Kapitel 23. Violett

Es war wortwörtlich die Hölle. Ich war noch nie zuvor hinter den Mauern gewesen. Ich hatte bisher auch nur Geschichten gehört, wie wir Menschen früher gelebt hatten, bevor die Vampire die Herrschaft übernommen hatten. Aber während wir durch einen Jungle ritten, sah ich mich aufmerksam um. Überall lagen Ruinen von einer fast längst vergessenen Welt. Die Natur holte sich jedes Stückchen Land, dass damals unter der Herrschaft der Menschen lag, zurück. Wir ritten sogar durch einige Geisterstädte hindurch.

Dort standen noch einige Häuser, aber keine Menschenseele lebte dort. Sie waren verlassen und von Wurzeln durchwachsen. Unbewusst drückte ich mich stärker an Alex. Leider hatte ich gelogen, als ich ihm so hochmütig sagte, ich würde ausgezeichnet schlafen. Denn das tat ich nicht. Ich hatte Albträume. Ich schaffte es immer noch nicht über diese Monster, die uns angegriffen hatten, hinwegzukommen. Auch, nachdem ich einige Gespräche mit Mihaela hatte, fühlte ich mich nicht besser.

Ich war ihr sehr dankbar, dass sie mir ihr Blut gab, damit ich von den schweren Wunden heilte, aber auch, wenn es meinem Körper gut ging, tat es meinem Kopf nicht. Als ich ein Rascheln hörte, starrte ich in die Richtung, aber die Bäume und Gebüsche versperrten die Sicht. Abgesehen von dem Weg, der anscheinend öfter durchritten wurde, war alles verwachsen.

Ich hatte Angst. Wirklich große Angst. Ich wollte nicht wieder diesen Viechern begegnen. Als eine Krähe laut krähte, zuckte ich zusammen und drehte mich so schnell zu Alex, dass ich gar nicht auf Anhieb begriff, was ich hier tat. Mein Gesicht war gegen seine starke Brust gedrückt und meine Finger in sein Hemd gekrallt. Meine Augen waren geschlossen und mein Körper zitterte. Es war so dunkel und kalt hier draußen. Die Angst, wieder einen Ausgestoßenen zu sehen, ließ mich nicht mehr klar denken.

»Dir passiert nichts, Luna mea. Entspann dich«, murmelte er leise und ritt langsam weiter an der Spitze des siebzehnköpfigen Trupps. »Man kann deine Angst kilometerweit wittern.«

Ich öffnete zögerlich meine Augen und blickte zu Alex hoch, während ich mich immer noch an ihn festhielt. Von überall erklungen tierische Geräusche, die mir Angst machten. Ich war innerhalb der Mauern aufgewachsen, ich kannte diese Welt hier draußen nicht. Meine Eltern nannten diesen Ort hinter den Mauern, totes Land, denn es war die Vergangenheit der Menschheit und zeigte unser Versagen.

»Alex?« fragte ich leise und presste meine Lippen zusammen, bevor ich weitersprach: »Wieso hast du aufgehört, in meinen Träumen aufzutauchen?«

Mir einzureden, dass ich dieses Gespräch suchte, um mich abzulenken, war besser, als mir die Wahrheit einzugestehen.

Er blickte kurz zu mir. »Nun, nach deinem Vorwurf dachte ich, dir wäre es lieber, ich bliebe dir fern.« Er ließ Ares über einen Ast hüpfen. »Immerhin wirfst du mir ja vor, ich manipuliere dich.«

»Verstehe.« flüsterte ich nur und legte mein Gesicht seitlich auf seine Brust. Ich hörte sein Herz schlagen und beobachtete den Jungle, der sich auf beiden Seiten abwechselnd mit den Ruinen erstreckte. Was tat ich hier? Vorhin hatte ich noch so eine große Klappe und nun kuschelte ich mich an den Vampirkönig, als wäre er mein einziger Retter. Nun, das war er wohl auch. Ich glaube sonst würde niemand mich beschützen.

Meine Gedanken schweiften zu Mietzi, der in letzter Zeit auch ganz komisch drauf war. Wenn ich Tagsüber erwachte, weil ich wieder Albträume hatte, legte er sich nicht neben mich und schnurrte, wie sonst immer. Er schlief am Bettende und hielt sich von mir fern. Weder schnurrte er, noch sah er mich an oder versuchte mich zu beruhigen. Hatte ich ihn vielleicht verletzt oder verstimmt? Ich wusste es nicht, aber ich vermisste Mietzi. Ich mochte es, wenn er an meinem Körper gekuschelt schlief.

