Kapitel 58. Alexandru
Auf das Handy in Victors Hand sehend, versuchte ich, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Es klappte nur nicht.
Ich belog meinen Freund und auch meine Schwester, die alles von dem Treffen aus zweiter, Vics, Hand erfahren hatte und die sich nun um das kleine Vampirmädchen kümmerte. Sophia. So hieß Firells kleine Schwester, die nun auserkoren war, an Mihas Seite zu bleiben. Ob sie wollte oder nicht.
Egal, das war Nebensache und etwas sagte mir, dass Luna mea das ziemlich gefallen würde. Dass sie es mögen würde, wenn sie erfuhr, dass ich dem Kind nichts getan hatte und ich sogar zuließ, es im Anwesen wohnen zu lassen.
Der kleine, völlig verstörte Neuzugang, saß auf dem Schoß meiner Schwester und klammerte sich regelrecht an sie, als sei Miha der letzte Halt auf Erden. Und dieser Halt starrte mich böse in Grund und Boden. Wie schon die letzte Woche. Denn genauso lange hatten die Rebellen gebraucht, den verdammten Standort zusenden, an dem das Treffen heute Nacht stattfinden würde.
Ich sah wieder zu Victor, der das Handy in der Hand hielt. Er wusste nicht, dass ich die Daten der Nachrichten geändert hatte, direkt nachdem sie ankamen. Obwohl Victor dachte, ich würde ihn und dieselbe Handvoll Männer mitnehmen, lag er falsch. Ich hielt mein Wort und ich bräuchte sie auch nicht. Luna mea und ich, kämen zurück, nachdem das Gespräch beendet sein würde. Ich würde sie niemals dort lassen.
Nie.
Also hatte ich mir ein veraltetes Einweggerät organisiert, die Nachrichten eins zu eins nachgestellt und sogar die Zeiten verändert, damit Vic keinen Verdacht schöpfte. Was ich allerdings auch geändert hatte, waren die Koordinaten. Denn wenn ich meinen Plan, alleine zu verschwinden, durchzog, kamen sie zwar nach, jedoch an einen völlig anderen Ort. Möchte sein, dass es gefährlich war, doch ich musste es riskieren. Denn wenn die Rebellen selbst etwas planen sollten, einen Hinterhalt oder Ähnliches, musste ich damit rechnen, dass sie Violett wegschaffen würden, sobald sie auch nur dachten, es wäre jemand mit mir gekommen. Es würde schon reichen, sie in einen Silberkäfig zu sperren, denn durch den würde ich nicht durch die Schatten treten können. Auch musste ich bedenken, dass sie irgendwelche geheimen Waffen hatten, die sie gegen mich oder Luna mea nutzen konnten. Was der Grund für Vic war, mitzukommen und meiner, ihn hierzulassen.
Früher hätte ich ihm einfach befohlen hierzubleiben, heute ... ich hatte keine Zeit und keine Lust sowie fehlte mir die Kraft, eine endlose Diskussion mit ihm zu starten. Eine, die er nicht aufgeben und die mich eine Menge Nerven kosten würde. Und ich brauchte sicherlich jede Selbstbeherrschung.
Ich sah aus dem Fenster, und als die Sonne komplett versank und die Nacht übernahm, stand ich auf.
Vic sah zu mir und nickte, doch als ich ruhig blieb, und ihn nur ansah, stumm und bewegungslos, neigte er erst den Kopf und dann weiteten sich seine Augen. Er hob die Hand, um mich aufzuhalten, während er fluchte, doch ich trat bereits durch die Schatten und verschwand mit dem Wissen, das sie mir zwar folgen würden, doch am Ziel nur ein altes, verlassenes Bauernhaus mitten im Wald finden würden.
***
Es dauerte noch eine Stunde und zwanzig Minuten, bis ich sie hörte. Dann noch mal zehn, bis ich sie sah und zwei, bis sie durch das Gestrüpp traten und gute zwanzig Meter vor mir stehen blieben.
Ich zwang mich, zuerst den älteren Mann anzusehen, der neben meiner Kleinen stand. Der Mensch, der offensichtlich ihr Großvater war, hatte dasselbe Haar und dieselben Augen. Er war größer, gut erhalten und trug eine Art Uniform, die ich einfach den Rebellen zuschrieb. Er sah mir ernst entgegen und hob das mit einem recht langen Bart bedeckte Kinn, als auch er mich musterte. Ich spiegelte die Bewegung und richtete mich auf. Lies ihn alles ansehen. Mein mit einem dezenten Bartschatten gerahmtes Gesicht. Meine Augen, meine Statur, die eine sehr mächtige Präsenz ausstrahlte. Trotz der alles verschlingenden Müdigkeit und dem Drang, Violett endlich anzusehen und an mich zu ziehen.
Mein Blick huschte nach oben, rechts, links in den Baum, etwas weiter in die Ferne und nach rechts und links hinter mich.
Ich verengte die Augen. Nun, so viel dazu, dass nur er und Violett kommen sollten.
Die Waffen, die auf mich gerichtet wurden, spürte ich wie Finger auf meiner Haut. Ich neigte den Kopf und endlich, ENDLICH, kreuzte mein Blick, Violetts.
