Kapitel 22. Alexandru

Was auch immer mir Violett an dem Tag noch hatte sagen wollen, hatte ich nicht mehr gehört. Der Nebel hatte jedes Wort verschluckt.

Ich dachte an meine Worte vor vier Tagen zurück.
›Das Spiel, das wir spielen, Luna mea, ist komplex. Und bis gerade eben habe nur ich gespielt.‹

Nichts als die Wahrheit, dachte ich und sah auf mein Handy. Die Überwachungskameras zeigten mir an, dass meine Blutsklavin bereits auf dem Weg hierher war. Das Ding verschwand, nachdem ich ein wenig in den sozialen Medien herumgeschaut hatte, in meiner schwarzen Hosentasche und ich verschränkte die Arme vor der Brust, während meine Gedanken abdrifteten.

Der Sex mit Violett war gut. Nichts Besonderes von der Art her, doch irgendetwas daran hatte mich ... interessiert. So wie irgendetwas mich auch an ihr als Person anzog. War es wirklich nur ihr Aussehen? Das Gold ihrer Augen? Die silbergrauen Haare? Ich wusste es nicht. Mein Blick huschte über die Pferde, die allesamt gestriegelt, gesattelt und bepackt an den Toren meiner mit persönlich bereitstanden.

Sie war so eng gewesen, so weich, so perfekt. Herrgott, ich hatte ihr sogar den Schmerz genommen, als ich sie entjungfert hatte. Es war zärtlich, war sanft gewesen, und ich hatte mich auf ihre Bedürfnisse eingestellt und wollte es für sie so angenehm wie nur möglich machen. Und auch wenn es nicht meine Präferenz war, Sex so zu gestalten, war es gut.

Ihr Geschmack.
Ihre Lust.
Ihre Blicke, wenn sie mir entgegensah.
Das Zucken ihres Beckens und das Rollen der Augen, als ich sie kommen ließ.

Ich schluckte und befeuchtete mir meine Lippe, denn vielleicht war es doch mehr als gut gewesen. Mit 373 Jahren hatte ich schon mehr Jungfrauen gehabt, als ich zählen konnte. Mehr Frauen im Generellen, als ich noch im Kopf hatte. Namen und Gesichter verschwammen mit der Zeit. Doch in all den Jahren, in all der Zeit, war mir niemand wie sie begegnet.

Violett war devot, so wie sie es vor einem Vampir und zudem König sein sollte, doch die kleinen Spitzen, die sie abfeuerte, wenn sie ihre Worte scheinbar nicht für sich behalten konnte, amüsierten mich. Die kleinen frechen Fragen und Antworten, die ein kleiner Mensch, fast eineinhalb Köpfe kleiner und zerbrechlich wie ein Ast, dem mächtigsten aller Vampire entgegenwarf, reizten mich und ließen mein Interesse mit jedem Wort wachsen. Und hinzu kam, dass der Anreiz, sie sich ihrer Gefühle zu stellen, sei es nun Lust oder bald auch Liebe, es nur faszinierender machten.

Ja, es war ein Spiel und für mich, eines der spannendsten seit langen.

Mit Daniell war es zu einfach gewesen. Sie hatte sich sofort in mich verliebt, binnen einer Woche, und war mir so verfallen gewesen, dass meine Ablehnung sie letztlich zerbrochen hatte. Ähnlich war es mit den Blutsklaven davor gewesen. Ob männlich oder weiblich, sie waren viel zu schnell Wachs in meinen Händen. Selbst, wenn ich das größte Monster gewesen war.

Aber Violett ...

»Also wir treffen die Jagdgesellschaft am See?«

Ich sah Victor nicht an, nickte aber. »Ja.«

Ein Seufzen erklang. »Die drei großen Städte?«

Wieder nickte ich. »Dimit, Seraphin und Woodblood.« Ich seufzte, denn wo der Weg dorthin, und die Kämpfe und das Abschlachten der Verstoßenen bis dahin, nur von meinen Männern begleitet, sicherlich spaßig werden würde, wusste ich, dass sobald die drei großen Stadthalter dazustießen, alles etwas steifer werden würde. Mit den Männern meiner eigenen, privaten Sicherheit und Armee konnte ich lockerer sein, weniger angespannt, mehr ich.