»Du und Benjamin, ihr versteht euch gut, hm?«

Ich sah wieder zu ihm hoch, bevor ich nach hinten zu Benjamin sah, dieser ritt allein auf einem Pferd und sah mich direkt an. Ich blinzelte, weil ich in letzter Zeit öfter mitbekommen hatte, dass er immer wieder mit mir sprach und nach mir sah. Zurück zu Alex sehend, antwortete ich ehrlich: »Ihm scheint mein Wohlergehen am Herzen zu liegen und das find ich ganz nett. Außerdem ist er der einzige Mensch, der mit mir im Schloss lebt. Ist das ein Problem für dich?« fragte ich und hob eine Braue.

Alex zügelte Ares und drosselte das Tempo. »Sollte es eines sein?«, fragte er und rief dann laut. »Wir halten! Stellte die Zelte auf! Die Sonne wird bald aufgehen!« Er sah wieder zu mir. »Ich sehe keinerlei Konkurrenz in einem Blutsklaven wie ihm.«

Ich blinzelte sichtlich verwirrt.
Konkurrenz?
Wie meinte er das?
Das war dasselbe wie sein Satz vor vier Tagen.
›Und bis gerade eben habe nur ich gespielt.‹
Was wollte er mir damit sagen? Ich verstand es noch nicht wirklich. Aber Gedanken machte ich mir dennoch.

Ich blickte zu den Vampiren, die allesamt anhielten und begannen die UV-Geschützten Zelte aufzustellen.

»Wieso sollte Benjamin dein Konkurrent sein?«, fragte ich nun belustigt, weil ich es nicht verstand und amüsant fand. Er war ein Vampir und er ein Mensch. Was sollte das bitte?

Er trat durch die Schatten und stand mit mir nun an Ares Flanke. Alex sah auf mich hinab und seufzte. »Du bist unglaublich blind in deiner Unschuld, weißt du das?«

Hä? War das jetzt eine Beleidigung?! »Ich bin nicht blind! Du redest einfach nur wie ein alter Mann!«, fauchte ich und zuckte wieder zusammen, als ich irgendetwas aus der Dunkelheit hörte. Es war irgendetwas Tierisches. Ich erzitterte wegen der Schatten, die er schon wieder genutzt hatte und drückte mich von Alex weg. »Vergiss es-« begann ich und tat so, als würde ich das hier alles auch allein schaffen, »ich werde wo anders schlafen, damit du von meiner Unschuld nicht belästigt wirst.«

Er lachte leise. »Nun, du hast ohnehin ein Zelt mit deinem heimlichen Verehrer, Mensch. Oder dachtest du, du schläfst bei mir?« Alex hob amüsiert eine Braue.

Ja, ich dachte wirklich, ich würde mit ihm in einem Zelt schlafen. Genau deswegen stieg mir auch die Röte ins Gesicht. »Das habe ich nicht.« log ich und sah beschämend weg. Um ehrlich zu sein hätte ich lieber bei ihm geschlafen, als bei Ben. Bei Alex fühlte ich mich nun einmal sicher und da ich eine ganze Weile Mietzi nicht sehen würde, war ich eh schon traurig. Ich hoffe, er vermisste mich und würde mir verzeihen, wenn ich zurückkehre. Was auch immer ich getan hatte , um ihn zu verärgern.

Sein Lächeln verschwand und er sah über mich hinweg in den Wald. Alex neigte den Kopf und runzelte dann kopfschüttelnd die Stirn.

»Mein König«, kam Victor auf uns zu und sah mich nur kurz an. »Die Zelte stehen.«

Alex sah ihn an. »Na, das ist doch mal was.«

»Sollen wir ein Feuer machen?«

Wieder nickte Alex. »Lass das sie Männer machen. Du und ich, wir jagen.«

Victor grinste und nickte. »Endlich.«

Alex sah zu mir. »Geh zu deinem neuen Freund spielen, Kleines. Nach der Jagd komm zu mir.«

»Du jagst diese Verstoßenen oder?« fragte ich und hielt mich zurück. Dass ich mir plötzlich sorgen machte, wollte ich nicht zugeben und schon gar nicht zeigen.

