Kapitel 50
Ich schlug meine Augen auf, doch es änderte nichts an dem, was ich sah. Nach wie vor befand ich mich in vollkommener Schwärze. Ich bewegte meine Finger und führte meine Hand zu meinem Gesicht. Ich betastete es vorsichtig und es fühlte sich alles ganz normal an. Ich hatte keine Verbrennungen und auch keine Schmerzen, obwohl ich doch gerade erst so gut wie zerrissen worden war durch die Explosion. Bei der Erinnerung daran spürte ich den Schmerz regelrecht wieder aufwallen, obwohl er eigentlich nicht da war. Der Phantomschmerz brannte auf meiner Haut und ich stöhnte schmerzerfüllt auf. Mein Kopf erinnerte sich einfach nur viel zu lebendig daran und das versuchte ich mir selbst klar zu machen, als mein Körper vor Angst anfing zu zittern.
Es war ein Wunder, dass ich überhaupt noch denken konnte, dass ich überhaupt noch existierte. Ich sollte mausetot sein. Diese Explosion hätte keiner überleben können. Also wo befand ich mich hier? In einem Schwebezustand zwischen Leben und Tod? In einer Zwischenwelt in der ich nur so lang verweilte, bis man mich ins Totenreich geleitete? Oder war ich schon im Totenreich angekommen? Ich wusste es nicht. Und je länger ich darüber nachdachte, desto weniger konnte ich mir einen Reim darauf machen.
Diese völlige Ungewissheit, wo ich mich hier befand und der Fakt, dass ich rein gar nichts erkennen konnte, versetzte meinen Körper erneut ein wenig in Angst. Ich begann, mich um meine eigene Achse zu drehen und kaum bewegte ich meine Füße, hörte ich ein plätschern, das um mich herum tausendfach widerhallte, als befände ich mich in einer riesigen Halle.
Mein Blick glitt zu meinen Füßen herunter und ich begann erneut mich zu bewegen, tat ein paar kleine Schritte. Wieder ertönte das Platschen und überall dort, wo ich hintrat, wurden kleine Wellen verursacht, die in einem sanften blau schimmerten. Sie hoben sich regelrecht majestätisch von der Dunkelheit um mich herum ab. Doch kaum hatte sich alles beruhigt, war es wieder schwarz.
Wieder tat ich ein paar Schritte, fasziniert davon, dass meine Füße anscheinend in Wasser standen, meine Schuhe aber total trocken blieben.
"Ayumi!", rief plötzlich eine Stimme, die, ebenso wie das Platschen meiner Schritte, tausendfach widerhallte und von überall und nirgendwo zu kommen schien. Ich erschrak mich, drehte mich um meine eigene Achse und stolperte, fiel beinahe. Doch ich sah nichts. Alles war schwarz. Wo war die Stimme hergekommen? Ich konnte es nicht sagen.
Wie aus Reflex schaute ich hinunter zu meinen Füßen und dann war da plötzlich eine Spiegelung. Ich beugte mich ein wenig mehr nach vorn, um genauer hinzusehen und erkannte dann mich selbst in der Spiegelung des Wassers. Um mich herum befand sich kein Licht und trotzdem sah ich mich in meinem Spiegelbild so klar, hell und deutlich als wäre es Tag. Ich erkannte meine grünen Augen, die mir selbst entgegenblickten und ich betrachtete meine haselnussbraunen Haare, die ein wenig verstrubbelt aussahen. Aber sonst war ich unversehrt, mein Gesicht war frei von Kratzern und Verletzungen. Das sollte nicht möglich sein.
Ich war für einen Moment so auf meine eigene Spiegelung fokussiert gewesen, dass ich ein wenig erschrak, als ich in meinem Spiegelbild hinter mir plötzlich eine weitere Person sah. Ruckartig drehte ich mich herum, doch da war niemand. Also richtete ich meinen Blick wieder auf die Spiegelung im Wasser und kniete mich hin. Trotz dessen wurde meine Kleidung nicht nass. Ich spürte das Wasser nicht einmal.
Die Frau, die sich in der Spiegelung hinter mir befand, war nur verschwommen zu erkennen, doch sie schaute mich geradewegs an. Ihr Blick bohrte sich in meinen. Ich kannte sie nicht, doch sie hatte eine magische Anziehungskraft auf mich. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden und als sie eine Hand nach mir ausstreckte, streckte ich ebenfalls meine Hand aus. Es sah aus, als wollte sie mich berühren. Ich kam ihr mit meiner Hand immer näher, doch kaum berührte ich die Wasseroberfläche, verschwanden die Spiegelbilder und der feste Boden unter mir gab nach. Ich stürzte mit meiner Hand voran in eine undefinierbare Tiefe. Ich fiel eine Weile, bevor die Welt sich einmal um hundertachtzig Grad, synchron zu meiner Fallrichtung, drehte und ich mich plötzlich mitten im Wasser befand. Als wäre ich in eine Parallelwelt gestürzt.
