Kapitel 51

Zuckend erwachte ich aus meiner Ohnmacht, riss die Augen auf, schnappte gierig nach Luft, so als hätte ich ewig nicht geatmet. Neben mir zuckte jemand erschrocken zusammen und hob den Kopf. Ich erblickte tiefbraune Augen, die von Tränen verschleiert waren und ein wunderschönes Gesicht, was vom weinen gerötet war. Die Augen blickten mir entgegen, als wäre ich ein Geist, eine Illusion, eine Fata Morgana.

"Ayumi?", fragte Suha mit belegter Stimme und ich setzte mich langsam auf. Meine Glieder fühlten sich steif an. "Ich dachte du wärst tot! Du sahst überhaupt nicht mehr aus wie du selbst, so zugerichtet warst du und dein Herz, es... es hat nicht mehr geschlagen", sagte sie leise und ich konnte die Tränen in ihren Augen schimmern sehen. Als ich mich aufrichtete, klebte das nasse Gras unter mir an meiner Kleidung fest und ich brauchte einen Moment, um mich neu zu orientieren, wo ich mich befand und was passiert war. Suhas Worte drangen gar nicht wirklich zu mir durch, so benommen fühlte ich mich noch.

"Deine Wunden, sie sind weg", stellte Suha staunend fest und erneut zuckte mein Blick zu ihr, der mir verwundert und verwirrt entgegen starrte. Sie sah so aus, als würde sie die Welt nicht mehr verstehen, als liefe die Zeit rückwärts, als wäre alles verdreht. Dann sah ich wieder an mir herab. Die Ältere hatte recht. Ich spürte den Schmerz der Verbrennungen auf meiner Haut noch ein wenig nachklingen, doch da war nichts mehr zu sehen. Keine gerötete Haut, keine Wunden und vor allem kein Blut. Ich hatte die Schmerzen der Verbrennungen so deutlich in Erinnerung, dass sie definitiv da gewesen sein mussten. Doch auch als ich mich ein wenig bewegte und meine Arme ausstreckte und meinen Oberkörper nach links und rechts drehte, spürte ich keinen Schmerz. Alles war unversehrt und allen voran lebte ich noch. Ich hatte keine Ahnung wie das möglich war. Ich sollte tot sein und das war so sicher, wie die Sonne, die an jedem Morgen aufging. Keiner hätte das überlebt. Abgesehen davon spürte ich mein Herz ab und an minimal stolpern, so als hätte es eine Zeit lang nicht geschlagen und musste seinen Rhythmus erst wiederfinden. Doch es schlug. Kräftig und lebendig in meiner Brust, und ich konnte es mir nicht erklären. 

Und dann spürte ich plötzlich das Gewicht an meinem Hals, welches vorher nicht da gewesen war. Augenblicklich griffen meine Finger danach und ertasteten das runde Gebilde, welches an einem Lederband befestigt war. Vorsichtig zog ich die Kette über meinen Kopf und starrte dann ungläubig auf das göttliche Auge zwischen meinen Fingern. Es zeigte eine vereinfacht dargestellte Welle, die auf einem dunkelblauen Untergrund abgebildet war. Das verglaste Stück war von einem goldenen Rahmen umgeben. Ich war so überwältigt davon, dass ich erst ein wenig verzögert mitbekam, wie Suha nach Luft schnappte und sagt: "Du hast eine Hydro Vision bekommen!"

Nachdem ihre Worte zögerlich zu mir durchgedrungen waren, verstand ich auch endlich die Worte die die Frau und Chiyo zu mir gesagt hatten. Dass ich Chiyos Vermächtnis weiterleben sollte und dass das Wasser ab nun an mein treuster Begleiter war.  Und mit einem mal realisierte ich, dass diese wunderschöne Frau nur Focalors, der derzeitige Hydro Archon sein konnte. Sie musste mir stellvertretend für die Götter in Celestia meine Vision gegeben haben.

Plötzlich sprudelte ein Glucksen in mir hoch, dass sich schnell zu einem unkontrollierten Lachen entwickelte. Das Lachen schüttelte meinen ganzen Körper, während ich das göttliche Auge fest umklammerte und an meine Brust drückte. Was eine Ironie des Schicksals. Meine größte Angst war das Wasser und jetzt sollte ich genau damit kämpfen. 

