Kapitel 46
Immer wieder schwirrten mir Albedos Worte durch den Kopf. Dass der Schmerz irgendwann nachlassen würde. Doch ich hatte das Gefühl, dass es nicht weniger wurde.
Die folgenden Tage und Prüfungen verbrachte ich mit Wolken um meinen Kopf. Ich nahm alles nur gedämpft wahr. Wie in Trance. Ich bestand alle Prüfungen. Manchmal trug ich Verletzungen davon, doch sie waren nicht all zu schlimm. Im Nachhinein fragte ich mich, wie ich die Gegner besiegt hatte beziehungsweise, welche Monster mir in den Sphären überhaupt gegenüber gestanden hatten. Ich war geistig so abwesend gewesen, dass ich wirklich nicht darauf geachtet hatte. Ich machte alles wie automatisch. Wie ein Aufziehmännchen, das einfach seine vorgeschriebene Tätigkeit ausführte.
Mein Gefühlszustand wechselte zwischen absoluter und alles einnehmender Leere und ausschließlich zerstörerischen Schmerz. Mehr als diese beiden Emotionen erlebte ich in dieser Zeit kaum. Es gab nur wenige Momente, die ich wirklich aktiv wahrnahm.
Ich sah Suha, Keith und Albedo und sogar Tia und Kalin leisteten mir Gesellschaft, versuchten meinen Schmerz zu lindern und mir Hoffnung zu geben, doch ich hörte nicht, was sie zu mir sagten. Ihre Worte prallten von meinen Ohren ab. Sie kamen und gingen. Tranken mit mir leckere Sachen und verspeisten köstliche Speisen. Versuchten mich mit Spielen abzulenken. Doch nichts half. Ich wusste, dass ich diese Phase allein durchstehen musste.
Das Einzige, was mich wenigstens ein bisschen ablenkte, war das Training mit Chiyos Schwert, welches nun meines war. In dieser Zeit hatte ich das Gefühl, ihre Stimme mit den Anweisungen zu hören. Es kam mir so vor, als würde die Jüngere mir dabei über die Schulter gucken.
Nach drei Wochen dieses Zustandes, stand ich nun auf dem Trainingsplatz neben dem Orden Favonius und war zum ersten Mal wieder geistig und körperlich anwesend. Ich sah mein Schwert vor mir, spürte die Energie die wie durch Zauberhand plötzlich meinen Körper durchströmte und den Schmerz linderte. Ich nahm wieder meine Umgebung wahr und das Erste, was mir auffiel war, dass die Bäume angefangen hatten sich zu verfärben. Zwischen dem satten grün fanden sich nun bereits gelbe, rote, orange und braune Farbtupfer. Die Erde hatte sich weiter gedreht, während ich in meinem Loch gefangen gewesen war.
Ich blinzelte ein wenig überrumpelt und atmete tief die deutlich kältere Luft ein. Es war als hätte ich einen Zeitsprung gemacht. Mindestens genau so überrumpelt stellte ich nun fest, dass der Schmerz in meinem Inneren nicht mehr so fest saß. Er war noch da und ich würde vermutlich noch einige Male Tränen wegen meiner verlorenen Freundin verweinen, aber er beherrschte mich nicht mehr. Von dem einen auf den anderen Moment hatten der Schmerz und die Trauer ihre eisigen Klauen aus meinem Herzen zurückgezogen. Es war wie ein Wunder.
Zum ersten Mal in diesen drei Wochen achtete ich auch wieder auf meinen Körper. Ich hatte abgenommen, was kein Wunder war, denn ich hatte ja kaum etwas gegessen und ich hatte deutlich weniger Kraft und Energie. Ich würde schnellstmöglich wieder zu Kräften kommen müssen, denn die nächste Prüfung fand... Ja, wann fand sie statt?
Ich wusste es nicht. Ich hatte es nicht mitbekommen. Plötzlich wachgerüttelt setzte ich mich augenblicklich in Bewegung, verließ den Platz, rannte die Treppen herauf und nahm immer gleich zwei Stufen auf einmal. Schlitternd blieb ich vor dem schwarzen Brett stehen und laß mir die nötigen Informationen durch. Die nächste Prüfung war morgen und es war die letzte Prüfung, die in den Sphären stattfinden würde. Danach kam die Abschlussprüfung! Du meine Güte, es war bald vorbei.
Es war als hatte ich genau zum richtigen Zeitpunkt mein Bewusstsein wiedererlangt.
"Ayumi?", ertönte eine Stimme fragend hinter mir und ich drehte mich erschrocken herum. Ich war so vertieft gewesen, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie sich jemand zu mir gesellt hatte.