»Deswegen sind wir hier, Liebes.«

Victor lachte. »Vorsicht, Mensch, man könnte denken, du sorgst dich um unseren Alex.«

Er grinste mich an. »Oh, das tut sie.«

»Was? Nein, tue ich gar nicht.« motzte ich und sah beide abwechselnd an. Als letztes sah ich wieder Alex an und sah einen Moment zu lange in seine wunderschönen Türkisen Augen. Sie waren wirklich besonders. Ich schüttelte mein Kopf und  wandte mich ab. »Viel Spaß.« sagte ich laut und fügte leise hinzu: »Und pass auf dich auf.« ich lief zu Benjamin, der bereits neben einem Zelt stand.

So sieht Benjamin aus.

Benjamin lächelte mich an. »Scheint, als wären wir wie Vieh zusammengesteckt worden. Nicht, dass es mich stören würde.« Er lachte. »Ich meine, lieber mit einer Freundin zusammen die Nacht verbringen, als neben einem Blutsauger.« Das letzte Wort betonte er besonder leise.

Ich versuchte zu lachen, aber meine Gedanken hingen bei Alex. »Ja, find ich auch. Ich bin froh, dass du hier bist. Dann fühle ich mich nicht so allein.« das Feuer, dass Alex Männer anzündeten, erleuchteten die Umgebung und irgendwie wirkte nun alles nur noch grusliger.

Ben sah sich um und stellte sich näher zu mir. »Ich frage mich, warum sie uns mitgenommen haben? Immerhin könnten wir ...« Er räusperte sich und wurde leiser. »Am Tag einfach abhauen.«

Meine Augen weiteten sich und ich sah zurück zu Ben.

Was?!

»Das....würde doch niemals klappen und-« ich stoppte.

Meine Eltern tauchten vor meinem inneren Auge auf.

»Ich weiß«, setzte er an und nickte ins Zelt. »Sie würden uns einholen, sobald die Sonne untergeht und ich will eigentlich auch nicht hier bei diesen ... Dingern sein. Allein, im Wald.« Ben hielt mir die Zeltklappe auf. »Nachdem was sie mit dir gemacht haben, muss ich ihnen nicht begegnen.«

Ich nickte langsam und sagte nichts mehr dazu. Das Zelt betretend, setzte ich mich auf meine Seite auf die dünne Matratze und zog meine Beine an meinen Körper. »Wie geht es dir bei Mihaela? Geht sie gut mit dir um?« fragte ich, um das Thema zu wechseln.

Er setzte sich mir Gegenüber auf seine Seite und sah sich im Zelt um. »Was soll ich sagen. Sie nehmen Blut. Mal einzeln, mal zusammen.« Sein Blick traf meinen. »Die Prinzessin sieht ihn mir wohl, wie in dir auch, eine Art Spielzeug. Es ist ihr Liebhaber, der mir Angst macht. Der Berater des Königs sieht in mir Vieh. Eine Mahlzeit. Mehr nicht.«

Zusammen?

Bilder, wie ich die beiden bei ihrem Tun damals gestört hatte, tauchten in meinem Kopf auf.
»Das muss schrecklich sein. Tut es sehr weh, wenn sie dich einfach beißen?« fragte ich besorgt und beugte mich vor. Ich legte meine Finger auf einen der Bisse an seinem Arm und strich sanft drüber. »Victor ist wirklich gruselig. Er macht mir auch mehr Angst als Alex oder Mihaela.« stimmte ich zu und mein Herz machte ein Hüpfer, als ich an Alex dachte.

Er lächelte. »Ich hab' mich freiwillig gemeldet, also darf ich wohl nicht maulen, aber ja ... er ist etwas unheimlich.« Das Lächeln verschwand und er sah mich lange an. »Warum hast du ... ich meine, warum hast du mit dem König geschlafen, Violett. Er ... ist ein Monster. Der König der Monster.«

Ich sah in Bens Augen und wusste nicht so recht, wieso ich mit ihm drüber reden sollte. Immerhin war dieser Moment wirklich schön gewesen. Aber das konnte ich wohl nicht laut sagen. Ich rutschte rüber und setzte mich neben ihn hin. »Ich wollte es einfach und.....mehr kann ich dazu nicht sagen«, blieb ich vage. »Aber wieso interessiert dich das überhaupt? Ekelst du dich jetzt nicht vor mir?«

Ben neigte den Kopf in meine Richtung. »Nein, ich will es nur verstehen. Immerhin ist er ein Vampir, Violett. Ich kann nur nicht nachvollziehen, warum du das getan hast? Gerade, nachdem er mit seiner neuerlichen Anordnung so einen Skandal ausgelöst hat.«

»Was für eine Anordnung?«, fragte ich verwirrt. Ich hatte seitdem Titelblatt mit Alex und mir, nicht mehr auf mein Handy geschaut und es mit Absicht gemieden. Daher hatte ich auch nichts mitbekommen.