Ich schluckte kaum merklich und musterte sie blitzschnell.
›Endlich hab' ich dich gefunden, Luna mea‹, sagte ich und fühlte erleichtert, wie die Verbindung sich langsam wieder aufbaute, bevor ich zurück zu ihrem Großvater sah. »Wie ich sehe«, ich kreuzte meine Arme vor der, in einem schwarzen Hemd steckenden Brust, »bin ich von uns beiden der, der sein Wort hält und alleine gekommen ist.«
Der Alte lachte leise. »Vlad Alexandru Draculea der XI, Ihr konntet niemals davon ausgehen, dass ich, ein Mensch alleine kommen werde.«
Ich neigte den Kopf. »Nein, doch du hättest dir wenigstens die Mühe machen können, die Menschen, die dir folgen, besser zu verstecken. Der Höflichkeit wegen.«
»Hättet Ihr sie denn nicht gewittert?«
»Doch, ich sagte nur, es wäre höflicher gewesen.« Wieder sah ich zu Violett. »Wie geht es dir?«
›Alex‹, hörte ich ihre erleichterte Stimme. ›Bitte, wenn dir irgendetwas komisch vorkommt, dann verschwinde ohne mich.‹
Sie wollte ein Schritt vorgehen, wurde aber von der Hand ihres Großvaters aufgehalten. Mich ansehend, antwortete ich: »Mir geht es gut und dir?«
›Du siehst müde aus.‹
›wie hätte ich auch nur ein Auge zubekommen sollen, wenn du weg warst? Nicht bei mir.‹
»Höflich? Nein, ich bin lieber sicher.« Der Arm des Großvaters senkte sich wieder und er fragte: »Warum das Gespräch, König Vlad?«
»Du weißt, warum ich hier bin. Ich will meine Blutsklavin zurück.«
Er lachte. »Sie ist nichts dergleichen.«
Ich verengte die Augen. »Ich habe einen Vertrag, der etwas anderes besagt.«
Der Mensch lachte und kreuzte die Arme, so wie ich. »Ich habe Wissen darüber, dass das eine Lüge ist, Vlad. Es gibt keinen Vertrag mehr.«
Nun grinste ich. »Ah, Benjamin hat dir einiges erzählt, hm?«
Er nickte nur. Dann hob er etwas an und ich knurrte. Eine silberne Fußschelle klimperte vor seinen Fingern. »Ihr seid hier, um zu verhandeln. Aber das ist nicht alles. Ich bin nicht dumm, Vampirkönig. Ihr wollte meine Enkelin zurück und deshalb, werdet Ihr, solange das Gespräch anhält und Violett in Eurer Nähe ist, das tragen. Ich weiß um Eure Gabe der Fortbewegung und das«, wieder wackelte er mit dem Silber, »wird verhindern, dass Ihr geht.«
Ich grinste breiter. »Was hindert mich, sie zu nehmen, bevor ich das anlege?«
Der Rebellenanführer lachte, und erstaunlich schnell, lag eine ähnliche Fessel um Violett Handgelenk. »Nun, wie Ihr seht, habe ich vorgesorgt.«
Oh, ich sah es. Aber was ich auch sah, war, dass Violett wohl nicht wusste, dass das Teil des Treffens war.
Sie hob meine Hand und starrte die Schelle an. »Was ... soll das? Vertraust du mir nicht, Großvater?«, fragte sie und sah ihn wieder an. Zur gleichen Zeit kommunizierte sie gedanklich mit mir.
›ich habe Angst um dich. Bitte gehe nicht drauf ein. Wenn es nach Ben geht, dann würde er dich am liebsten töten. Ich dachte, Großvater würde mir vertrauen, aber das zeigt mir, dass ich nicht über alles Bescheid weiß.‹
›Er vertraut dir, aber nicht mir. Ich hätte dasselbe getan. Und du brauchst keine Angst zu haben. Ich habe alles im Griff‹, log ich, denn ich war übereilt und ohne Plan hergekommen. Ihr Großvater sagte zeitgleich, entschuldigend und genau das, was ich eben schon erläutert hatte: »ich vertraue dir, meine Kleine. Aber ich bin kein naiver Mann und weiß, was für ein Monster ich hier vor mir stehen habe und wozu er fähig ist. Der König ist mächtig und kann viele, viele Männer mit seiner Macht ausschalten. Das kann ich nicht verhindern, sehr wohl aber, dass er dich stiehlt.«
Gestohlen? Wer hat, wem etwas gestohlen?!
»Na schön, Mensch. Ich spiele mit dir«, raunte ich gereizt. Ich hob die Hand und er warf mir die Fußschelle zu. Der Rebell beobachtete genau, wie ich sie anlegte und auch, wie ich das Gesicht verzog, als sie um meine Stoffhose schnalzte.