Ich erblickte Suha, die ihre Zartorangen Haare zu einem langen Zopf geflochten hatte und eine braune Tunika trug, die mir in Kombination mit ihrer Haarfarbe eine ordentliche Herbststimmung verlieh. Ihre warmen Augen waren überrascht auf mich gerichtet und ich freute mich so sehr, sie zu sehen, dass ich kurzerhand auf sie zu ging und so fest wie möglich umarmte. Ein wenig überrumpelt erwiderte sie die Umarmung. Als wir uns wieder voneinander gelöst hatten, sah ich sie an.
"Dir scheint es endlich besser zu gehen", stellte sie fest und ich nickte. Auf ihre Lippen trat ein wunderschönes warmes Lächeln. "Das ist so schön zu hören. Hast du Hunger?", fragte sie und ich musste leicht lächeln. "Und wie!", antwortete ich. Kurzerhand entschieden wir uns im Hirschjäger Essen kaufen zu gehen. Als wir das getan hatten, setzten wir uns an einen der Tische.
"Wie viele Prüfungen habe ich versäumt?", war meine erste Frage, sobald ich den ersten Bissen von meinem Hähnchen genommen hatte. "Zwei", antwortete Suha. "Die anderen hast du bestanden, aber du scheinst dich nicht wirklich daran zu erinnern, oder?", fragte sie und ich schüttelte stillschweigend mit dem Kopf.
Ein wenig Sorge hatte ich schon, dass ich dadurch einige Punkte eingebüßt hatte, was vermutlich auch der Fall gewesen war. Aber ich konnte mit den letzten beiden Prüfungen trotzdem noch genug Punkte sammeln. Ich hatte Hoffnung, dass ich es noch immer schaffen konnte.
"Wir haben nur noch eine Prüfung in der Sphäre", stellte ich fest und Suha nickte, doch ihr Blick wurde besorgt. "Die letzte Sphäre absolvieren wir erneut in fünfer Teams. Dieses Mal haben wir die Teams zugeteilt bekommen. Du, ich und Tia sind in einem Team, die anderen kennen wir nicht. Was mir aber Sorgen bereitet ist, dass wir dieses Mal die Sphäre in Dvalins Ruinen absolvieren müssen. Die ganze Umgebung dort schreit regelrecht nach Gefahr", sagte sie und auch mir wurde ein wenig flau im Magen.
"Dort ist es immer so düster und ruhig, als gebe es nur sehr wenig Leben dort", fügte ich hinzu und Suha nickte langsam. Ja, das würde nicht einfach werden. Ein wenig ergriff mich die Angst, doch ich schaffte es, sie erfolgreich zurückzudrängen. Morgen hatte ich noch genug Zeit, mir Sorgen zu machen. Diesen Tag wollte ich noch ein wenig auskosten. Denn immerhin war ich endlich wieder weitestgehend ich selbst.
Suha und Ich unterhielten uns noch eine Weile und aßen unser Essen. Als es schließlich allmählich dämmerte, verabschiedeten wir uns.
Anstatt direkt zu meiner Unterkunft zu gehen, drängte mich mein Instinkt in eine andere Richtung. Ich wollte zum Teleportationspunkt, um Albedo einen Besuch abzustatten. Doch gerade als ich meine Finger auf das blaue Konstrukt legen wollte, kam er mit ruhigen Schritten die Treppen herunter. In mir blubberte warme Freude auf und augenblicklich setzte ich mich in Bewegung, um zu ihm zu gelangen. Ich konnte das breite Grinsen auf meinem Gesicht nicht verbergen. Es machte mich so froh, ihn zu sehen. Es tat meiner Seele gut.
Ohne große darüber nachzudenken, warf ich mich stürmisch in seine Arme und er schloss seine augenblicklich um meinen Körper um mich festzuhalten. Ich schloss meine Augen und sog seinen Duft ein, was mein Herz schneller schlagen ließ.
Albedo sagte nichts, doch er umarmte mich so fest, als wollte er mich nie wieder gehen lassen. "Du bist wieder da", sagte er leise und ich nickte euphorisch. Ich wusste, dass er meinte, dass ich nicht mehr geistesabwesend war. Langsam lösten wir uns voneinander und das Lächeln, das er auf den Lippen trug, ließ mein Herz schmelzen. Ich erkannte die Erleichterung in seinen Augen.
Eine Weile lang sagten wir gar nichts, lächelten uns einfach nur an und genossen die Anwesenheit des jeweils anderen. Es war wunderbar. Schließlich räusperte ich mich und sagte: "Nur noch zwei Prüfungen." Albedo nickte. "Dann ist es endlich vorbei", antwortete er und sein Blick wurde wehmütig.
"Dann hat das Warten endlich ein Ende", fügte er leiser hinzu und ich war mir nicht zu hundert Prozent sicher, was er meinte, doch als seine Hand leicht in meine Richtung zuckte, er sich dann aber doch zurückhielt, hatte ich eine Vermutung.
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Die Prüfungen und die Story neigen sich langsam den Ende entgegen und trotzdem kommt noch einiges auf euch zu :)
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