Panisch fing ich an, mit meinen Beinen zu strampeln, doch ich spürte keinen Grund, den ich hätte erreichen können, oder der mich hätte tragen können. Völlig in Panik versetzt und von der Angst beherrscht strampelte ich noch heftiger und fuchtelte mit den Armen, spritzte mir selbst Wasser ins Gesicht, verschleierte meine Sicht, verschluckte mich.
Dann plötzlich, wie aus dem Nichts, erinnerte sich mein Kopf an die Worte, die Albedo gesagt hatte. Dass das Wasser sich meinen Bewegungen anpasste und kein Feind, sondern ein Freund war. Dass es mir nicht wehtun konnte.
Augenblicklich stellte ich meine hektischen Bewegungen ein und versuchte mich mit einem tiefen Atemzug zu beruhigen. Ich begann langsam zu sinken, doch das Wasser um mich herum wurde ruhiger und schlug mir nicht mehr ins Gesicht. Ein weiteres Mal holte ich tief Luft, bevor ich so tief sank, dass mein Kopf unter Wasser glitt und ich gezwungenermaßen die Luft anhalten musste. Sofort kamen die Bilder in meinen Kopf, als ich fast ertrunken wäre, doch ich zwang mich selbst dazu, Ruhe zu bewahren. Und dann erinnerte ich mich langsam daran, wie die Bewegungen aussahen, die andere Menschen ausführten, wenn sie schwammen.
Ich trat mit meinen Beinen, versuchte die Bewegungen so gut wie möglich nachzuahmen und gleichzeitig Ruhe zu bewahren. Es war viel schwerer als ich es mir vorgestellt hatte, doch mit drei Zügen, die zwar ein wenig ungelenk waren, in die ich aber meine gesamte Kraft setzte, schaffte ich es an die Oberfläche zurück. Gierig schnappte ich nach Luft, doch kaum hatte ich die Oberfläche durchbrochen stand ich mit beiden Beinen plötzlich wieder auf festem Untergrund und mein gesamter Körper war wieder trocken. Keine Spur davon, dass mich das Wasser gerade fast verschlungen hätte.
Verwirrt starrte ich auf meine Finger, was nur noch mehr Chaos in meinem Kopf verursachte, denn um mich herum war es noch immer Rabenschwarz, doch ich konnte meine eigene Gestalt nun sehen. Meine Finger, meine Kleidung, meinen ganzen Körper. So hell, als wäre Tag. Als ich meinen Blick wieder hob, stand plötzlich jemand vor mir. Sie konnte ich genau so klar erkennen, wie mich selbst. Es war die Frau aus der Spiegelung.
Sie war wunderschön und hatte eine mächtige Ausstrahlung. Ihre Haare ergossen sich lang über ihren Körper und schwankten in einer Farbe zwischen dunkelblau und lila. ihre Augen waren stechend blau und ihre Gestalt war schlank, aber dennoch unumstößlich, präsent, allmächtig. Allein bei ihrem bloßen Anblick wusste ich, dass niemand sie einfach so besiegen konnte. Ihr schlanker Körper war in blaue Kleidung gehüllt, die mehrere Schichten aufwiesen, die so leicht wie eine Feder wirkten und sanft um sie wallten, so als wäre sie im Wasser, was jedoch nicht der Fall war. Sie sah aus wie eine Göttin und ich hatte das starke Bedürfnis, mich vor ihr zu verneigen. Ich konnte den Respekt, den ich für die Frau vor mir empfand, nicht leugnen, obwohl ich keine Ahnung hatte, wer sie war.
"Du warst sehr mutig, Ayumi", fing sie an und ihre Stimme klang unglaublich geschmeidig und mächtig und drang durch meinen ganzen Körper. Wieder hallte ihre Stimme von überall wider, doch dieses Mal wusste ich wenigstens, woher sie kam. Es war so faszinierend, dass ich gar keine Zeit hatte mich zu fragen, woher sie meinen Namen kannte.
"Du hast meine Aufmerksamkeit gewonnen, was nicht besonders leicht ist", erzählte sie weiter und sah mich mit ihren stechenden Augen eindringlich und abschätzend an. Es war, als könnte sie mit diesen Augen alles sehen. Nicht nur das Materielle, sondern auch alles andere, was zwischen Erde und Himmel existierte. "Das Wasser ist dein größter Feind, es hätte dich fast dein Leben gekostet, doch du stellst dich ihm. Du stellst dich deiner größten Angst. Und du bist stark. Stärker als du vermuten magst. Du beschützt deine Freunde mit allem was du hast und hast dein Leben aufgegeben, um andere zu retten. Das macht dich ehrenwerter als die meisten Menschen." Sie machte eine Pause und sah mich erneut an. Ich hatte fast das Gefühl, dass sie mit ihren Augen durch mich hindurch sah.