»Ich hasse die Mistkerle.«

Lachend schnaubte ich und wandet mich ihm zu. »Wer nicht? Aber wenn der König nun mal eine Jagd veranstaltet, und herauskäme, dass ich niemanden geladen hätte, würde ich mich im Nachhinein mit mehr Stress auseinandersetzen müssen, als nötig.«

Victor verzog das attraktive Gesicht. »Ich weiß. Deswegen werde ich-« Er stoppte sich, als sein Blick auf etwas viel, das auf einem der Karren geladen wurde. »Sind das die Kleidertruhen deiner Blutsklavin und dem deiner Schwester?« Victor wandte sich mir zu. »Du nimmst die Menschen mit? Auf eine Jagd?«

Ich grinste. »Natürlich.«

Er schnaubte. »Oh, also hast du sie endlich in dein Bett geholt, ja?«

Mein Grinsen wurde breiter. »Natürlich«, wiederholte ich nur und leckte mir die Lippen. »Hast du gezweifelt?«

Er schüttelte lachend den Kopf, doch das Schmunzeln verschwand. »Ihr darf nichts passieren, Alex.«

Ich starrte ihn an. »Denkst du, das musst du mir sagen?« Sein Blick bohrte sich in meinen und ich wusste, dass Victor jetzt noch weniger ein Fan von Violett war, als zuvor schon. Ich verstand es. Immerhin übertrug sie dank meiner Entscheidung nun jede Wunde auch auf Mihaela. Und ich fragte mich jeden Tag aufs Neue, ob ich diese Entscheidung noch bereuen würde. »Ich passe auf sie auf.«

»Warum?«, fragte er und ich wusste, was er meinte.

Also beugte ich mich etwas zu ihm und sagte: »Des Spiels wegen. Deshalb habe ich sie zu Mihaela gebracht.«

»Nein, so ein Arschloch wärst du nicht.« Ich knurrte leise, doch er sprach weiter und hob eine Braue. »Du liebst deine Schwester. Mehr als jeden anderen. Weniger als ich«, scherzte er, »aber sie ist dir die wichtigste Person im Leben, Alex. Das Weiß ich. Ohne guten Grund, würdest du nicht zulassen, dass sie verletzt wird. Über zweite in dem Fall. Hast dich ziemlich darauf versteift, deinem Menschen Herz zu brechen, oder?«

Ja und Nein, dachte ich, sagte aber: »Nicht mehr, als bei den anderen Menschen auch.«

Seine Braue wanderte höher und Victor musterte mich. Seine hellbraunen Haare wehten in einer Brise und das Blau seiner Augen schimmerte. »Nun, deinen Blicken nach zu urteilen schon.«

Ich spiegelte seine Mimik. »Blicke? Was für Blicke denn?«

Ein leises Lachen entkam ihm. »Du magst sie, Alexandru. Mihaela hatte recht, als sie sagte, sie bedeutet dir etwas. Was, weiß ich noch nicht, aber sie ist definitiv nicht wie die anderen Blutsklaven zuvor. Deswegen hast du sie auch nicht sterben lassen. Oder?«

Meine Lider verengten sich, doch statt zu antworten, huschte mein Blick auf Luna mea, die nun mit meiner Schwester und Benjamin, Mihas Blutsklave, zu uns lief.

Bei uns angekommen, glitt mein Blick von oben nach unten über meinen Menschen. Ein dicker, geflochtener Zopf bändigte ihre Haare, ein enger, langärmliger, weißer Body, der in einer engen schwarzen Lederhose steckte, die wiederum in kniehohen Reitstiefeln endeten, machten es mir schwer, wegzusehen. Als ich meine Aufmerksamkeit wieder hob und etwas länger auf ihre kleinen Brüste sah, die sich deutlich abzeichneten, zuckte mein Mundwinkel.
»Siehst du«, flüsterte Vic. »Du starrst sie an, als wolltest du sie fressen.«

Ich sah die gläsernen Schellen an und musste schlucken. »Blut wäre jetzt wirklich ein Genuss.«

Vic lachte etwas gezwungen. »Wir wissen, das ich nicht dieses ›Verschlingen‹ meine.«

»Guten Abend«, flötete Miha fröhlich und warf sich in Victors Arme, ehe er noch etwas sagen konnte. Sie küsste ihn innig und winkte dann Benjamin zu sich. Er folgte und legte den Arm in Mihas ausgestreckte Hand. Sie entfernte seine Schellen und grinste. »Komm, trink, Liebster.«

Vic grinste, doch ich sah von ihm, zu dem neutralen Gesichtsausdruck des Blutsklaven, zurück zu Violett. »Gut geschlafen, Mensch?«
Es war eine rhetorische Frage, denn ich wusste, dass sie einen Albtraum hatte. Doch dieses Mal war ich als Panther beharrlich am Fußende liegen geblieben und hatte die Träume weder verändert noch sie mit meinem pelzigen Körper getröstet, als sie schreiend aufgewacht war.