Er hob eine Braue. »Du weißt nichts davon?«

»Nein. Ich weiß von nichts.« bestätigte ich und fühlte mich plötzlich unwohl.

»Der König hat, nach den Angriffen der Rebellen, den betroffenen Vampirstädten erlaubt, direkt von ihren Menschen zu trinken. Ohne Einverständnis. Sie können machen, was sie wollen«, erklärte er leise. »Jedes Gesetz wurde aufgehoben. Außerdem hat er dann veranlasst, dass jede andere Stadt dreizehn Dutzend Männer und Frauen, im Alter von gerade mal 18 Jahren, loszuschicken, um das Defizit der Toten dann auszugleichen. Aber das ist nicht das schlimmste«, seufzte Ben. »Dieses Monster hat aus jeder Stadt drei Menschen in Blut baden lassen und ... er hat sie dann zu den Ungeheuern außerhalb der Mauer geworfen, die er jetzt jagt.«

Fassungslos sah ich ihn an.
Das hatte Alex getan und ich hatte nichts davon mitbekommen?!

Sprachlos saß ich da und starrte Ben an.
Er hatte mit einem Mal so viele Menschen getötet. Wie schrecklich.
Wie stark muss die Angst der unschuldigen Menschen gewesen sein, als sie die Strafe tragen mussten.

Ich schluckte schwer und versuchte den Kloß in meinem Hals loszuwerden, doch vergebens. Er drückte und ließ mich kaum atmen.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Geschockt starrte ich nun auf den Boden vor mir und versuchte die Information sacken zu lassen .

Wieder seufzte er und legte vorsichtig eine Hand auf meine Schulter. »Nicht zu fassen, dass du das nicht wusstest. Ich ... entschuldige, ich wollte dich nicht traurig machen, Violett. Aber er ist ein Monster.«

»Ein Monster....ja, das ist er.« stimmte ich leise zu und unterdrückte das ziehen in meinem Herzen. Er würde wohl auch nicht zurück schrecken und mich töten oder opfern, wenn es sein musste. Letzten Endes hatte mich bestimmt nur gerettet, weil er aktuell noch Spaß mit mir hatte. Vielleicht wollte er auch nur mit mir schlafen und jetzt, wo er bekommen hatte, was er wollte, war ich eh nichts mehr wert.

Ich blinzelte, als Tränen sich in meinen Augen sammelten.
Wieso tat es so weh?
Es war doch klar. Von Anfang an.
Wieso reagierte ich also so? Weil die Menschen mir leid taten? Oder weil mir bewusst wurde, dass ich für Alex auch nur einer von vielen anderen Menschen war. Ich war nichts besonderes und das würde ich auch nie werden. Er war ein alter Vampir und würde mich, wenn ich irgendwann starb, vergessen. Ich wäre nur noch eine Erinnerung und mehr nicht. Und selbst diese würde irgendwann verblassen. Ich atmete ein und wischte mir über die Augen. »Ich würde gerne schlafen.« sagte ich mit gebrochener Stimme und sah Ben an.

Ban runzelte die Stirn und sah mich besorgt an. »Hey, ist alles okay? Kann ich dir irgendetwas Gutes tun? Hast du vielleicht hunger?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, alles in Ordnung. Ich muss das alles nur erstmal sacken lassen. Aber danke.« lächelte ich unecht und krabbelte auf meine Seite zurück. Ich kuschelte mich in den Schlafsack und drehte Ben den Rücken zu. So blieb ich einige Minuten, bis ich entschied mich gegen Alex Anweisung zu widersetzen und später nicht in sein Zelt zu gehen. Ich würde hier bleiben, bei Ben. Mich zu ihm drehend, fragte ich: »Kannst du mich in den Arm nehmen? Das würde mir ein Gefühl der Sicherheit hier draußen geben.«

Seine Augen weiteten sich, doch er nickte. »Natürlich, wenn es dir dann besser geht.«
Ben legte sich neben mich und zog meinen Körper etwas umständlich an seine Brust. Sein Kinn legte er auf meinem Scheitel ab und er rieb mir rhythmisch den Rücken. »Ich bin froh, dass wir Freunde sind. Ich ... darf ich dich etwas fragen?«

Ich schloss meine Augen und hörte seinem Herzschlag zu. Dieser unterschied sich zu Alex Herzschlag. »Klar.«

»Was-«, setzte er sehr, sehr leise an, »hältst du von den Rebellen?«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top