Ich richtete mich auf und sah zu Violett. Mein Kiefer mahlte und ich hob die Hand. »Wenn ich jetzt bitten darf.«
Ihr Großvater verspannt sich, nickte aber kaum wahrnehmbar. »Wenn sie zu dir will, dann kann sie. Aber ich will Euer Wort, dass ihr sie nicht ver-«
Mein Zischen klang wild. »Sprich nicht weiter Mensch. Dir sollte klar sein, dass ich sie nicht verletzen werde.«
Violett sah ihren Großvater noch mal an. »Danke«, flüsterte sie, wandte sich dann ab und eilte zu mir. Als sie direkt vor mir stehen blieb, sah sie zu mir hoch und griff meine Hand. Sie legte sie an ihre Wange und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen.
›Ich habe dich vermisst‹, ließ sie mich wissen. Ihre Augen wieder öffnend, musterte Violett mich. Es war offensichtlich, was sie sagen wollte, doch sie tat es nicht und lächelte mich einfach nur an.
Ich beugte mich hinab und legte meine Stirn auf ihre. »Luna mea«, flüsterte ich nur und atmete ihren Duft ein. Meine Hände legten sich auf ihre Oberarme und ich drückte sie an mich, ehe ich sie in eine feste Umarmung zog.
Ich hörte, wie ihr Großvater scharf Luft holte, spürte jedoch, dass er uns etwas Platz gab. Er verschwand in den nachtschwarzen Wald und stellte sich außer Hörweite mit dem Rücken zu uns hin. Ich sah zurück auf den Menschen in meinen armen und versuchte, probehalber die Schatten zu rufen und durch sie zu treten. Nichts. Mein Nebel waberte vergebens um meine Füße und ein Pflock landete Surren dicht neben mir.
Eine Warnung.
Ich knurrte leise, zog sie aber an mich.
Sie erwiderte die Berührung und streckte den Kopf hoch, um mich zu küssen. »Du siehst schrecklich aus. Du brauchst unbedingt Schlaf«, flüsterte sie an meine Lippen und strich mir sanft über die Haare. »Und ich habe deinen Akzent vermisst. In meinen Träumen habe ich das nie so gut hinbekommen.«
Ich grinste und ging auf ihren Scherz ein. »Keine Fantasy kann so sexy sein wie das Original.« Ich lehnte mich weiter vor, strich ihr ebenfalls durch die Haare und raunte leise: »Was ist passiert? Was haben sie mit dir gemacht? Du hast abgenommen, Luna mea.«
»Sie haben nichts getan. Ich hatte einfach kein Appetit. Die Sehnsucht nach dir und die Tatsache, dass die Rebellen frei sein wollen, hat mich ziemlich mitgenommen«, erklärte sie sanft und betrachtete mein Gesicht. »Du siehst aber auch nicht besser aus. Hast du Hunger?«
Ich hob eine Braue. »Ich habe immer hunger, Luna mea. Aber bevor du jetzt anbietest, dein Blut zu nehmen, werde ich dich gerne daran erinnern, dass mindestens vier Geschosse auf mich gerichtet sind.« Ich brachte mein Ohr an ihres. »Ich werde dich nicht hier lassen, wenn ich gehe. Das ist dir klar, oder?«
›ich weiß. Ich mach mir nur sorgen um dich‹, erklärte sie gedanklich und berührte mit ihrer anderen Hand mein Gesicht. Die Hand, die zuvor meine Haare weggestrichen hatte, legte sich auf meine Brust. »Mein Großvater ist für die Verhandlung offen, aber er sagte, er wolle mich bei sich behalten. Sie werden dich angreifen, sobald du den Anschein machst, mich mitzunehmen«, flüsterte sie besorgt und seufzte traurig. »Aber ... ich will auch mit dir mit. Ich ... ich liebe meinen Großvater. Wirklich. Aber ich will zu dir zurück. Bin ich deswegen eine schlechte Enkelin? Ein schlechter Mensch?«, fragte sie und sah wieder in meine Augen. Tränen sammelten sich in ihren, aber sie blinzelte sie weg.
Die, die es doch schafften, küsste ich von ihrer Wange und leckte sie mir von den Lippen. »Nein, du bist kein schlechter Mensch. Was du willst, ist der Beweis dafür, das, was du fühlst, was wir fühlen, echt ist. Du und ich, Luna mea. Du und ich gegen den Rest der Welt«, sagte ich leise und legte meine Lippen auf ihre. »Das ist es, worauf es hinauslaufen wird. Du und ich.« Erneut küsste ich sie und als ich das tat, als meine Zunge in ihren Mund glitt und ich bei ihrem Geschmack stöhnte, beugte ich mich blitzschnell mit ihr hinab und riss sowohl ihre Fessel als auch meine ab.
Ein Pflock bohrte sich in meine Schulter, doch da hatten die Schatten uns bereits verschlungen und ich tauchte mit Violett im Arm auf der falschen Lichtung auf, auf der Victor und Miha, wie meine Männer vergebens warteten.
Mein Freund wirbelte herum und fluchte, doch ich legte meine Lippen wieder auf Violett, ohne mich darum zu kümmern, wie geschockt sie und wie zornig meine Landsleute wegen meiner Täuschung waren. Wichtig war nur, dass ich sie wieder hatte.
Ich hatte Luna mea zurück.
Und ich würde nie wieder zulassen, dass man sie mir wegnahm.
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