›Du willst dir also einreden, dass du das alles getan hast, um mich vor den schrecklichen Albträumen zu schützen, die ich nur wegen dir erst habe?!‹

Mein Mundwinkel zuckte, denn ich sah mein fehlendes Eingreifen als kleine Strafe für ihre Worte und der Anschuldigung, ich war schuld an dem Angriff.

Sie sah mich nur kurz an, bevor Violett wegsah und neutral antwortete: »Ich habe hervorragend geschlafen. Seit du nicht mehr in meinen Träumen herumwuselst, sind sie viel besser.«

Ich lachte leise doch alle Beteiligten in Hörweite, das beinhaltete auch den Menschen, wandten sich um und sahen zu mir oder Violett. Meine Männer waren schlau genug, sich abzuwenden. Victor hob erstaunt eine Braue und Mihaela klappte der Mund auf und sogar der Mensch, von dessen Handgelenk Vic eben noch getrunken hatte, spannte sich etwas an.

»Na dann«, meinte ich amüsiert und nickte auf eines der Pferde. »Kannst du reiten, Violett?«
Als ich ihren Namen so schmeichelnd aussprach, spannten sich alle noch mehr an.

Nur Mihaela, die wieder mal kein Blatt vor den Mund nahm, fragte offen: »Ihr habt es getan, oder? Ihr habt miteinander geschlafen.«

Sie blickte erst Victor, dann Benjamin und zum Schluss Mihaela an. Ihre Wangen färbten sich rot, dennoch antwortete sie lässig: »Japp, haben wir. Gibt es deswegen ein Problem? Ich denke nicht.« Mit glühenden Wangen wandte Luna mea sich mir zu und lief zu mir. »Nein, ich habe noch nie in meinem Leben auf einem Pferd gesessen. Immerhin gibt es keine Pferde in Bezirk M23.« Violett wurde ruhiger und sah mich verlegen an. »Zumindest nicht für uns Menschen«, fügte sie hinzu.

»Oh«, machte Miha nur und sah sich dann um. »Nehmen wir das also einfach so hin, ja? Okay.«
Victor lachte gezwungen und zog sie in eine Umarmung, nachdem er Benjamin grob weggeschubst hatte. Ich sah den Menschen an, der einen Moment entsetzt zu Luna mea sah, als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

Ich neigte den Kopf. Interessant. Sah ich Interesse?

»Wir wissen alle, dass dein Bruder recht wenige auf Etikette bezüglich Mensch/Vampirkombinationen gibt, oder?«

Ich sah zu Victor, als meine Schwester schnaufte. »Wir leben einer so modernen Welt und du reitest auf Pferden durch den Wald. Warum?« Sie schmollte. »Können ich und Violett nicht eins der Autos nehmen?«

Mein Blick huschte wieder zu Violett, als ich mein nachtschwarzes Pferd nahm. »Wo bliebe der Stil?«

Meine Kleine sah die anderen an und ihr Blick blieb an Benjamin hängen. Als sie seinen erwiderte, wurde sie offensichtlich unsicher. In ihren Augen spiegelte sich kurz Scham, bevor Violett zu Boden sah.

Ich packte blitzschnell ihr Gesicht und zwang, sie mich anzusehen. Meine Augen flogen über ihre Züge und meine Lieder verengten sich. Ares hinter mir wieherte und scharrte mit den Hufen. »Augen auf mich, kleiner Mensch.«
Die Kleine schaute zwischen meinen Augen hin und her. Ihr Herz hüpfte einmal, bevor sie sich etwas unbeholfen aus meinem Griff befreite, einen Schritt zurückmachte, mich dabei aber nicht aus den Augen ließ.