Sobald ich mein Lachen ein wenig unter Kontrolle gebracht hatte, fiel ich Suha um den Hals und umarmte sie fest. "Du hast mir sehr viel zu erzählen, wenn wir hier fertig sind", sagte sie, während sie die Umarmung erwiderte. Ich antwortete lächelnd: "Ja, das hab ich durchaus und ich kann es kaum erwarten." Ein wenig überrascht war ich doch, als mir auffiel, dass ich ihr gerade direkt geantwortet hatte. Aber vielleicht bedeutete das, dass es mir nun wieder gut ging. Dass ich nach vorne blicken konnte.

Als wir uns wieder voneinander gelöst hatten, erhoben wir uns beide aus dem nassen Gras. Es hatte aufgehört zu regnen, wie ich in diesem Moment bemerkte, und die Sonne hatte die dichte Wolkendecke aufgerissen und kämpfte sich nun einen Weg durch die Lücken. 

Erst als ich mich voll aufgerichtet hatte, bemerkte ich den Tumult um uns herum. Es befanden sich deutlich mehr Leute hier, als zu dem Zeitpunkt, an dem ich mein Bewusstsein verloren hatte. Aber ich hatte auch keine Ahnung, wie viel Zeit seitdem vergangen war. Mein Blick glitt zunächst zu dem Turm und der Plattform, auf der wir unseren Kampf ausgetragen hatten. die Ruine war nun noch mehr zerstört, als sie es vorher war. Das Kuppeldach war zur Hälfte weggerissen und viele der Steine waren heruntergebrochen.

Nachdem ich das Chaos besichtet hatte, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die vielen Menschen. Meine Gruppe, mit der ich die Prüfung absolviert hatte, befanden sich unweit von mir. Lani hatte sich ihren Oberschenkel provisorisch verbunden. Ren und Tia sahen, abgesehen von ein paar Kratzern, unverletzt aus. Auch Suha schien glimpflich davongekommen zu sein. Die anderen Menschen, die sich hier tummelten, sahen auf den ersten Blick aus wie Leute aus dem Orden. Sie trugen Uniformen und teilweise Rüstungen. Abgesehen von den Wachen, sah ich noch die ein oder andere Krankenschwester.

"Die Explosion hat ihn k.o. geschlagen", sagte Suha nun und deutete mit einem Kopfnicken nach rechts. Ich folgte mit meinem Blick in die angedeutete Richtung und sah den mächtigen blauen Giganten auf dem Boden liegen. Er hatte die Augen geschlossen und bewegte sich kaum, nur wenn er ein- und ausatmete bewegte sich sein riesiger Körper. "Venti hat ihn in einen tiefen Schlaf versetzt, damit er erstmal kein Unheil mehr anrichten kann", sagte Lani nun, die zusammen mit den anderen auf mich und Suha zukam. Ich fragte nicht nach, wie Venti das gemacht hatte, abgesehen davon kannte ich den Mann auch nur vom Hörensagen. Doch als ich eine Gestalt sah, die größtenteils in Türkis gekleidet war und dem Drachen freundschaftlich die Nase tätschelte, war ich mir sicher, dass das Venti sein musste. 

Ich wollte gerade etwas sagen, als ich Jean auf uns zukommen sah. Sie blieb vor unserer Gruppe stehen und ich verspürte noch genau so viel Respekt vor ihr, wie beim letzten Mal. 

"Es tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist. Das hätte auf keinen Fall passieren dürfen", entschuldigte sich die stellvertretende Großmeisterin augenblicklich. "Ihr habt viele Menschen vor großem Unheil beschützt und natürlich gilt diese Teilprüfung für euch als bestanden. Es ist nicht viel und reicht auch lange nicht als Entschuldigung, aber ihr werdet natürlich zusätzliche Punkte bekommen", sagte sie und lächelte uns alle aufmunternd und entschuldigend an. "Der Orden und ganz Mondstadt stehen tief in eurer Schuld", fügte sie dann an und neigte respektvoll ihren Kopf vor uns, bevor sie sich abwandte. Sie hatte recht, es war nicht viel, was wir bekamen, aber es war genug. Wir hatten unzählige Leben gerettet, das war das größte Geschenk überhaupt. 

"Jean", rief ich schnell und sie drehte sich noch einmal herum, blickte mich abwartend an. "Wie konnte das passieren?", fragte ich und es war kein Vorwurf, sondern einfach nur eine Frage, die aus reiner Neugier entstanden war. Jean ließ eine Pause, bevor sie antwortete. "So genau wissen wir das auch noch nicht. Aber macht euch keine Sorgen, wir kümmern uns darum und sorgen dafür, dass so etwas nicht nochmal passiert", erklärte sie und lächelte uns aufmunternd an, bevor sie sich endgültig abwandte. 

