und von den herab rasenden Regentropfen doppelt und dreifach verstärkt, wie verschlungen wurde, schloss Ales gequält die Augen.
Vic krallte sich brüllend in die Schultern des Kindes und sah in Mihas Augen, die weit aufgerissen waren. Dann sah er auf das Herz, das auf und Boden fiel und sein Wehklagen wurde so laut, dass ich zusammenzuckte. »Miha!«
Malekai, dem Alex mit den Schatten zu spät den Kopf abgetrennt hatte, zerfiel mit seiner Schwester zu Staub. Ben musste zurücktreten und brüllte schon seinen nächsten Befehl, als Alex den ersten Schritt mit mir durch die Dunkelheit trat. Er kam bei Vic an, der brüllte und brüllte. Er legte seine Hand auf Vitors Schulter, kassierte drei Schüsse in den Rücken, schaffte es allerdings, uns wegzubringen.
Wir tauchten in einer Berghöhle auf und als wir uns von der Dunkelheit lösten, stieß Victor das Mädchen achtlos beiseite und brach auf dem Boden zusammen. Noch immer schrie er und übergab sich dann auf den steinernen Boden.
Ich war wie versteinert. Starrte ins Nichts und musste erst einmal begreifen, was gerade passiert war.
Mihaela....
Ich blinzelte und sah mich um.
Miha?
Miha!
Vor meinem inneren Auge geschah es noch mal. Ihre Augen geweitet. Das Herz, das mit dumpfen Geräuschen auf den Boden krachte. Und Victors Schmerzensschrei, dass über die Lichtung widerhallte. Und dann der Regen. Der Regen, der immer lauter wurde. Sophia rutschte an die Wand, drückte ihre Hand auf ihren Mund, während sie weinte.
Meine Unterlippe zitterte und auch mir stiegen die Tränen in die Augen. Meine Atmung wurde stockend und ich senkte den Kopf, als auch ich begann zu weinen. Sie vor meinen Augen sterben zu sehen, auf so brutale Weise, nachdem, was sie alles für mich getan hatte, war grausam. Meine Finger krallten sich in meine Hose und ich schluchzte.
Nein.
Das....das ist .....nicht richtig!
Alex.....
Ich hob den Blick und sah zu ihm. Er war verletzt. Also versuchte, ich mich zusammenzureißen, um ihm zu helfen. Doch ich schaffte es nicht. Heulend erhob ich mich und lief zu Alex. »Halt still« schluchzte ich und kniete mich hinter ihm hin, um die Kugeln aus seinem Rücken zu fummeln. Meine Hände zitterten wie verrückt und meine Sicht verschwamm immer wieder, weshalb ich länger brauchte, als nötig. Die erste Kugel fiel zu Boden und ich schluchzte wieder. War das alles meine Schuld? Hätte ich etwas anders machen können? Gab es wirklich keinen anderen weg, um sie doch noch zu retten? Diese Fragen flogen mir immer wieder durch den Kopf, während ich die zweite Kugel rausholte.
Alex zuckte nicht, sagte nichts und dachte nichts. Bis er, nachdem ich die letzte Silberkugel aus seinem Rücken zog, einen einzigen, stillen Schwall Macht aussonderte. Schatten brachen aus ihm heraus und jagten durch die gesamte Höhle. Sie ließen sie erzittern, ließen Sophia lauter weinen, Victor schmerzerfüllt Schluchzen, und krochen dann langsam zu ihm zurück.
›Miha. Ich ... werd ihn umbringen.‹
Er stand auf, schob mich weg und machte sich bereit, zurück zur Lichtung zu verschwinden.
›Tu das.‹ antwortete ich Alex. Obwohl ich wusste, dass er seine Gedanken nicht unter Kontrolle hatte und ich sie nur deswegen hörte. Nach der Trauer kam die Wut. Das hatte ich beim tot meiner Eltern schon spüren müssen. Ich erschauderte wegen seiner Schatten, aber sah ihn weiterhin verheult an. ›Ich werde dich nicht aufhalten.‹
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