"Warum lebe ich noch?", rutschte es mir heraus, bevor ich länger darüber nachdenken konnte. Im Nachhinein war es mir unangenehm, ihr einfach so reinzureden. Es fühlte sich falsch an. Doch die Frau sah nicht verärgert aus, generell zeigte ihr Gesicht keine einzige Regung. Es war unmöglich, ihr Gefühle anzusehen. "Weil ich es so will", sagte sie schlicht und ich verstand ihre Worte nicht so ganz, obwohl sie sie so sagte, als wären diese Worte die einzige Wahrheit, die zählte.
"Eine der Meinen will dich sehen", sagte sie dann nach einer kurzen Pause und nur einen Wimpernschlag später hörte ich eine vertraute Stimme. "Ayumi!", rief jemand und ich drehte mich vollkommen im Schock herum.
Dort, mitten in der Dunkelheit stand Chiyo, wie eine Sonne in der Dunkelheit und winkte mir fröhlich zu, wobei ihre schwarzen Haare, die zu zwei Space Buns gebunden waren, leicht auf ihrem Kopf wippten. Sobald ich sie sah, zerriss es mein Herz in tausend Teile und gleichzeitig heilte es ein Stückchen. "Chiyo", flüsterte ich und hörte meine eigene Stimme brechen. Das konnte nicht echt sein. Es musste eine Illusion sein. Und dennoch zog es mich mit jedem Teil meines Körpers zu ihr. Augenblicklich setzte ich mich in Bewegung, rannte zu meiner verlorenen Freundin, schloss sie in die Arme. Genau in diesem Moment begannen meine Tränen zu fließen und ein Schluchzer drang aus meiner Kehle. Ich hatte so viel geweint, aber die Tränen, die am meisten schmerzten, waren die, die man in seinem Herzen versiegelte und die eigentlich dazu bestimmt waren, niemals geweint zu werden.
"Es tut mir so leid", flüsterte ich und die Jüngere löste sich von mir um mir eindringlich ins Gesicht zu sehen. "Mir geht es gut und es war nicht deine Schuld. Meine Zeit war gekommen", sagte sie und ihre Stimme war so unglaublich sanft. Keine Schuld, kein Vorwurf. Einfach nur Chiyo. Und dann lächelte sie mich aufmunternd an.
"Wir haben leider nicht viel Zeit, aber sei dir bewusst, dass ich immer über dich wache", sagte sie und das Lächeln wurde noch strahlender. Ihre Freude und Zuversicht schwappte in sanften Wellen auf mich über. Ich konnte sie mit einer sanften Wärme regelrecht auf meine Haut treffen spüren. "Werde für mich Abenteurerin, lebe meinen Traum mit deinem zusammen. Führe mein Schwert mit Bedacht und übe fleißig alle Techniken für den Kampf. In jeder Bewegung, in jedem Kampf werde ich an deiner Seite sein, weil du mich in deinem Herzen und deinen Gedanken trägst. Denn was im Herzen fest versiegelt ist, wird niemals verloren gehen und wenn jemand nicht mehr da ist, dann sind Erinnerungen das, was die Person in der anderen Welt am Leben erhält. Du kannst eine große Kriegerin werden und mein Vermächtnis lebt mit dir weiter. Ich bin immer an deiner Seite", erklärte mir Chiyo eindringlich, aber mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich verstand erst nicht ganz, was sie mir damit sagen wollte, doch ich hatte auch keine Zeit länger über die Worte meiner Freundin nachzudenken, denn plötzlich stand die Frau von vorhin neben mir und Chiyo trat ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen.
"Ab heute soll das Wasser dein treuster Begleiter sein", sagte sie, hob eine ihrer schlanken, eleganten Hände und tippte mit ihren kühlen Fingern sanft auf meine Stirn. Kaum hatte sie das getan, stürzte ich nach hinten, mitten in die Dunkelheit. Das letzte was ich sah, war Chiyos lächelndes Gesicht, was von Zuversicht erfüllt war.
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ACHTUNG:
Dieses Kapitel wurde geschrieben und veröffentlicht, als Focalors noch NICHT released oder ihr Aussehen geleaked war. Es kann also zu Abweichungen in der Beschreibung der Charakterin kommen
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Na, habt ihr damit gerechnet? Habt ihr verstanden, wer die Frau ist? ;)
Bei mir spinnt wattpad momentan rum. Ich veröffentliche ein Kapitel und ich kriege auch die Meldung, dass es veröffentlicht wurde und ihr könnt es auch lesen und kommentieren, aber wenn ich auf geschichte bearbeiten gehe, steht immer da, dass das Kapitel noch nicht veröffentlicht ist. Ich muss es immer ein zweites Mal veröffentlichen, bis es wirklich als veröffentlicht angezeigt wird. Also seid nicht verwirrt, falls ihr eventuell ein zweites Mal eine Benachrichtigung bekommt
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