Entgegen meiner Erwartungen beruhigte mich ihre Aussage tatsächlich und ich hatte das seltsame Gefühl, dass sich ihre Worte bewahrheiten würden.

Mein Blick richtete sich wieder auf meine Gruppe. "Wir haben nur noch eine Prüfung vor uns, jetzt, nachdem wir diese Prüfung hier überstanden haben", rutschte es mir nun ungläubig über die Lippen und Lani musste schmunzeln. "Auch, wenn du eigentlich schon Grillfleisch warst", gab sie geradeheraus von sich und tatsächlich musste ich doch ein wenig schmunzeln.

"Die Götter waren gnädig mit mir", erwiderte ich und Lani nickte. "Du musst sie ja mächtig beeindruckt haben", gab sie von sich, während sie sich neben mich gesellte. "Aber jetzt zeig mir endlich mal das Prachtstück", rief sie euphorisch aus und wackelte aufgeregt mit ihren Fingern, während ich ihr mein göttliches Auge reichte, was ich noch immer in der Hand gehalten hatte. Sie inspizierte jedes Teil. "Was ein Schmuckstück", schwärmte sie, während sie es mir wieder gab und ich es mir wieder um den Hals hing. 

Lani schlug mir kräftig, aber freundschaftlich auf die Schulter. "Jetzt bist du offiziell eine von uns", lachte sie und ich musste grinsen, weil es mich doch ein wenig stolz machte. Mein Blick glitt zu Ren, der respektvoll seinen Hut anhob und eine Verbeugung andeutete. Nun musste ich doch lachen. "Ich schätze ihr gehört auch zu den Leuten, die mich schon kannten, bevor sie überhaupt ein Wort mit mir gewechselt haben", überlegte ich laut und Ren grinste mich wissend an, während Lani mich gegen die Schulter boxte. 

"Natürlich, ich bin schon die ganze Zeit dein Fan!", rief sie und die Euphorie stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Erneut musste ich schmunzeln. Ich wollte gerade etwas erwidern, als mein Name erklang. 

Jemand rief nach mir und ich drehte mich wie aus Reflex herum. Sofort trat eine Person in mein Sichtfeld, die auf mich zugestürmt kam. Es war Albedo. Seine Frisur hatte ein wenig gelitten und manche Strähnen hingen ihm wild ins Gesicht, doch das stoppte ihn nicht, mich sofort fest in seine Arme zu schließen, sobald er bei mir angekommen war. Er schloss seine Arme beschützend um meinen Oberkörper, so als würde ich jeden Moment zerbrechen. 

Er bettete sein Gesicht an meine Halsbeuge und während er das tat, erwiderte ich seine Umarmung. Kurz darauf löste er sich von mir. "Ich hab durch den Orden erfahren, was passiert ist, aber keiner konnte mir sagen, was genau mit dir los ist", erläuterte er und ich sah die Angst, aber auch die Erleichterung in seinem Blick. Seine Sorge um mich erweichte mein Herz und die Schmetterlinge, die in meinem Bauch anfingen zu flattern, verliehen mir ein so leichtes Gefühl, als würde ich schweben. 

Langsam hob ich eine Hand und strich ihm ein paar verwirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht, dabei trat mir ein leichtes verträumtes Lächeln auf die Lippen, weil ich kaum glauben konnte, dass er gerade wirklich hier war und sich Sorgen um mich gemacht hatte. Seine eisblauen Augen musterten mich und er studierte mein ganzes Gesicht. Stellte sicher, dass es mir gut ging. Ich sah in seinem Blick, wie seine Aufregung sich langsam legte. Als ich meine Hand gerade senken wollte, fing er sie mit seiner Hand ab und sagte mit rauer Stimme: "Ich halte es nicht mehr aus." 

Und dann hob er seine andere Hand, legte sie an meine Wange und küsste mich. Küsste mich, als wäre es das Einzige, was zählte. Augenblicklich schloss ich meine Augen und gab mich dem Gefühl blind hin und es war mir egal, wie viele mir gerade dabei zusahen, denn ich wurde von meinen Gefühlen überwältigt. Ich spürte die Zärtlichkeit aber auch die Sehnsucht in diesem Kuss, aber vor allem spürte ich die Schmetterlinge, die so stark flatterten, dass ich Angst hatte, dass sie aus meinem Bauch herausbrachen. 

Und dann wusste ich, dass ich gerade das pure Glück schmeckte. 

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