»Brave«, schnurrte ich und hob meine Hand. »Wenn ich bitten darf.«

»Mein König«, sagte der Mensch plötzlich, bevor Violett mir ihr Handgelenk anbieten konnte, und allein meine Augen huschten zu ihm. Nun, er war offensichtlich ein ganz mutiges Exemplar.

Victor zuckte, doch ich hob die Hand und hielt ihn auf, den Menschen in seine Schranken zu weißen. Miha sah ebenfalls überrascht zu ihm.

»Blutsklave?«

Er räusperte sich bei meinem eisigen Ton. »Ich ... Ich kann mit Violett reiten, wenn Ihr es wünscht.«

»Und warum sollte ich das?«

Benjamin, schlau wie er war, neigte den Kopf. »Ich dachte, es erspart Euch Mühe.«

Ich richtete mich auf und sah Violett an.

Überrascht starrte Violett, Benjamin an. Ihre Lippen öffneten sich und schlossen sich wieder. Dann blickte sie zu mir und ihre Züge änderte sich etwas. Sie sah mich enttäuscht an, bevor sie sagte: »Ich möchte Benjamins Angebot annehmen. Immerhin sollte ein König nicht mit seiner Blutsklavin reiten.«

Das Knurren in meiner Kehle schluckte ich runter, ehe es sich wirklich bilden konnte. »Ach, ist das so?«, fragte ich. »Ein König sollte seine Blutsklavin auch nicht in sein Bett lassen, und dennoch hast du meinen Namen so genüsslich geseufzt. Oder?«

»Das eine hat nichts mit dem anderen zutun. Ihr habt mich manipuliert, um mich so weit zu bringen, und meine Träume ausgenutzt«, erwiderte sie angespannt.

Ja, das hatte ich. Und ich würde es wieder tun, denn ich stand darauf. Ich liebte es, zu manipulieren und zu verbiegen und an mich zu binden. Mentaler Druck war etwas, mit dem ich spielen konnte. Mit dem ich herausfinden konnte, wer mir standhalten würde und wer nicht. Also richtete ich mich auf, packte ihr Handgelenk und sagte schlicht. »Du reitest mit mir.«

Mein Blick wurde eisig und das war wohl für alle das Zeichen, zu verschwinden und sich selbst auf ihre Pferde zu schwingen.

Violett blinzelte. Drehte den Kopf und sah alle an, auch Benjamin. Mit einem wütenden Blick sah sie zurück zu mir und starrte mich an. Ihre Augen sprühten Feuer, doch was auch immer sie sagen wollte, behielt sich für sich. Gut.

Ich wandte mich ab, saß auf und hob Violett zwanglos die Hand hin. Ich hätte sie zuerst hochheben, oder einfach mit ihr durch die Schatten auf den Sattel steigen können, aber ich wollte sie etwas vorführen. Mein Blick traf ihren, als Ares unter mir scharrte und den Kopf hin und her warf.

Violett zuckte etwas zurück, schluckte schwer und trat dann aber wieder mutig auf das Pferd zu. Ihre Hand legte sich in meine und sie wusste offensichtlich nicht, wie sie aufsteigen sollte. Also blieb sie einfach auf dem Boden stehen und starrte mich unsicher an.

Meine Männer waren allesamt bereits bereit und jeder wartete eigentlich nur auf uns. Ich grinste sie gemein an. »So schnell erlischt dein Feuer, Luna mea?« Ich schnalzte mit der Zunge und zog sie mit einem harten, aber nötigen Ruck zu mir hinauf. »Tz.« Violett landete vor mir auf dem Sattel und ich griff die Zügel um sie herum. Meine Lippen fanden ihr Ohr. »Bist du nach unserer Nacht zahm geworden?«

Der Mensch krallte die Finger in Ares Mähne, um sich festzuhalten und erschauderte. »Halt dein Mund. Ich bin einfach noch nie Gerriten, das ist alles. Also hör auf so eingebildet zu sein«, fauchte sie so leise zurück, dass nur ich es hören konnte.

»Gut, Liebes«, raunte ich und küsste sie sacht hinter ihrem Ohr. »Denn diese Reise wird fürchterlich langweilig, wenn dem so wäre. Es spielt sich zu zweit so viel spaßiger, meine Kleine.« Ich gab Ares die Sporen und preschte los. Wir galoppierten durch die sich öffnenden Tore und somit die direkt dahinter liegenden, vom Mond nur schwach beschienenen Wildnis.

»Willkommen in der Hölle, Luna mea.«

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